- Geschichte, Gesellschaft
„Ich bin dann mal weg“
Mobilität(en) in Luxemburg
Menschliche Mobilität hat viele Gesichter, aber der aktuelle öffentliche Diskurs beschränkt sich oft nur auf den „wirtschaftlichen Migranten“ und den „Flüchtling“. Diese Kategorisierung wird hauptsächlich genutzt, um die Ablehnung jener Asylanträge zu rechtfertigen, die nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen. Zudem erfasst diese Zweiteilung nicht das Gesamtbild mobiler Menschen in Luxemburg. Ebenfalls hinzuzählen kann man Grenzgänger, „Expats“, hochqualifizierte Arbeitnehmer und ausländische Studenten. In die gegenwärtigen Debatten über Veränderungen des sozialen Raumes und Integration werden diese Gruppen zumeist nicht mit einbezogen. Dieses Dossier steckt deshalb das Feld breiter ab und legt einen besonderen Fokus auf jene Einwohner, um neue gesellschaftliche und politische Herausforderungen beleuchten zu können.
Ein Interview mit dem Geographen Philippe Gerber skizziert die Diversität mobiler Menschen in Luxemburg und geht konkret auf die Mobilität der Grenzgänger ein, die jeden Tag aus einem der drei Nachbarländer nach Luxemburg kommen. Diese tragen nicht nur wesentlich zur Luxemburger Wirtschaft bei, sondern gestalten auch die Sprachenlandschaft mit. Julia de Brès forscht im Bereich der Soziolinguistik und analysiert den Sprachgebrauch der sogenannten „Frontaliers“ am Arbeitsplatz, mit überraschenden Resultaten.
Die Anzahl hochqualifizierter Arbeits- und Führungskräfte, die „immigration dorée“1, ist im Laufe der letzten Jahrzehnte stark mit der Niederlassung großer internationaler Unternehmen gestiegen. Zu diesen zählen Firmen wie Arcelor Mittal, BGL BNP Paribas oder Beratungsunternehmen wie PwC und Deloitte, die heute die Liste der wichtigsten Arbeitgeber im Großherzogtum anführen. Solche Unternehmen bringen Arbeitskräfte mit und ziehen angesichts des lokalen Fachkräftemangels Arbeitnehmer aus dem nahen und fernen Ausland an.
Diese Internationalisierung des Arbeitsmarktes ist als Resultat der global ausgerichteten luxemburgischen Wirtschaft zu verstehen und im Kontext der rasch fortschreitenden Globalisierung kein Einzelfall. Der Soziologe Zygmunt Bauman weist in diesem Zusammenhang jedoch auf einen Prozess der „Glokalisierung“ hin, da seiner Ansicht nach die Globalisierung und die damit einhergehende Mobilität der Arbeitskraft nur für einen Bruchteil der Bevölkerung gilt.2 Demnach polarisiert die „Glokalisierung“ die menschliche Mobilität, denn „some inhabit the globe, others are chained to place“3.
Während also eine sogenannte „globalisierte Elite“ das nötige soziale und finanzielle Kapital hat, um sich global zu vernetzen und in der internationalen Wirtschaft und Politik mitzuwirken, findet ein gleichzeitiger Prozess der Lokalisierung statt. Die Situation Luxemburgs ist in dem Sinne speziell, als dass der Anteil dieser hochqualifizierten ausländischen Arbeitnehmer im Vergleich zur „lokalen“ Bevölkerung relativ hoch zu sein scheint, insbesondere in Luxemburg-Stadt. Die Herausforderung besteht folglich darin, ein Miteinander zwischen diesen „globalen“ und „lokalen“ Bevölkerungsgruppen zu schaffen.
Ein Effekt der äußerst international ausgerichteten Wirtschaft ist die zunehmende Bedeutung der englischen Sprache in Luxemburg. Fernand Fehlen analysiert den Gebrauch und untersucht die Folgen, die sich für den Englischunterricht in luxemburgischen Bildungsinstitutionen ergeben. Duncan Roberts, Mitarbeiter des englischsprachigen Magazins Delano, erörtert in seinem Artikel die Ausrichtung englischsprachiger Medienprodukte und beschreibt deren Herausforderungen. Gilles Hempel beleuchtet seinerseits die Auswirkungen der Niederlassung hoch bezahlter ausländischer Arbeitskräfte auf die Preise innerhalb des lokalen Immobilienmarkts.
Neben den Veränderungen auf der Makroebene können diese wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen auch die eigene, individuelle Persönlichkeit beeinflussen. Die britische Schriftstellerin Taiye Selasi forderte in einem TedTalk-Vortrag: „Don’t ask where I’m from, ask where I’m a local“. Damit spricht sie wahrscheinlich viele an, die in unterschiedlichen Ländern, sogar auf verschiedenen Kontinenten gelebt haben. Es wird demnach schwierig, sich auf eine „Heimat“ oder ein „Zuhause“ zu begrenzen. Die junge Luxemburgerin Inès Baer schildert in diesem Zusammenhang ihre ganz persönliche Erfahrung und erklärt, wie Studium und Berufserfahrung an sehr unterschiedlichen Orten ihre Person verändert haben. Drei Wissenschaftlerinnen der Universität Luxemburg analysieren anschließend, welche Rolle (Un)sicherheit in der Mobilität junger Berufseinsteiger und Studenten einnimmt.
Zudem stellen Informations- und Kommunikationstechnologien ohne Zweifel wichtige Aspekte der Mobilität des 21. Jahrhunderts dar: Sie vereinfachen den Schritt, das erste Zuhause zu verlassen, da Freunde und Familie in digitaler Reichweite bleiben. Mihaela Nedelcu, Université de Neuchâtel, beantwortet vier Fragen über den „Online-Migranten“ und zeigt wie sich Skype, Facetime & Co. auf familiäre Beziehungen und das eigene Zugehörigkeitsgefühl auswirken.
In der Diskussion stellt sich schlussendlich die Frage, welchen Einfluss die soeben angeführten Entwicklungen auf unser Verständnis von Integration ausüben. Wafaa Abo Zarifo, eine aus Palästina geflüchtete Journalistin, hat sich mit mobilen Menschen in Luxemburg unterhalten und geht auf die Bedeutung von Heimat wie auch berufliche und soziale Integrationsstrategien ein. Zum Abschluss schildert Claude Radoux, Mitglied des städtischen Gemeinderats, sowohl sein persönliches als auch das politische Verständnis von Integration in Luxemburg-Stadt.
Kim Nommesch
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