Gespräche über den Iran

Ein Blick hinter Kulissen und Klischees

Eine Reise in den Iran? Verrückt und gefährlich? Oder vielleicht auch: spannend und erstaunlich? Auf jeden Fall: sehr informativ und persönlich! Dies ist mein persönliches Fazit nach vielen offenen Gesprächen, die ich kürzlich bei einem Besuch dieses interessanten Landes mit seinen Einwohnern führte. Die Erfahrung wirft ein neues Licht auf ein Land, das allgemein zwar als „Schurkenstaat“ verrufen ist, aber möglicherweise an der Schwelle zu einer neuen Zeit steht.

Es ist Samstagabend, der vorletzte der acht Tage, die mein Kollege Jean-Paul, Wissenschaftler und Freelance-Journalist, und ich im Iran verbringen. Wir sitzen in einem traditionellen iranischen Restaurant in Teheran. Die Kulisse ist surreal: Das großräumige Restaurant ist bis auf den letzten Platz mit jungen Pärchen und mit kinderreichen iranischen Familien besetzt. Die Frauen sind alle verschleiert, davon viele mit einem nur leicht über den Kopf geworfenen Tuch. Es wird zu lauter Musik getanzt, aber im Sitzen. Die Menschen schunkeln wild auf ihren Stühlen und wedeln mit weißen Taschentüchern.

Stehend zu tanzen sei nicht erlaubt, erklärt uns unser Gast Achlad. Jeden Moment könne die Sittenpolizei hereinplatzen. Wir haben Achlad über einen gemeinsamen Freund kennengelernt. Er ist Iraner, Ende 40 und von Beruf Arzt. Er hat in Paris studiert und bekam nur wegen „Nine-eleven“ damals kein Visum für ein Auslandsstudium in den USA. Damals, als der Iran laut George W. Bush Teil der „Achse des Bösen“ wurde. „Damals, als die USA wieder einmal entschieden, was der Iran zu sein hat“, so Achlad. Er trägt übrigens keinen Bart. Er erklärt, dies sei ein stiller Protest gegen die Vormachtstellung des Mannes gegenüber der Frau.

Uns brennen Hunderte von Fragen unter den Nägeln, die wir quer durch den Iran in unzähligen Begegnungen gesammelt haben: zur Politik, zur Religion, zum Ende der Sanktionen. Wir waren in der „Megalopolis“ Teheran, in Kashan, der Hochburg für Textil- und Keramikindustrie, im traditionellen Bergdorf Abbyaneh und in der „schönsten Stadt Irans“ Isfahan. Ebenso verschlug es uns in die Wüste in Varzaneh und nach Qom zum Schrein der Fatima Masuma, der Schwester des achten der zwölf schiitischen Imame, Reza, dem einzigen dieser Imame, der auf iranischem Boden begraben ist, nämlich in Mashhad. Bei allen diesen Besuchen haben wir Gespräche geführt und Meinungen gehört. Nun wollen wir das Land besser verstehen.

Achlad erzählt. Wir hängen an seinen Lippen. Um halb 11 singen plötzlich alle gemeinsam ein Lied. Achlad erklärt, es sei die inoffizielle Hymne und zugleich das Zeichen dafür, dass das Restaurant nun schließt. Gemeinsam verlassen wir das Lokal. Vor der Tür werden wir von zwei Männern freundlich angesprochen. Dies kam bei unserer Reise häufiger vor. Auf mich wirkte es so, als wollten sie vor allem einen guten Eindruck von ihrem Land hinterlassen. So als ob sie wüssten, dass „im Westen“ viele den Iran für einen Schurkenstaat halten. „The government destroys the image of the Irani people!“, sagt einer der beiden Männer, Mitte Fünfzig, mit Schnauzer und hoch gewachsen, ungefragt. Eine fast entwaffnende Ehrlichkeit!

Man könne ruhigen Gewissens in den Iran reisen, sagt er noch. Das können wir tatsächlich bestätigen, aber wir können hier gleichzeitig auch nur für männliche Reisende sprechen. In den ersten drei Tagen ist unser Reiseführer nicht müde geworden, zu wiederholen, dass der Iran auf keinen Fall arabisch, sondern persisch sei und die iranischen Schiiten auf keinen Fall mit den Sunniten und schon gar nicht mit den Terroristen des IS in einen Topf geworfen werden dürfen. Wir treffen immer wieder auf das dringende Bedürfnis, das Bild des Iran zurechtzurücken.

Geschichte und Religion

Achlad begleitet uns noch in unser Hotel auf einen persischen Tee. Die Nacht wird kurz, denn das Gespräch in der Sitzgruppe der Hotellobby geht lange. Er erzählt uns von den politischen Ereignissen des letzten halben Jahrhunderts. Er beginnt bei den fatalen Eingriffen der USA in die iranische Innenpolitik, vor allem geht er auf den Sturz Mossadeghs und den Militärputsch von 1953 ein. Er spricht über die zwiespältige Epoche unter Schah Reza Pahlewi, der zwar durchaus milde herrschte, aber das Land um Milliarden betrog und schließlich – kruzialer und scheinbar unverzeihlicher Fehler – in den USA Zuflucht suchte. Dann geht es um die Islamische Revolution von 1979 und die Geiselnahme in der US-Botschaft, aus der sechs Diplomaten flüchten konnten. Pikantes Detail: Unser Hotel befindet sich 100 Meter vom Ort des Geschehens entfernt. Auf einem großen Schriftzug am Eingangstor werden die USA übrigens weiterhin als „Tyrann“ bezeichnet; das offizielle Feindbild ist klar. Achlad fährt fort mit seinen Erörterungen zum Schreckensregime des Ayatollah Khomeini und der Revolutionsgarden sowie zum Irak-Iran-Krieg bis hin zu den Ungereimtheiten der aktuellen Politik, also den Machtkämpfen zwischen Hardlinern und Reformern. Vor allem äußert er sich zu der brutalen Niederschlagung der Wahlproteste 2009, welche wegen der wohl manipulierten Wiederwahl des damaligen Präsidenten Achmadinedschad provoziert wurden. Dieser scheint übrigens sein Comeback vorzubereiten.

Uns interessiert besonders, was Achlad über Khomeini denkt. Letzterer bleibt für uns eine eigentümliche, schwer fassbare Gestalt. Auf den unzähligen bildlichen Darstellungen in den Straßen und auf den Plätzen schaut er mal grimmig, mal freundlich. Für sehr viele – so Achlad – ist er Held, Identifikationsfigur und Befreier, der den Iran den Fängen des Schah entriss, Saddam Hussein acht Jahre lang im Iran-Irak-Krieg die Stirn bot, eine bis heute noch sehr starke Armee formte und dann kurz vor dem Ende des Krieges starb. Aber zugleich, erzählt Achlad, ist den Iranern auch bewusst, dass er es war, der aus dem Hintergrund die 444-tägige Geiselnahme von 52 US-Diplomaten in der US-Botschaft durch radikalisierte iranische Studenten orchestrierte und auch über Jahre nicht vor Hinrichtungen und Morden am eigenen Volk zurückschreckte. Khomeini gilt als Verteidiger der Identität des Irans, aber einer Identität, die – so scheint mir – nur durch eine allgemeine Gefängnisatmosphäre und religiöse Bevormundung gewahrt bleibt. Eine paradoxe Mischung, wie ich finde.

Während wir mit Achlad über Khomeini reden, muss ich an unsere Begegnung von vor ein paar Tagen mit Mullah D., einem der Geistlichen der Imam-Moschee auf dem Hauptplatz von Isfahan, denken. Dieser wohlgekleidete, stattliche junge Kleriker im Priestergewand mit Turban sprach uns in einem Nebenhof der Moschee an und lud uns zum Austausch ein. Es mündete in einem theologischen Streitgespräch. Warum der staatlich kontrollierte Islam so streng sei, fragten wir ihn. „Die Menschen wollen es so“, so Mullah D. Das sei schon damals bei der Islamischen Revolution 1979 so gewesen und es sei auch heute noch so, denn die Menschen bräuchten einen Referenzrahmen, Regeln, Sicherheit. Natürlich müsse man neue Wege finden, um die Jugendlichen an den Glauben heranzuführen, meinte er. „Doch warum diese Unfreiheit?“, hakte ich nach. Er wand sich um eine Antwort. Doch ich war mir nicht sicher, ob er uns nicht verstand oder vielleicht auch nicht verstehen wollte. Wir erzählten ihm noch von der historischen Entwicklung in Europa vom Mittelalter über die Renaissance und die Aufklärung bis hin zur Neuzeit. Und wie Religion und Freiheit immer in einer Dialektik stehen, idealerweise ohne sich gegenseitig zu verdrängen. Das Gespräch endete wenigstens mit der gemeinsamen Feststellung, Religion solle zur Zufriedenheit der Menschen beitragen.

Wir sind im Iran auch vielen Menschen begegnet, die die Regeln nicht als Sicherheit, sondern als Hindernis und Gefängnis erleben, zum Beispiel die Familien und Jugendlichen, die wir in der Wüste am Freitag beim Wochenendausflug trafen und die uns zum Tee und zu gegrillten Kartoffeln einluden. Diese Jugendlichen erzählten uns am knisternden Lagerfeuer, dass sie unbedingt ins Ausland reisen oder studieren gehen wollen. Oder zum Beispiel Jawin, ein junger Teppichverkäufer, dessen Laden sich in Isfahan direkt neben der Moschee von Mullah D. befindet. Jawin hat eine sehr charmante Art entwickelt, seine persischen Teppiche anzupreisen, mit einem Lächeln und unaufdringlich. Er bot uns Tee an. So saßen wir in seinem Laden zwischen beeindruckenden meterhohen Stapeln farbiger Teppiche auf niedrigen Schemeln und hörten ihm zu.

Er erzählte uns sehr anschaulich von einem Experiment. Wenn man eine Gruppe Affen in einen Käfig einschließt und auf die obere Etage des Käfigs eine Banane legt, dauert es nicht lange, bis ein Affe sich auf den Weg macht, um die Banane zu holen. Sobald er aber die Leiter erklimmt, werden alle anderen verbliebenen Affen mit einer kalten Dusche bestraft. Ergebnis: Die Affen hindern sich gegenseitig daran, die Leiter zu erklimmen. Die Banane wird zum Tabu. Kommt nun ein neuer Affe anstelle eines alten Affen in den Käfig, wird er – uninformiert wie er ist – versuchen die Banane zu holen. Die anderen Affen halten ihn zurück, noch ehe er sein Vorhaben umsetzen kann. Die Banane wird auch für die Neuen zum Tabu. Eine kalte Dusche ist nicht mehr notwendig, denn die Affen geben die Information über das Tabu einfach weiter. Eines Tages sind so viele Affen ausgetauscht, dass von den ursprünglichen Affen, die noch die kalte Dusche erlebt haben, keiner mehr übrig ist. Aber: die Banane ist trotzdem ein Tabu. Genauso sei es im Iran, sagte Ali: 70% der Bevölkerung haben die Islamische Revolution gar nicht erlebt, aber die Freiheit sei und bleibe ein Tabu. Jean-Paul und ich spürten die Not und den Lebenswillen und zugleich die Enttäuschung dieses jungen Mannes.

Reformen und Zukunft

Achlad geht zum Schluss auch auf die Wahlen von Ende Februar ein. Ja, es könne gut sein, dass sich die Reformer und Moderaten mehr Sitze erkämpfen, aber was bedeute das schon in einem Land, in dem nicht das Parlament, sondern der Wächterrat und der Expertenrat das Sagen haben? Aber es wäre ein Anfang, so Achlad, ein Hoffnungsschimmer für den Reformkurs von Ruhani, der inner-iranisch für mehr Bürgerrechte, mehr kulturelle Rechte, wirtschaftliche Freiheit und Sicherheit eintritt.

Dies wäre ganz im Sinne Mohammeds, sagt Jean-Paul. Mohammed ist jener gute Freund, bei dem wir drei Tage lang in Varzaneh gelebt haben, direkt an der Sandwüste und dem großen ausgetrockneten Salzsee im geographischen Zentrum Irans. Er ist ein hochintelligenter junger Mathematiker und hat eine NGO mitgegründet, die sich gegen die Desertifikation der Region einsetzt. Die Einwohner des Ortes gingen geschlossen auf die Straße, um gegen die Austrocknung ihres Flusses aufgrund der Verschmutzung durch die Industrie und ein Stauprojekt des Staates zu protestieren. Mit Erfolg. Gelebte Demokratie, wenn auch unter Schleier und Tschador! Und gelebte Offenheit, denn Mohammed versucht gemeinsam mit Freunden und mit seinem Vater, das unbekannte Varzaneh touristisch zu erschließen, auf eine Weise, die junge ausländische Backpacker anzieht und zugleich die kulturelle Schönheit und Vielfalt der Gegend thematisiert. Somit kann also auch von gelebtem Zukunftsglaube die Rede sein. Das Gespräch mit Achlad neigt sich dem Ende zu. Es ist spät geworden. Morgen geht es in die Berge zum Skifahren. Endlich Zeit alles sacken zu lassen.

Im Iran ist es uns gelungen, innerhalb von wenig mehr als 24 Stunden im Zentrum Irans in der Sandwüste bei 0 Grad um Mitternacht den klaren Sternenhimmel zu beobachten, uns abends mit Achlad auszutauschen und tags darauf auf den fast freien Pisten von Tochal oberhalb von Teheran auf rund 3800 Metern Höhe Ski zu fahren. Es ist ein beeindruckend schönes Land, aber für mich ist es vor allem eine Reise hinter die Vorhänge der Klischees, ein Trip ins Ungewisse. Was befindet sich hinter dieser Mauer der stereotypen Vorurteile? Es sind Gespräche, Erfahrungen, Erklärungsversuche, die sich schnell wieder als obsolet erweisen, es sind Überraschungen und letztlich der sich hartnäckig haltende Eindruck, dieses Land und sein Volk nie ganz zu verstehen. Vor allem bleibt mir eines: die Lektion, alle Schwarz-Weiß-Malerei fahren zu lassen und die sehr ehrliche Einladung, dieses Land in allen seinen Facetten selber zu erleben.

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