Henri oder der Schatten Marie Adelheids

Ein jeder, der in Luxemburg lebt und sich als Mensch und Bürger mit der Politik und der Geschichte des Landes auseinandergesetzt hat, hat irgendwann versuchen müssen, seine Beziehung zum politischen System des Landes zu klären. Aber einfach ist das nicht, allein schon aufgrund der hybriden Bestimmungen in der zurzeit gültigen Verfassung.

In Art. 1 heißt es: „Das Großherzogtum Luxemburg ist ein demokratischer, freier, unabhängiger und unteilbarer Staat.“ In Art. 3 liest man dann: „Die Krone des Großherzogtums ist erblich in der Familie Nassau, und zwar in Gemäßheit des Vertrages vom 30. Juni 1783, des Art. 71 des Wiener Traktats vom 9. Juni 1815 und des Londoner Vertrags vom 11. Mai 1867.“ Dieser Artikel ist allein schon deshalb obsolet, weil der Nassauer Erbvertrag von 1783 stricto sensu seit 1890 nicht mehr angewandt und dann 2010 und 2012 vom regierenden Großherzog Henri unilateral abgeändert wurde. In Art. 33 der Verfassung heißt es dann: „Der Großherzog ist Staatsoberhaupt, Symbol der Einheit und Garant der nationalen Unabhängigkeit. Er übt die vollziehende Gewalt in Übereinstimmung mit der Verfassung und den Gesetzen aus.“ Und in Art. 51 wird das Land als „eine parlamentarische Demokratie“ definiert. In der ganzen Verfassung gibt es keinen expliziten Verweis auf die Monarchie. Der Begriff des Monarchen, den es einmal in der in Art. 5 festgehaltenen Eidformel bei der Thronbesteigung gab, ist seit 1983 aus der Verfassung gestrichen. Nirgends in der Verfassung steht, dass „Luxemburg (…) eine parlamentarische Demokratie in Form einer konstitutionellen Monarchie“ ist, wie es auf dem Internet­auftritt der Regierung behauptet wird, wenn auch die politische Praxis und der Common Sense eine solche Aussage nahelegen.1

Die Verfassungsreform wollte mit dieser und vielen anderen Unschlüssigkeiten aufräumen. Ein neuer Art. 2 sollte den Begriff der Monarchie zum ersten Mal explizit und formell in die Luxemburger Verfassung einführen: „Le Luxembourg est placé sous le régime de la démocratie parlementaire. Il a la forme d’une monarchie constitutionnelle.“2 Trotzdem, und das ist befremdlich, ist darüber nicht einmal eine größere öffentliche Diskussion entstanden. Denn nicht einmal beim Referendum von 1919 kam der Begriff „Monarchie“ vor. Die Stimmberechtigten hatten nämlich nicht zwischen Republik und Monarchie zu wählen, sondern zwischen Republik und drei dynastischen Varianten.

Nun ist diese Verfassungsreform 2019 gescheitert, und auch wenn es paradoxal scheint – denn sie sollte ja die Monarchie als solche explizit in der Verfassung verankern –, ist es kein Zufall, dass diese Reform durch die politischen Parteien CSV und ADR verhindert wurde. Denn der Widerspruch zwischen politischer Praxis und geschriebenem Gesetz, überhaupt, die Freiheiten, die man sich mit dem Geschriebenem nimmt, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der vom ländlichen Milieu geprägten Alteingesessenen auf dem Territorium, das seit dem Wiener Kongress 1815 der Staat „Großherzogtum Luxemburg“ ist. CSV und ADR sind die beiden Parteien, die noch am stärksten in den ländlichen und traditionellen Milieus verwurzelt sind, in denen dieses Bewusstsein der Alteingesessenheit vorherrscht. In diesen Milieus verbindet sich eine tief sitzende Angst vor dem Verlust des Behäbigen, Üblichen und des angestammten sozialen Status mit der affektiv-symbolischen Verehrung der Dynastie Luxemburg-Nassau sowie einem tiefen Misstrauen gegenüber verschriftlichten politischen Rahmenbedingungen als Vektor einer bedrohlichen Zeitentwicklung.

Dieser Habitus des Luxembourg profond manifestiert sich im 21. Jahrhundert in dem ewigen Vertagen einer umfassenden und im modernen Sinne verbindlichen Verfassungsreform, wie wir es auf eine besonders prägnante Art und Weise seit Beginn der Legislaturperiode 2018-2023 erleben. Dass der bei der Verfassungsreform schriftführende CSV-Abgeordnete, der bedeutende und vorausschauende Jurist Paul-Henri Meyers, von seiner Partei 2018 nicht mehr für die Wahlen aufgestellt wurde, spricht Bände. Zugebenermaßen ist man historisch und praktisch lange gut gefahren mit einer Verfassung, die nach den ins politische Chaos ausartenden Versuchen von Marie Adelheid, zwischen 1912 und 1919 gegen das per Zensuswahlrecht gewählte Parlament zu regieren, kein großherzogliches Staatsoberhaupt, was seine Befugnisse und Vorrechte anbelangt, vernünftigerweise und in Ermangelung klarerer Texte wortwörtlich angewandt haben wollte. Und doch fühlte man sich nie richtig wohl mit einer Verfassung, die in 100 Jahren nicht weniger als 34 Mal abgeändert wurde, davon, nicht zufällig gleichzeitig mit der geschichtlichen Beschleunigung, 23 Mal allein in den letzten 31 Jahren.

2008

Die letzte, tief in den Wortlaut der Befugnisse des Großherzogs eingreifende Verfassungsnovelle ist dem Staatschef selbst zu verdanken. Im Dezember 2008 kündigte Henri an, das Euthanasiegesetz aus Gewissensgründen nicht unterschreiben zu wollen, weil er es dadurch nach dem Wortlaut der Verfassung nicht nur verkünden, sondern auch inhaltlich bestätigen und aus seiner Perspektive so billigen würde. Damals boten sich zwei Lösungen an: Der Großherzog besteht auf sein Vorrecht, die Regierung legt ihr Amt nieder, und es kommt – mit der Frage der Euthanasie und der Monarchie im Fokus – zu Neuwahlen, was niemand wollte, oder aber man findet eine konstitutionelle Lösung. Und man fand eine Einigung, in nur wenigen Tagen. Der Großherzog räumte bei seiner Weihnachtsansprache ein, dass es „einem Einzelnen“ nicht zustehe, „die Entscheidungen der Volksvertretung in Frage zu stellen“, und dass allein die Abgeordnetenkammer die Gesetze stimme. Die Verfassung wurde dahingehend abgeändert, dass der Großherzog fortan die Gesetze nur mehr unterschreiben und damit in Kraft setzen, nicht mehr aber damit bestätigen und implizit billigen werde.

Hauschef

Aber man soll wegen dieser notgedrungenen Einsichtigkeit in dieser Krise nicht glauben, dass Großherzog Henri eine allseits hehre, gütige, selbstlose und immer einsichtige Person sei, wie sie in seinen seltenen öffentlichen Auftritten und Reden sowie in den um den Hof herum aufgebauten Narrativen und in der großherzoglichen Ikonographie inszeniert wird. Der Großherzog ist Staatsoberhaupt sowie Oberhaupt seines Hauses und seiner Familie, des Hauses und der Familie Luxemburg-Nassau. Diese ist nach den Regeln des Nassauischen Erbvereins von 1783 aufgestellt. Der Großherzog änderte diesen Vertrag eigenmächtig in seiner Rolle als Hauschef 20103 und 20124 ab, ganz nach feudaler Fürstenrechtsmanier5, aber doch mit der zeitgemäßen Absicht, eine diskriminierende Klausel bei der Regelung der Thronfolge aufzuheben. Erst auf Drängen der Regierung ließ er sie im Mémorial veröffentlichen, aber die Verfassung, u. a. Art. 3, wurde nicht angepasst. Hier wurde eins deutlich. Die beiden Rollen des Staatschefs und des Hauschefs der Luxemburg-Nassauer hängen zusammen. Aber wegen der Eigenmächtigkeiten, die dem Hauschef eingeräumt sind, bergen sie das Potenzial divergierender Interessenlagen bzw. -vermischungen zwischen staatlichen Pflichten und familiären Angelegenheiten, zumal letztere sich auf die erweiterten Tätigkeiten und Geschäfte von Familienmitgliedern erstrecken können. An Beispielen fehlt es nicht während des 20-jährigen Regnums von Henri, wo es bei der Bevölkerung immer wieder zu Irritationen kam wegen des Agierens der Luxemburg-­Nassauer in Bereichen, in denen die Grenzen zwischen öffentlichen und familiären Angelegenheiten sich nicht klar genug ziehen ließen.6

Maison du Grand-Duc

Weil diese Vermischungen zu einem immer sichtbareren und bizarreren Skandalon wurden, in dessen Mittelpunkt die Ehefrau des Großherzogs stand, konnte die Regierung nicht länger zusehen. Im August 2019 ernannte sie Jeannot Waringo, den ehemaligen Direktor der Inspection des Finances, zum Sonderbeauftragten des Regierungschefs, mit dem Auftrag, die Funktionsweise des Hofes zu analysieren und Vorschläge zu seiner Reform zu formulieren. Trotz aller Behinderungsversuche der Mission Waringos geschah dies im Februar 2020.7 Nach starken personellen Veränderungen an der Spitze der Verwaltung der großherzoglichen Güter und der eigentlichen Hofverwaltung soll nun eine Reform des Hofes per großherzogliche Verordnung umgesetzt werden. Die bedeutet nichts anders, als dass das Staatsministerium die Kontrolle über den Hof übernimmt. Dies geschieht einerseits über den Weg der Schaffung einer mit über 17 Millionen Euro hochdotierten Maison du Grand-Duc – im Haushalt 2021 70 % mehr als der Hof bisher erhielt, aber bei einer anvisierten durchsichtigeren Buchhaltung. Andererseits wurden alle Schlüsselpositionen am Hof durch Vertraute des Premierministers besetzt, von denen einige der DP nahestehen.

Diesen Vorgang hat Christoph Bumb im August 2020 treffend als „Liberalisierung der Monarchie“8 bezeichnet. Dies erklärt wiederum, warum sich die CSV und die ADR nicht nur als Nostalgiker eines „vieux Luxembourg“, das es nicht mehr gibt, in der laufenden Debatte über die Reform von Verfassung und Monarchie dermaßen ins Zeug legen. Sie stören sich besonders an zwei Streitpunkten. Der schon länger schwelende wurde neulich in einer Fernsehrunde9 bei RTL wieder vom CSV-Abgeordneten Léon Gloden erwähnt: dass in dem inzwischen hinfälligen Text einer umfassenden Verfassungsreform der Großherzog nicht oft genug als ein solcher bezeichnet werde, hingegen zu oft mit dem generischen, eventuell auch auf einen Nicht-Großherzog übertragbaren Begriff „Staatsoberhaupt“. In der Tat wird im 3. Kapitel der gescheiterten Verfassungsreform, das vom Großherzog handelt, in der ersten, dem Staatschef und seinen Befugnissen gewidmeten Sektion der Großherzog nur einmal als „Großherzog“ erwähnt. Dennoch ist ständig klar, dass der Großherzog und der Staatschef dieselbe Person sind. Dann aber, in der Sektion über die konstitutionelle Monarchie, die der Thronfolge und -vakanzfragen gewidmet ist, wird der Großherzog mehr als 20 Mal als ein solcher bezeichnet. Zweitens stören CSV und ADR sich daran, dass die Maison du Grand-Duc nicht über ein Gesetz, sondern über eine großherzogliche Verordnung geschaffen wird, obschon es durchaus üblich ist, dass die Regierung neue Verwaltungen, und die Maison du Grand-Duc soll eine solche sein, nicht über ein neues Gesetz etablieren muss.

Rückzugsgefechte

Das Projekt Maison du Grand-Duc, das der Regierung, und besonders dem liberalen Premier, sehr wichtig ist, hat zu einer Kraftprobe zwischen Xavier Bettel und dem Großherzog geführt: Das wurde während der Sendung Kloertext am 17. Oktober 2020 bei RTL sehr deutlich.10 Bettel bekannte sich mit Nachdruck zu einer Monarchie, die über der Politik stehe und die es durch neugeordnete Verhältnisse zu stärken gelte, damit das Land gut durch sie vertreten sei. Erst eine Minute vor Sendeschluss bejahte er die Frage, ob es denkbar gewesen sei, dass der Großherzog die Verordnung zur Maison du Grand-Duc nicht hätte unterschreiben können. Bettel fügte hinzu: „Dann hätte es eine institutionelle Krise gegeben“. Der Großherzog hatte also nachgeben müssen.

In diesem Zusammenhang ist das Interview vom Großherzog zu sehen, das vom Luxemburger Wort am 7. Oktober veröffentlicht wurde und – PR-Aktion des angeschlagenen Großherzogs oder des angeschlagenen Wort, oder beides? – gratis an alle Haushalte in Luxemburg verteilt wurde. Es ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass Henri, Staatsoberhaupt und Chef eines Hauses, dessen Wurzeln bis ins 11. Jahrhundert hineinreichen und dessen Vertreterin Charlotte 1919 qua Referendum von den damaligen Luxemburgern mit 77,8 % in ihrem Amt bestätigt wurde, im Geiste seiner aus einer Kriegerkaste hervorgegangenen Ahnen das Feld nie kampflos geräumt hat.11

So erklärt er darin ganz politisch: „Die Monarchie ist ein System. So lange die Luxemburger diese Staatsform wollen, behalten wir sie.“ (Hervorhebungen des Autors) Das wirft mehrere Fragen auf. Ist Luxemburg nur praktisch, aber nicht rein verfassungsmäßig eine Monarchie? Und wer ist „wir“? Er, im Pluralis Majestatis? Da er sich im Interview wiederholt in der Ich-Form ausdrückt, meint er sich hier wohl nicht. Wen dann? Die Gemeinschaft der Luxemburger, zu der er sich zählt? Schon eher. Was aber heißt hier „wollen“? Wie könnte sich dieser Wille aller Bürger zur Monarchie ausdrücken? Henri hat eine Antwort: „Sollte das System von der Bevölkerung als nicht mehr zeitgemäß empfunden werden, muss demokratisch über eine neue Staatsform entschieden werden.“ Also qua Referendum, back to the origins, back to 1919! Henri wirft damit seinen Handschuh in die politische Arena, auch wenn keiner ihn bis jetzt aufgenommen hat. Wie die Herausforderung eines tief Gekränkten klingt auch ein anderer Satz: „Mir ist keineswegs daran gelegen, die Monarchie unter allen Umständen zu verteidigen.“

Nachdem er sein Verständnis für eine Debatte über die Monarchie geäußert hat, geht er zu ihrer Verteidigung über: „Der Vorteil einer Monarchie ist, dass sie Stabilität bietet. Der Großherzog ist normalerweise für längere Zeit im Amt. In einem Präsidialsystem steht das Staatsoberhaupt ständig unter Druck.“ Und dann: „Mit der Stabilität geht eine gewisse Kontinuität einher. Der Erbprinz wird auf seine Rolle als Staatschef vorbereitet. Das erleichtert die Akzeptanz.“

Hier muss jedes Wort auf dieselbe Waage gelegt werden, wie es ihr Urheber während dieses in Aussage und Länge außergewöhnlichen, wenn nicht einmaligen Interviews getan haben dürfte. Henri gibt uns zu verstehen, dass nicht-monarchische Systeme keine oder weniger Stabilität bieten, was in Paris und Berlin, wo man weiß, was große historische Erschütterungen wirklich bedeuten, amüsieren dürfte. Die Monarchien Belgien und Niederlande sind ihrerseits in den letzten Jahren nicht als Inbegriff politischer Stabilität aufgefallen. Er plädiert für eine lange Amtszeit, während in Europa und überhaupt in den lebendigen Demokratien die Tendenz eher in Richtung Begrenzung bis Reduzierung der langen Mandate gewählter Staatschefs geht. Er tut so, also ob es in nicht-monarchischen Staatssystemen keine Kontinuität gäbe. Kontinuität wovon? Des Staates, seiner vertraglichen Verpflichtungen oder der Politik? Staatsrechtlich und historisch halten die Aussagen des Großherzogs keiner Prüfung stand. Politisch sind sie ein Unding. Politik in einer parlamentarischen Demokratie, und Luxemburg ist laut Verfassung eine solche, kann nicht nur auf Kontinuität eingeschworen werden. Dynastische Kontinuität? Gewiss, zumal die Grundlage dieses Anspruches seit Juni 2002, als die Serie der Affären unter Henris Regentschaft mit einem Tabubruch, den öffent­lichen sehr persönlichen bis intimen Angriffen seiner Frau gegen Schwiegermutter Joséphine-Charlotte, ihren Anlauf nahm, historisch, politisch und verfassungsrechtlich stärker hinterfragt wird.

Notabene: Henri redet nicht von einer Republik als Alternative zur Dynastie, sondern von einem „Präsidialsystem“. Das Wort „Republik“ ist seit dem für die Dynastie triumphalen Ausgang des 1919er Referendums ein terminus ingratus bei Hofe. Ebenso ist dort jeder Versuch, die Vorgänge im 1. Weltkrieg, die zur Abdankung der Großherzogin Marie Adelheid und den Peripetien bis zum Referendum von 1919 geführt haben, auch mit autogra­phischen Dokumenten und Akten aus den Archiven der Dynastie zu dokumentieren, unerwünscht. Der frühere Hofbibliothekar Gaston Mannes und die Historikerin Josiane Weber haben solche Behinderungen der Forschung zu Marie Adelheid durch den Hof in ihren jeweiligen Veröffentlichungen glaubhaft und brillant zur Sprache gebracht: der eine literarisch und aus eigener Erfahrung im kulturhistorischen Tableau Der Abschied des Hofbibliothekars (2017), die andere historisch und auch aus eigener Erfahrung in der politischen Biografie Großherzogin Marie Adelheid (2019). Dennoch, Henri kämpft still weiter, zuweilen andere vorschickend, weil es sich so ziemt, immer einsamer, aber hartnäckig, um die Kontrolle über die Narrative seines Hauses, so unzeitgemäß dies sein mag, der gutgemeinten Mahnung seines geschassten Hofbibliothekars trotzend, „dabei müsse man eigentlich dort doch gerade aus den Erfahrungen der Vergangenheit erkannt haben, dass Obskurantismus nur Verzerrungen hervorbringen könnte.“12

Die Familie

So wie für die Monarchie kämpft Henri in seinem Interview auch für seine Befugnisse und die der Mitglieder seiner Familie. Dabei gehen Funktionalität und adlige Aura eine vorrationale, ja magische Mischung ein, wenn er sich als Großherzog bei Staatsvisiten in einer „Türöffner-Rolle“ sieht, weil er eben „als Großherzog im Ausland eine gewisse Sichtbarkeit“ hat, „die es ermöglicht, wichtige Wirtschaftsakteure zu treffen, den Standort Luxemburg darzustellen und auf Investitionsmöglichkeiten hinzuweisen.“

Aber Henri kann auch politisch fordernd werden. So will er, dass die Verfassungsreform ihm sein Mitspracherecht im Regierungsbildungsprozess belässt. Und er streicht ganz passend hervor: „In anderen Monarchien ist das nicht der Fall.“ Praktisch, wenn auch nach dem Wortlaut der Verfassung kein Monarch, lässt Henri als dynastisches Familienoberhaupt auch in Sachen Familie nicht locker: „Eines möchte ich jedoch betonen: Die Monarchie ist nicht der Großherzog allein. Der Staatschef und der Erbgroßherzog sind in der Verfassung vorgesehen. Aber zur Monarchie gehört nach meinem Verständnis auch die Familie des Großherzogs.“ Dazu gehören seine Kinder, die „Prinzen von Luxemburg“, die unentgeltlich Pflichten übernehmen, ansonsten „ihren Berufen im Ausland“ nachgehen. Auch der „Ehepartner des Großherzogs“ erfüllt „eine sehr wichtige, unterstützende Rolle“. Im Falle der Großherzogin Maria Teresa habe dies „unglaublich viel zum positiven Image des Landes“ beigetragen, meint Henri. Mag sein, aber dem innenpolitischen Image seiner Familie ist damit sicherlich nicht geholfen!

Das Ringen mit den Premiers

Erstaunlich sind die Beschönigungen, die Rückzugsgefechte, das Nachtragende in Henris Interview. So, wenn er von einer guten Beziehung zu den beiden Premierministern spricht, die bisher seine Regentschaft begleiteten. Das mag für Juncker bedingt stimmen, der allerdings von der Affäre um das Euthanasiegesetz zutiefst erschüttert war. Immerhin ergab sie sich aus dem Konflikt zwischen den religiösen Überzeugungen des Regenten und seinen verfassungsrechtlichen Verpflichtungen, sodass sich im Hintergrund der verdrängte und für Luxemburgs Stabilität immer noch verhängnisvolle Schatten Marie Adelheids erhob.13 Juncker, der sich immer schützend vor das Herrscherhaus gestellt hat14, musste schnell eine taugliche elegante Lösung finden, was denn auch durch positives Zuspielen von mehreren Seiten geschah.

Für Bettel gestaltete sich die Sache schwieriger, weil sich die Situation bei Hofe seit dem Antritt seiner Regierung von Jahr zu Jahr zuspitzte und noch verfahrener wurde. Obschon er durchgriff, musste auch er kurz vor der Veröffentlichung des Waringo-Berichts die Erfahrung machen, was es heißt, wenn Henri unvermittelt zuschlägt. Am 17. Januar hatte der Land-Journalist Pol Schock die Missstände am Hof so zusammengefasst: „Niemand habe noch Zugriff auf Maria Teresa – nicht das Personal, nicht der Hofmarschall, nicht der Großherzog. In anderen Worten: Die Großherzogin macht, was sie will.“15 Am 26. Januar veröffentlichte der Großherzog in einer großen PR-Aktion16 unter dem Motto „Firwat eng Frau attackéieren?“ einen Brief, in dem er seine Frau verteidigt. Weder der Premierminister noch das Hofmarschallsamt waren über diese Aktion informiert worden. Es handelte sich hier um einen Vertrauensbruch erster Güte, einen regelrechten politischen Hinterhalt, einen Bruch mit den gängigen aus der Verfassung hergeleiteten Umgangsregeln. Auf einem Flug nach Polen am nächsten Tag, wo sie gemeinsam an der Gedenkfeier zur Befreiung des KZs Auschwitz teilnehmen sollten, sprachen Henri und Bettel gemäß den Quellen des Land kein Wort miteinander.17

Im Wort-Interview findet Henri neun Monate später immer noch, „man hätte vielleicht auch einen anderen Weg gehen können“ als die Waringo-Mission, die von den Journalisten „externe Bestandsaufnahme“ genannt wird. Ohne mit der Wimper zu zucken, setzt der Großherzog noch einen drauf und sät erneut Zweifel und damit Zwietracht: „Ich arbeite seit 20 Jahren daran, den großherzoglichen Hof zu modernisieren und es gab dabei sehr starke Widerstände gegen Veränderungen.“ Widerstände bei wem und warum? Bei der Regierung? Am Hofe selbst? Und dort kann der Hauschef sich nicht durchsetzen? Verstörender hätte eine Botschaft nicht sein können.

Ans Abdanken aber will Henri trotz all dieser hausgemachten Widrigkeiten während seiner Regentschaft nie gedacht haben. Mit Rückzugsgefechten und Hinterhalten bestens vertraut, ist seine Antwort ganz betont die soldatische des Sprosses einer alten Krieger- und Fürstendynastie: „In einer Krise kann man nicht abdanken. Man würde ja aufgeben, das geht nicht. Es ist mir nie in den Sinn gekommen, mein Amt abzugeben. Das wäre so, als würde man die Waffen strecken.“ Kämpfe hat es also gegeben, und Kämpfe wird es weiterhin geben. Mit Henri und seinem Haus muss die Regierung mit weiteren Überraschungen rechnen.

  1. https://gouvernement.lu/de/systeme-politique.html, Hervorhebung im Original (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 22. Oktober 2020 aufgerufen).
  2. https://www.forum.lu/wp-content/uploads/2019/10/399_Constitution.pdf, Hervorhebung des Autors.
  3. http://legilux.public.lu/eli/etat/adm/dec/2010/09/16/n1/jo
  4. http://legilux.public.lu/eli/etat/adm/memorial/2012/51, besonders in Art. 24: „Soweit es die Sukzessionsordnung (Ziffer 1) betrifft, steht für den Fall des Ablebens oder der Abdankung eines regierenden Großherzogs das Recht der Thronfolge, unabhängig vom Geschlecht, dessen erstgeborenem Kinde zu. Diese Sukzessionsordnung findet erstmals Anwendung auf Unsere Deszendenz.“
  5. Siehe Luc Heuschling, „Le vol d’Icare du Fürstenrecht“, in: Lëtzebuerger Land vom 29. Juni 2012, S. 15.
  6. Dazu die gute Zusammenfassung von Luc Laboulle: „Adel ohne Furcht und Tadel“, in: Tageblatt vom 7. Oktober 2020, S. 4f.
  7. https://gouvernement.lu/fr/publications/rapport-etude-analyse/me/rapport-du-representant-special-du-premier-ministre-aupres-de-la-cour-grand-ducale.html
  8. https://www.reporter.lu/luxemburg-reform-der-monarchie-schluesselpositionen-am-hof-werden-neu-besetzt/
  9. https://www.rtl.lu/tele/kloertext/a/1591314.html
  10. https://www.rtl.lu/radio/background/a/1596060.html
  11. https://www.wort.lu/de/politik/grossherzog-henri-die-monarchie-bietet-stabilitaet-5f7cc151de135b9236a3cc5e
  12. Gaston Mannes, Der Abschied des Hofbibliothekars, Hildesheim, Georg Olms Verlag, 2017, S. 318.
  13. „Am Hof herrschte leider eine vollkommene Unkenntnis des Historischen. Auch heute noch erkannte man also an Höherer Stelle mögliche Parallelen zu den Zeiten der Großtante nicht.“ Ebd., S. 319.
  14. Siehe Jean-Claude Juncker im Tageblatt vom 15. Juni 2002 nach der Maria-Teresa-Joséphine-Charlotte-Affäre: „De Staatsminister ass ëmmer op der Säit vum Grand-Duc. Egal wat d‘Konsequenze sinn.“
  15. https://www.land.lu/page/article/285/336285/FRE/index.html
  16. http://www.monarchie.lu/fr/actualites/evenements/2020/01/27012020-message-grand-duc-henri/index.html
  17. https://www.land.lu/page/article/344/336344/FRE/index.html

Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.

Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!

Spenden QR Code