High Stakes

In Paris wird es vor allem um Finanzierungsfragen gehen. Wie im Kasino sind dabei die (finanziellen) Einsätze hoch und der Ausgang ungewiss.

Eigentlich sollte es doch nicht so schwer sein: Es gibt eine Bedrohung für die Umwelt, die ein globales Problem darstellt. Alle Staaten treffen sich und überlegen sich mithilfe von ein paar Wissenschaft- ler_innen und anderen Expert_innen, wie alle gemeinsam das Problem lösen können.
Beim Klimawandel ist die Sache leider nicht so einfach: So gut wie jede wirt- schaftliche Aktivität verursacht Treibhausgase, die Alternativen sind oft unerprobte und komplizierte Technologien und das Weltklima ist nichts, was sich mit drei Formeln erklären ließe. Zudem sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse dement- sprechend unsicher. Immerhin konnte sich in den letzten Jahren auf ein Ziel geeinigt werden: Die durchschnittliche Erwärmung des Weltklimas bis Ende des Jahrhunderts soll bei maximal 2 °C liegen.
Dieses Ziel ist nicht einmal ein beson- ders ambitioniertes. Die Grenze von 2 °C wird gemeinhin als „Tipping Point“ ver- standen, der nicht überschritten werden darf, da ansonsten durch positive Rück- kopplungen (z.B. Freiwerden von klima- wirksamem Methan aus auftauenden Permafrostböden) eine katastrophale Kette von Ereignissen ausgelöst würde, die nicht mehr zu kontrollieren wären. Ob dieser Punkt wirklich bei 2 °C oder even- tuell sogar etwas tiefer liegt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Das IPCC („der Weltklimarat“) hat sich in seinem aktuell- sten Bericht geweigert, eine Empfehlung dazu abzugeben, ob 1,5 oder 2 °C als Ziel gewählt werden sollen: Diese Zielsetzun- gen seien viel zu sehr abhängig von den vertretenen Werten, also eine Sache der Politiker_innen. Der Klimawissenschafts-korpus kann ihnen also nicht die Ent- scheidung abnehmen, was globale und in- tergenerationelle Gerechtigkeit bedeutet.1
Klimapolitik ist Wirtschaftspolitik
Auch wenn der Klimawandel medial eher als umwelttechnisches Problem dar- gestellt wird, das es zu lösen gilt, so geht diese Sichtweise an der Realität der Ver- handlungen, wie sie im Dezember in Pa- ris stattfinden werden, vorbei. Klimapo- litik ist immer auch Wirtschaftspolitik. Wer sich zu Einsparungen im eigenen CO2-Budget bekennt, muss die eigene Wirtschaft schrumpfen oder umbauen. Während Industriestaaten diese Einspa- rungen wirtschaftlich verkraften können und Teile ihrer Wirtschaft sogar davon profitieren, stellen sie die sogenannten
„Entwicklungsländer“ vor schier unlös- bare Aufgaben. Die Frage, wer Mitigati- ons-, aber auch Adaptionskosten tragen soll, trug maßgeblich zum Scheitern der Konferenz in Kopenhagen bei, auf der ei- gentlich ein Nachfolgevertrag zum Kyo- toprotokoll verhandelt werden sollte, bei.
Nicht nur die Frage, wer wie viel redu- zieren soll, sondern vor allem die Frage, wer diese Reduktion finanzieren soll, spal- tet die Staatengemeinschaft. Lange Zeit wurden Reduktionsziele in einem „Top- Down“-Prozess festgelegt: Die „Confe- rence of Parties“ (COP) beschloss und die Staaten mussten sich fügen (bzw. ei- nem Konsens zustimmen). Dies hat sich seit letztem Dezember in Lima geändert: Nun reichen alle Staaten im Vorfeld der Konferenz ihre „Intended Nationaly De- termined Contributions“ (INDC) ein. Sie geben also in einem „bottom-up“-Prozess an, wie viel sie zu reduzieren gedenken und wie viel Geld sie dafür benötigen.
Wie genau dieser Prozess zu dem 2 °C- Ziel führen soll, ist nicht definiert: Im Zweifelsfall werden in Paris alle nochmal nachjustieren müssen. Mit den bisher übermittelten INDC wird das gesteckte Ziel nicht erreicht. Laut dem „Climate Action Tracker“, einer Initiative von vier Klimaforschungsinstituten, wird mit den geplanten Reduktionen der INDC, die bis zum 1. Oktober eingereicht wurden, eine Erwärmung von 2,5 bis 2,7 °C im globa- len Durchschnitt erreicht.2 Natürlich können aktuelle kleinere Re- duktionen durch größere Reduktionen in späteren Jahren kompensiert werden. Dies wird natürlich umso schwieriger, je län- ger der Status Quo aufrechterhalten wird. Anders ausgedrückt: Je früher der Peak an Treibhausgasemissionen ist, umso sanfter kann die Umstellung zu einer postfossi- len Wirtschaftsweise erfolgen. Ansonsten müssen wahrscheinlich umstrittene Tech- nologien wie Atomkraft oder Carbon Capture and Storage (CCS) benutzt wer- den, um das 2 °C-Ziel bis zum Ende des Jahrhunderts überhaupt zu erreichen.
Wer finanziert den Wandel?
Viele Staaten haben in ihren INDCs an- gegeben, finanzielle Hilfe zu benötigen, um diese Reduktionen erreichen zu kön- nen. Doch die 100 Mrd. USD, die ab 2020 jährlich im „Long Term Finance“- Programm für die Finanzierung von Kli- maprojekten zur Verfügung stehen sollen, werden bei weitem nicht ausreichen: 296 Mrd. USD schwer sind alleine schon die Forderungen von nur sieben Staaten.3 Dabei müssen nicht nur Mitigationsmaß- nahmen, sondern die auch jetzt schon notwendige Adaption an die veränderten klimatischen Bedingungen finanziert wer- den. Der neugeschaffene, paritätisch von Entwicklungs- und Industriestaaten be- setzte Green Climate Fund (GCF) soll die bisherige Global Environment Facility der Weltbank als Finanzierungsinstrument ergänzen.
Aber auch der GCF steht schon unter der Kritik der ärmeren Staaten: Die Verga- bekriterien sind immer noch unklar, viel Geld könnte zurück in Klimaprojekte in Industriestaaten fließen und das Verhält- nis von Mitigations- und Adaptations- finanzierung ist unklar. Außerdem besteht die Befürchtung, dass die Gelder für den GCF einfach vom Budget für Entwick- lungshilfe abgezweigt werden, so dass schlussendlich nicht mehr, sondern weni- ger Geld zur Verfügung steht. Deswegen pochen die Entwicklungsländer in Ver- handlungen auf die Formulierung „neu und zusätzlich“.4
Während die historische Klimaschuld der Industriestaaten und damit die moralische Verpflichtung, ärmeren Staaten bei ih-
ren Reduktionszielen unter die Arme zu greifen, unbestritten ist, ist die Rolle der sogenannten „Schwellenländer“ (BRICS — Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) umstrittener. Obwohl sie nicht auf dem gleichen wirtschaftlichen Stand wie Industriestaaten sind, gehören sie teilweise zu den größten Emittenten. Es wird in Paris also auch um die Frage ge- hen, inwiefern die BRICS-Staaten bereit sind, in die Klimafonds einzuzahlen — wahrscheinlich werden sie dann mit sich reden lassen, wenn die Industriestaaten vorlegen und ihren Verpflichtungen nachkommen. Allerdings haben sie auch schon eine eigene Bank (New Develop- ment Bank) gegründet, die laut dem in- dischen Ministerpräsidenten Modi vor- wiegend in grüne Infrastrukturprojekte investieren soll.
Welcome to the Club
Sollten die Verhandlungen in Paris schei- tern oder nur ein sehr schwaches Abkom- men zum Ergebnis haben, so könnte ein neues Instrument zum Tragen kommen: der Climate Club. Der US-Ökonom Wiliam Nordhaus schlägt vor, eine Koali- tion der Willigen zu gründen, die eine Art
Klimaverhandlungen November 2015 29 klimapolitisches Kartell darstellen wür-
den. Ein großes Problem von freiwilligen Vereinbarungen wie dem Kyoto-Protokoll sind die Trittbrettfahrer_innen. Wer nicht reduziert, muss nichts dafür bezahlen, profitiert aber davon, dass alle anderen re- duziert haben.
Um dem entgegenzuwirken schlägt Nordhaus vor, dass der Climate Club sich intern auf einen Preis pro Tonne CO2 ei- nigt. Wie dieser umgesetzt wird, bleibt den einzelnen Ländern überlassen. Es wären je nach Präferenz also Steuern oder marktbasierte Systeme wie der (bisher grandios gescheiterte) europäische Zertifi- katshandel möglich. Um die Trittbrettfah- rer_innen dazu zu bewegen, sich an dem Club zu beteiligen, schlägt Nordhaus Strafzölle vor. Nach seinen spieltheore- tischen Berechnungen würde ein solches System auch die USA dazu bewegen, sich an dem Club zu beteiligen.5
Ob dieses Modell sich in der Realität bewähren wird, ist ungewiss: Auch der Zertifikatshandel sieht in ökonomischen Papers großartig und effizient aus, die politische Umsetzung hat durch Lob- bying und anschließendes „Grandfa-thering“ (wie Großeltern haben Politi-
ker_innen die Firmen verzogen und mit übermäßig vielen Zertifikaten versorgt) dazu geführt, dass in Europa Kohlekraft- werke nun einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den aus umweltpolitischer Sicht zu bevorzugenden Gaskraftwerken haben.6
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Lobbying und Klimapolitik gehen sehr oft Hand in Hand. Begünstigt werden die Bestrebungen der Industrie, ihre eige- nen Einsparungen so gering wie möglich zu halten, natürlich durch die allgemeine Entwicklung des umweltpolitischen Ins- trumentariums. Da in den letzten Jahr- zehnten die klassischen Command & Control-Politikinstrumente (Gesetze, Verbote und Erlasse) aus der Mode ge- kommen sind und finanzielle Instru- mente entweder nicht greifen (Zerti- fikatshandel) oder sehr unbeliebt sind (Wer will schon neue Steuern einfüh- ren?), wird zur Selbstregulierung gegrif- fen. Diese kann mit NGOs und/oder staatlicher Beteiligung stattfinden, führt in vielen Fällen aber dazu, dass Firmen eine große Rolle bei der Erstellung von Standards zukommt.
Andersrum wird ein Schuh aus der Sache: „die Zivilgesellschaft einbinden“ heißt das dann auch in Paris. Frankreich hatte im Vorfeld der Konferenz verkündet, einen Teil des Gipfels von der Privatwirtschaft finanzieren zu lassen. Das Sponsoring der COP bringt neben dem eigenen Logo auf der Konferenz aber noch andere Vorteile, wie eine eigene Broschüre erklärt: „Un acceÌ€s privilégié aux espaces de rencontre et d’expression au sein de l’espace réservé aÌ€ la société civile et la possibilité d’y or- ganiser des événements paralleÌ€les sur la thématique du déreÌ€glement climatique.“7 In verschiedenen Preisklassen lässt sich auch Platz auf der Zusatzkonferenz „So- lutions COP21“ buchen. Die COP wird gesponsert von den Energierversorgern Engie (früher „GDF-Suez“), EDF und Suez Environnement, dem Autohersteller Renault-Nissan, Air France, Ikea, Google, Coca-Cola und weiteren bekannteren und weniger bekannteren Firmen. Alle können ihre „Lösungen“ in der Nähe der Konfe- renz vorstellen.
Das freut die Lobbyist_innen sicherlich, ist aber nicht unbedingt neu. Auch in Lima stellten manche Firmen eigene Pa- villons auf und unterhielten eigene Pro- grammschienen auf den sogenannten „side-tracks“, jenen Veranstaltungsreihen, die oft wichtige Impulse für zukünftige Themenschwerpunkte der Klimapolitik setzen. Es bleibt aber keineswegs beim Sponsoring. Unter den Gruppen, welche die COP „beobachten“, sind sehr viele Verbände, die Interessen von Firmen oder ganzen Industriezweigen vertreten. Hinter gut klingenden Namen wie „World Busi- ness Council for Sustainable Develop- ment“ oder „Alliance to Save Energy“ ver- bergen sich Shell und Dow Chemical bzw. Siemens und Google. Der Politikwissen- schaftler Marcel Hanegraaff hat alle In- teressensgruppen, die COPs von 1997 bis 2011 besucht haben, untersucht und dabei festgestellt, dass es bis zur COP11 im Jahr 2005 dauerte, bis mehr zivilgesellschaftli- che als wirtschaftliche Gruppen anwesend waren. Laut Hanegraaff sind die Beob- achter_innen mit der Zeit immer hete- rogener geworden: In der Anfangszeit überwogen Umwelt- und Entwicklungs- NGOs sowie Firmen aus dem Energie- sektor und der verarbeitenden Industrie.
Außerdem haben es kleine Gruppie- rungen, die Spezialinteressen vertreten, z.B. Maiszüchter_innen aus den USA, leichter für Events wie die COP zu mo- bilisieren. NGOs, die für breite Themen- felder wie „saubere Umwelt“ einstehen, haben es da schwerer. Das könnte dazu geführt haben, dass die Vertreter_innen der Industrie sich in den kritischen er- sten Jahren der Klimaverhandlungen, in denen institutionelle Fragen geklärt wur- den, einen Vorteil verschafft haben, von dem sie bis heute profitieren. Hanegraaff geht davon aus, dass die Zivilgesellschaft noch nicht ihr vollstes Mobilisierungs- potential erreicht hat.8 Generell stellt sich daher die Frage, wie viel wirksames Lobbying auf der COP selbst und wie
viel davon im Vorfeld im nationalen Rah- men stattfindet.
Es wird schwierig werden, in Paris einen Konsens zu finden: Verhandlungen, die irgendwo zwischen Gefangenendilemma und Pokertisch pendeln, sehr unterschied- liche Einflüsterungen von NGOs und Industrie und unbequeme Finanzierungs- fragen werden auf der Tagesordnung ste- hen. Noch dazu wird es im Dezember in Paris kalt sein. Das könnte ein Nachteil sein, denn — so munkeln zumindest COP- Veteranen — in heißem Klima laufen die Verhandlungen meist besser. u
1 Oliver Geden, 2015, „Ensuring the quality of scien- tific climate policy advice“ in An increasingly pragmatic policy environment, advisors should take a step away from politics. SWP Comments 30/2015.
2 Climate Action Tracker and the Ecofys / Climate Analytics / New Climate / PIK, 2015, „Effect of current pledges and policies on global temperature“, http:// climateactiontracker.org/global.html
3 Alex Pashley, 2015, „Climate bill racks up as poor nations submit Paris pledges“, http:// www.climatechangenews.com/2015/08/18/ climate-bill-racks-up-as-poor-nations-log-bids/
4 Miriam Prys-Hansen, Malte Lellmann und Milan Röseler, 2015, „Die Bedeutung der Klima- finanzierung für den Pariser Klimagipfel 2015“ in GIGA Focus Global 5, http://nbn-resolving.de/ urn:nbn:de:0168-ssoar-448208
5 William Nordhaus, 2015, „Climate Clubs: Over- coming Free-riding in International Climate Policy“ in American Economic Review, 105(4): 1339—1370. http://dx.doi.org/10.1257/aer.15000001
6 Stanley Reed, 2013, „In European Union, Emissions Trade Is Sputtering“ in New York Times, 20. Februar 2013. http://www.nytimes.com/2013/02/21/busi- ness/energy-environment/21iht-green21.html
7 http://www.cop21.gouv.fr/sites/default/files/ public/cop21_partenaire_version_francaise_0.pdf
8 Marcel Hanegraaff, 2015, „Transnational Advocacy over Time: Business and NGO Mobilization at UN Cli- mate Summits“ in Global Environmental Politics, 15:1, 83-104.

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