Die luxemburgische Öffentlichkeit amüsiert sich über die Pläne von Wirtschaftsminister Etienne Schneider, das Land zu einem Standort für die kommerzielle Erschließung des Weltraums zu machen. Sie sollte das Projekt ernst nehmen.
Das Unternehmen ist in vielerlei Hinsicht sehr realistisch. Es kann funktionieren, denn es basiert auf einem der stärksten jemals entwickelten Narrative der Menschheit: der Traum von der
Eroberung des Weltalls. Die Erschließung, Kolonisierung und Ausbeutung des Weltalls beschäftigt die Menschheit seit mindestens 100 Jahren. Und die Vorläufererzählungen reichen weit zurück. Der Blick in den Himmel hat Homo sapiens schon immer zum Staunen, Träumen und Fabulieren gebracht. Und die moderne Wissenschaft hat den Wunsch nach der großen Entdeckung nicht gedämpft. Im Gegenteil, je mehr sich der Glaube verliert, dass im Himmel eine metaphysische Gottheit herrscht, desto mehr fiebern die Menschen in der Erwartung, womöglich etwas anderes dort zu finden.
Die perfekte Erzählung
Während Science Fiction-Autoren in ihren Erzählungen auf der Erde in der Regel die Unterwerfung der menschlichen Psyche und die Machtübernahme durch intelligente Maschinen im Blick haben, geht es bei den in den Weiten des Alls angesiedelten Erzählungen meistens um Landnahme. Eine der bildgewaltigsten Parabeln dazu lieferte James Camerons Blockbuster Avatar (2009), in dem ein blühender, erd-ähnlicher Planet von
einem privaten Konzern ausgeplündert wird ohne Rücksicht auf die mit ihrer Natur in Harmonie lebenden „Ureinwohner“. Philipp K. Dick (der zu den Klassikern des Genre gehört) bot schon 1964 eine weit konsistentere und weniger romantische Vorstellung davon, wie die Zukunft aussehen könnte: In seinem Roman Martian Time-Slip streben nationalstaatlich verwaltete Kolonien (deren größte jene der USA und Israels sind) unter der Aufsicht der UN eine autarke Zivilisation auf Mars an, die den dort lebenden Menschen ein Überleben für den Fall eines Atomkrieges auf der Erde bieten soll.
Mythen, Romane und die Filmindustrie haben der Menschheit die Bilder für das große Abenteuer geliefert. John F. Kennedy und die USA konnten sich in den 1960er Jahren dann davon überzeugen, wie sich eine ganze Gesellschaft begeistern lässt. Das Mondprogramm der NASA gab den USA mitten im Vietnamkrieg einen neuen Horizont und stimulierte Wissenschaft, Innovation und Wirtschaft. Gleichzeitig wurde das Unternehmen konsequent zu einer, die gesamte Menschheit (unter der Führerschaft der USA) vereinenden Erzählung ausgebaut. Der Satz „one small step for [a] man, one giant leap for mankind“ hat sich tief in unsere Erinnerungen eingegraben. Es ist anzunehmen, dass auch die ersten Marsmissionen die Menschheit zu einem globalen Kollektiv verbinden werden.
Auch die luxemburgische Regierung kann bei ihrem Projekt SpaceRessources.lu auf diesem Bild- und Vorstellungskapital aufbauen, sie muss sich einfach an die in diesem Bereich jetzt entstehenden Unternehmen hängen, die den Investoren in bewährter Start Up-Manier die große, optimistische Geschichte von allgemeinem Nutzen (für die Menschheit) und privatem Gewinn (für die Investoren) erzählen – nur dass es sich hier wirklich um die ganz, ganz große Geschichte handelt.
Denn nebenbei gewinnt die Erzählung ihre Stärke auch aus dem Versprechen sagenhafter Reichtümer. Wie zu Zeiten von Kolumbus und der Konquistadoren verspricht der Abbau von Ressourcen im All den ganz großen Jackpot. Die Finanzpsychologie lehrt uns aber, dass Menschen, wenn es um kleinere Beträge geht, sehr vorsichtig sind, doch bei der Aussicht auf große Gewinne verlieren sie häufig jeg-liche Zurückhaltung.
Das perfekte Versprechen
Spätestens seit den 1970er Jahren und den Vorhersagen des Club of Rome analysiert die Wissenschaft die Erde als geschlossenes System, dessen Gleichgewicht durch eine rücksichtslose und exponentielle Ausbeutung der Ressourcen auf dem Spiel steht. Dass sich viele der Berechnungen des Club of Rome nachträglich als fehlerhaft herausgestellt haben, hat der Richtigkeit dieser Argumentation nie einen Abbruch getan. Denn man muss schon ziemlich schlechten Willens sein, wenn man bei einem Brand der Feuerwehr mit dem Argument in den Weg tritt, das gemeinsame Haus würde doch viel langsamer niederbrennen als ursprünglich vorhergesagt…
Eine wichtige Ressource steht jedoch in unbegrenztem Maße zur Verfügung: die Strahlungs- und Wärmeenergie der Sonne, die dem System Erde kontinuierlich aus dem Weltall zugeführt wird. Richtig angewendet müsste auf dieser Grundlage ein Überleben zumindest für die nächsten Jahrmillionen gesichert sein. Müsste…
Mit der Aussicht auf Ressourcen-Ausbeutung im Weltraum können sich jetzt jedoch auch all jene ein gutes Gewissen einreden, die schon immer geglaubt haben, dass der Mensch für jedes Problem eine Lösung findet. Tatsächlich steckt im Diskurs von der Ressourcenausbeutung auf Asteroiden das unterschwellige Versprechen, dass alles so weiter gehen kann wie bisher. In der Branche gibt es jedoch sicherlich niemanden, der diesen Trugschluss teilt (außer vor der Presse): Sollte es jemals Space Mining geben, also den Abbau von Ressourcen im Weltall, dann wird das geförderte Material vor Ort genutzt werden müssen. Eine Rückkehr auf die Erde von wie auch immer gelagertem Material in industriellen Mengen ist aus physikalischen und technischen Gründen nicht möglich. Das geförderte Material wird also für die weitere Erkundung des Weltraums genutzt werden und eine aus dem Weltall kommende Lösung unserer Probleme hier auf Erden wird es nicht geben. Allerhöchstens wird das Weltall, d.h. seine Besiedelung, die Lösung für das Überleben der Menschheit darstellen. Zu den vielen Wissenschaftlern, die für den Menschen nur noch eine Zukunft im Weltall sehen, gehört auch der britische Astrophysiker und Nobelpreisträger Stephen Hawking. Für ihn sind die kommenden 50 bis 100 Jahre für das Über-
leben der Menschheit entscheidend, danach werden Menschen in der Lage sein, Kolonien im Weltall zu bilden und die Erde aufzugeben. Der Luxemburger Umwelt- und Kulturaktivist Robert Garcia hat vor kurzem auf einer Podiumsdiskussion geäußert, dass er innerlich den Kampf gegen den Klimawandel schon aufgegeben hat. Er dürfte zu den wenigen Leuten gehören, die wissen, was sie damit sagen…
Das perfekte Geschäftsmodell
Als der Kalte Krieg 1989 an sein Ende kam, hatte das Raumfahrtprogramm der NASA seine Schuldigkeit getan, die Aktivitäten wurden zurückgefahren, die nächste
große Etappe, die bemannte Marsmission wurde immer weiter hinausgezögert. 30 Jahre Neoliberalismus, massive Steuersenkungen verbunden mit Schuldenaufnahme haben die Nationalstaaten ausgeblutet, sie sind nicht mehr die treibenden Kräfte in der Raumfahrt. Die Macht auf der Erde hat sich verschoben.
Heute sind es die New-Economy-Oligarchen, die eine Erschließung und Verwertung des Weltraums versprechen. Elon Musk, Jeff Bezos und Larry Page machen ihr Geld nicht im All, sondern auf der Erde und zwar auf jenem Geschäftsfeld, das den anderen Strang der Science-Fiction-Erzählungen ausmacht: der Einhegung (manche würden von Kontrolle sprechen) der menschlichen Psyche und ihre Ersetzung durch künstliche Intelligenz. Und so sind auch die derzeitigen Geschäftsmodelle für Weltraumaktivitäten alle noch auf die Erde ausgerichtet. Die 100 Millionen Dollar teuren Satelliten werden gerade durch hunderte und tausende Miniatur-Überwachungssatelliten ersetzt, u.a. entwickelt und kommerzialisiert durch Betriebe, die in Zukunft von Luxemburg aus operieren. Argumentiert wird die Totalüberwachung unseres Planeten und seiner Bewohner mit effizienteren Wettervorhersagen, intelligenterer Einbringung von Pflanzenschutzmitteln und der Vernetzung all jener Sensoren, die in Zukunft unsere Körper, Häuser, Autos und Objekte miteinander verbinden.
Auf umfassende Kontrolle aufbauende Regime wie China und Russland können zufrieden beobachten, wie nebenbei auch die westliche Demokratie unterhöhlt wird. Während also über Weltraumaktivitäten geredet wird, liegt der wahre Akzent dieser Industrie zurzeit auf der Beobachtung unseres Verhaltens und dem Zugang zu unseren Köpfen.
Die perfekte Spekulation
Die tatsächliche Ausbeutung von Ressourcen im Weltall, die den Kern der Erzählung ausmacht, liegt in weiter Ferne. In absehbarer Zeit werden Smartphones nicht billiger, weil wir etwa Kobalt einige Millionen Kilometer entfernt irgendwo auf dem Asteroidenring extrahieren, dort im industriellen Maßstab Installationen betreiben, um diese Moleküle vom umgebenden Material zu trennen, und davon einige tausend Tonnen auf die Erde zurückbringen. Nach Aussage des Wirtschaftsministers im Interview auf Seite 24 kann das dem Luxemburger Staat und seinen Bürgern aber völlig egal sein, denn es geht nur um die Generierung von Wachstum. Dafür bedarf es keiner reellen Produkte, Claims genügen. Es genügt am Ende, wenn Investoren lange genug an Gewinne glauben, Betriebe hier hochqualifizierte Arbeitsplätze einrichten und die Geldströme über Luxemburg laufen.
Die Notenbanken haben seit der Finanzkrise von 2008/2009 die Weltwirtschaft mit Kapital überversorgt, um einen kompletten Absturz abzuwenden. Gigantische Kapitalmengen sind seitdem weltweit auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten, und die Kapitalströme fluten insbesondere die Immobilienmärkte. Auch in Luxemburg sehen wir langsam, dass das primäre Ziel der Immobilienwirtschaft nicht nur die Bereitstellung von Wohnraum ist, sondern auch die Schaffung von Spekulationsgütern. Space Mining und die kommerzielle Erschließung des Weltraums erlauben nun die Spekulation in den Weltraum zu tragen und neue Räume der Kapitalakkumulation zu eröffnen. Fiktionale Werte auf dem Mond, dem Mars oder auf Asteroiden können als Aktien, Versicherungen, Derivate und Wetten auf zukünftige Werte gehandelt werden. Die radikale Fiktionalität und Größe der Projekte macht es zudem möglich, dass (wie beim Fusionsreaktor ITER) die Investitionen über Jahrzehnte fließen können, ohne dass wirklich ein Return on Invest folgen muss. Der Weltraum kann damit zum idealen Projektionsraum für „Werte“ werden, die in der „Realität“ keineswegs (oder noch lange nicht) existieren müssen und die trotz allem eine ganze Industrie und ein Eco-System an Wissenschaftlern, Ingenieuren und Beratern unterhalten können.
Die perfekte Welle
Für Luxemburg kommt dieses Projekt zu einem fast magischen Zeitpunkt. Wie ein Surfer, der eine perfekte Welle erwischt, verspricht diese Initiative das Land weit zu tragen. Luxemburg kann auf einen Schlag alle seine Karten spielen lassen: die industrielle Vergangenheit mit Stahlindustrie und Bergbau, die Erfahrungen im Satelliten- und Kommunikations-geschäft, eine gewisse Skrupellosigkeit in der Einrichtung spezieller Rechtsnischen, die erfolgten Investitionen in die digitale Infrastruktur und schließlich das Umfeld eines dynamischen Finanzplatzes. Die Initiative kommt auch aus anderen Gründen zum richtigen Zeitpunkt. Das frühere europäische Musterland hatte in den letzten 15 Jahren viel Sympathiekapital insbesondere bei seinen Nachbarn verloren und stand unter enormem öffentlichen Druck. Die zum Teil erzwungenen, zum Teil aber vom Finanzminister offensiv angegangenen Neuausrichtungen des Finanzplatzes hätten alleine das Land jedoch nie aus der Defensivhaltung herausholen können. Auch der Wissenschafts- und Technologiestandort Belval, der seit zehn Jahren für das „neue Luxemburg“ herhalten muss, war schon alleine wegen seiner geringen Masse nicht in der Lage, Finanzgeschäfte aus dem Bewusstsein zu verdrängen, die zwar meistens legal, zum Teil aber von der Weltöffentlichkeit als moralisch verwerflich angesehen werden. Und so durfte jeder Luxemburger im Auslandsurlaub erfahren, wie es sich anfühlt, aus einem Land zu stammen, das als Parasit der Parasiten gilt. Dieses Bild gerät jetzt in Bewegung. Luxemburg ist seit einem Jahr weltweit in den Medien, und staunend wird über das kleine Großherzogtum berichtet. Atossa Abrahamian, die für The Guardian zu dem Thema berichtet hat, schreibt von einem „change of conversation“. Das darf man sich ganz konkret vorstellen: Im Ausland wird man Sie möglicherweise in Zukunft nicht nach Luxleaks befragen, sondern nach Space Mining. Damit Sie vorbereitet sind, finden Sie dazu auf den folgenden Seiten einige sehr spannende Beiträge.
Überblick
Die Motivation der forum-Redaktion, sich mit dem Thema Space Resources auseinanderzusetzen, entsprang dem Wunsch, überhaupt einmal zu verstehen, worum es geht. Wie kam die luxemburgische Regierung dazu, ein solch abenteuerliches Unterfangen zu initiieren? Was waren ihre Ambitionen, wie ist sie vorgegangen, welche juristischen Schwierigkeiten stellen sich? Das Interview mit Wirtschaftsminister Etienne Schneider bietet einen ersten Eindruck. Schneider ist von einem mitreißenden, ganz und gar un-europäischen Optimismus. Irgendwann muss er gesehen haben, dass die kommerzielle Erschließung des Weltraumes ein Zug ist, auf den man heute auch als kleines Land noch aufspringen kann und dass alles andere sich im Zweifel finden wird. Zur Intuition auf Seiten des Wirtschaftsministers gesellt sich die Arbeit einer kleinen Verwaltung, die bemüht sein muss, dem Projekt, während es voranschreitet, einen Rahmen zu geben. Wir haben auf der Grundlage von Informationen aus dem Ministerium versucht, diese Arbeit im Hintergrund schematisch zu dokumentieren und aufzulisten, auf welchen Ebenen parallel gearbeitet wird. Den Graphikern Laurent Schmit und Alain Welter gebührt ein großes Dankeschön dafür, dass sie diese Dokumentation in eine ansprechende und lesbare Form gebracht haben!
Der Beitrag von Professor Lorenzo Gradoni, Jurist und Forscher am hiesigen Max Planck Institut für internationales Recht, gibt einen wunderbaren Einblick in die juristischen Fallstricke des Unternehmens. Als Leser dürfen Sie diesen Text leider nicht auslassen, auch wenn Sie die eventuell vorhandenen Parallelen zwischen dem internationalen Meeresrecht und dem Weltraumrecht auf den ersten Blick wenig interessieren mögen. Es ist einfach spannend zu sehen, was alles seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts diskutiert wurde, für den Fall, dass wir eines Tages außer-atmosphärische Reichtümer erschließen!
Dass die Space-Industrie Geld verdient und an sehr konkreten Geschäftsmodellen arbeitet, zeigt uns der Luxemburger Ingenieur Roland Loos, der in der Schweiz als Innovationsberater und Business Angel tätig ist. Sein Beitrag zählt auf, welche Dienstleistungen schon heute aus dem Orbit erbracht werden und was alles noch so in der Pipeline steckt. Von Marsmissionen über die Säuberung des Alls, der unternehmerischen Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Noch handfester ist der Beitrag von Jean Lamesch, der einige grundlegende Bedingungen nennt, unter denen Space Mining funktionieren muss. Neben Zeit und Raum gibt es enorme technische und physikalische Hindernisse zu überwinden. Jean Lameschs Überlegungen lassen schwindeln, aber am Ende öffnet er in seinem Text eine überraschend optimistische Perspektive.
Raymond Klein, politischer Journalist bei der Woxx und Science-Fiction-Kenner, nimmt den Leser in seinem Beitrag mit ins Jahr 2157. Die Unterhaltung zweier Freunde über das Für und Wider der Besiedelung weiterer Sonnensysteme erinnert an die Fragen, die sich die Menschheit heute stellen müsste: Sollte sie, bevor sie einige von uns ins All schickt, um dort neue Biosphären in ariden Verhältnissen zu errichten, nicht besser alles versuchen, um den Reichtum und die Lebensgrundlagen der vorhandene Biosphäre zu erhalten?
Das Dossier endet mit einem Interview mit der amerikanischen Journalistin Atossa Abrahamian, die vor einigen Wochen im Guardian eine ausführliche Reportage über Luxemburg und seine Weltraumambitionen publiziert hat. Der auf Internet verfügbare Text (wir bringen einige Auszüge) ist eine Gesamtdarstellung unseres Landes, seiner Vergangenheit und seiner zukünftigen Chancen. Auch hier wollten wir einfach nur verstehen, wie so ein Werk entsteht, und die Antworten haben uns nicht enttäuscht…
JST
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