- Gesellschaft
Hate Speech 4.0
Ursachen und Lösungsvorschläge
Bereits ein kurzer Ausflug in die Kommentarspalten der Online-Präsenzen luxemburgischer Medien sowie einschlägiger Facebook-Sammelbecken für rechtes Gedankengut aus dem Großherzogtum kommt – frei nach Nietzsche – dem Blick in den Abgrund gleich. Seit einigen Jahren findet sich hier vermehrt vor Menschenverachtung und Ignoranz nur so strotzender hate speech – also mittels verschiedener Ausdrucksformen dargebrachte Aussagen, die zu Rassismus, Ausländer-, Islam- und Homosexuellenfeindlichkeit, Antisemitismus sowie allen anderen Variationen von Hass gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen aufrufen.
Hate speech im Internet hat nicht nur gravierende Folgen für die mentale Gesundheit der betroffenen Bevölkerungsgruppen, sondern führt auch zu einer Verrohung des öffentlichen Diskurses über Themen, die besagte Gruppen betreffen, wie beispielsweise die Flüchtlingskrise. Folglich werden die Hemmschwellen für tatsächlich gewalttätiges Verhalten niedriger gelegt, wie der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch anmerkt. Ihm zufolge verbreitet hate speech nämlich nicht nur Hass, sondern festigt auch auf Letzterem fußende „Denkmodelle“. Diese können wiederum in systematischer Diskriminierung und – als äußerste Konsequenz –sogar im Ruf nach der „Zerstörung“ jener Bevölkerungsgruppen, gegen welche die Hetze sich richtet, resultieren.1
Auf digitalem Wege verbreitete Hassreden sind also ein ernstzunehmendes gesellschaftliches Problem. Das scheint auch die luxemburgische Justiz erkannt zu haben, welche in letzter Zeit immer öfter Menschen, die im Internet Hass verbreiten, zu Geld- und Haftstrafen verurteilt. So auch im Oktober 2016, als ein 47-jähriger Mann unter anderem dafür, dass er auf Facebook Geflüchtete als „Asyl-/Ausländer-Gesindel“ bezeichnet hatte, eine neunmonatige Bewährungsstrafe erhielt.2 Spezifisch auf hate speech im Internet zugeschnittene Gesetze gibt es (noch) nicht. Stattdessen wird oft Bezug auf Art. 457-1 (Loi du 28 novembre 2006) des Strafgesetzbuchs genommen, welcher Aufruf zu Hass und Gewalt gegenüber physischen Personen aufgrund deren Herkunft, Hautfarbe, Sexualität usw. unter Strafe stellt.3
Die in Luxemburg vermehrt gegen hate speech gefällten Urteile gelten bereits als wichtiges Zeichen dafür, dass solcherlei Aussagen nicht mit den Grundsätzen einer auf demokratischen Prozessen fundierten Gesellschaft vereinbar sind. Sie zeigen, dass auch im Internet die üblichen Bedingungen für ein friedliches und respektvolles Miteinander nicht ignoriert werden können. Damit werden aber letztendlich nur die Symptome dieses ernstzunehmenden Problems bekämpft. Um dem Ganzen langfristig wirkende Lösungsansätze entgegensetzen zu können, bedarf es vor allem der grundlegenden Analyse der Ursachen, die dazu führen, dass Menschen solche Inhalte auf luxemburgischen Internet- und Facebookseiten posten.
Sozio-ökonomische und politische Ursachen
Hassreden im Netz fußen auf bereits im physischen Raum existierenden „Macht- und Diskriminierungsstrukturen“4. Deshalb lässt sich der im digitalen Raum in massiven Ausmaßen auftretende hate speech teilweise auf die gleichen Ursachen, die in letzter Zeit auch in der realen Welt vermehrt Rassismus, Ausländer- und Islamfeindlichkeit sowie andere menschenverachtende Ansichten hervorrufen, zurückführen.
Ein wichtiger Faktor in dieser Hinsicht ist zunächst einmal der sozio-ökonomische. Wie aus dem jüngsten Jahresbericht der European Commission against Racism and Intolerance (ECRI) hervorgeht,5 liegt der Grund für das rezente Erstarken von xenophoben und rassistischen Einstellungen in ganz Europa im Angesicht der seit 2015 andauernden Flüchtlingskrise nämlich unter anderem in Austeritätsprogrammen und den damit verbundenen Kürzungen, beispielsweise bei Sozialleistungen. Durch Letztere werden nämlich marginalisierte Gesellschaftsgruppen – in diesem Falle vor allem Geflüchtete und Einheimische mit geringem oder gar keinem Einkommen – gegeneinander ausgespielt. Der hierbei entstehende Sozialneid spielt aber nicht nur bei den „Abgehängten“ am Rande der Gesellschaften eine wichtige Rolle für das Entstehen ausländerfeindlicher Einstellungen, sondern auch bei Menschen aus dem bürgerlichen Milieu. Diese wollen partout nicht einsehen, dass Geflüchtete genauso ein Recht auf staatliche Unterstützung haben wie der Rest der Bevölkerung, selbst wenn sie nicht arbeiten (was sie sowieso erst nach längerem Aufenthalt tun können).
Dazu kommt dann noch Machtlosigkeit im Angesicht einer komplexen weltpolitischen Situation, ergo der eng mit dem sozio-ökonomischen verzahnte politische Faktor, der z.B. xenophobe Ansichten verstärkt. Aus der Überforderung im Angesicht unserer unübersichtlich gewordenen Welt resultiert nämlich die Sehnsucht nach einfachen Antworten. Das sorgt wiederum für eine größere Anfälligkeit für von rechtspopulistischen und -extremen Demagog*innen verbreitete Narrativen – wie zum Beispiel jene, dass Geflüchtete angeblich die alleinige Schuld an allen möglichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemen tragen.6 Dadurch werden zusätzlich bereits durch Erziehung und/oder das soziale Umfeld internalisierte, irrationale Ressentiments gegenüber diesen Gruppen legitimiert. In Kombination mit den anderen genannten Faktoren führen diese dann vermehrt zu genau jenen Einstellungen, die auch Hassreden hervorrufen.
Das hate speech gebärende Zusammenspiel dieser Aspekte lässt sich nun auch im luxemburgischen Teil des Internets und sozialer Netzwerke beobachten – so auch auf der Facebook-Seite „Ech hunn mäin Lëtzebuerg gären“, welche bereits seit Längerem unter dem Deckmantel patriotischer Liebesbekundungen an Luxemburg Hass gegen Geflüchtete und Ausländer schürt. Am 6. November 2016 etwa teilte die Seite einen RTL-Artikel über einen in der Luxexpo untergebrachten Geflüchteten, der einen Protest initiierte, der sich gegen das Essen dort richtete.7 Wie vom Administrator der Seite – der selbst die sofortige Ausweisung der Geflüchteten forderte –intendiert, rief der Beitrag eine ganze Reihe von vor Sozialneid und Ressentiments nur so triefende Hasskommentare hervor, in denen Menschen sich über die angeblich so undankbaren Geflüchteten echauffierten. So bezeichnete eine gewisse „Knebeler Sonja“ die Geflüchteten als „Dreckspack“, während ein Nutzer namens „Henri Lucas“ meinte: „Nachhause und zwar schnell mit dem Abschaum“. Von Letzterem lässt sich übrigens noch unter einem anderen Beitrag auf der Seite ein Kommentar finden, in welchem er fordert, dass man Geflüchtete gefälligst „abknallen“ solle – was der Administrator der Seite gleich mit einem Like quittiert hat.
Favorisierende Umstände für die Verbreitung von hate speech
Hass im digitalen Raum entsteht also nicht primär im Internet und den sozialen Netzwerken selbst – dafür lassen sich in deren Spezifika aber die Ursachen für die massenhafte Verbreitung von Online-hate speech finden.
Zuerst gilt es die – zumindest hypothetisch – durch das Internet gewährleistete Anonymität als eines der maßgeblichen Kriterien, die Hassreden befördern, zu erwähnen. Denn immerhin sinkt die Hemmschwelle, Aussagen von sich zu geben, für die man sogar strafrechtlich belangt werden könnte, drastisch, wenn man nicht mit der eigenen Person dafür bürgen muss. Zur Erklärung der Verbreitung von hate speech im Internet reicht Anonymität aber definitiv nicht aus. In sozialen Netzwerken wie Facebook ist diese nämlich überhaupt nicht gegeben, da Menschen sich unter ihrem echten Vor- und Nachnamen anmelden müssen – außer man verwendet Fake Accounts oder ein Pseudonym. Trotzdem quillt die Seite geradezu vor hate speech über. Eine mögliche Erklärung besteht darin, dass noch immer – wie überall im Internet – die physische Distanz zwischen den Diskursteilnehmer*innen gewährleistet ist. Den eigenen Hass aus der sicheren Entfernung im virtuellen Raum hinauszuposaunen, erfordert nämlich weitaus weniger Überwindung als einem anderen Menschen oder gar einer ganzen Gruppe im direkten Gespräch seine menschenverachtenden Ansichten ins Gesicht zu brüllen. Dazu realisieren viele Menschen, die auf Facebook Hasskommentare posten, oftmals gar nicht, dass es sich bei dem sozialen Netzwerk nicht um einen privaten, sondern öffentlichen Raum handelt – weswegen sie auch genau die Botschaften von sich geben, die sie sich sonst nur im engen Kreis von sich zu geben trauen würden.
Eine weitere Ursache für die Verbreitung von hate speech, speziell auf Facebook, ist die Plattform selbst. Das Unternehmen hat mittlerweile angekündigt, stärker gegen hate speech vorgehen zu wollen – unter anderem kümmert sich inzwischen ein eigens zu diesem Zweck eingerichtetes Team in Berlin um Beiträge aus dem deutschsprachigen Raum.8 Die Verantwortlichen kommen der Bearbeitung der Masse an Meldungen von zu Hass aufstachelnden Inhalten jedoch nicht hinterher, da Letztere allesamt manuell überprüft werden müssen. Und selbst wenn Seiten und Beiträge dann einmal geprüft worden sind, werden viele von ihnen – auch wenn sie ganz klar gegen die Gemeinschaftsstandards der Plattform verstoßen – aufgrund von Land zu Land variierenden Gesetzeslagen hinsichtlich Hassreden sowie undurchsichtigen Facebook-internen Richtlinien letztendlich doch nicht gelöscht und einfach so stehen gelassen. Die Aufgabe, hate speech zu vereiteln, fällt dementsprechend allzu oft den Betreiber*innen von Facebook-Seiten selbst zu. Auf vielen Facebook-Präsenzen luxemburgischer Medien – wie etwa RTL oder dem Luxemburger Wort – besteht nun aber das Problem, dass es dort oftmals keine Moderator*innen gibt, die bei Hasskommentaren einschreiten, um sie zu widerlegen oder zu löschen. Das müssen daher die Nutzer*innen selbst tun. Wenn dies nicht passiert, entfalten die Hasskommentare ungestört ihre volle Wirkung, was wiederum umso mehr Leute dazu anregt, ihrem eigenen Hass freien Lauf zu lassen.
Lösungsvorschläge gegen hate speech im Internet
Die soeben erläuterten Faktoren, die hate speech hervorrufen, erheben nun natürlich keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Sie sollen sie eine Erklärung, aber auf gar keinen Fall eine Rechtfertigung für dieses Verhalten darstellen. Das Argument, dass Menschen aus sozio-ökonomischer Not heraus zu rassistischen Verhaltensweisen „getrieben“ werden, wird nämlich alleine schon dadurch entkräftet, dass es auch genügend Menschen in sozial und finanziell überaus prekären Situationen gibt, die nicht solchem menschenfeindlichen Verhalten anheim fallen. Letztendlich verfügt nämlich jede*r, ungeachtet seiner oder ihrer sozialen oder finanziellen Situation, noch immer über die Freiheit darüber zu entscheiden, ob er oder sie einen hasserfüllten Kommentar abschickt oder nicht. Stellt man dies aber infrage, so entzieht man den Menschen, die hate speech verbreiten, auch die Verantwortung für ihr Handeln. Dies ist wiederum sehr gefährlich, da diese Einstellung den Eindruck erweckt, dass die Entwicklung hin zu einem Hass verbreitenden Pöbler im Internet eine alles auf ihrem Weg niederreißende Naturkraft wäre, auf die man keinen Einfluss hat. Dabei ist sie sehr wohl aufzuhalten.
Die Ursachen für hate speech im Internet deuten darauf hin, was unternommen werden kann, damit dem Ganzen gleichermaßen akut als auch langfristig Einhalt geboten werden kann. Um den sozio-ökonomischen Faktoren entgegenzuwirken, bedarf es, wie Elisabeth Neujahr in ihrem sehr lesenswerten Artikel „Fünf Ideen gegen Sozialneid“ auf ZEIT Online vorschlägt, beispielsweise Maßnahmen, die gleichermaßen die sozioökonomische Situation von Geflüchteten als auch Einheimischen verbessern. Dies würde ein starkes politisches Plädoyer für mehr Solidarität untereinander darstellen.9 Natürlich helfen soziale und finanzielle Absicherung alleine nicht gegen ausländerfeindliche Einstellungen und hate speech. Dafür bedarf es auch einer besseren politischen Bildung, die Skepsis gegenüber Populismus fördert und auf Diskriminierungsstrukturen aufmerksam macht. Die rezente Etablierung des Zentrums für politische Bildung in Luxemburg ist bereits ein guter Anfang hierfür.10 Dazu müssten insbesondere die luxemburgischen Medienhäuser dringend Moderator*innen auf ihren Facebookseiten, die auf die Community-Guidelines hinweisen und counter speech11 liefern, einstellen. Ihre Aufgabe wäre es auch, all den Nutzer*innen, die sich bereits gegen den hate speech auflehnen, unter die Arme zu greifen und der Menschenverachtung in den Kommentarspalten eine humanistische Narrative entgegenzustellen. Denn so sehr auch der Blick in den Abgrund der Kommentarspalten dafür sorgt, dass – wieder frei nach Nietzsche – der Abgrund in uns hineinblickt und all diese furchtbaren Seiten in uns Menschen offenlegt: Wir alle tragen noch immer genügend Schönheit in uns, die wir unbedingt, auch wenn es oft mühselig ist, den hässlichen Aspekten entgegenstellen sollten.
[1] Anatol Stefanowitsch, Was ist überhaupt Hate Speech? [http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/hatespeech/was-ist-ueberhaupt-hate-speech/]
[2] http://www.lessentiel.lu/de/luxemburg/story/ Mann-wegen-Hetz-Post-auf-Facebook-verurteilt-29577583
[3] https://stopline.bee-secure.lu/index. php?id=17&L=2
[4] AJS, LfM & Co., Hate Speech – Hass im Netz. Informationen für Fachkräfte und Eltern. [http://lfmpublikationen.lfm-nrw.de/index. php?view=product_detail&product_id=442]
[5] European Commission against Racism and Intole- rance, Annual Report on ECRI’s activities covering the period from 1 January to 31 December 2015. [https:// www.coe.int/t/dghl/monitoring/ecri/activities/ Annual_Reports/Annual%20report%202015.pdf]
[6] Florian Klenk, Boris wollte mich verbrennen. [https://cms.falter.at/falter/2016/11/08/ boris-wollte-mich-verbrennen/]
[7] http://menggemeng.rtl.lu/letzebuerg/lokal/ gemeng/luxembourg/news/238149.html
[8] http://www.taz.de/!5315544/
[9] Elisabeth Niejahr, Fünf Ideen gegen Sozialneid. [http://www.zeit.de/2015/39/ fluechtlinge-arbeit-sozialneid]
[10] http://www.wort.lu/de/politik/startschuss-fuer- unabhaengige-stiftung-regierung-stellt-zentrum-fuer-politische-bildung-vor-57ffb6c25061e01abe83a49b]
[11] https://no-hate-speech.de/de/wissen/was-ist-counter-speech/
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