Information, Bildung, Unterhaltung

Zum unterschiedlichen Selbstverständnis öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten und kommerzieller Sender

Lord Reith (später wurde er gar zum 1st Baron Reith ernannt) dürfte hierzulande für die meisten Mediennutzer ein Unbekannter sein. Dabei hat kaum ein Anderer größeren Einfluss auf die Gestaltung von Radio und Fernsehen im Westen genommen. Als erster Generaldirektor der BBC hat er den ordnungspolitischen Rahmen gesteckt für das public service broadcasting, kurz PSB.

Angefangen hat John Reith 1922 als Geschäftsführer der British Broadcasting Company, einem gemeinsamen Unternehmen von sechs großen Elektrogeräteherstellern, das von der Postbehörde die exklusive Sendelizenz für Großbritannien erhielt. Doch der Verkauf neuer Radiogeräte sowie Einnahmen durch Sponsoring und einen Teil der Gerätegebühren deckte die Programmkosten nicht, so dass es den Anteilseignern geboten schien, sich mit dem Postmaster General, einer Stellung im Ministerrang, ins Benehmen zu setzen.

Ab 1927 wurde der Monopolist als British Broadcasting Corporation geführt, also nicht länger als kommerzielles Unternehmen, sondern als Körperschaft mit öffentlichen Aufgaben, die in einer königlichen Satzung festgehalten waren. Das PSB-Programm folgte einem inhaltlichen Dreigestirn, das Reith vorgegeben hatte und bis heute weltweit Geltung hat: “inform, educate, entertain”. (Kritiker wie Befürworter erkannten darin von Anfang an das Wesen einer medialen Erziehungsanstalt für die Bürger.)
PSB-Anstalten findet man in den meisten demokratischen Ländern. Zur Veranschaulichung, was den service public von rein kommerziellen Sendern unterscheidet, seien als Fallbeispiele das Vereinigte Königreich, Deutschland und Kanada herangezogen.

BBC: öffentlicher Auftrag, kommerzielle Unabhängigkeit und Staatsferne

Im vergangenen Dezember erhielt die BBC eine neue Royal Charter, die zum 1. Januar 2017 in Kraft trat. Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist es demnach “to act in the public interest, serving all audiences trough the provision of impartial, high-quality and distinctive output and services which inform, educate and entertain”. Gegenstand der BBC ist die Erfüllung dieser Aufgabe und die Förderung der sogenannten Public Purposes. Die königliche Satzung listet ingesamt sechs dieser Aufträge für die Allgemeinheit auf: “to provide impartial news and information to help people understand and engage with the world”; “to support learning for people of all ages”; “to show the most creative, highest quality and distinctive output and services”; “to reflect, represent and serve the diverse communities of all of the United Kingdom’s nations and regions”; “to reflect the United Kingdom, its culture and values to the world”.

Ganz wichtig: In allem, was die BBC entscheidet und tut, muss ihre Unabhängigkeit gewahrt sein. Freiheit von wirtschaftlichen Interessen gewinnt sie dadurch, dass sie keine Werbung ausstrahlt (außer auf BBC World); die Staatsferne ist gewährleistet durch die Organisation ihrer Entscheidungsorgane. Oberstes Gremium ist das BBC Board, das sich derzeit noch im Aufbau befindet und am 3. April seine Arbeit offiziell aufnimmt. Zum 14-köpfigen Board gehören zehn qualifizierte Mitglieder ohne Führungsaufgaben bei der Beeb (wie die BBC im Volksmund genannt wird), darunter der Vorsitzende, sowie vier Manager, unter ihnen der Generaldirektor. Das Board gibt die strategische Richtung vor und stellt sicher, dass die BBC als Betrieb effektiv und effizient geführt wird. Die Sitzungsprotokolle des Boards sollen zeitnah veröffentlicht werden. Die Medienaufsicht wird unter der neuen Satzung ausgelagert und von der nationalen Regulierungsbehörde Ofcom übernommen. Ein Jahresbericht und mehrere thematische Untersuchungen sollen Aufschluss geben, inwieweit die BBC ihren inhaltlichen Anforderungen nachkommt.

Deutschland: Staatsferne, Dienst am Bürger und Überparteilichkeit

Rundfunk ist Ländersache, lautet ein oft zitierter Satz in der bundesdeutschen Mediendebatte. Daher ist es wenig verwunderlich, dass das öffentlich-rechtliche System nicht durchgehend identisch ist für die einzelnen ARD-Anstalten. Das hat in erster Linie historische Gründe. Das rechtliche Gefüge der Sender spiegelt in mancherlei Hinsicht das kulturelle Verständnis der westlichen Besatzungsmächte wider: In Bayern und Berlin bestimmten die Amerikaner den Neuaufbau des Rundfunkwesens, im Südwesten die Franzosen und im Nordwesten die Briten. In den allgemeinen rundfunkpolitischen Grundsätzen waren sich die Westalliierten allerdings einig. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört der Allgemeinheit, die ihn im Gegenzug über die Aufsichtsgremien, in denen die gesellschaftlich relevanten Kräfte vertreten sind, beaufsichtigt.

Wesentlich ist seit dem ersten Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1961 die Staatsferne, d.h. die fehlende unmittelbare Einflussnahme durch Gesetze oder andere Regulierungen. Die Rundfunkfreiheit wird darüber hinaus als dienende aufgefasst, d.h. „sie hat der freien, individuellen und öffentlichen Meinungsbildung zu dienen“, wie es der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in seinem Gutachten: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk im 21. Jahrhundert zusammenfasst. Außerdem ist das PSB weder wirtschaftlichen noch staatlichen Interessen verpflichtet, sondern einzig dem Gemeinwohl. Konstitutiv sind ebenso die publizistische Meinungsvielfalt und die Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens, die sich in den Programmen niederschlagen soll.

Zur Grundversorgung gehört zum einen der flächendeckende Empfang der Programme und zum anderen ein vielfältiges Angebot an Information, Bildung und Unterhaltung, so wie es John Reith bei der BBC vorgegeben hatte. Inhaltlich ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk um Ausgewogenheit (in der Gesamtheit seines Programms, nicht in jeder einzelnen Sendung oder gar Reportage) bemüht. Dazu zählen auch das Gebot einer fairen und unab-
hängigen Berichterstattung sowie der Überparteilichkeit. Selbstredend hegt der Nachrichtenjournalismus hohe Qualitätsansprüche; das gilt ebenfalls für andere Informationsformate wie Wissenschafts-, Wirtschafts- oder Kulturmagazine sowie Dokumentationen im Allgemeinen.

Die Organisation des deutschen PSB ist generell dreigliedrig geordnet: der Intendant ist verantwortlich für Programm und Betriebsführung; der Rundfunkrat, bestehend aus den sogenannten gesellschaftlich relevanten Kräften, vertritt als Kontrollorgan die Interessen der Allgemeinheit und bestimmt den Intendanten; während der Verwaltungsrat für die Aufsicht von Wirtschafts- und Rechtsfragen zuständig ist, also für alles, was außerhalb der Programmverantwortung liegt. Letzten Endes, schreibt der Wissenschaftliche Dienst in seinem Fazit, ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk „nach überwiegender Auffassung von Politikern und Gesellschaft, zur Sicherung der Meinungsvielfalt und somit der Demokratie selbst, unverzichtbar“.

Kanada: Aufklärung, Unabhängigkeit und good governance

Das kanadische Broadcasting Act stammt, genau wie das Luxemburger Loi sur les médias électroniques, aus dem Jahr 1991 und ist dementsprechend nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Der ständige Senatsausschuss für Transport und Kommunikation in Ottawa hat sich daher Gedanken über die Rolle von CBC/Radio-Canada gemacht und im Juli 2015 einen Bericht mit Denkanstößen über eine mögliche Neuordnung des PSB im 21. Jahrhundert unter dem Titel Time for a Change vorgelegt. Wohl harren die insgesamt 22 Empfehlungen einer gesetzlichen Umsetzung, aber verhandelt wurde in den Gesprächen zwischen Medienpolitikern und Experten auch das Selbstverständnis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Kanada.

Genau wie im Vereinigten Königreich und in Deutschland prangt das programmatische Dreigestirn über dem Broadcasting Act: “the Canadian Broadcasting Corporation, as the national public broadcaster, should provide radio and television services incorporating a wide range of programming that informs, enlightens and entertains”. Gerade die Verwendung des Verbs aufklären (statt bilden) zeigt, dass es dem Gesetzgeber ebenso wie den Senatoren wesentlich um Demokratie zu tun ist. Ein Punkt zur inhaltlichen Bestimmung des eher vagen Mandats lautet dementsprechend: “provide what Canadians need as citizens not as consumers”. Der Bericht setzt weniger auf Quoten als auf Nischen, die von kommerziellen Anbietern oder in Kanada empfangbaren US-amerikanischen Sendern nicht bedient werden. Die entsprechende Empfehlung zitiert qualitativ hochstehende Produktionen, womit nicht allein Filme und Dokumentationen gemeint sind, sondern gleichfalls Übertragungen von Eishockeyspielen.

Ein Punkt, der den Senatoren besonders aufstößt, ist der Umstand, dass nach wie vor der Premierminister den Intendanten der CBC ernennt. Dadurch wirkt das Board of Directors mehr als beratendes Gremium denn als Aufsichtsorgan des Managements. Deswegen plädieren die Senatoren dafür, dass künftig das Board den Intendanten in einem transparenten Verfahren mit genau festgelegten Anforderungskriterien bestimmen soll. Das wäre ein wichtiger Schritt hin zu verantwortungsbewusster Führung; zur good governance gehören in den Augen der Senatoren gleichfalls “stringent restrictions on the external activities, including outside paid-employment, of all senior staff and on-air talent to prevent the perception of any possible conflicts of interest.” Bestehen solche Regelungen, dürften es sich die Aufsichtsräte zweimal überlegen, ob sie einen Moderator gegen Entgelt auf dem Messestand einer privaten Firma auftreten lassen. Nicht zuletzt wirbt der Bericht für die Einsetzung eines Ombudsmans, der die Interessen der Zuschauer und Zuhörer vertritt und dem Board regelmäßig Bericht erstattet.

Luxemburg: Öffentliche Finanzierung ohne öffentliche Kontrolle?

Im März soll im Luxemburger Parlament über die Medien debattiert werden – leider ohne vorherige Abfassung eines Berichts durch den zuständigen Ausschuss, der der Diskussion klarere Konturen hätte geben können. Man darf vermuten, dass die Frage, wie wir es künftig mit dem public service broadcasting halten wollen, allenfalls am Rande zur Sprache kommen wird. Das ist wenig überraschend, spielt die Medienpolitik spätestens seit den Nullerjahren keine Rolle mehr im öffentlichen Diskurs. Als ich vor 30 Jahren meine Abschlussarbeit an der Universität zu recherchieren begann, war das noch anders. Um über die Medienpolitik in Luxemburg schreiben zu können, bat ich jeweils einen Vertreter der drei großen Parteien von damals sowie den Premierminister, in einem persönlichen Gespräch denselben Fragenkatalog abzuarbeiten. Es war meines Wissens das erste Mal, dass die politischen Parteien ihre medienpolitischen Vorstellungen skizzierten, und bis heute haben sie es nicht wieder getan – trotz der herausragenden Stellung der diversen internationalen Medienunternehmen hierzulande.

Damals ging es um das Radiomonopol in Luxemburg; heute geht es um das Fernsehmonopol – mit leichten Abstrichen: damals war die Exklusivität de iure, heute ist sie de facto. Das Medium ist ein anderes, das Problem ist das gleiche. Wir können uns natürlich weiter von einem Abschluss- zum nächsten Auslauftermin des Konzessionsvertrags zwischen Staat und CLT-Ufa durchlavieren; wir können uns aber auch in einer breitangelegten Diskussion darüber verständigen, welches Programm wir in Zukunft täglich sehen wollen. Wieviel dieses Programm am Ende kosten wird und darf, darüber entscheidet abschließend eine politische Mehrheit. Aber während der medienpolitischen Auseinandersetzung muss jede Option denkbar sein.

Wir können auf ein kommerzielles Angebot setzen oder ein öffentlich-rechtliches veranschlagen. Beide Ansätze haben ihre Berechtigung. Aber wir sollten endlich aufhören, uns etwas vorzumachen und das Programm von RTL Télé Lëtzebuerg als PSB darzustellen. Man kann das öffentlich-rechtliche Selbstverständnis nicht an ein privates Unternehmen outsourcen. Selbst die im Konzessionsvertrag festgeschriebenen missions de service public sind bestenfalls ein Feigenblatt, schließlich gehört die alleinige Produktion einer täglichen Nachrichtensendung bzw. eines wöchentlichen Sportmagazins nicht unbedingt zu den exklusiven Vorrechten einer öffentlich-rechtlichen Anstalt. Das Problem eines kommerziellen Senders in Luxemburg ist ein wirtschaftliches: Der hiesige (Werbe-)Markt ist zu klein, als dass ein TV-Programm kostendeckend oder gar gewinnbringend funktionieren könnte. Wenn aber der Staat, mithin die Bürger, einspringen müssen, um das Fernsehangebot zu finanzieren, sollten sie ebenfalls bei der Geschäftsführung und den inhaltlichen Perspektiven mitreden dürfen.

Ein kommerzielles Programm muss sich durch nichts legitimieren außer durch seine Einschaltquoten, die dann für die nötigen Werbeeinnahmen sorgen. PSB braucht eine ganz andere Legitimation: Es benötigt die Rückkoppelung in die Gesellschaft. Dazu zählen, wie in den erwähnten Modellen aus dem Vereinigten Königreich, Deutschland und Kanada skizziert, die Bestallung des Intendanten, perspektivische Vorgaben zur wirtschaftlichen und/oder programmatischen Ausrichtung und die Überprüfung des öffentlich-rechtlichen Auftrags.

Um diese Ansprüche zu gewährleisten wäre eine binnenduale Lösung denkbar, im Sinne eines öffentlich-rechtlichen Senders im Gewand eines Privatunternehmens. Die CLT-Ufa gründet eine eigenständige Gesellschaft, die einen vom Parlament mitverantworteten Konzessionsvertrag mit dem Luxemburger Staat abschließt. Darin könnte ein Programmbeirat, zusammengesetzt aus fachkundigen Vertretern der Zivilgesellschaft (Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Verbände, NGOs, Academia usw.), berufen werden. Er müsste im günstigsten Fall den Direktor bestimmen, zumindest aber seiner Ernennung zustimmen; außerdem wäre er für die strategische Ausrichtung des Senders zuständig. Ferner müsste er einen Jahresbericht erstellen und dem parlamentarischen Medienausschuss mindestens einmal im Jahr Rede und Antwort stehen. Klingt utopisch? Eher nicht. Es bräuchte nur den entsprechenden politischen Willen, dieses Modell umzusetzen. Schließlich gibt es ausreichend Beispiele in der Welt, an denen man sich orientieren könnte.

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