- Gesellschaft, Politik
Im digitalen Panopticon leben
„I only have one fear in doing all of this [which is] that people will see these documents and shrug, that they’ll say, we assumed this was happening and don’t care‘“, erklärte Edward Snowden dem Journalisten Glenn Greenwald unmittelbar vor seinem Coming-Out im Juni 2013.1 Zwar führten seine Enthüllungen über die globalen Spionageprogramme, welche nach dem 11. September von amerikanischen und europäischen Geheimdiensten eingeleitet wurden, entgegen seiner Befürchtungen, letztlich zu weltweiten Debatten über Massenüberwachung sowie über das Recht auf Datenschutz und Privatsphäre. Doch gewinnt man zugleich auch den Eindruck, dass nach der anfänglichen Betroffenheit eine gewisse Resignation oder Gleichgültigkeit seitens der Bürger eingesetzt hat. Währenddessen treffen Regierungen unentwegt Vorkehrungen, um Überwachungsmaßnahmen zu verschärfen oder ihnen eine gesetzliche Basis zu geben.
Die Überwachung findet dabei keineswegs ausschließlich durch Geheimdienste statt. Das massenhafte Sammeln privater Daten erweist sich nämlich als ergiebige Goldgrube für Wirtschaftsunternehmen. Auch die hierzulande durch Jeremy Rifkin proklamierte „Dritte Revolution“ baut zum Großteil auf das Sammeln und Verarbeiten dieser Daten. Die Regierung Luxemburgs will in dieser, im Grunde digitalen, Revolution eine Vorreiterrolle spielen. Dabei vertuscht die umweltfreundliche und nachhaltige Dimension der Rifkin-Studie die offensichtlich schädlichen Aspekte der vom Staat erwünschten Entwicklungen. Demnach soll das sogenannte „Internet der Dinge“ – also die Verbindung intelligenter Geräte, wie z.B. dem Smartphone oder dem smart fridge, welche Informationen sammeln und untereinander austauschen – dem Menschen das Leben in Zukunft erleichtern. Die wachsende Abhängigkeit vom Internet bringt jedoch einen besorgniserregenden Eingriff in die Privatsphäre mit sich und birgt somit erhebliche Risiken, was Datenschutz betrifft.
Die Vorstellung, sich in Zukunft einen Mikrochip in den Arm implantieren lassen zu müssen, löst aus einleuchtenden Gründen bei den meisten Menschen Entsetzen aus. Dabei begleitet uns dieser Mikrochip schon längst in Form von tragbaren Computersystemen wie Smartphones – freilich nicht unter der Haut, sondern lediglich in der Hosentasche. Der rundum vernetzte Bürger bringt jeden Tag eine Unmenge an vertraulichen Daten über sich in Umlauf – z.B. auf sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter, über Internet-Dienstleistungen wie dem e-Banking und Google Calendar, durch mobile apps oder über vernetzte Alltagsgegenstände. Außenstehende, die Zugang zu den Daten haben, können z.B. nachspüren, wer sich wann wohin bewegt, wer für welches Produkt wie viel Geld ausgibt, mit wem wie lange worüber diskutiert wurde, wer welche Vorlieben hat, wer unter welchen gesundheitlichen Problemen leidet oder wer welche ideologischen Weltbilder vertritt. So klischeehaft der Vergleich zu 1984 geworden ist, so sehr sind die Parallelen zu Orwells Dystopie kaum zu übersehen. Die beiden Autoren Marc Dugain und Christophe Labbé sprechen mithin von einer „dictature douce où le contrôle total des individus se réalise non pas contre leur volonté, mais avec leur consentement tacite“.2
Das Versicherungs- und Gesundheitswesen sowie der Energieverbrauch (siehe: smart meters) laufen bereits über das Netz und sammeln Informationen über uns, welche anschließend in einer digitalen Datenbank gespeichert werden. Es ist bloß eine Frage der Zeit, bis auch die Benutzung anderer staatlicher Dienste die Weitergabe solcher Daten erfordert. Der öffentliche Transport z.B. könnte in Zukunft nur noch mittels einer genauen Angabe bezüglich Zeit und Ort des Ein- und Ausstiegs zugänglich sein. Auch der Arbeitsplatz soll zunehmend überwacht werden: Das Gesetzesprojekt 7049 sieht vor, dass die Installierung von Überwachungssystemen am Arbeitsplatz vereinfacht und beschleunigt werden soll. Abgesehen von der Gefährdung des Datenschutzes und des Rechts auf Privatsphäre, wirft dieser Überwachungswahn auch andere wichtige Fragen auf, z.B. über die Zukunft des Whistleblowings. Datenschutz und das Recht auf Privatsphäre sind in einer Gesellschaft, in der jeder Schritt und jede Tastatureingabe verfolgt und gespeichert werden, kaum noch möglich.
Neben der Digitalisierung des Alltags verschaffen politische Vertreter den Geheimdiensten eine rechtliche Grundlage für Bespitzelungsaktivitäten, um immer invasiver in die Privatsphäre der Bürger einzugreifen. Beide Entwicklungen gehen Hand in Hand, da die bessere Vernetzung auch ein besseres Ausspähen ermöglicht. So ist es den großherzoglichen Sicherheitskräften seit den Pariser Attentaten von November 2015 gestattet, Telefone und Online-Kommunikationsdienste abzuhören und sich Zugang auf Bankkonten und Computer zu verschaffen.3 In diesem Sinne ist am 1. Oktober 2016 die SREL-Reform in Kraft getreten, welche es dem luxemburgischen Geheimdienst erlaubt, Staatstrojaner in private Computer einzuschleusen, um somit auf persönliche Daten zugreifen zu können. Enthüllungen des öffentlich-rechtlichen Radiosenders 100,7 zeigen jedoch, dass Staatstrojaner schon seit 2011 eingesetzt werden, ohne dass es dafür einen gesetzlichen Rahmen gegeben hätte. Dabei hatte der Gerichtssprecher Henri Eippers noch im Oktober desselben Jahres betont, dass die Überwachung von privaten Rechnern durch den Staat in Luxemburg verboten sei.4 Das hielt die Regierung nicht davon ab, 2012 bei der umstrittenen Firma Hacking Team für 300000 Euro Spyware zu erwerben. Die Pariser und Brüsseler Attentate von 2015 und 2016 gaben schlussendlich Anlass, den bisher illegalen Praktiken Gesetzeskraft zu verleihen, ohne bei der durch die Anschläge bestürzten Bevölkerung auf starken Gegenwind zu stoßen. In der Tat hat es kaum Einwände gegen die Geheimdienstreform oder andere Maßnahmen wie das Verbot anonymer SIM-Karten gegeben. Auch die Enthüllungen des Radiosenders 100,7 riefen wenige Reaktionen hervor.
Der britische Philosoph Jeremy Bentham hat mit seinem Panopticon bekanntlich eine Infrastruktur entwickelt, die es erlauben sollte, Gefängnisinsassen besser zu kontrollieren. Dabei sollten Letztere ständig unter dem Eindruck leben, beobachtet zu werden, obwohl dies nicht wirklich der Fall ist. Die Vision Benthams wird heute in gewisser Weise dank der fortschreitenden Digitalisierung des Alltags auf die gesamte Gesellschaft ausgeweitet – mit dem Unterschied, dass der Bürger tatsächlich ständig beobachtet wird und sich dieser Überwachung freiwillig fügt. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die jetzige Gambia-Koalition, welche erst an die Macht gelangen konnte, nachdem ein Bespitzelungsskandal die Juncker-Regierung zu Fall gebracht hatte, sich durch Überwachungsmaßnahmen auszeichnet, welche nicht mehr klammheimlich, sondern offen und legal stattfinden. Die luxemburgische Öffentlichkeit scheint sich mit dieser Entwicklung stillschweigend abzufinden. Dabei hätten der NSA- und der SREL-Skandal eigentlich zeigen müssen, dass die technischen und/oder rechtlichenMöglichkeiten der Ausspähung durchaus zu Missbrauch führen. Vielleicht lag Snowden mit seiner Befürchtung doch nicht ganz daneben.
[1] Greenwald, Glenn, No Place to Hide. Edward Snowden, the NSA & the surveillance state, Penguin Books, 2014, S. 19.
[2] Dugain, Marc, Labbé, Christophe, L’homme nu. La dictature invi- sible du numérique, Éditions Plon, Éditions Robert Laffont, 2016, S. 163.
[3] „Luxemburg schraubt Sicherheit hoch“ in: Tageblatt, 20. Novem- ber 2015.
[4] „Luxemburg ohne Lizenz zum Ausspähen“ in: L’essentiel, 12. Oktober 2011.
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