In den 1980er Jahren noch als potenziell augenöffnender Slogan eingesetzt, gilt dieser Satz heute fast als Allgemeinplatz: Umweltprobleme machen nicht vor Staatsgrenzen halt. Und ja, die internationale Dimension von Umweltproblemen ist heute unstrittig, die Notwendigkeit zu koordiniertem Handeln weithin anerkannt, und in der überschaubaren Liste erfolgreicher grenzüberschreitender Vorhaben nehmen Umweltschutzmaßnahmen eine durchaus prominente Position ein. Sei es der gemeinsame Betrieb grenznaher Kläranlagen, die Ausweisung grenzüberschreitender Naturparks und Schutzgebiete, Maßnahmen des Hochwasserschutzes oder Alarmpläne für Seveso-Unfälle – es gibt eine ganze Reihe von zielführenden Projekten. Dennoch: In der Gesamtschau bleiben sie Stückwerk, eine konzertierte Gesamtstrategie, die dies- und jenseits der Grenze verfolgt wird, fehlt.
Die Gründe hierfür sind ebenso vielfältig wie die anstehenden Probleme: Administrative, regulatorische und technische Aspekte werden gerne angeführt, wenn es in der grenzüberschreitenden Abstimmung langsam oder nicht vorangeht (s. Beitrag Estelle Evrard), ebenso die Inkompatibilität einzelner Sektorpolitiken (z.B. Energiesysteme, etwa Frankreichs Festhalten an der Kernenergie vs. Ausstieg aus derselben in Deutschland). Erkennbar sind aber auch wirtschaftliche Motivlagen und – in jüngerer Zeit wieder wachsendes – Konkurrenzverhalten zwischen vermeintlichen Partnern der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit (z.B. in der Ansiedlungspolitik, im Infrastrukturausbau, im Betrieb von Regionalflughäfen usw.).
Auch wenn in vielen Fällen politischer Wille erkennbar ist, so fehlt es doch an der notwendigen Entschlossenheit. Im grenzüberschreitenden Kontext gilt Umweltschutz weiter als nachrangiges Politikfeld, und mit Grenzraumthemen lässt sich ohnehin keine Wahl gewinnen.
Trotz aller respektablen Fortschritte im Kleinen (siehe Beispiele oben) und lobenswerter Bemühungen im Großen (z.B. Klimapolitik) wurde es bisher versäumt, sich bei Fragen des Umwelt- und Naturschutzes auf verbindliche und dabei sektorenübergreifend integrierte Strategien und Programme zu verständigen (z.B. Luftreinhaltepläne, Lärmbekämpfung, Grundwasserschutzprogramme, Biotopvernetzung, Wildtierkorridore). Bezüge zur politischen Steuerung von Raumentwicklungsprozessen (Landesplanung) sind hier offenkundig.
Besonders deutlich werden die angesprochenen Versäumnisse im Bereich grenzüberschreitender Wasserpolitik. Auch wenn zweifelsohne Fortschritte in der Gewässerreinhaltung und im Hochwassermanagement anerkannt werden müssen, so sind auch bedeutende Fehlstellen bzw. bleibende Herausforderungen zu verzeichnen. Dazu gehören:
- Die Sicherstellung der langfristigen Trinkwasserversorgung: Grundwasserbelastung durch Nitrat und Pestizideintrag und daraus resultierende Schließungen von Trinkwasserbrunnen gingen in den letzten Jahren einher mit wachsenden Trinkwasserverbräuchen in Privathaushalten und Unternehmen. Trinkwasserimporte aus Nachbarländern, wie sie mit Rheinland-Pfalz und dem Saarland im Bedarfsfall praktiziert werden, können für Luxemburg keine langfristig tragfähige Lösung sein, zumal auch in den Nachbarregionen der Druck auf die Versorgung steigt, bzw. Trinkwasseraufbereitung immer kostspieliger wird.
- Die offensichtliche Zunahme von Hochwasserereignissen ist nicht nur durch den Klimawandel bedingt, sondern auch durch fortwährende Flächenversiegelungen. Insbesondere der Infrastrukturausbau trägt hierzu bei, aber auch neue Wohn- und Gewerbegebiete liegen mitunter auf Flächen (z.B. in Talauen), die dem passiven Hochwasserschutz (Retentionsräume) zuwider laufen. Bei den großflächigen Infrastrukturen (z.B. Logistikplattformen wie in Bettembourg) ist auch zu hinterfragen, inwieweit vergleichbare und grenznahe Projekte in Belgien, Frankreich und Deutschland nicht zu unnötigen Redundanzen führen. Auch hier scheint Wettbewerb vor grenzüberschreitender Koordination zu stehen.
Wie in anderen Sektoren auch, wurden zahlreiche der bisherigen grenzüberschreitenden Maßnahmen aus INTERREG-Geldern der EU bezuschusst. Und bei vielen dieser Projekte liegt die Vermutung nahe, dass sie ohne die EU-Förderung nicht in dieser Form oder nicht mit dem jeweils gewählten thematischen Fokus zustande gekommen wären. Zweifelsohne erlaubt INTERREG so das Experimentieren, die Annäherung zwischen Partnern, die Entwicklung gemeinsamer Vorhaben und Leitbilder. Aber allzu oft bleiben die Projekte Einmalereignisse, d.h. ihre Wirkung über die Projektlaufzeit (meist drei Jahre) hinaus ist in der Regel beschränkt. Es fehlt zumeist an einer verbindlichen Verstetigung vielversprechender Ansätze, an einer dauerhafteren Festigung von Kooperationsbeziehungen, und an einer budgetären Planungssicherheit für mittel- bis langfristige Vorhaben.
Die in der Agenda 2030 vereinbarten Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (UN Sustainable Development Goals – SDG) sehen in einem Teilziel zur Wasserpolitik (SDG 6.5) explizit auch deren grenzüberschreitende Abstimmung vor: „Bis 2030 auf allen Ebenen eine integrierte Bewirtschaftung der Wasserressourcen umsetzen, gegebenenfalls auch mittels grenzüberschreitender Zusammenarbeit“ (UN 2015). Im Entwurf des 3. Nationalen Nachhaltigkeitsplans (Plan National pour un Développement Durable – PNDD), der die UN-SDG auf den Luxemburger Kontext bezieht, finden sich hierzu allerdings kaum Hinweise (Grand-Duché de Luxembourg 2018). Hinsichtlich des Gewässerschutzes an den Zuläufen des Obersauer-Stausees, der das Rückgrat der langfristigen Trinkwasserversorgung ist, wird sogar ausdrücklich nur von den „sous-bassins versants“, also dem luxemburgischen Teileinzugsgebiet gesprochen.
Dieser Mangel an langfristig ausgerichteter Koordination gilt nicht nur für den Bereich Wasserthematik, sondern auch für andere Politikfelder des Natur- und Umweltschutzes in der Grenzregion. Integrierte und langfristige Strategien würden nicht nur einen verlässlichen Handlungsrahmen für Politik, Wirtschaft, Behörden und Zivilgesellschaft schaffen, sondern zwei Kernprobleme aufzeigen, die (nicht nur) in der grenzüberschreitenden Debatte weitgehend ausgeblendet bleiben:
• Lösungsansätze, die das grenznahe Umland als funktionalen Ergänzungs-, Ausgleichs- und Versorgungsraum (s. Trinkwasserimporte) des immer dichter besie-delten Luxemburgs verstehen, werden langfristig nicht funktionieren, wenn nicht eine wirkliche Verständigung zwischen den Gebietskörperschaften erzielt wird, die Unwuchten und Ungerechtigkeiten vermeidet.
• Auch im Falle einer koordinierten und verbindlich integrierenden Politik – von der die großregionale Zusammenarbeit insgesamt noch weit entfernt scheint – werden grundsätzliche Fragen der ökologischen Tragfähigkeit virulent werden. Das gegenwärtig dominierende Wachstumsparadigma wird somit in Frage gestellt werden müssen.
Es geht also nicht nur um das Überwinden von Grenzen (politisch-administrativ), sondern auch um das Einhalten von Grenzen (des Wachstums bzw. des Ressourcenverbrauchs). Letzteres kann kaum ernsthaft verfolgt werden, ohne dass Ersteres erfolgreich praktiziert wird. Auch wenn in Luxemburg zunehmend kritisch über Wachstumsfragen diskutiert wird, fehlt es an gemeinsamen Visionen, wie sich das Großherzogtum und seine Nachbarregionen einem Entwicklungspfad verpflichten könnten, der auf Alternativen zur gegenwärtigen Wachstumslogik fußt. Die vielbemühte Metapher der „europäischen Laborregion“ könnte mit einem progressiven Inhalt verknüpft werden, wenn als Leitbild die Suche nach „Wohlstand ohne Wachstum“ (Jackson 2009) ausgegeben und eine konsequente Förderung alternativer ökonomischer Ansätze, Lebensstile, Wohnformen und Konsummuster (Gemeinwohlökonomie, kollaborative Wirtschaft) angestrebt würde.
Stärker noch als in Luxemburgs geplanten Bemühen um „Qualitatives Wachstum“ würde es hier nicht nur um eine Neubewertung des gegenwärtigen Wirtschaftsmodells gehen, sondern auch um die Frage von Wohlstandsmessung jenseits klassischer Wachstumsindikatoren (BIP). Zum Beispiel wäre zu prüfen, wie das vom STATEC inzwischen erhobene „PIBien-être“1 nicht nur auf die Grenzregionen ausgeweitet, sondern auch genutzt werden könnte, um Schieflagen und Ungerechtigkeiten in der Umwelt- und Lebensqualität beiderseits der Grenzen zu identifizieren. Sicher ein spannendes Thema für ein künftiges INTERREG-Vorhaben.
1) PIBien-être / Luxembourg Index of Well-Being (LIB): https://statistiques.public.lu/fr/publications/thematique/conditions-sociales/pibien-etre/
Quellen:
Grand-Duché de Luxembourg, 2018. Luxembourg 2030. 3ème Plan National pour un Développement Durable (projet).
Jackson, T., 2009. Prosperity without growth? The transition to a sustainable economy. London.
UN, 2015. Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Resolution der Generalversammlung, verabschiedet am 25. September 2015. New York: United Nations.
Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.
Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!
