In Plastikfolie verpackte Zeitzeugen

Fahrradkultur hat in Luxemburg keinen Platz

Feinsäuberlich in Luftpolsterfolie verpackt stehen seit zehn Jahren in einer von mir angemieteten Garage in Bonneweg über dreißig historische Fahrräder der Marke Peugeot.

Nicht, dass ich sie verstecken möchte oder sie gar als Spekulationsobjekte betrachte, die ich später einmal für viel Geld zu verkaufen gedenke. Nein, die Ursache ist weitaus unrühmlicher: Bis jetzt konnte ich leider keinen geeigneten Platz finden, um diese allesamt fahrtauglichen Räder – die meisten davon genießen bereits heute Kultstatus–der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Doch mit diesem Problem stehe ich nicht allein. Henri Bressler zum Beispiel, ehemaliger Angestellter im Sportministerium, leidenschaftlicher Sammler und Buchautor, hütet seine riesige Sammlung an Fahrradrequisiten im eigenen Haus, das vom Keller bis zum Speicher mit wertvollen Unikaten und Paradestücken vollgestopft ist. Selbst das Sportministerium hat bis dato keine definitive Bleibe für seine Schätze gefunden, diese lagern im Untergeschoss der Coque.

Mangelnder politischer Wille

Um unter anderem auf diesen Mangel aufmerksam zu machen, initiierte ich vor zehn Jahren den Verein Centre du cycle Luxembourg. Dieser hatte sich zum Ziel gesetzt, dem Rad jenen Stellenwert zurückzugeben, den es in den 1950er Jahren in Luxemburg hatte. Als Fortbewegungsmittel, aber auch als Kultobjekt. Geplant war die Schaffung eines Zentrums in den Bonneweger Rotunden, hier sollte ein dem „Drahtesel“ besonders angepasstes Ambiente ausgeklügelt und die Kultur des Ein-, Zwei- oder Dreirades regelrecht zelebriert werden. Des Weiteren sollten neben dem musealen Aspekt didaktische Aufgaben wahrgenommen und ein weitgefächertes Angebot an Aktivitäten und Veranstaltungen rund um das Fahrrad organisiert werden. Das historische Areal sollte in einer späteren Phase alle nicht leistungssportlich orientierten Vereinigungen unter einem Dach vereinen und als Anlaufstelle und Ausgangspunkt für den expandierenden Fahrradtourismus dienen. Doch leider mangelt es bis dato an politischem Willen, diese Idee weiterzutreiben. Letztes Jahr haben die Verantwortlichen ihr Projekt „VéloParc“ der Lëtzebuerger Vëlos-Initiativ (LVI) anvertraut in der Hoffnung, dass doch noch etwas geschieht. Allerdings steht weiterhin eine unbeantwortete Frage im Raum: Weshalb erfährt gerade dieser soziokulturelle Teilaspekt unserer Geschichte, das Fahrrad im Alltag, eine solch stiefmütterliche Behandlung seitens der Politik oder anderer öffentlicher Instanzen. Immerhin kann das Zweirad sein 200. Jubiläum dieses Jahr im Diekircher Automuseum feiern.

Eine Marke fasziniert

Doch kommen wir zu meiner Sammelleidenschaft. Die Geschichte der französischen Marke Peugeot und deren industrielle Vielseitigkeit hat mich seit frühester Jugend fasziniert. Und wie so oft sind es Kindheitserinnerungen, die meine Begeis-terung entfacht haben. In den sechziger Jahren fährt unser allerseits bewunderter Hausarzt bei seinen Besuchen eine Peugeot 404 Limousine und manchmal nimmt er uns mit diesem Wagen zur Behandlung in die Arztpraxis mit.

Jahrzehnte später dann entdecke ich durch Zufall in einer Garage eine 404 Limousine aus dem Jahr 1968, burgundrot, die mich an den Arzt aus meiner Kindheit erinnert. Ohne lange zu zögern, kaufe ich das Auto. Es folgen mehrere mich sehr beeindruckende Besuche des Peugeot-Museums in Sochaux (F); später beginne ich zeitgleich zu meinem Engagement im Radsport Fahrräder der 130-jährigen Marke zu sammeln und im Laufe der Jahre entsteht eine stattliche Sammlung.

Mein besonderes Interesse gilt auch der langen, abwechslungsreichen Geschichte der Traditionsmarke: Die Brüder Jean-Pierre II und Jean Fréderic Peugeot, die einer Müllerfamilie aus der Region Montbéliard nahe der schweizerischen Grenze entstammen, bauen 1810 ihre Getreidemühle in eine Stahlgießerei um. Sie beginnen ihre industriellen Aktivitäten mit der Herstellung von Sägeblättern, Korsettstäben (Krinoline) und Federn für die örtliche Uhrenindustrie. Das Unternehmen Peugeot Frères ist gegründet. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spezialisiert sich der Betrieb auf die Produktion von Werkzeugen, Kaffeemühlen, Nähmaschinen und zahlreichen anderen Gebrauchsgegenständen, deren Herstellung hochwertigsten Stahl benötigt. Übrigens sind Pfeffermühlen mit Peugeot-Mahlwerk heute noch die besten der Welt!

1858 lässt die Firma den Löwen als ihr Markenzeichen eintragen. Dieses symbolisiert die Qualität der Werkzeuge und Utensilien von Peugeot: die Kraft der Zähne, die Flexibilität der Blätter, den schnellen Schnitt.

Im Jahre 1885 nimmt Armand Peugeot die Serienproduktion von Fahrrädern auf und 1888, knapp drei Jahre später, liegt die Jahresproduktion bereits bei rund 19000 Exemplaren. Daneben baut das Werk auch Dreiräder mit Pedalantrieb, und was liegt näher als ein solches Fahrzeug mit einem Motor zu versehen. Im Jahr 1891 verlässt das erste benzinbetriebene Peugeot-Vierrad mit Daimler-Motor das Band in Valentigney.

Eine wohldurchdachte Sammlung

Ich habe Wert darauf gelegt, dass sich in meiner Sammlung auch die ganze Bandbreite der Marke widerspiegelt. Das älteste Stahlrad ist aus den zwanziger Jahren, 14 kg schwer – ein aktuelles Rennrad aus Karbon wiegt knapp 6,9 kg. Damenfahrräder fehlen ebenso wenig wie ein kultiges Miniklapprad aus den 1970er Jahren. Eine ganze Reihe von Rädern bekam ich geschenkt, da viele Leute aus Platzmangel ihren alten Drahtesel loswerden wollten. Fehlende oder andere interessante Modelle kaufte und kaufe ich für teures Geld an Fahrradbörsen oder im Internet.

Hier einige meiner besonders interessanten Errungenschaften:

In Montpellier entdeckte ich ein schwarzes Damenfahrrad aus dem Jahre 1935. Es war in recht schlechtem Zustand, aber komplett. So wurde es in seine Einzelteile zerlegt, Felgen, Bremsteile, Kettenrad und Pedale wurden zum Chromieren in eine Werkstatt in der Nähe von Nancy geschickt, der Rahmen hierzulande neu lackiert. Es gelang mir dann, ein sogenanntes Rocknetz aufzuspüren (ein Netz, das vom Schutzblech aus über das Hinterrad gespannt wird) und schon erstrahlte das Damenrad in authentischem Glanz.

Ein hellblaues Damenfahrrad aus dem Jahre 1965 holte ich in Paris ab. Von der Place de la Bastille, an der ich mich mit dem Verkäufer traf, radelte ich bis zur Gare de l’Est, von da aus ging es mit dem TGV (den Fahrradplatz hatte ich vorsorglich reserviert) nach Luxemburg.
In meinem Besitz befindet sich auch ein weißes PX10 Rennrad aus den Anfängen der 1970er Jahre, hergestellt aus den damals superleichten Reynolds 531 Stahlrohren, ein absoluter Klassiker unter den Peugeot-Rennrädern. Mit diesem Radtyp wurden Hunderte von Profirennen gewonnen und ein solches Rennrad gehört in jede Sammlung. Ich plane mit diesem Rad bei einer „Eroica“ zu starten, einer Radrundfahrt für historische Rennräder. Erlaubt sind nur Fahrräder, die mehr als 30 Jahre alt sind und die Teilnehmer müssen in Vintage-Kleidung antreten.

Nicht zu vergessen ist bei aller Freude am Sammeln, dass die Räder Unterhalt brauchen oder gar restauriert werden müssen. Wenn ich mal Hilfe brauche, wende ich mich an meinen Fahrradhändler Kontz, der mir immer mit Rat und Tat zur Seite steht. Originalteile beschaffe ich mir auf ebay oder an Fahrradbörsen im Ausland. Um die Räder in ihren Urzustand zu versetzen, konsultiere ich alte Kataloge. Über 80 Kataloge – der älteste stammt von 1898 – befinden sich in meinem Archiv. Mittlerweile bin ich als eine Art „Fachmann“ anerkannt und so erreichen mich regelmäßig Fragen von ausländischen Sammlern hauptsächlich betreffend die Datierung alter Peugeot-Räder.

Meine Sammlung besteht nicht nur aus Fahrrädern, sondern umfasst auch Schilder, Plakate, Kataloge und Postkarten. Trikots vervollständigen den mehr als 1100 Objekte zählenden Bestand, den ich seit 2002 mit viel Geduld zusammengetragen habe. Bei der Aufzählung nicht zu vergessen, sind auch die Dutzenden Kaffee- und Pfeffermühlen.

Aus Platzmangel, aber auch aus Enttäuschung, bedingt durch den Mangel an politischem Interesse an der Fahrradkultur in Luxemburg, habe ich in den letzten Monaten einige meiner besten Stücke verkauft. Schade eigentlich, dass es soweit kommen musste!

Autor und Hobbyforscher

Als Sammler konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, der Radsparte der bekannten Automarke zwei reich bebilderte Sachbücher zu widmen. Außerdem lieferte ich Beiträge zum Jubiläumsbuch der LVI, in denen ich die einheimische Händlerszene beleuchtete und den letzten großen Luxemburger Radfabrikant Olympia vorstellte.

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