Geschwindigkeitskontrollen im Straßenverkehr – eine wirksame repressive Methode?

Ein verhaltenspsychologischer Blick auf den aktuellen Erkenntnisstand

Zur Bekämpfung einer der Hauptunfallursachen, der nicht angepassten Geschwindigkeit bzw. des Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, setzt die Polizei unter anderem sowohl auf offene (angekündigte, stationäre) als auch auf verdeckte (mobile) Geschwindigkeitskontrollen. Eines der zentralen Ziele dieser Überwachungsmaßnahmen ist die Geschwindigkeit und damit die Unfallzahlen, d.h. auch die Zahl an Verletzten und Toten im Straßenverkehr, zu verringern.

Die repressiven Geschwindigkeitskontrollen, d.h. die Unterdrückung der Ordnungswidrigkeit „Geschwindigkeitsverstoß“ mittels (finanzieller) Sanktionierung, sollen dabei zudem präventiv wirken. Gefahrenabwendend sollen sie dazu führen, dass Verkehrsteilnehmer sich in der Folge regelkonform(er) verhalten, und insgesamt langsamer fahren. Autofahrer sollen demnach lernen, dass Geschwindigkeitsübertretungen sanktioniert werden. Aus Angst vor der Sanktionierung soll der Autofahrer dann in Zukunft sein Fehlverhalten vermeiden (Sanktionierungsfurcht). Angenommen wird, dass er dadurch zu der rationalen Schlussfolgerung kommt, am effizientesten alle Geschwindigkeitsüberwachungen sowie deren Sanktionierungsfolgen kontrollieren zu können, indem er möglichst durchgängig die Geschwindigkeitsvorgaben einhält.

Inwieweit erweisen sich aus empirischer Sicht repressive Geschwindigkeitsüberwachungen als effiziente Methode zur Geschwindigkeitseinschränkung im Straßenverkehr?

Fasst man die Befunde wissenschaftlicher (Überblicks-)Studien zusammen, dann zeigt sich, dass Geschwindigkeitsüberwachungen in der direkten Umgebung der Kontrollstelle die Verkehrssicherheit erhöhen können (Erke, Goldenbeld, & Vaa, 2008). Ein begrenzter Rückgang der gefahrenen Geschwindigkeit konnte sowohl bei Einsatz stationärer als auch mobiler Geschwindigkeitskontrollen nachgewiesen werden (Hautzinger et al., 2011). Stationäre und für den Verkehrsteilnehmer erkennbare Geschwindigkeitsüberwachungsanlagen an Unfallbrennpunkten führen im direkten Bereich der Messung zu einer Geschwindigkeitsreduktion sowie einer Verringerung an Unfällen (De Pauw, Daniels, Brijs, Hermans, & Wets, 2014a).
Auch ist belegt, dass das durchschnittliche Geschwindigkeitsniveau zum Teil durch Ankündigungen sinkt (Wilmots, Hermans, Brijs & Wets, 2016), auch wenn die Messung für andere Standorte angekündigt wurde. Die Ankündigung von Kontrollen erzielte zudem eine erhöhte Akzeptanz der Geschwindigkeitsüberwachung, da diese dann als fairer wahrgenommen wird.

Eine Nachhaltigkeit von Ankündigungen nach dem Abbau mobiler Geschwindigkeitskontrollen konnte hingegen nicht belegt werden (Sormes, 2015). Vielmehr stieg die vorherrschende Geschwindigkeit für die untersuchten Örtlichkeiten, wenn bekanntermaßen keine Messungen stattfanden. Zum Teil verdoppelte sich sogar der Anteil der Nichteinhaltungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (Sormes, 2015). Fällt die Sanktionierungsfurcht weg, steigt das Ausmaß der Regelmissachtung wieder an.

Zudem zeigte sich, dass Autofahrer, die Kenntnis über genaue Standorte von Geschwindigkeitskontrollen haben, auf anderen Streckenabschnitten schneller fahren. Auch ist festzustellen, dass Fahrer abrupt vor den Kontrollen abbremsen und danach direkt wieder beschleunigen (De Pauw, Daniels, Brijs, Hermans, & Wets, 2014b).

Zusammenfassend weist die empirische Befundlage auf, dass angekündigte und erkennbare Geschwindigkeitsüberwachungen nur zeitlich und räumlich begrenzt zu Geschwindigkeitsreduktionen führen. Eine präventive, nachhaltige Veränderung des Verkehrsverhaltens konnte hingegen kaum belegt werden.

Weshalb erweist sich nun eine repressive Vorgehensweise mittels Sanktionierungsfurcht als wenig wirksame Methode einer nachhaltigen Geschwindigkeitsreduktion?

Anhand der Erkenntnisse der Verhaltenspsychologie lassen sich unterschiedliche Erklärungen anführen.

Bereits aus klassischen lerntheoretischen Erkenntnissen lässt sich ableiten, dass die Sanktionierung nur wirkt, wenn diese unmittelbar nach dem Fehlverhalten umgesetzt wird. Dies ist bei stationären Geschwindigkeitsüberwachungen jedoch nicht der Fall. Auch wird der gewünschte Abschreckungseffekt kaum dadurch erreicht, wenn das Ausmaß der Sanktionierung, d.h. das gesetzliche Strafmaß für zu schnelles Fahren, erhöht wird (Hautzinger et al, 2011). Zu überlegen wäre aus präventiver Perspektive vielmehr, ob verstärkt Videowagen zum Einsatz kommen sollten. Bei deren Einsatz werden Geschwindigkeitsübertreter von der Polizei direkt verfolgt und angehalten. Konfrontieren die Beamten diese dann direkt mit ihrem Vergehen, hat dies lerntheoretisch betrachtet bedeutend mehr Wirkung.

Bei einer Vielzahl von Autofahrern ist zudem mit psychologischer Reaktanz zu rechnen. Menschen sind bestrebt darin, sich ihre persönliche Handlungsfreiheit zu bewahren. Ausgehend davon, dass der Autofahrer sich selber als einen kompetenten, selbstwirksamen Fahrer wahrnimmt, sieht er seine Handlungsfreiheit durch Geschwindigkeitskontrollen unnötig eingeschränkt. Der Autofahrer ist dann motiviert seinen gestörten Freiheitsraum wiederherzustellen, d.h. er zeigt Widerstand gegen die sein Verhalten einengenden Einflüsse. Die Stärke der Reaktanz hängt dabei ab von a) der Wichtigkeit des Autofahrens (insbesondere bei jungen Fahrern), b) der wahrgenommenen Verminderung des Freiheitsraums und c) dem Ausmaß der erlebten Bedrohung durch die Sanktion. Reaktantes Verhalten zeigt sich dann darin, dass die eingeschränkten Handlungen erst recht ausgeführt werden, um die Handlungsfreit gleichsam wieder zu erlangen. Dies zeigt sich z.B. in dem erneuten Beschleunigen nach Durchfahren einer Geschwindigkeitskontrolle.

Obwohl eine Vielzahl an Verkehrsteilnehmern den geltenden Verkehrsbestimmungen zustimmen, stellen Geschwindigkeitsübertretungen trotzdem ein weitverbreitetes Fehlverhalten dar. Insbesondere Gewohnheiten, (informelle) Normen, ungünstige situative Bedingungen in Verbindung mit der Überzeugung, diese kontrollieren zu können sowie Risikobereitschaft erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Geschwindigkeitsdelikten (Hautzinger et al., 2011).

Bei Geschwindigkeitsvergehen handelt es sich zudem um eine Normverletzung mit einer hohen sozialen Akzeptanz. Ergänzend führen die geringe soziale Kontrolle sowie subjektive und objektive Entdeckungswahrscheinlichkeiten dazu, dass das Fehlverhalten beibehalten wird.

Ziel sollte daher eine Verkehrsregelakzeptanz sein, die sich in der Bereitschaft äußert, sich regelkonform zu verhalten. Dabei gilt, je höher die Regelakzeptanz, desto weniger Überwachung ist erforderlich.

Auf dem Hintergrund der Theorie des geplanten Handelns (Fishbein & Ajzen, 2010; Conner et al., 2007) ist davon auszugehen, dass die Bereitschaft sich regelkonform zu verhalten stark von der Einstellung des Verkehrsteilnehmers gegenüber dem Verhalten abhängig ist. Zudem spielt der wahrgenommene soziale Druck, d.h. die wahrgenommenen Erwartungen des sozialen Umfeldes in Bezug auf die Regeleinhaltung und die Bereitschaft diesen Erwartungen zu entsprechen, eine bedeutsame Rolle hinsichtlich der Regeleinhaltung. Schlussendlich sollte der Verkehrsteilnehmer auch Verhaltenskontrolle wahrnehmen, d.h. er sollte auch Möglichkeiten erkennen das gewünschte Verhalten tatsächlich ausführen zu können.

Damit es zu einer Regeleinhaltung kommt, spielen demnach insbesondere subjektive Einstellungen und gesellschaftliche Normvorstellungen eine bedeutsame Rolle.

Welche Maßnahmen erweisen sich nun zur Erhöhung einer dauerhaften Regelbefolgung als zweckdienlich?

Die gewünschte Regelbefolgung lässt sich wie aufgezeigt schwerlich alleine mit Hilfe der repressiven Methode externer Überwachung vermitteln, vielmehr sind die subjektiven Einstellungen und die Normvorstellungen der Verkehrsteilnehmer entscheidende Faktoren.

Neben straßenseitigen (Erzwingung regelkonformes Verhalten mittels Straßengestaltung), fahrzeugseitigen (Rückmeldung durch das Fahrzeug, Fahrerassistenzsysteme) sowie straf- und versicherungsrechtlichen Ansätzen sind insbesondere verhaltenswissenschaftlich begründete Präventionsstrategien erforderlich. Hierbei ist der präventive Abschreckungseffekt der Verkehrsüberwachung als eher gering einzuschätzen, solange dieser nicht durch eine sehr starke Ausweitung einen Flächendruck der Überwachung (siehe Frankreich) erzeugt.

Ergänzend zur angemessenen Verkehrserziehung sind insbesondere angemessene massenmediale Kampagnen einzusetzen, um Einstellungen und gesellschaftliche Normen zu verändern (De Pelsmacker & Janssens, 2007). Unter anderem sollten die Maßnahmen darauf abzielen, dem Regelverstoß „Übertretung von Tempolimits“ seinen Status als Kavaliersdelikt – d.h. seine soziale Akzeptanz – zu nehmen. Dies kann z.B. dadurch erzielt werden, dass der Anteil der Personen, die sich regelkonform verhalten, hervorgehoben wird oder eine verstärkte Aufklärung über den Nutzen von Geschwindigkeitseinschränkungen erfolgt (siehe z.B. die Erläuterungen von Chungh (2015) hinsichtlich des nicht gegebenen Zeitgewinns durch ständiges Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit).

Literatur

Chungh, Y.-S. (2015). Seemingly irrational driving behavior model: The effect of habit strength and anticipated affective reactions. Accident Analysis and Prevention, 82, 79-89.

Conner, M., Lawton, R., Parker, D., Chorlton, K., Manstead, A.S., & Stradling, S. (2007) Application of the theory of planned behaviour to the prediction of objectively assessed breaking of posted speed limits. British Journal of Psychology, 98, 429-453.

De Pauw, E., Daniels, S., Brijs, T., Hermans, E., & Wets. G. (2014a). Effects of the traffic safety effect of fixed speed cameras. Safety Science, 62, 168-174.

De Pauw, E., Daniels, S., Brijs, T., Hermans, E., & Wets. G. (2014b). Behavioural effects of fixed speed cameras on motorways: Overall mproved speed compliance or kangoroo jumps. Accident Analysis and Prevention, 73, 132-140.

De Pelsmacker, P., & Janssens, W. (2007). The effect of norms, attitudes and habits on speeding behavior: Scale development and model building and estimation. Accident Analysis and Prevention, 39, 6-15

Erke, A., Goldenbeld, C., & Vaa, T. (2008). Good practice in the selected key areas: Speeding, drink driving and seat belt waering. Results from meta-analysis. Deliverable 9, EU Project PEPPER (Police Enforcement Policy Programmes on European Roads), Contract N°: 019744.

Fishbein, M., & Ajzen. I. (2010). Predicting and changing behavior. New York: Psychology Press.

Hautzinger, H., Manssen, G., Schlag, B., Müller, H.E., Pfeiffer, M., et al. (2011). Regelverstöße im Straßenverkehr. Häufigkeit, Schadenfolgen, Sanktionierung, Prävention. Berlin: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V.

Sormes, M. (2015). Auswirkung angekündigter Geschwindigkeitsmessungen auf das Geschwindigkeitsniveau. Deutsche Hochschule der Polizei. Münster-Hiltrup.

Wilmots, B., Hermans, E., Brijs, T., & Wets, G. (2016). Speed control with and without advanced warning sogn in the fild: An alysis of the effect on driving speed. Safety Science, 85, 23-32.

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