Dank wissenschaftlicher Untersuchungen ist heute allgemein bekannt, dass Gemüse als „das beste Nahrungsmittel“ gelten darf. Es gibt eine große Auswahl, keinerlei Empfehlung zur Mäßigung beim Verzehr, eindeutig positive Wirkungen auf die Gesundheit und relativ aufwandsarme Produktionsverfahren. Aber: Wie steht es zurzeit um die Produktion von Gemüse in Luxemburg?
Laut Regierungsbericht zur Agenda 2030 aus dem Jahr 2015 stammt nur 1 % von dem Obst und Gemüse, das auf dem luxemburgischen Markt verfügbar ist, aus lokaler Produktion. Durch neue Betriebsgründungen konnte dieser Prozentsatz in den letzten Jahren zwar leicht gesteigert werden, man ist aber immer noch weit von einer zweistelligen Zahl entfernt. Die Nachfrage nach lokalem Gemüse ist rezenten Umfragen zufolge jedenfalls sehr hoch, und die Steigerung der Gemüseproduktion hat auch schon Einzug in die Ziele der letzten beiden Regierungsprogramme von 2013 und 2018 gehalten.
Berufliche Ausbildung
Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und politischen Überlegungen zu einer nachhaltigen Nahrungsproduktion verzeichnet die Ackerbauschule (LTA) seit etwa 15 Jahren anhand von steigenden Schülerzahlen ein neues und wachsendes Interesse am Beruf des Gemüsegärtners. Direktion und Gemüsebausektion des LTA haben sich nun besonders in den letzten zehn Jahren darum bemüht, angemessen auf die gesellschaftlichen und politischen Impulse zu reagieren. Die daraus entstandenen Initiativen sind das Ergebnis einer guten Zusammenarbeit des LTA mit anderen gesellschaftlichen Akteuren wie diversen Ministerien (Bildung, Landwirtschaft, Nachhaltigkeit und Arbeit) und Organisationen (FHL, LWK, IBLA, SEED, CELL, SICONA…).
Zu den Meilensteinen zählen:
- 2010: Reform der Ausbildungsinhalte mit Schwerpunkten beim nachhaltigen Wirtschaften
- 2011: Beginn der Vermehrung von Gemüsesaatgut
- 2012: Umstellung auf biologisch zertifizierte Produktion im Gemüsebau
- 2013: Gründung der Aktionsgruppe Gemüsebau mit Vertretern der ASTA, des SER, der LWK und des IBLA
- 2015: Einrichtung einer neuen Ausbildung „Betriebsleiter im Gemüsebau“
- 2017: Durchführung eines Lehrgangs „Koordinator von Gemeinschaftsgärten“
- 2018: Teilnahme an der Ausarbeitung des 3. nationalen Plans zur nachhaltigen Entwicklung im Rahmen der Agenda 2030
- 2019: Teilnahme an der Ausarbeitung der nationalen Strategie zum Urban Farming
- 2021: Offizieller Start einer Saatgutproduktion für den lokalen Gemüsemarkt
An dieser Liste von schulischen und außerschulischen Initiativen wird deutlich, dass sich das LTA über den eigentlichen Rahmen seines Bildungsauftrags hinaus engagiert, seinen Beitrag zu leisten, die steigende Zahl der Auszubildenden, die große Nachfrage nach lokalem Gemüse und das Angebot an Land und Projekten aufeinander abzustimmen.
Um das Angebot an lokalem Gemüse ausweiten zu können, braucht es Betriebe, die Gemüse produzieren. Das erste Ergebnis der Beratungen der Aktionsgruppe Gemüsebau war somit die Schaffung einer neuen Berufsausbildung, die das LTA auch relativ zeitnah umsetzen konnte. In der Ausbildung zum „Betriebsleiter im Gemüsebau“ werden die fachspezifischen Ausbildungsinhalte der Gemüseproduktion mit betriebswirtschaftlichen Aspekten (Betriebsgründung, -führung, Marketing…) verbunden. Darüber hinaus werden die Auszubildenden auch ganz konkret bei der Planung und Installierung ihres Betriebes begleitet (administrative Belange, Business-Plan, Landsuche usw.).
Fragestellungen
Auch wenn sich das bisher Gesagte insgesamt recht positiv anhören mag, gibt es doch so einige kritische Fragen, die man beantworten muss, wenn man wirklich zu einer signifikanten Steigerung der Gemüseproduktion in Luxemburg kommen will.
1. Können lokale Gemüseproduzenten bei dem hohen Lohnniveau in Luxemburg und bei den niedrigen Preisen der Importprodukte überhaupt rentabel wirtschaften, wenn man davon ausgeht, dass vom jährlichen Umsatz die Produktions- und Lohnkosten abgezogen werden und auch Produktverluste (auf dem Feld oder bei der Vermarktung) von 20 bis zu 30 % eingerechnet werden müssen?
2. Wie groß ist die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger wirklich, die lokale Gemüseproduktion im Kaufverhalten und über gutgemeinte Lippenbekenntnisse hinaus zu unterstützen? Sind sie bereit, ihre Ernährungsgewohnheiten den saisonalen Voraussetzungen Luxemburgs anzupassen? Wollen sie saisonbedingt auf das eine oder andere Gemüse verzichten? Würden sie auch einmal Produkte mit nicht ganz perfektem äußerem Erscheinungsbild akzeptieren, um die Nahrungsverschwendung konkret zu verringern? Ist es möglich, die höheren Verkaufspreise für lokale Produkte auf einer breiten gesellschaftlichen Ebene anzusiedeln, also über eine Nischen-Klientel hinaus?
3. Wieviel für Gemüsebau geeignetes Land steht in Luxemburg tatsächlich zu (noch) erschwinglichen Preisen zur Verfügung? Also Land ohne Hanglage oder übermäßigen Steinbesatz, bei dem das Risiko möglichst gering ist, als Bauland umgewidmet zu werden, das einen guten, humosen Boden hat sowie die notwendigen Infrastrukturen – Zugang zu Wasser und benutzbare Wege.
4. Sind die bestehenden Vermarktungsstrukturen ausreichend und geeignet, um eine gesteigerte Gemüseproduktion aufzunehmen und an die Verbraucher zu verteilen? Bei den luxemburgischen Großhändlern scheint es zurzeit jedenfalls schwierig, einen Anteil von mehr als 10 % an lokalem Gemüse rentabel vermarkten zu können. Der Preisdruck der billigen Importe sowie die jederzeit verfügbare Bandbreite der importierten Produkte behindern das Aufstocken des Anteils an lokalem Gemüse.
5. Sind die politischen Rahmenbedingungen für die Ansiedlung von neuen Gemüsebaubetrieben ausreichend vorteilhaft gestaltet?
Vor dem Hintergrund solcher Fragen hat eine SWOT-Analyse von 2017 eine Zusammenfassung von positiven und negativen Punkten ergeben, aus der dann im Rahmen der Aktionsgruppe Gemüsebau eine „TO-DO-Liste der Problembeseitigung“ geworden ist.
Hindernisse
Tatsächlich sind bei allen positiven Entwicklungen so schwerwiegende Hindernisse feststellbar, dass manchmal auch die motiviertesten Akteure Anflüge von Frustration und Zweifeln am Projekt überkommen. Diese Hindernisse müssen klar benannt und pragmatisch angegangen werden, wenn man zu konkreten Ergebnissen kommen möchte. Auch wenn man nicht wissen kann, was die Zukunft schlussendlich bringen wird, muss man sich zumindest von dem Irrglauben lösen, dass irgendjemand schon eine Lösung finden wird oder dass die Dinge sich verbessern werden, wenn man nur darüber nachdenkt und redet.
Die Hindernisse, die den Ausbau der Gemüseproduktion bremsen, sind zunächst einmal „systemimmanent“ und stellen sich oft als Sachzwänge oder Widersprüchlichkeiten dar, sodass Lösungsmöglichkeiten zwar sichtbar, aber nicht so leicht umzusetzen sind. Auch hier würde eine detaillierte Übersicht den Rahmen dieses Artikels sprengen. Tatsächlich ist dies in erster Linie „Expertenarbeit“. Die Aktionsgruppe Gemüsebau hat vom Landwirtschaftsminister ein offizielles Mandat bekommen, die Hindernisse, die die oben erwähnte SWOT-Analyse ermittelt hat, zu untersuchen und Lösungsansätze auszuarbeiten.
Da in letzter Konsequenz auch bestehende gesetzliche Regelungen zur Installierung und Führung von landwirtschaftlichen Betrieben an die sektorspezifischen Gegebenheiten des Gemüsebaus angepasst werden müssten, ist zunächst einmal ein klarer politischer Willen seitens der Entscheidungsträger notwendig. Danach braucht der Prozess dann aber auch eine zielorientierte Vorgehensweise, die es ermöglichen kann, dass Lösungsansätze auch in Praxis umgesetzt werden und diese die Produzenten auf ihrem Acker auch tatsächlich erreichen. In der aktuellen Regierungserklärung von 2018 stehen jedenfalls stichwortartig eine Reihe von direkten und indirekten Vorgaben zum Ausbau des Gemüsebaus, die nun mit Leben gefüllt werden müssten.
Lösungsansätze
Tatsächlich wäre Luxemburg als kleines Land mit kurzen Wegen und überschaubaren Strukturen prädestiniert, innovative nachhaltige Wege zu gehen. Stattdessen befindet sich das Land zurzeit aber leider noch unter den absoluten globalen Spitzenreitern beim negativen ökologischen Fußabdruck. Hier wäre ein Image-Wechsel von Vorteil. Genau diesen Punkt hat Jeremy Rifkin in seinem Abschlussbericht zur nachhaltigen Entwicklung in Luxemburg unterstrichen. Eines der Ergebnisse der 2015 von ihm geleiteten Arbeitsgruppen zum Thema war, dass Luxemburg bis 2050 100 % Bio-Landwirtschaft anstreben sollte, um als eine Art „Laboratorium“ ein Beispiel für andere Länder zu werden.
Wenn man davon ausgehen kann, dass ein breiter Konsens zugunsten einer Steigerung des ökologisch und sozial ausgerichteten Gemüsebaus besteht, dann wären viele Akteure aus Gesellschaft und Politik gefragt, sich an diesem Prozess zu beteiligen. Natürlich wäre als Expertengremium besonders die AG Gemüsebau hervorzuheben, die sich aus sachkundigen Mitgliedern des Landwirtschaftsministeriums (ASTA, SER), der Landwirtschaftskammer (LWK), des Wasserwirtschaftsamtes (AGE), der Umweltverwaltung (AEV), der Ackerbauschule (LTA) und dem Institut für biologische Landwirtschaft (IBLA) zusammensetzt.
Diese Gruppe nicht nur als Expertenrat, sondern auch als politisches Werkzeug zur Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu nutzen, ist eine naheliegende Schlussfolgerung.
Neue Konzepte und Projektideen
Nicht nur beim Gemüsebau wird in Luxemburg seit ein paar Jahren verstärkt an neuen Konzepten gearbeitet, die es der heimischen Landwirtschaft erlauben könnten, sich vom Preisdruck des Weltmarkts zu lösen und eine spezifisch lokale Identität zu stärken. Die Förderung von Qualitätsprodukten für den lokalen Markt sowie der neue Aktionsplan für die biologische Landwirtschaft sind Beispiele für den Reformwillen, der aus der Krise eine Chance machen soll.
Im Bereich des Gemüsebaus sind in den letzten Jahren ein paar neue Betriebsgründungen zu verzeichnen. Dabei werden verschiedene Konzepte umgesetzt. So gibt es zum Beispiel neben großen, mechanisierten Betrieben, die eher für den Großhandel produzieren, kleinflächige Strukturen im Bereich der sogenannten solidarischen Landwirtschaft. Hier handelt es sich um eine Form der direkten Zusammenarbeit von Produzenten und Konsumenten, wobei die traditionelle Trennung zwischen den beiden Gruppen so weit wie möglich aufgehoben werden soll. Ziel ist es, in eine solidarische Verbindlichkeit zu kommen, um die Existenz der Bauern zu sichern und nicht nur den Verkauf ihrer Produkte.
Der neueste Ansatz, um dem lokalen Gemüse eine noch weitergehende Kohärenz und vielleicht sogar einen Marktvorteil gegenüber Importen zu verleihen, ist es, den Kreislauf der Produktion zu schließen und auch Saatgut und Jungpflanzen in die lokale Produktion miteinzubeziehen. Beim Saatgut bestehen schon seit vielen Jahren kleine, aber gut funktionierende Strukturen, die es im Zuge der neuen europäischen Bio-Verordnung 2018/848 erlauben könnten, ab 2021 lokales Saatgut auch im Bereich der professionellen Anbauer zu vermarkten.
Tatsächlich funktionieren die vielen verschiedenen individuellen Ansätze zurzeit, weil genügend Platz auf dem Markt besteht, so dass sich niemand gegenseitig auf die Füße tritt. Wenn die Zahl der lokalen Gemüseproduzenten aber weiter steigen sollte, werden gemeinsame Strukturen notwendig.
Dabei bestehen durch die vielen verschiedenen Ansätze derzeit aber auch ein paar Meinungsverschiedenheiten, die möglichen Synergien im Wege stehen. Ein Beispiel ist hier das Bio-Label für ökologisch wirtschaftende Produzenten. Die einen halten daran fest als kontrollier- und messbares Medium, das der Bio-Idee nicht nur ein Markenzeichen, sondern auch politisches Gewicht verleiht, die anderen kritisieren das Abdriften in eine industrielle, globalisierte biologische Landwirtschaft, die sich unter dem Dach des Labels schon von einigen Umwelt- und Sozial-Standards verabschiedet zu haben scheint, und vertreten die Ansicht, dass Produzenten mit persönlichem Kontakt zu ihren Kunden kein Label brauchen.
Schlussfolgerung
Bei allen durchaus sehr interessanten Projekten und Ideen zum lokalen Gemüsebau muss sich immer und fortwährend gefragt werden, ob die verschiedenen Lösungsansätze vielleicht nur in einer Nische funktionieren, die wiederum nur dank der sie umgebenden konventionellen Marktstrukturen bestehen kann, oder ob die Ansätze wirklich das Potenzial besitzen, im Zuge einer ökologischen Transition dazu beizutragen, neue dauerhaft stabile Systeme im agroalimentären Bereich zu entwickeln.
Vieles spricht heute tatsächlich dafür, dass eine Rückkehr zur lokalen Nahrungsproduktion ein Schritt in die Zukunft ist. Zentralisierte Produktionsregionen wie zum Beispiel die Gemüseregion Almeria in Südspanien scheinen nach ein paar Jahrzehnten der Blüte in einer ökologischen, ökonomischen und sozialen Sackgasse angekommen zu sein.
Abschließend ist zu sagen, dass es für den Ausbau der lokalen Gemüseproduktion nicht nur eine gesicherte Nachfrage, genügend Land, neue Produzenten und gute Ausbildungsstrukturen braucht, sondern auch einen klaren politischen Willen sowie die Unterstützung aus der Breite der Gesellschaft. Eine richtige Weichenstellung auf Ebene der nationalen Agrarpolitik und eine auf lokale Produkte ausgerichtete Umstellung der Ernährungsgewohnheiten sind dabei wichtige Bedingungen, um langfristig lebenswerte und rentable Arbeitsbedingungen für Gemüseproduzenten und ihre Betriebe gewährleisten zu können.
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