Gendern oder nicht gendern?

Reaktionen auf den Artikel „Sprache, Geschlecht und gender in forum

In unserer Oktoberausgabe haben wir den Beitrag „Sprache, Geschlecht und gender in forum“ veröffentlicht (forum 399, S. 10-12), in dem ich argumentierte, dass wir als Redaktion unseren Autor*innen nicht vorschreiben wollen, geschlechtergerecht zu schreiben, auch wenn ich persönlich das in meinen Texten tue. Daraufhin haben wir einige sehr kritische Leserinnenbriefe erhalten, von denen wir drei an dieser Stelle abdrucken.

Alle drei Briefe sind starke und überzeugende Plädoyers für eine konsequentere Haltung in dieser Frage. Bei forum überdenken wir gerne unsere Positionen, wenn uns Argumente überzeugen. In Reaktion auf diese Briefe werden wir in Zukunft in Gesprächen mit unseren Autor*innen und bei den „Hinweisen für Autor*innen“ auf unserer Homepage empfehlen, Texte für forum in inklusiver, geschlechtergerechter Sprache zu verfassen. HM

 

E-Mail von Ainhoa Achutegui (Direktorin von neimënster) vom 4. Oktober 2019

Lieber Henning,

ich lese die forum-Artikel als Frau, also würde ich gerne „LeserInnen“ oder „Leser*innen“ lesen. Den Leserinnenbrief, den du am Anfang deines Beitrags erwähnst, hätte auch ich schreiben können, denn ich selbst habe mich bei meinen forum-Lektüren schon häufig darüber gewundert, warum in so vielen Artikeln das generische Maskulinum verwendet wird. Wenn ich etwa die Anrede „Liebe Leser“ sehe, frage ich mich, ob ihr mich nicht ansprechen wollt. Wirklich, so etwas stört mich sehr. Denn: Nein, angesprochen fühle ich mich dadurch nicht. Und zwar überhaupt nicht. Ich bin kein Leser. Ich bin eine Leserin. Sprache darf nicht ausschließen. Sie muss inklusiv sein. Die Substantive Arbeiter, Ärzte, Zuschauer – sie meinen Männer, nicht Frauen.

Das Argument, der Lesefluss könnte durch ein Wort wie „ZuschauerInnen“ gestört werden, lasse ich nicht gelten. Warum stört es denn mehr, wenn ein Stern oder ein großes I in einem Wort steht, nicht aber, wenn das Wort Menschen ausschließt? Meine Meinung: Artikel in forum sollten immer inklusiv sein. Und ich glaube, ihr solltet mit euren Autor*innen darüber sprechen. Dass es von alleine kommt, glaube ich absolut nicht. Vor allem nicht in Luxemburg, wo mensch schon einmal liest: Künstler des Jahres: Sophie Jung.

LG
Ainhoa

E-Mail von Dr. Magdalena Beljan (Geschäftsführerin der afg, Berlin) vom 4. Oktober 2019

Lieber Henning,

mit großem Interesse habe ich direkt deinen Beitrag gelesen. Ich verstehe deinen Ansatz. Ich verstehe die Argumente. Und ich finde es schön, dass du die ersten Seiten so vorsichtig und umsichtig erklärst und abwägst.

Die Wendung aber, die dein Text am Ende nimmst, finde ich sehr problematisch. Du schreibst auf S. 12: „Kann man da eine einzige Sprache vorschreiben?“ Das (und die folgenden Absätze) finde ich unpassend, weil du das leidige Argument anführst, wer auf inklusive Sprache besteht, wolle anderen etwas vorschreiben. Das verkennt aber die Relevanz der Kritik. Ebenso beim Gender-Sternchen: Das Gender-Sternchen wird am Ende deines Textes so wichtig in der Argumentation, als sei es die einzige Möglichkeit inklusiv zu schreiben (auch wenn du anfangs etwas anderes sagst). Und das ist leider eine Strategie, die von Menschen genutzt wird, mit denen man (oder eher: du und ich) nicht auf einer Seite stehen mag.

Den Ansatz, es den Autor*innen zu überlassen: den verstehe ich. Nur: Das heißt ja nicht, dass man die Autor*innen nicht beraten kann bzw. sie darauf hinweisen kann, dass sie Menschen mit ihrer Sprache ausgrenzen. Wenn ihr das macht (Autor*innen diesbezüglich kritisieren und sich mit ihnen darüber auszutauschen), dann hätte ich es sehr, sehr wichtig gefunden, das an dieser Stelle auch zu schreiben. Und umgekehrt hätte ich das als Leserin auch gerne gehört. Ich mag da nicht wieder einen Text eines (entschuldige) weißen Mannes lesen, der sagt: Jeder nach seiner Façon!

In meiner Diss habe ich selbst auch das generische Maskulinum genutzt, weil ich ebenfalls dachte, damit seien alle mitgemeint. Das habe ich damals auch in einer Fußnote so formuliert.

Heute würde ich das nicht mehr machen. Und ich bin froh, dass einige Leute das immer wieder kritisiert haben – auch wenn wir bei unserer eigenen Zeitschrift keine einheitliche Regelung haben. Wenn ich heute das generische Maskulinum nutze und von Ärzten spreche, kritisiert mein Kind das zu Recht und ergänzt „und Ärztinnen“. Ganz selbstverständlich. Ich weiß: Das begrüßt du ebenso. Ohne diese dauernde Kritik am generischen Maskulinum wäre es nicht so weit gekommen. Und das wäre mir wichtig gewesen: Diese berechtigte Kritik zu betonen und auf diskriminierungsfreie Sprache zu bestehen. Oder zumindest eine Erklärung einzufordern. Statt den Fokus auf die Pluralität der Praktiken zu legen.

Ihr seid eine Zeitschrift. Von daher habt ihr eine Verantwortung. Ich finde, ihr könnt euch mit dem Argument, eine Autor*innenzeitschrift zu sein, nicht dieser Verantwortung entledigen. Ich hoffe, du siehst mir meine unmittelbare und von daher sehr ausführliche Kritik nach.

Ganz herzlich
deine m.

P.S.: Kennst du die neue Website https://www.genderleicht.de des Journalistinnenbunds?

E-Mail von Tessie Jakobs (Journalistin bei der woxx) vom 30. Oktober 2019

Hallo Henning,

ich verstehe die Haltung, keine Schreibweise vorschreiben zu wollen. Je nach Kontext und je nachdem, über wen geschrieben wird, sind unterschiedliche Varianten angebracht. Das Gender-Sternchen ist in der Tat nicht der Weisheit letzter Schluss.

Was ich weniger nachvollziehen kann, ist, wenn gesagt wird „wir wollen nichts vorschreiben“. Es besteht kein Problem damit, maximale Zeichenanzahl, Deadlines oder das Einhalten orthografischer und grammatikalischer Regeln vorzuschreiben. Wenn es aber ums Gendern geht, wird dies auf einmal als Vorschrift wahrgenommen, die die persönliche Freiheit zu sehr einschränkt und deshalb abzulehnen ist.

Nicht-gendergerechte Sprache ist meiner Ansicht nach vergleichbar mit Gebäuden, die nicht barrierefrei sind. Das kann so gemacht werden, es ist aber falsch davon auszugehen, dass beide Optionen gleichermaßen legitim seien: Das eine diskriminiert, das andere nicht. Wessen Position sollte mehr Gewicht beigemessen werden, wenn es darum geht zu entscheiden, ob eine Treppe durch eine Rampe ergänzt werden soll oder nicht? Die derjenigen, die auf die Rampe angewiesen sind oder die der anderen? Die gleiche Frage stellt sich auch in Bezug auf eine inklusive Sprache.

Männer und Frauen, die sich nicht am generischen Maskulinum stören, sollten sich vor Augen halten, dass es in dieser Angelegenheit nicht nur um sie geht, sondern um Menschen, deren Geschlecht immer noch nicht die nötige Akzeptanz erfährt: trans, intergeschlechtliche, gender-queere und nicht-binäre Menschen. Die persönlichen Vorlieben der Autor*innen sind deshalb nebensächlich. Stattdessen sollten diejenigen Menschen im Fokus stehen, für und über die geschrieben wird. Es kann einfach nicht sein, dass sprachliche Vorlieben höher eingestuft werden als Menschen- und Bürger*innenrechte.

Das Gendern der Sprache ist in dem Sinne für viele Menschen ein altruistischer Akt, bei dem sie die Würde anderer vor den eigenen Komfort stellen. Es ist nachvollziehbar, dass nicht alle diesen Aufwand betreiben können und wollen, doch wäre es wünschenswert, dass zumindest nicht diejenigen kritisiert werden und einem konstanten Rechtfertigungszwang ausgesetzt sind, die es tun.

Die Frage, ob gegendert wird oder nicht, ist also, entgegen einem verbreiteten Vorwurf, alles andere als weltfremd und elitär: Es geht um die ganz konkrete Lebensrealität zahlreicher Menschen. Das Festhalten an Geschlechterbinarität und einem sogenannten „biologischen Geschlecht“ verursacht großes Leid, das teilweise sogar so weit geht, dass Menschen sich deswegen das Leben nehmen. Diese Realität wird ausgeblendet, wenn Gendern auf eine Frage des Geschmacks reduziert wird. Genau genommen zeugt gerade das Argument, durch Gendern würden Texte weniger ästhetisch und weniger gut lesbar von einer elitären, weltfremden Haltung.

Sprachen entwickeln sich ständig weiter. Luxemburgisch wird heute anders gesprochen und geschrieben als noch vor einigen Jahrzehnten. Das offenbart die Bereitschaft der Bevölkerung, sich sprachlichen Entwicklungen anzupassen. Doch wie kommt es, dass wir eher bereit sind, uns eine neue orthografische Regel anzueignen als diskriminierende Gewohnheiten zu überdenken und uns das Gendern anzugewöhnen? Eine inklusive Schreibweise zu erlernen, bedarf einer gewissen Anstrengung, doch wie bei den meisten Lernprozessen wird es mit ausreichend Übung irgendwann leichter.

Ich wundere mich immer wieder darüber, wenn Menschen, die sich selbst als progressiv bezeichnen und denen der Kampf gegen Diskriminierung am Herzen liegt, sich weigern, eigene Texte zu gendern. Ein Mensch und eine Gesellschaft sind in meinen Augen immer nur so progressiv wie ihr sprachlicher Ausdruck. Bei der Frage, ob gegendert wird oder nicht, geht es letztlich um gesellschaftliche Anerkennung. Anerkennung lässt sich nicht nur ein bisschen oder ab und zu betreiben: Marginalisierte Geschlechtsgruppen werden entweder vollständig anerkannt oder gar nicht. Wie kann man für eine gerechtere Welt, aber gegen eine gerechtere Sprache sein?

Dieses widersprüchliche Verhalten kommt nicht von ungefähr, wird es uns doch von zahlreichen Institutionen, darunter auch der Regierung, vorgemacht: Das Familienministerium setzt sich für LGBTIQA-Menschen ein, das Gleichstellungsministerium hält an Geschlechterbinarität fest und leugnet damit implizit die Existenz anderer Geschlechter als „Mann“ und „Frau“.

Doch selbst wer den anti-diskriminatorischen Aspekt des Genderns ausklammert und auf rein sprachlicher Ebene argumentieren möchte, wird sich schwer tun, die sprachliche Ungenauigkeit zu rechtfertigen, die mit der Verwendung des generischen Maskulinums einhergeht. Von Männern zu sprechen, wenn auch andere Geschlechter gemeint sind, ist nämlich schlichtweg unpräzise. So als würde „Elefanten“ geschrieben und damit auch „Katzen“ und „Tiger“ mitgemeint werden. In keinem anderen Kontext wird eine derartige Ungenauigkeit so toleriert wie beim Geschlecht.

Dass dieses Thema die Gemüter derart erhitzt, zeigt, dass etwas auf dem Spiel steht: nämlich der Status quo, die patriarchale, heteronormative Weltordnung. Das anzufechten, ist harte Arbeit. Und die können wir sicher nicht nur denen überlassen, die Spaß an dieser Arbeit haben (denn wer hat das schon?). Eine wirkliche gesellschaftliche Debatte über einen diskriminierungsfreien Sprachgebrauch hat es hierzulande bisher noch nicht gegeben. Aus Angst, jemandem auf die Füße zu treten, wird die Problematik lieber ignoriert. Die Konsequenz davon ist, dass alles beim Alten bleibt und wir weit von einer Gleichbehandlung aller Geschlechter entfernt bleiben.

Es ist eine Sache, die „Vielfalt der Positionen“ innerhalb einer Zeitschrift abbilden zu wollen, eine gänzlich andere aber, wenn innerhalb einer Publikation aktiv diskriminiert wird – bewusst oder unbewusst. Diskriminierung ist keine Meinung.

Liebe Grüße,
Tessie

P.S.: Ich habe übrigens auch einen Text zu diesem Thema veröffentlicht: https://www.woxx.lu/geschlechtergerechte-sprache-heute-schon-gegendert/

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