Immersiver Journalismus: Mittendrin statt nur davor
Ein Tauchgang in eine Welt, in der die Grenzen von Fiktion und Realität verschwimmen – dies verspricht der immersive Journalismus. Dieses Gefühl des Abtauchens wird durch Handys in Pappbrillen, wie das Google Cardboard oder Headsets mit Virtual-Reality (VR)-Brillen, ermöglicht.
Das Aufsetzen einer VR-Brille katapultiert den Zuschauer tatsächlich in eine neue Art der Realität. Die Brille füllt das Gesichtsfeld vollständig aus und adaptiert das Bild an die ausgeführten Kopfbewegungen. Datenhandschuhe erlauben gegebenenfalls noch zusätzlich ein haptisches Erleben sowie eine Navigation und Orientierung im virtuellen Raum.
In dieser neuen Erzählform gelten 360°-Videos als geeignetes Einsteigerformat. Aufwendiger, teurer und daher noch selten sind hingegen computergenerierte Virtual Reality (VR)-Reportagen.
Kameras, die 360-Grad-Aufnahmen ermöglichen, sowie eine neue und deutlich performantere Generation von VR-Brillen, die ruckelfreie Bilder erlauben, bilden die Grundlage der Entwicklung in den letzten Jahren.
Mittlerweile bieten Medien, wie die Süddeutsche Zeitung, die New York Times, oder ARTE bereits ihre eigene VR-Apps mit Rundum-Videos an. Die Themen reichen von der virtuellen Rekonstruktion von Fällen mit Polizeigewalt, über das Leben in den Slums von Bangladesch, hin zu kolumbianischen Friedensprozessen oder der Flucht und Migration nach Europa über das Mittelmeer.
Das vom World Economic Forum in Auftrag gegebene „Project Syria“, das 2014 auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos Premiere feierte und danach unter anderem im Victoria & Albert Museum in London gezeigt wurde, war das erste aufsehenerregende Beispiel eines VR-Beitrages mit journalistischem Hintergrund. Hier erlebt der Zuschauer hautnah eine Bombenexplosion und das Leben in einem Flüchtlingscamp. Die Produzenten lehnten sich hierfür an reelle Handy-Videoclips und Berichte von Augenzeug*innen sowie Fotos an. Die Szenen aus einem Flüchtlingslager sind dabei mit Original-Audioaufnahmen aus dem dargestellten Lager hinterlegt.
Ein Jahr später haben die Vereinten Nationen den Film „Clouds over Sidra“ in Auftrag gegeben, welcher ein junges syrisches Mädchen auf der Flucht begleitet. Kriegsgebiete, wie die syrische Stadt Aleppo wurden für den Film „Welcome to Aleppo“ mit 360°-Kameras gefilmt und können heute virtuell ‚besucht‘ werden.
Der Zuschauer wird somit auch zum Zeugen. Er ist nicht mehr von der Perspektive des Reporters abhängig, sondern kann seinen Blick selbstständig steuern und sich frei in dem vorgegebenen Raum bewegen. Die Distanz zwischen Sehen und Erleben schwindet und das Medium selbst wird fast nicht mehr wahrgenommen. Der Nutzer kann sozusagen auch nicht wegschauen und nichts wegklicken. Er befindet sich dank VR in einer ablenkungsfreien Situation.
Dies alles macht VR zu einem mächtigen Instrument. Es vermag, abgestumpfte Zuschauer*innen zu einer persönlichen Anteilnahme zu bewegen. Durch diese stärkere emotionale Einbindung des Nutzers werden Virtual-Reality-Headsets bereits als „Empathie-Maschinen“ bezeichnet.
Doch eine im wahrsten Sinne des Wortes greifbare Geschichte ist deshalb nicht automatisch auch begreifbar. Die bewegten wie bewegenden Bilder müssen daher immer noch in einen klaren journalistischen Kontext eingebettet werden, um nicht zur weiteren Orientierungslosigkeit im trüben Nachrichtenpool beizutragen.
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