- Gesellschaft, Politik
„Gespräche, viele Gespräche“
Interview mit Umweltministerin Carole Dieschbourg über ihre Rolle bei der Pariser Weltklimakonferenz
In wenigen Wochen fangen die Klimaverhandlungen
in Paris an. Wie bereiten Sie
sich als luxemburgische Umweltministerin
und EU-Vertreterin vor?
Carole Dieschbourg: Persönliches Engagement
ist bei der Vorbereitung sehr wichtig.
Dafür habe ich mein erfahrenes Team.
Zusätzlich habe ich einige Publikationen
zum Thema „Internationale Konferenzen“
und zur neuesten Klimaforschung gelesen
und mich mit Experten getroffen.
Sie selbst reisen von einer Vorverhandlungsrunde
zur nächsten und pendeln zwischen
New York, Rabat, Bonn und vielen anderen
Orten. Sind Sie dort Europas einzige
Stimme?
C.D.: Nicht alle EU-Länder nehmen
aktiv an allen Vorverhandlungen teil.
Wer immer dabei ist, sind Deutschland,
Frankreich, Italien, Schweden und Klimakommissar
Miguel Arias Cañete für
die EU.
Seit jungen Jahren engagieren Sie sich aktiv
im Umweltschutz. Doch Klimaverhandlungen
sind komplexer als im Echternacher
Gemeinderat für einen „Pedi-Bus“ zu kämpfen.
Woher wissen Sie etwa, was bei früheren
Klimakonferenzen besprochen wurde?
C.D.: Wir haben Kollegen im Team, die
seit der ersten Klimakonferenz dabei sind.
Wir haben auch Juristen an Bord, welche
die Details der Verträge genau kennen
und die neuen Vertragsentwürfe im Auge
behalten.
Es gibt Publizisten, die nicht an einen
durch Menschen verursachten Klimawandel
glauben …
C. D.: Das ist eine verschwindend geringe
Minderheit. Die wissenschaftliche Basis,
auf der wir in Paris diskutieren, wird von
allen Staaten geteilt.
Europa will seinen CO2-Ausstoß um 40
Prozent reduzieren, gemessen am Wert von
1990. Haben Sie in den Vorverhandlungen
schon hören können, was die anderen Staaten
in Paris versprechen werden?
C.D.: Jedes Land macht im Vorfeld von
Paris Angaben zu den Klimagas-Reduktionszielen.
Bisher sind es 150 Staaten, die
konkrete Ziele angegeben haben. Diese
Länder sind für 90 Prozent des weltweiten
Ausstoßes von CO2 verantwortlich …
… ein deutlich besserer Wert als bei der Konferenz
von Kyoto …
C.D.: Ja, damals hatten sich nur Länder
verpflichtet, die für 13 Prozent des weltweiten
Ausstoßes von CO2 verantwortlich
waren.
Es heißt immer: Die Erwärmung muss bei
2 Grad aufhören. Nach all den bislang vorliegenden
Zusagen, wo sind wir jetzt – sechs
Wochen vor der Konferenz?
C. D.: Bei 2,7-3 Grad. Das heißt, wir
brauchen noch deutlich mehr Anstrengungen,
um auf 2 Grad zu kommen.
Die Reduktionsversprechen basieren auf
unterschiedlichen Annahmen und umfassen
unterschiedliche Zeiträume. Wie können
Sie ausrechnen, dass Sie jetzt bei 3 Grad
liegen?
C. D.: Ich komme gerade von einer Vorverhandlungsrunde
in Rabat (Marokko).
Mit dabei waren dort Wissenschaftler,
welche die Berechnungen durchführen.
Bei jeder Verhandlungsrunde haben wir
auch Fachleute an Bord.
Bislang sind die 2 Grad nicht erreicht. Wie
überzeugen Sie die Länder, die noch mehr
tun müssten?
C. D.: Durch intensive Gespräche. Es ist
wichtig, dass wir im Pariser Vertrag einen
Mechanismus verankern, der es uns ermöglicht,
die Ambitionen mittel- bis längerfristig
schrittweise anzuheben.
Sie sprachen Juristen und Wissenschaftler an,
die man bei der Konferenz braucht. Ist auch
die Wirtschaft vertreten?
C.D.: Wir treffen im Vorfeld unserer
Meetings nicht nur zahlreiche Nichtregierungsorganisationen
(NGO). Es gibt auch
Treffen mit der Wirtschaft, die über die
französische Präsidentschaft organisiert
„Gespräche, viele Gespräche“
Interview mit Umweltministerin Carole Dieschbourg über ihre Rolle
bei der Pariser Weltklimakonferenz
Es gibt auch Treffen mit der
Wirtschaft, die über die französische
Präsidentschaft organisiert werden;
sogenannte „business days“.
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werden; sogenannte „business days“. Ende
September trafen sich die Klimaminister
im Rahmen des „Sustainable Development
Goals“ Gipfel in New York auch
mit größeren Wirtschaftsakteuren, die seit
Jahren den Prozess begleiten.
Wer sind diese „größeren Wirtschaftsakteure“?
C.D.: Da sind zum Beispiel Vertreter
mehrerer größerer internationaler Firmen
aus dem Energiesektor, Zementindustrie,
Lebensmittelproduktion; und
der Banken- und Versicherungssektor ist
auch vertreten.
Wie „begleiten“ diese Akteure den Prozess?
C.D.: Sie nehmen an Diskussionsrunden
teil und man muss sagen, dass Teile
der Wirtschaft der Politik voraus sind.
Sie möchten einen robusten Kohlenstoffpreis
und eine vorhersehbare, langfristige
Politik. Deshalb sind sie dem
Pariser Abkommen nicht unbedingt
negativ gesinnt, dieses soll nämlich eine
sichere Perspektive bieten. Eine Debatte
mit Unternehmen ist wichtig, um alle
hinter uns zu haben. Die zentrale Frage
ist hierbei: „Wie kriegen wir die Firmen
mit auf unseren Weg und wie können sie
die Chancen erkennen?“
Sie vertreten bei den Verhandlungen sowohl
Europa als auch Luxemburg, und zudem in
gewisser Weise auch grüne Ideen als Ministerin
von déi gréng. Fühlt sich das schizophren
an?
C.D.: In der Regierung Bettel haben
wir uns schon im vergangenen Jahr auf
eine gemeinsame Marschroute geeinigt.
Diese Position, etwa die bereits genannte
Reduktion von CO2 von mindestens
40 Prozent, ist auch die europäische Position.
Anders als in Kopenhagen wird
die EU dieses Mal mit einer Stimme
sprechen.
Mit Ihrer?
C.D.: Der EU-Klimakommissar Miguel
Arias Cañete und ich sind auf einer
Linie, wir stimmen uns intensiv ab
und vertreten die EU. Dafür haben wir
im September ein Mandat aller EUUmweltminister
bekommen. Im Vorfeld
hatte ich mit vielen Umweltministern
bilaterale Gespräche. Wir haben jetzt
ein gutes, ambitioniertes europäisches
Mandat – in eher europakritischen Zeiten.
Eine Blockade haben wir als Ratspräsidentschaft
verhindern können, weil
wir lange verhandelt und entscheidende
Kompromisse vorgelegt haben. Dabei
half der persönliche Draht zu einigen
relevanten Umweltministern.
Ihre guten Sprachkenntnisse sind sicherlich
von Vorteil?
C. D.: Als Luxemburgerin hat man Vorteile.
Die wesentlichen Sprachen bei all
diesen Verhandlungen und Gesprächen
sind Englisch und Französisch. Ich spreche
daneben auch ein bisschen Spanisch
und passe mich der Sprache des Gesprächspartners
an. Das kann bilaterale
Unterhaltungen auflockern.
Werden Sie von Ihrem Gegenüber als Politikerin
anders wahrgenommen, als ihre
männlichen Kollegen?
Carole Dieschbourg im Gespräch mit Laurent Fabius, Außenminister Frankreichs, und Angel Gurría, Generalekretär der OECD (© MDDI)
Klimaverhandlungen November 2015 39
C.D.: Ein großer Teil der Umweltminister
sind Frauen und ich habe bisher keine
Nachteile aufgrund des Geschlechts erfahren.
Es geht darum zu beweisen, was man
kann, und eine klare Linie zu vertreten.
Wie läuft eine solche Unterhaltung ab? Treffen
Sie sich mit der Umweltministerin des
Landes XY, machen etwas Small Talk und
betteln dann? Oder bieten Geld an?
C.D.: Es gibt dort weder Small Talk,
noch wird um Geld gefeilscht. Die meisten
Staaten erkennen die Notwendigkeit
des Klimaschutzes an, haben jedoch teils
sehr unterschiedliche nationale Rahmenbedingungen,
in die man sich vor den
Gesprächen einarbeitet. Bilaterale Gespräche
mit allen größeren „Key Players“
finden statt, aber z.B. auch mit kleinen
Inselstaaten und Partnern in der Entwicklungshilfe,
um gemeinsame „landing
zones“ zu definieren.
Wir treffen ebenfalls Bremser, um zu
sehen, bis wohin sie in verschiedenen
Ambitionen mitgehen würden, wenn gewisse
Punkte erfüllt wären. Mit Ländern
wie Deutschland und Frankreich sprechen
wir Verhandlungsstrategien ab und
teilen strategisch wichtige Verhandlungspartner
unter uns auf. Beispielsweise gab
es dadurch in den letzten Wochen viel
Bewegung in Brasilien. Aufgrund der
Gespräche mit Deutschland hat sich
Brasilien ein ambitiöses nationales Treibhausgas-
Reduktionsziel (INDC, Intended
Nationally Determined Contribution)
gesetzt.
Das heißt, das kann nur Deutschland, da
hat das kleine Luxemburg keine Chance?
C.D.: Das stimmt so nicht. Wir können
gerade als kleines Land schnell Vertrauen
aufbauen und helfen einigen Ländern,
wie zum Beispiel Kap Verde und anderen
Partnerländern, bei der Ausarbeitung
ihrer nationalen Reduktionsstrategien
und der energetischen Transition. Während
der Präsidentschaft spielen wir aber
sowieso eine europäische Rolle, da werden
wir als Vertreter der EU gesehen und
nicht als Luxemburg.
Entwicklungsländer werden es ohne finanzielle
Hilfe wahrscheinlich nicht schaffen. Was
sagen Sie der Umweltministerin aus einem
armen Land?
C.D.: Die EU hält sehr engen Kontakt
mit den Entwicklungsländern und
mobilisiert für Klimahilfe: Es gibt das
politische Versprechen der Geberländer
ab 2020 jedes Jahr 100 Milliarden
Euro für konkrete Projekte in Entwicklungsländern
bereitzustellen, damit diese
ihre Reduktionsziele erreichen können.
Der „Green Climate Fund“ ist einer
der Hauptakteure in diesem Feld. Auch
Luxemburg speist diesen Fonds und entwickelt
konkrete Energieprojekte mit
unseren Partnerländern im Bereich der
Entwicklungshilfe.
Zurück zur Konferenz in Paris, die zwei
Wochen dauern wird. Der Startschuss erfolgt
mit allen Staats- und Regierungschefs, in
der ersten Woche sind dann aber nur Mitarbeiter
der Regierungen dort, in der zweiten
Woche auch die Minister. Was passiert in
diesen sieben Tagen?
C.D.: Es wird sicherlich bis zur letzten
Minute um gangbare Kompromisse und
klare Formulierungen gerungen werden.
Dabei werden sicherlich auch Bremser
versuchen, durch falsche Interpretationen
von Textbausteinen Allianzen zu
durchkreuzen. Man muss daher ständig
auf der Hut sein und beobachten, wer
wie vorgeht und welche Untergruppen
sich bilden. Das Ganze ist sehr komplex.
Man sollte nicht vergessen, dass hier die
gesamte Welt über teils technisch anspruchsvolle
Fragen verhandelt und natürliche
Verteilungsfragen über Macht
und Ressourcen nicht außen vor bleiben.
Auch deshalb geht es im Moment nur
langsam voran.
Länder sagen gerne, sie tun nur mehr, wenn
andere auch mehr tun. Ist das Spieltheorie
auf höchstem Niveau?
C. D.: Es gibt Strategien, um das Ziel, das
sich Europa bei dieser Konferenz gesetzt
hat, zu erreichen. Diese Strategien werden
innerhalb der EU abgestimmt. Man
bespricht, wer sich mit wem außerhalb
der EU trifft. Wir wissen bei jedem außereuropäischen
Land, wie seine Position
zum Klimaschutz bisher war, und wie es
sich derzeit äußert. Die Gespräche lassen
sich dabei nicht auf eine Prozentzahl
reduzieren, sondern es werden „landing
zones“ abgestimmt, also Toleranzgrenzen
für die jeweiligen Länder. Die EU stellt
dabei immer drei wichtige Punkte in den
Vordergrund: Wir brauchen ein Langzeitziel,
Zyklen auf dem Weg dorthin und ein
verlässliches Regelwerk im Bereich der
Transparenz.
Auch andere große Player verhandeln, ebenfalls
bilateral, ob USA/China, ob G7 oder
G20 …
C. D.: … dass die EU ein Player in Paris
ist, erkämpft man sich durch Allianzen
und Gespräche und dadurch, dass man
bei allen Vorverhandlungen dabei ist
und Kompromisse mit schmiedet. Man
muss verhindern, dass die Verhandlungen
von einigen Staaten dominiert werden.
Am Ende müssen alle mitreden – und
mitmachen.
Am letzten Tag in Paris wird CNN live vermelden
„Es ist geschafft, Dieschbourg hat die
Welt gerettet?“
C. D.: Es wird ein schwieriger Weg. Ein
Erfolg wird eine Teamleistung von vielen
Menschen aus vielen Ländern sein, die in
unterschiedlichen Rollen und Positionen
mitwirken. Der Fakt, dass ich dazu einen
Beitrag leisten kann, ist eine Herausforderung
und ein Privileg zugleich. Ich würde
mir am Ende eine andere Schlagzeile
wünschen: „Ambitiöses Paris-Abkommen
von allen Staaten angenommen: ein
Wendepunkt!“.
Vielen Dank für das Gespräch! u
„Mit Ländern wie Deutschland
und Frankreich sprechen wir
Verhandlungsstrategien ab
und teilen strategisch wichtige
Verhandlungspartner
unter uns auf. “
Das Gespräch führten Kim Nommesch und Jochen
Zenthöfer am 16. Oktober 2015.
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