Glossar zu Zivilgesellschaft, Lobbyismus und Politik

ASBL: Die heutige Gesetzgebung Luxemburgs geht noch auf einen mehrmals modifizierten Gesetzestext von 1928 zurück (Loi du 21 avril 1928 sur les associations sans but lucratif et les établissements d’utilité publique). Eine ASBL wird als eine Vereinigung definiert, die nicht kommerziellen Zwecken unterliegt und den Mitgliedern keine materiellen Gewinne ausschüttet. Eine ASBL verfügt über eine ‘personnalité civile’ (juristische Persönlichkeit), falls sie alle Voraussetzungen erfüllt. Unter bestimmten Bedingungen können BürgerInnen sich auch zu einem faktischen Verein zusammenschließen, der nicht das Statut einer juristischen Person verfügt und generell dem Zivilrecht unterliegt.

Finanzierung: Obwohl die in ASBLs organisierte Zivilgesellschaft nicht auf Profit aus ist, muss sie sich finanzieren. Dies geschieht vornehmlich über Beiträge, Spenden oder Subventionen. Zudem können Vereine durch Produkte und Veranstaltungen Geld einnehmen, das wieder den Aktivitäten der Organisation zugute kommen soll. So kann eine ASBL durch eine regelmäßige Publikation zu ihren Aktivitäten eine mehr oder minder stabile Einnahmequelle haben. Je nach Aufgabenbereich kann es auch zu staatlichen Subventionen kommen, was aber die Grenzen zwischen Zivilgesellschaft und Staat verwischt.

Formen der Interessensdurchsetzung: Die Interessensvermittlung durch die Zivilgesellschaft kann über viele verschiedene Plattformen und Instrumente geschehen. In der Regel müssen sich Interessensvertreter erst einmal Informationen über die Position sowie Vorhaben der politischen Entscheidungsträger beschaffen. Diese Informationen werden dann auf eventuelle Gemeinsamkeiten, Potenziale und Herangehensweisen hin analysiert. Die Informationsbeschaffung erfolgt sowohl über formelle, öffentliche Wege, wie auch über informellere Herangehensweisen, durch persönliche Kontaktaufnahmen mit anderen Lobbyisten, Politikern, Nahestehenden der Zielperson (etwa einem Minister) oder der Zielperson selbst. Die Interessensverbände arbeiten dann Abänderungsvorschläge zur gewünschten Thematik aus, die den politisch Verantwortlichen oder den Personen in den Verwaltungen in der Regel argumentativ vorgetragen werden. Da Politiker oft keine Zeit und auch nicht immer das Fachwissen haben, sich mit jeder Art von Thema vertieft auseinanderzusetzen, machen Lobbyisten ihnen durch die Aufarbeitung von kompliziertem Material das Leben einfacher. Politiker sind weniger anfällig für Lobbyismus, wenn sie von einem Team von Experten und Wissenschaftlern umgeben sind. Andererseits können verschiedene Branchen der Wirtschaft auch Wissenschaftler in diese Teams positionieren, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Die Chamber, das luxemburgische Parlament, hat sich weder Fachreferate noch wissenschaft-lichen Dienste zugelegt. Die Abgeordneten verfügen auch nicht über ein persönliches Büro, das sie in der inhaltlichen Arbeit unterstützen kann. Sie müssen sich auf die gemeinsamen Mitarbeiterpools in den Fraktionsbüros beschränken. Eine andere, effektive Methode des Lobbyismus ist die Öffentlichkeitsarbeit. Durch Einwirkung auf die Medien kann man die Öffentlichkeit, Politiker und andere Interessensverbände für ein bestimmtes Thema begeistern. Man lässt in Zeitungen und Zeitschriften Artikel und Presseerklärungen drucken, die durch Fachwissen ein Thema erläutern und die öffentliche Meinung dadurch lenken sollen. Events, wie Diskussionsrunden oder Demonstrationen, sind eine weitere Möglichkeit auf die öffentliche Meinung Einfluss zu nehmen. Im Zeitalter sozialer Medien erfolgt Öffentlichkeitsarbeit natürlich auch über diese Plattformen.

Lobbyismus: Aus dem Englischen stammender Begriff, der von ‘lobby’ abgeleitet ist. Im britischen ‘House of Commons’ wie im amerikanischen Kongress bezeichnet die ‘lobby’ die Vorhalle des Parlaments. Etymologisch mag der Begriff sogar von lobium, der Vorkammer des römischen Senats abgeleitet sein. Der Begriff wird metaphorisch benutzt für die Einflussnahme außerparlamentarischer Interessensgruppen auf die Politik und hat, im Gegensatz zur Zivilgesellschaft, eher negative Konnotationen. Manchmal wird Lobbyismus, wie Zivilgesellschaft, auch als fünfte Gewalt eingeschätzt (die vierte wäre hierbei die Medienlandschaft). Lobbyismus bezeichnet in einer breiten Definition jede Art von Einflussnahme auf Entscheidungsträger und Gesetzgeber. Lobbyisten können Privatpersonen, Vereine, Interessensverbände, Firmen im privaten Sektor und auch Regierungsmitglieder sein. Professionelle Lobbyisten werden von Privatpersonen, Firmen etc. beauftragt, um auf die Politik und Gesetzgebung einen direkten Einfluss zu nehmen.

Lobbyismus steht unter teils heftiger Kritik, da es vor allem vermögende Gruppen der Gesellschaft sind, die auf die Politik einwirken können, da ihnen mehr Ressourcen und größere Netzwerke zur Verfügung stehen. Lobbyismus kann auch von ausländischen Staaten ausgeübt werden (etwa über NGOs, Stiftungen und Kulturvereinigungen). Lobbyismus hat einen großen Einfluss auf das EU-Parlament. Einige (auch luxemburgische) Abgeordnete sind in Aufsichtsräten von Unternehmen oder haben Beraterverträge mit Unternehmen, die ihre Interessen durch Lobbyisten im Europaparlament vertreten. Anders als im amerikanischen Kongress (oder in den amerikanischen Bundesstaaten) gelten im EP keine sehr strengen Transparenzregelungen. In einigen anderen Ländern (USA, Kanada, Israel) wird Lobbyismus gesetzlich reguliert, um Transparenz zu gewährleisten. Die kontinentaleuropäischen Demokratien wie Luxemburg (oder auch Frankreich) unterschätzen das Phänomen und verzichten auf die Registrierung von Lobbyisten und weitere Regelungen.

Nichtregierungsorganisationen (NGO): Ein Begriff, der 1946 von der UNO geprägt wurde, um zivilgesellschaftliche Organisationen zu beschreiben, die unabhängig von Staaten agieren. Oft beschreibt der Begriff NGO die humanitären Vereine und Organisationen, die primär im Bereich der Entwicklungshilfe agieren. NGOs können sich spezieller mit Menschenrechten, Kunst, Kultur und Umwelt befassen. In Luxemburg gibt es keine gesetzliche Erfassung der NGOs, bis auf ein vom Außenministerium eingeführtes Spezialstatut für diejenige NGOs, die sich der Entwicklungshilfe im Ausland widmen. Die meisten NGOs in Luxemburg haben sich durch das Statut einer ASBL oder Stiftung (fondation) als rechtliche Person registriert.

Öffentlichkeit: Die Öffentlichkeit (public sphere) beschreibt in der Politikwissenschaft jenen Bereich, in dem die Bürger zusammenkommen, um gesellschaftliche und politische Probleme anzusprechen und diskursiv bzw. deliberativ zu lösen. Laut
Habermas spielt die Zivilgesellschaft, die seines Erachtens nach aus der bürgerlichen Öffentlichkeit des 18. Jahrhunderts stammt, eine tragende Rolle in der Herstellung und Legitimierung einer deliberativen und kommunikativen Politik, da sie „problemlösende Diskurse zu Fragen allgemeinen Interesses im Rahmen veranstalteter Öffentlichkeiten institutionalisiert“ (Habermas: 1992, 443-44). Die Auffassung Habermas’ wird teils als zu eng, einseitig und bürgerlich kritisiert.

Professionalisierung: Obschon ASBLs traditionell oft von Freiwilligen gegründet, aufgebaut und geleitet wurden, lässt sich vielerorts eine zunehmende Professionalisierung feststellen. Feste Angestellte sind häufig notwendig, um die alltägliche Koordination, die inhaltliche Aufarbeitung, die Präsenz in der Gesellschaft zu gewährleisten. Oftmals bleibt dann vom ehemals unprofessionellen Einsatz nur noch der Vorstand übrig, der von den eingespielten Mitarbeitern dann mit der Zeit als wenig kompetente Belastung empfunden wird. Die Professionalisierung bringt natürlich mit sich, dass die ASBLs in eine Finanzierungsspirale geraten, die wiederum nach mehr Spenden, Subventionen oder sonstigen Einnahmen verlangt, für deren Gewährleistung wiederum mehr professionelles Personal benötigt wird.

Verhältnis von Staat, Parlament und Zivilgesellschaft: In Luxemburg kann die Zivilgesellschaft durchaus auf die parlamentarischen Prozesse einwirken. Dies konnte man am Referendum im Jahr 2015 sehen und zum Teil auch am aktuellen Prozess der Verfassungsrevision beobachten. Während der Verfassungsdebatte wurden die Bürger explizit aufgerufen, sich am Prozess zu beteiligen. Über hundert BürgerInnen und Vereinigungen taten dies, indem sie Vorschläge unterbreiteten. Diese wurden von der Verfassungskommission in mehreren Sitzungen ausgewertet. Das Resultat war, dass neben Vorschlägen zu Denkmalschutz und Kultur auch solche hauptsächlich die Grundrechte, wie etwa Kinderrechte sowie persönliche Freiheiten betreffend, in den Verfassungstext mit einbezogen wurden. Das Einschließen von Tierrechten, und damit verbunden die Definition von Tieren als ‘fühlende Wesen’, geht erheblich auf das Einwirken von Tierschutzorganisationen zurück.

Zivilgesellschaft: Zivilgesellschaft bezeichnet im Allgemeinen die Gesamtheit jener privaten Organisationen und Vereine, die sowohl vom öffentlichen wie vom privaten, profit-orientierten Sektor zu unterscheiden ist. Der Begriff kann sich natürlich auch auf die Initiativen einzelner Bürger beziehen, die Politik und Gesetzgebung zu beeinflussen versuchen. Der Begriff der Zivilgesellschaft geht in der ‘westlichen’ Politikgesellschaft auf die Antike, insbesondere Aristoteles zurück, der die politische Gemeinschaft (koinōnía politike) definierte als die in einer Polis zusammenlebende Gesamtheit der Menschen unter dem selben Gesetz, die sich als Gesamtziel das höchste Gute (agathon), nämlich das Wohlbefinden (Eudämonie) der Gemeinschaft gesetzt haben (Politik 1.A) Im Mittelalter wurde in den lateinischen Übertragungen der Werke Aristoteles’ die koinōnía politike als societas civilis übersetzt und bezeichnete erst einmal das Gemeinwohl (res publica) und dann die zunehmende Macht verschiedener Stände abseits der zentralen monarchischen Macht.

Später theoretisierte Alexis de Tocqueville bei seinen Reisen in Amerika über den Begriff – er war beindruckt davon, wie die Amerikaner sich freiwillig unabhängig von der Politik in Vereinen, Gemeinschaften, Assoziationen organsierten, um das Zusammenleben in der Gesellschaft zu fördern. Eine Theorie besagt, dass unsere moderne bzw. postmoderne Auffassung der Zivilgesellschaft erheblich zurückgeht auf ihre Ausformungen in den Ländern des Warschauer Paktes, als sich Vereine und Gewerkschaften gegen autoritäre und repressive Strukturen behauptete. Moderne Theoretiker sehen die Zivilgesellschaft daher als zentrales Mittel der Demokratiesicherung an, da es den Bürgern erlaubt, durch lokale Initiativen die Regierung und den demokratischen Prozess zu unterstützen und zu kontrollieren. Darüber hinaus lehrt sie den Bürger, an demokratisch-gemeinschaftlichen Strukturen teilzunehmen und macht ihn dadurch politisch bewusster und aktiver. Kritiker sehen die Zivilgesellschaft als oft elitäre Klubs an, die nur bestimmten demographischen Gruppen offen-
stehen, und soziale wie wirtschaftliche Hierarchien nutzen, um auf die Politik Druck auszuüben. Wegen ihrer teilweise sehr geringen basisdemokratischen Legitimierung (nur eine kleine Gruppe von Aktivisten oder professionellen „Funktionären“ bestimmt oftmals die Inhalte) werden ihre Forderungen von der gewählten Politik oftmals als ärgerlicher Eingriff in die Debatte empfunden.

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