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„I think it would be fun to run a newspaper.“
Oktober 2013: Kurz nach der berühmten Zigarette auf dem Balkon einer Dachgeschosswohnung in der Rue de l’Ordre de la Couronne de Chêne in Limpertsberg trafen auch wir uns, um gemeinsam diese neue Situation zu besprechen. Wie würden déi jonk gréng in Zukunft funktionieren? Was war die Rolle einer Jugendpartei, deren Mutterpartei gerade Teil einer neuen Regierung geworden war? Und vor allem: Wie konnten wir weiterhin unsere Ideen verbreiten, ohne Gefahr zu laufen, komplett im realpolitischen Alltag zu versinken? Nach und nach wurde uns klar, dass es neben Pressekonferenzen und -mitteilungen eine weitere Möglichkeit geben musste, um unsere Ideen auszubauen und mitzuteilen.
„I think it would be fun to run a newspaper“, heißt es in einer der bekanntesten Passagen der kultigen Satire von Orson Wells Citizen Kane aus dem Jahre 1941. Das dachten wir uns auch, als wir dann im Oktober 2013 Onkraut gründeten. Obwohl wir nicht die usurpatorischen Visionen des Medienmoguls Charles Foster Kane vorträumten, hatten wir doch eine klare Vision. Fernab von Clickbait und großen Schlagzeilen wollten wir hinter die großen und kleineren Ereignisse schauen und Stories erschließen, die leider allzu oft in den klassischen Medien keinen Platz mehr finden. „Onkraut vergeet net“ behauptet der Volksmund. Doch handelt es sich dabei wirklich um Unkraut oder doch um Kraut? „Alles nur eine Sache der Betrachtung“, sagen wir. Diese Einstellung stellt heute das Leitmotiv unseres Magazins und unserer Onlinepräsenz dar. Es sollte jedoch noch fast zwei weitere Jahre dauern, bis jede_r die Zeitung in Händen halten konnte. In dieser Zeit wurde aus der Idee eines reinen Printproduktes das Konzept eines multimedialen Angebotes.
Gerade um möglichst verschiedene Gruppen in der Gesellschaft zu erreichen, haben wir früh entschieden die gedruckte Ausgabe unserer Zeitung gratis zu verteilen. Das möchten wir, so weit es möglich ist beibehalten, um keine Leser_innen auszuschließen. Der kooperative Geist soll nicht nur beim Zusammenstellen der Zeitung eine Rolle spielen, sondern das freie Zirkulieren des Inhalts soll so auch Personen erreichen, die sich nicht unbedingt in einem spezifischen Dunstkreis bewegen. Ferner soll die Zeitung auch zugänglich sein für Menschen, die nicht über die nötigen finanziellen Ressourcen verfügen, sich diese leisten zu können. Wir leben in einer Gesellschaft, in der lediglich die Finanzen der weniger verdienenden Menschen sehr genau überwacht werden und jede Ausgabe gerechtfertigt sein muss. Dieser Tendenz versuchen wir so auf einer Mikroebene aktiv entgegenzutreten.
Doch zum Anfang: Zusammen mit Gilles Scaccia vom Kousca Design Studio wurde dann am Design gearbeitet. Er war sofort vom Projekt begeistert und so hatten wir ziemlich schnell alles Nötige zusammen, um die Zeitung in die Realität umzusetzen. Von Anfang an war uns das Layout wichtig und waren uns einig darüber, dass es ansprechend und dynamisch wirken soll. Das Medium der Videographie bot sich in diesem Kontext als Mittel an, um die Multidimensionalität verschiedener Themen aufzuweisen. Die Distanz zu den jeweiligen Personen, die wir zu Wort kommen lassen wollten, konnte auf eine gewisse Art und Weise reduziert werden. Bei einem gemütlichen Lagerfeuer in Lultzhausen am Stausee haben wir dann in einer Gruppe von zukünftigen Autor_innen den Inhalt der ersten Ausgabe von Onkraut definiert. Das neu zu schaffende Medium sollte jedoch kein reines junge Grüne-Meinungsblatt werden, sondern eine zukunftsorientierte Ideenwerkstatt, mit Platz für Ideen und Visionen. So beteiligten sich neben unabhängigen Autor_innen und Freund_innen, auch Experten und gesellschaftliche Wandelträger_innen am Projekt. Kooperationen, wie zum Beispiel jene mit dem Orla Collective, haben uns in der Folge gezeigt, dass es in Luxemburg weitere Menschen mit den gleichen Visionen gibt und uns gleichzeitig den Weg zu einem größeren Publikum geebnet.
Im Herbst 2015 erschien dann endlich die erste Ausgabe von Onkraut. Unsere erste Videoserie startete einige Zeit später und auch auf unserer Onlinepräsenz wurden regelmäßig Artikel veröffentlicht.
It might be hard(er than previously thought) to run a newspaper (onkraut.lu 2016)
Slow journalism war und ist das Motto von Onkraut. Und Fluch und Segen zugleich, da wir versuchen in einem immer schnelleren Alltag eine Brücke zwischen Push-Notifikationen und Slowfood zu bauen. Wie werden wir Leser_innen bei der Stange halten, wenn wir nicht regelmäßig neue Artikel oder Ausgaben der Zeitung publizieren? Der Versuch, durch kleine Videoreportagen regelmäßig neuen Inhalt zu veröffentlichen, hat soweit sehr gut geklappt. Wie können wir dies jedoch in Zukunft finanzieren? Dies sind Fragen, auf die wir zurzeit Lösungen suchen. Fest steht: Komplett unabhängig von déi jonk gréng wollen wir auf jeden Fall sein. Auch wenn im Medium weiterhin viele junge Grüne zu Wort kommen, wollen wir finanziell komplett unabhängig arbeiten.
Die gewonnene Freiheit, unsere Inhalte ohne Druck des alltäglichen Medienrummels zu veröffentlichen und teilweise vernachlässigte Verbindungen zwischen den verschiedensten Themenfeldern herstellen zu können, ist der Kern unserer eigentlichen Unternehmung bei Onkraut. Ohne Druck arbeiten zu müssen, ist dabei eine neue Herausforderung für unsere jungen Autoren_innen, die seit Jahren durch Schul-, Diplom-, und Studiendeadlines konditioniert wurden. Auch der realpolitische Alltag ist diesem Druck ausgesetzt und vermittelt oft ein Gefühl von Alternativlosigkeit. Genau dies wollen wir aufbrechen. Unser Ziel besteht weniger darin, eine Alternative in der luxemburgischen Medienlandschaft darzustellen; vielmehr geht es uns darum, Alternativen, sowohl im politischen und gesellschaftlichen als auch im kulturellen Bereich aufzuzeigen.Das Selbstverständnis unseres Projektes sollte nie die Positionierung in einer schwarz-weiß erscheinenden Medienwelt sein, sondern vor allem das Erreichen von möglichst vielen verschiedenen Teilen der Gesellschaft über den Inhalt und gleichermaßen die konzeptuelle Entwicklung der Zeitung, den Videos online und der Webseite. Gerade der politische Aktivismus hat uns gelehrt, dass sich selbst als Alternative einzustufen – ohne zu versuchen ein inhaltliches Fundament aufzuweisen – oft dazu verführt, in die realpolitischen Alltagsgassen der Dualität zwischen „Fortschrittlichen“ und „Zurückgebliebenen“ abzudriften. Daher schöpfen wir unsere Triebkraft aus dem Willen grundlegende und stiefmütterlich behandelte Themen weiterzuspinnen und andere zu enttabuisieren.
So durchbrachen wir zum Beispiel in unserer ersten Ausgabe die Klischees und Denkmuster, welche bei verschiedenen Themen wie Migration, Armut oder Polyamorie vorherrschen. Auch die umstrittenen Performances von Deborah De Robertis haben wir in unserer Onlinepräsenz beleuchtet. Die Künstlerin hatte so die Möglichkeit, abseits der Schlagzeilen die Beweggründe für diverse Kunstaktionen zu erläutern. Wann die nächste Ausgabe erscheinen wird, kann zurzeit noch niemand genau sagen. Klar ist nur, dass es weitere Ausgaben geben wird, da jede_r von uns weiterhin Spaß daran hat, eine Zeitung zu schaffen.
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