Gourvernementalität — die „Steuerung der Steuerung“

Einer zuverlässigen Quelle zufolge wurden die umfangreichen Druckwerke der Sektorpläne im Juni 2014 mit einem Militär-Lkw an die Gemeinden ausgeliefert. Ein unfreiwilliges Symbol für die Entschlossenheit, mit der der Staat seine Vorstellungen zur Landesplanung durchsetzen will …? Eher wohl eine Pointe. Sie ist hier der Ausgangspunkt einer kritischen Analyse der luxemburgischen Stadt- und Raumplanung, der Philosophie und Praktiken von Staat und Gemeinden. Dabei dient Michel Foucaults Konzept der Gouvernementalität zur Reflektion dieser „Steuerung der Steuerung“.

Gouvernementalität

Das Konzept der Gouvernementalität wurde vom französischen Sozialtheoretiker Michel Foucault Ende der Siebzigerjahre entwickelt und in der letzten von vier mittlerweile berühmt gewordenen Vorlesungen 1977/78 am Collège de France vorgestellt.1 Deren Publikation machte diesen Begriff populär, um die historische Genese, die Brüche und Kontinuitäten staatlichen Regierungshandelns zu untersuchen. Dabei zielte die Kombination der Begriffe Gouvernement und Mentalität auf die Analyse der Haltungen,
Einstellungen und Stile der Regierenden, vor allem des Staates, in der Exekution von Macht. Prinzipiell wird bei Foucault und der mittlerweile beachtlichen Rezeption dieses Ansatzes staatliches Handeln als solches unterschieden von der allgemeinen Ausübung von Macht und den Zielen und Logiken, denen dabei gefolgt wird. Gouvernementalität gilt auch als the ‘conduct of conduct‘.

Der Wert dieser Betrachtungsweise liegt nicht nur darin, dass sie die Mechaniken der Machtausübung als vermeintlich rationale Optimierungsaufgabe dechiffriert und ihre normativen und ideologischen Grundlagen offenlegt. Politik heißt immer auch „strategische Konfiguration“ von Herrschaft. Gouvernementalität äußert sich darin, was als Problem definiert und als angemessene oder „richtige“ Lösung betrachtet und mehrheitsfähig gemacht wird. Spezifische Mentalitäten der Regierenden zeigen sich daran, was sie als vermeintlich objektive Wahrheit ansehen und welches Maß an Transparenz und Teilhabe sie in der Kommunikation hierüber zulassen. Insofern lässt sich Gouvernementalität zur Reflektion über das luxemburgische Planungssystem nutzen —ausgehend von der Annahme, dass die hier verhandelten Wahrheiten nicht per se gegeben sind, sondern immer auch gesellschaftlich produziert werden.

„Lëtzebuerg besser plangen?“ — Situation und Problemdruck

Die Rahmenbedingungen der Entwicklung Luxemburgs sind im internationalen Vergleich außergewöhnlich: Bevölkerungs-und Wirtschaftswachstum stehen europaweit an der Spitze und üben großen Druck auf Bau- und Infrastrukturpolitik aus.
Treibende Faktoren wirken vor allem von außerhalb des Landes (Finanzmarkt, Europa, Großregion), haben aber sehr konkrete Folgen vor Ort, wie das Verkehrsproblem oder der Immobilienmarkt zeigen. Dem hohen Problemdruck entspricht die Erwartung der Öffentlichkeit in Richtung planerischer Steuerung: Der Wunsch nach Ordnung des Raums nach Jahrzehnten des als planlos empfundenen Wachstums ist weit verbreitet. Entsprechend hoch sind die Ambitionen der Dreierkoalition.

Solche Hoffnungen sind nur schwer einlösbar. Raumplanung wurde hierzulande spät institutionalisiert; im Grunde werden einschlägige Erfahrungen erst seit ca. 15 Jahren gemacht. Die verfolgten Ansätze, wie etwa das IVL, laufen dem hohen Entwicklungstempo hinterher, und sie sind gemessen am Problem unterkomplex. Dies gilt auch für die Sektorpläne und den Versuch, künftige Entwicklungsdynamiken zu definieren und auf Schwerpunkträume zu lenken. Dass die Planzahlen im Kern ohne stichhaltige Begründung blieben, hat der Landesplanung eher geschadet. Planung genießt im hiesigen wirtschaftsliberalen Milieu ohnehin keine hohe Wertschätzung, vor allem wenn sie die Interessen bestimmter Gruppen tangiert. Raumplanung heißt aber Konflikte thematisieren, Verfügungsrechte begrenzen, Entwicklungen hier antizipieren und fördern, dort limitieren (siehe den Beitrag von Tom Becker ab S. 32). Mit solchen Absichten macht sich niemand Freunde.

Zur Gouvernementalität der räumlichen Planung

Staat und Gemeinden produzieren erhebliche Reibung in der Planungspraxis. Dies geschieht zum einen zwangsläufig, weil sie legitimer Weise konkurrierende Interessen vertreten. Zum anderen gibt es im zweistufigen Verwaltungssystem ein Maßstabs-problem: Was fürs ganze Land sinnvoll erscheint, kann sich lokal womöglich sehr kritisch darstellen. Mit Blick auf Selbstverständnis, Rationalität und Legitimation ihrer Praktiken sind Staat und Gemeinden jedoch eher Brüder im Geiste als Gegensatzpaar. So wie sie vorgehen, „produzieren“ sie einen Teil des Problems, das sie zu lösen vorgeben. Dies macht die Gouvernementalität der Luxemburger Raumplanung aus:

Der Staat ist der zentrale Akteur in diesem Spiel. Er bestimmt die Agenda, gibt Inhalte vor, regelt Details mitunter bis auf die Ebene der Parzelle; ein Phänomen offenbar typisch für Kleinstaaten. Vom Stil her neigen staatliche Akteure zu Dirigismus, auch in Folge der verfassungsmäßigen Aufsicht (tutelle) über die Gemeinden. Die politische Kultur ist etatistisch, es gibt kaum Erfahrung mit tragfähigen Ansätzen der Partizipation. Dem politischen System mangelt es zudem an Abstimmung zwischen Staat und Gemeinden; politische Entscheidungsfindung ist durch Kammermandat und Bürgermeisteramt in einer Person vielfach erschwert.

Die Bürgermeister stellen im System der öffentlichen Hand das einzig nennenswerte, wiewohl sehr eigensinnige Korrektiv staatlicher Akteure dar. Sie agieren weniger fachlich als vor allem politisch motiviert und begründet. Eint sie der Protest gegen Vorgaben des Staates „von oben“, ist ihr Umgang mit der Bürgerschaft oft ganz ähnlich. Ihr Pendant in der Privatwirtschaft sind die Entwickler (Promoteure). Sie haben sich strategisch mit Flächen eingedeckt, kontrollieren die „Wertschöpfungskette Bau“ sehr weitgehend und können die Produktions- und Verwertungsbedingungen diktieren. Als „Thema“ und Faktor sind sie in allen Planungsdiskursen präsent; sie treten dort jedoch nie selbst öffentlich in Erscheinung. Wenn die Landesplanung nun, ungewohnt offen, die Grenzen von Eigentum im Gemeinwesen thematisiert, dann könnte das ein Meilenstein für die Debatte sein.2

Entscheidungsprozesse sind vielfach intransparent, es gibt kaum klare Festlegungen, mit deren Hilfe das Handeln der Institutionen überprüfbar wäre: Management des Ungefähren. Rechtssicherheit gibt es um den Preis komplexer bürokratischer Prozeduren (was allseits beklagt wird, in einem kleinen Staatswesen aber auch geändert werden könnte). In Widerspruch zum Ungefähren steht die hohe Regelungsdichte, die in einigen Planwerken angestrebt wird. Auffällig ist auch die intensive Personalisierung des Wissens, etwa in Gestalt der leitenden Beamten oder der Leiter der Entwicklungsfonds. Dies erschwert politische Kontrolle und macht Strategiewechsel extrem schwierig.

Vor allem auf kommunaler Ebene besteht ein großes Maß an Abwesenheit von Strategie. Ironischerweise schöpft der Staat ge-
nau daraus, teilweise zurecht, seine Legitimation zu strategischem Handeln … Vor Ort ist man aber offenbar gut damit gefahren, zu bauen statt zu planen. Dies führt nicht nur zu Abstimmungsproblemen,
auch unter den Gemeinden. Es bringt eine Vielzahl von Solitären, also große Einzelprojekte mit sich, die nur schwer oder gar nicht in ihr Umfeld integrierbar sind (siehe den Beitrag von Annick Leick, S. 26). Womöglich war die Erfahrung mit dem Kirchberg wegweisend, wenn nicht syndromatisch für viele Folgeprojekte.3

Soweit Strategien entworfen werden, orientieren sich diese oft an planerischen Orthodoxien, wie etwa dem Zentrale-Orte-Konzept oder der dichten, kompakten Stadt. Solche Ansätze gelten aber schon im Umgang mit üblichen Problemen als begrenzt wirksam. Harmonie im Raum, so der common sense der Planungsforschung, ist kaum erreichbar — erst recht dort nicht, wo man Finanzzentrum bleiben und eine Art global city werden will.

Ausblick

Technokratisches Management, Verschwiegenheit der Akteure und der Wunsch nach größtmöglicher Kontrolle sind Merkmale einer Gouvernementalität, an der Beobachter wie Foucault sicher ihre Freude gehabt hätten. Der Problemdruck ist zugegeben hoch. Niemand sollte kurzlebige Lösungsversprechen abgeben, erst recht nicht im Hinblick auf die eher unsichere wirtschaftliche Zukunft des Landes.

Insofern gibt es auch keinen Anlass, Rezepte zur Problemlösung zu streuen. Gleichwohl braucht es strategische Debatten. Ihr Ausgangspunkt könnte ein evolutionäres Verständnis der Raumentwicklung im Großherzogtum sein, verbunden mit der Frage, wo das Land grundsätzlich hingehen soll — anstatt des großen, aber detaillierten Plan von oben. Noch vor dem Redesign von Planwerken ist zu überlegen, ob das Entwicklungstrajekt Luxemburgs nicht einen neuen Steuerungstyp erfordert?

Dann könnten auch Bürger-Partizipation und Kollaboration eine Rolle spielen, so wie es die Regierung nun den Gemeinden offeriert. Solche Ansätze gibt es aber nicht ohne Gegenleistung, vor allem aus der Sicht der Regierenden: Beteiligung heißt Transparenz üben und Entscheidungsgewalt teilen. Sollen die BürgerInnen mitreden, wird man nicht umhin kommen, Macht abzugeben und in „lokalen Zentren“, so die Sprache von Michel Foucault, neu zu verhandeln.

Foucault, M. (1979): „On governmentality“, in: Ideology and Consciousness, Bd. 6, S. 5-21.
DATer (2015): Lëtzebuerg zesummen entwëcklen. Quelle démarche pour un développement spatial durable?, Luxemburg, Februar 2015, S. 31-32.
Hesse, M. (2013): „Das ‚Kirchberg-Syndrom‘: große Projekte im kleinen Land: Bauen und Planen in Luxemburg“, in: disP-The Planning Review, Bd. 49 (1),
S. 14-28.

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