Hochqualifizierte Migration in Luxemburg

Mit 47,88% (STATEC, Stand: 1. Januar 2018) führt Luxemburg weiterhin die Liste der OECD-Länder mit dem höchsten Ausländeranteil in der Gesamtbevölkerung an. 84,79% der in Luxemburg ansässigen Ausländer stammen aus den 28 EU-Mitgliedsstaaten, weitere 5,24% aus anderen Ländern Europas und die restlichen rund 10% aus nicht europäischen Ländern. Noch eindrucksvoller schlägt sich diese demographische Situation auf dem Arbeitsmarkt nieder: Im dritten Trimester 2018 waren ganze 73% der aktiven Erwerbsbevölkerung in Luxemburg Ausländer: rund 28% davon ansässige Ausländer sowie 46% Grenzgänger gegenüber 27% Staatsangehörigen1 – bemerkenswerte Zahlen, die, sollte man meinen, ein nicht unerhebliches Konfliktpotenzial bergen, in Luxemburg aber für ein Erfolgsmodell stehen, das schwarze Zahlen schreibt. Mit seiner extrem leistungsfähigen Einwanderergesellschaft, die zurzeit keine Belastung der staatlichen Sozialsysteme darstellt, sondern Überschüsse generiert, will Luxemburg nicht so recht dem Profil eines durch Massenimmigration gekennzeichneten Landes entsprechen.

Wieso das so ist, erklärt sich am Verhältnis der Beiträge, die die Einwanderer in Luxemburg leisten (gezahlte Steuern und Sozialbeiträge in Renten-, Invaliditäts-, Kranken- und Pflegeversicherungen) abzüglich der Inanspruchnahme von Soziallleistungen und öffentlichen Dienstleistungen. Hier lässt sich feststellen, dass die ausländische, auf dem Luxemburger Arbeitsmarkt aktive Bevölkerung zwar volle Beiträge leistet, aber zurzeit noch moderat konsumiert. Grenzpendler sind besonders „genügsam“, da sie nicht den
gleichen Zugang zu Sozialleistungen haben wie Einheimische oder ansässige Ausländer. Durch die höhere Beschäftigungsrate, die sie gegenüber Staatsangehörigen aufweisen über a) eine bessere Altersstruktur (geringerer Anteil an Rentnern bei gleichzeitig höherem Anteil an Arbeitnehmern im Haupterwerbsalter) sowie b) ein höheres Bildungs- und Qualifikationsniveau (Àlvaro, 2017)2, erwirtschaften sie im direkten Vergleich zu den Einheimischen auch höhere Kontributionen für die Staatskassen, die diese  wiederum durch hohe Gehälter ausgleichen. So werden die meisten Leistungen im Fall von Arbeitslosigkeit und Pflegeversicherung nicht vom Beschäftigungsland, sondern vom Wohnsitzland der Grenzpendler getragen. Für Luxemburg fallen auch weniger Bildungsausgaben an, da Einwanderer und die in Luxemburg beschäftigten Grenzpendler ihre Ausbildung üblicherweise in ihren Heimatländern abgeschlossen haben (Graf/ Gardin, 2017). Einziger Wermutstropfen: Die von der ausländischen Arbeitsbevölkerung erwirtschafteten Vorteile drohen sich durch die in Zukunft anfallenden Pensionsansprüche (die zudem zu einem Teil im Ausland konsumiert werden dürften) zu einem strukturellen Nachteil umzukehren.

Selektive Migrationspolitik

Dieses Erfolgsmodell ist vor allem die Folge einer Reihe von besonderen Rahmenbedingungen, darunter u.a. einer über 100jährigen Tradition parallel laufender Gering- sowie Hochqualifiziertenmigration nach Luxemburg, die seit 1890 proaktiv und selektiv von der Regierung vorangetrieben wurde. Diese Politik bevorzugte im 20. Jahrhundert kulturell nahe Völker, und begrenzte gleichzeitig lange Zeit den Familienzuzug. Seit den 1990er Jahren werden hingegen Arbeitsverträge mit einer Gehaltsuntergrenze von vier Mal den Mindestlohn maßgeblich gefördert (Hartmann, 2010). Mit 24,6% im Jahr 1995 im Gegensatz zu 48,7% im Jahr 2006 hat sich der Anteil der hochqualifizierten Einwanderer unter den Erwerbstätigen in Luxemburg innerhalb von zehn Jahren quasi verdoppelt, während der Anteil weniger qualifizierter Ausländer nicht angestiegen ist (Chaloff und Lemaître, 2009 zitiert in Amétépé/Hartmann-Hirsch, 2011).

Während hochqualifizierte Migranten aus Europa und weltweit in Bereichen wie Finanzen, Beratung, EU-Verwaltung, Forschung und allgemeinen Dienstleistungsberufen tätig sind, sind die niedriger- und geringqualifizierten Migranten in den Bereichen Bauwesen, Gastronomie, lokaler Einzelhandel, Logistik und Industrie vertreten und führen Service- und Fertigungsarbeiten auf niedrigerer Ebene aus. Diese letztgenannte Gruppe von Arbeitern stammt größtenteils aus wirtschaftlich schwächeren Nachbargebieten der Großregion (Lothringen, Wallonien, Rheinland-Pfalz und Saarland) sowie aus den südeuropäischen Ländern, insbesondere Portugal, dem Herkunftsland der größten Migrantengruppe in Luxemburg. (Graf/ Gardin, 2017)

Die sog. „Expats“ siedeln sich am oberen Ende des sozioprofessionellen Spektrums an. Doch auch hier unterscheidet man zwischen hochqualifizierten Arbeitskräften (Informatiker, Ingenieure usw.), die eine aufstrebende transnationale Mittelschicht bilden und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern sowie internationalen Beamten, die die transnationale Oberschicht anführen (Hartmann-Hirsch, 2008). Im sozialen Gefüge nehmen Luxemburger gewissermaßen die mittlere Position zwischen der Einwanderungsbevölkerung der Ober- und jener der Unterschicht ein.

Ein hausgemachtes Bildungsproblem

Der Anteil hochqualifizierter Ausländer in Luxemburg übersteigt derzeit den Anteil hochqualifizierter Staatsangehöriger. Erstere übertreffen Letztere allerdings nicht nur in ihrer Zahl, sondern auch durch ein höheres Bildungs-und Qualifikationsniveau.4 Absehbar ist, dass der sich rasant weiterentwickelnde internationale Finanz- und Dienstleistungssektor auch in Zukunft nicht nur universitär gebildete Arbeitskräfte benötigen wird, sondern in immer höherem Maße auch solche, die über zusätzliche Spezialqualifikationen verfügen. Angesichts der geschilderten Situation auf dem Arbeitsmarkt, werden Länder wie Luxemburg sich auch in Zukunft besonders bemühen müssen, hochqualifizierte Fachkräfte nicht nur anzuwerben, sondern sie auch zu halten (Siehe Beiträge von Joël Machado und Michaela Hornak in dieser Ausgabe).

Die langfristig größte Gefahr für den „Nachschub“ an Arbeitskräften geht jedoch nicht vom bereits bestehenden Fachkräftemangel aus, der ein weltweites Phänomen ist, sondern hat seinen Ursprung in den Studienpräferenzen der jungen Luxemburger, so FEDIL-Präsident Nicolas Buck erst kürzlich beim Neujahrsempfang der Industriellenvereinigung. Wenn sich weiterhin 85% der Studierenden für Fächer im Bereich der Sozialwissenschaften und nur 15% im Bereich Naturwissenschaften entscheiden (die als Zugangsvoraussetzung für zukunftsträchtige Berufe im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien, Digitalisierung und künstlicher Intelligenz gelten), könne die Rechnung kaum mehr aufgehen. Doch die Ursachen für einen Fachkräftemangel in Luxemburg, der sich in Zukunft dramatisch zuspitzen könnte, liegen längst nicht nur bei einer weniger vorausschauenden Studienwahl, sondern reichen weitaus tiefer. Etliche Studien bestätigen seit Jahren, dass das hiesige Bildungssystem ein hohes Talentpotenzial systematisch ungenutzt lässt oder, um es mit anderen Worten zu sagen, ein hausgemachtes Problem schafft. Mit weiterhin zu rigiden und hohen Sprachanforderungen bei einer immer heterogener werdenden Schülerschaft, überdurchschnittlich hohen Wiederholungsquoten (z.T. schon in der Vorschule beginnend), einer vergleichsweise frühen und nachweisbar selektiven und diskriminierenden Orientierung beim Übergang in die Sekundarstufe sowie einer starken Abwärtsmobilität zwischen den einzelnen Schulstufen bei nur geringen Aufstiegschancen, konnte auch der zweite nationale Bildungsbericht, der im Dezember 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, den früheren Befund einer Reproduktion sozioökonomischer Ungleichheiten durch die öffentliche Luxemburger Schule, nicht entkräften. Leidtragende sind nach wie vor hauptsächlich Schüler mit Migrationshintergrund, mit anderer Muttersprache als Luxemburgisch und aus sozial benachteiligten Elternhäusern, wobei sich die zwei letztgenannten Faktoren bei Migrantenkindern natürlich oft überschneiden und sie zu einer besonderen Risikogruppe machen. Insofern scheinen sich die idealisierten Vorteile von Multikulturalität und -lingualität, zumindest innerhalb der in Luxemburg ansässigen ausländischen Schülerschaft nicht zu realisieren. Ihr geringer Schulerfolg belastet die Gesamtbilanz des Landes in Sachen Bildung stark. Der Nutzen bisher eingeleiteter Gegenmaßnahmen wie der Erweiterung und Verbesserung des Betreuungsangebots oder der intensiveren Früh-und Sprachförderung durch früheres Heranführen an die luxemburgische und französische Sprache, von denen man sich ein leichteres Erlernen der deutschen Sprache versprach, konnte indes u.a. aufgrund von noch fehlenden Langzeitstudien wissenschaftlich nicht bestätigt werden (siehe Beitrag von Fernand Fehlen in dieser Ausgabe). Verbesserungsansätze im Bildungswesen, die nicht nur auf Angebotserweiterung und Kompetenzverbesserung abzielen, sondern auch darauf, einer Form des sog. „brain waste“ entgegenzuwirken und bestehendes Potenzial besser zu nutzen, bleiben immer noch aus. Am Ende ist es einfacher und möglicherweise auch billiger, die ausgebildeten Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, als sie im Land selber aufzubauen.

Wie sich Luxemburg durch Expats verändert

Dank einer offensiv betriebenen Anwerbungspolitik der Regierung von ausländischen Unternehmen und EU-Institutionen tritt eine Gruppe extrem zahlungskräftiger und sozial gut abgesicherter Haushalte auf dem Wohnungsmarkt in direkte Konkurrenz mit der einheimischen Bevölkerung. Die Folge: Gentrifizierung auf Landesebene. Luxemburger aus der Mittelschicht siedeln sich vermehrt in der Grenzregion an und verdrängen durch die von ihnen angetriebenen Preise wiederum die dort ansässige Bevölkerung. Während EU-Beamte dank ihrer Kaufkraft bei Immobilienmaklern und Eigentümern als Kauf- und Mietinteressenten Vorzug genießen, gewähren privatwirtschaftliche Unternehmen, die ihre eigenen Angestellten mitbringen bzw. importieren, großzügige Mietsubventionen, die die Beträge, die das Wohnungsbauministerium an Geringverdiener auszahlt, um ein Vielfaches übersteigen.5

Doch nicht nur ein passendes Objekt auf dem hart umkämpften Markt zu sichern, sondern vor allem eins in guter Lage, zählt – angesichts des Verkehrs- und Mobilitätsproblems in Luxemburg – zu den Hauptansprüchen derjenigen, die es sich leisten können. Eine 2017 erschienene Studie6 von Forschern der Universität Luxemburg und des LISER zur territorialen Verteilung der Bevölkerung nach den Aspekten der Nationalität, in Bezug auf die Stadtstruktur sowie die Entfernung zum Arbeitsplatz ergab, wenig überraschend, eine Überrepräsentation von Ausländern in der Hauptstadt (65% zum Zeitpunkt der Datenerhebung, heute über 70%), ihrer näheren Umgebung und dem Bassin minier, zugleich auch die Hauptkonzentrationspunkte der Arbeitsplätze. Luxemburger hingegen wiesen eine Überrepräsentation in siedlungsarmen und schlecht angebundenen Gemeinden auf. Die Forscher führten diesen Umstand darauf zurück, dass Luxemburger, die häufiger Immobilieneigentümer sind und größere Wohnungen besitzen, eher Annehmlichkeiten wie Grünflächen, weniger Umweltverschmutzung und Ruhe der Nähe zum Arbeitsplatz vorziehen und dadurch bereit seien, die durchschnittlich längeren Fahrtstrecken zum Arbeitsplatz auf sich zu nehmen. Schon unmittelbar nach der Verkündung des Brexits haben etliche Unternehmen ihre Übersiedlung von London nach Luxemburg angekündigt. Mit der Ansiedlung weiterer internationaler Unternehmen droht sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt, für Verkehr, Mobilität und Lebensqualität noch weiter zuzuspitzen. Im Zuge dieser Entwicklungen dürfte sich in absebarer Zeit auch die Frage nach den Formen des Zusammenlebens stellen.

1) Die Zahlen wurden aufgerundet, ergeben zusammengerechnet also nicht 100%. https://statistiques.public.lu/stat/TableViewer/tableView.aspx?ReportId=12916&IF_Language=fra&MainTheme=2&FldrName=3&RFPath=92
2) Àlvaro, Pina: „Luxembourg: reaping the benefits of a diverse society through better integration of immigrants“, OECD Economics Department Working Papers, N° 1418, OECD Publishing Paris, 2017, S. 1-29
3) Graf, Lukas/ Gardin, Mathias: „Transnational skills development in post-industrial knowledge economies: the case of Luxembourg and the Greater Region“, in: Journal of Education and Work, Bd. 31/Nr. 1, 2018, S. 1-15.
4) Amétépé, Fofo/ Hartmann-Hirsch, Claudia: „An Outstanding Positioning of Migrants and Nationals: The Case of Luxembourg“, in: Population Review, Bd. 50/ Nr. 1, 2001, S. 195-217.
5) Gilles Hempel: „Teure Wohnung gesucht. Importierte Preistreiber am Luxemburger Wohnungsmarkt“, S. 36-38, in forum Nr. 362 „Mobile Menschen“ (Mai 2016): https://www.forum.lu/wp-content/uploads/2016/05/362_Hempel-1.pdf
6) Pigeron-Piroth, Isabelle/ Heinz, Andreas/ Caruso, Geoffrey: „Localisation résidentielle de la population étrangère selon la nationalité et la strucutre urbaine au Luxembourg“, in: Economie et Statistiques. Working papers du STATEC, Nr. 94, 2017, S. 1-28.

Überblick

Samra Cindrak setzt sich mit der Begriffsdefinition der Bezeichnung „Expat“ auseinander. Joël Machado und Michaela Hornak analysieren die Hintergründe der Attraktivitätseinbußen, die Luxemburg als internationaler Standort hinnehmen muss und erläutern die zunehmenden Schwierigkeiten von Luxemburger Arbeitgebern nicht nur geeignete Mitarbeiter anzuwerben, sondern diese auch zu halten. Cécile Lorenzini beschreibt aus Unternehmerperspektive, welche strategischen Maßnahmen die Agentur Vanksen entwickelt hat, um sich im Zuge des schwindenden Wettbewerbsvorteils Luxemburgs als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren und Sichtbarkeit zu schaffen. Marie-Adélaïde Leclercq-Olhagaray, Kommunikationsverantwortliche der Anwaltskanzlei Arendt und Expatriierte aus Paris, schildert, was sie dazu bewogen hat, dauerhaft in Luxemburg zu bleiben. Patrik Ferregutti, Mitglied des Vereins Cercle Suisse, beschreibt die Vermittlerrolle des Vereins zwischen in Luxemburg ansässigen Schweizern und Neuankömmlingen.

Im Interview erklärt die Personalberaterin Susanne Habran-Jensen aus ihrer langjährigen Erfahrung in der Betreuung von Expats, dass die Einschulung der Kinder eine der größten Sorgen von Expat-Familien darstellt. Gerade für Familien, die nur einen zeitlich begrenzten Aufenthalt in Luxemburg vorsehen, ist das mindestens dreisprachige luxemburgische Schulsystem keine Option. Die Regierung versucht, wie Clauda Hartmann-Hirsch in ihrem Beitrag nachzeichnet, mit öffentlichen internationalen Schulangeboten Alternativen sowohl zu den teuren Privatschulen als auch zum dreisprachigen öffentlichen Schulsystem anzubieten. Jugera Ibrahimi, Präsidentin des British Ladies Club in Luxemburg, beschreibt indes im Interview, wieso Integration maßgeblich von den eigenen Lebensplänen abhängt und sich unter Gleichgesinnten am ehesten Anschluss finden lässt. Radek Lipka, Anna Lopocaro und Tony Lux gehen der Frage nach, ob das Kultur- und Freizeitleben ein gemeinsamer Raum für über 170 Nationalitäten sein kann, an dem ein „Miteinander“ statt „Nebeneinander“ möglich ist. Das Glossar bietet einen Überblick über die wichtigsten Begriffe rund um das Thema Hochqualifiziertenmigration und Expats.

 

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