- Gesellschaft, Klima, Kultur
Ingwerkönige, Bauernsuizide und „Brüsseler Sklaven“
Das Selbstbild von Landwirten und die Bedeutung von Land verändert sich in Relation zu Produktionsbedingungen. Dies ist sowohl in Luxemburg als auch im Süden der Fall. Zwei Ethnologen haben dieses Phänomen analysiert.
„Ich kann nicht damit aufhören. Ich mag das Risiko. Ich ging nicht lange zur Schule, aber Ingwer hat mich groß gemacht. Es ist wie Karten spielen. […] Wenn ich es nicht mache, werde ich unruhig. […] Das Geld interessiert mich nicht, aber das Spiel. Aber natürlich kann nicht jeder bei diesem Spiel gewinnen.“ Diese Aussagen teilte ein südindischer Ingwer-Landwirt, dem Ethnologen Daniel Münster während seiner Feldforschung über Ingweranbau und Agrarwandel mit. Während Naturwissenschaftler eher die Produktionsleistung, Umweltauswirkungen und den Ressourcenverbrauch von Produktionsweisen analysieren, verfahren Sozialwissenschaftler anders. Sie untersuchen beispielsweise, wie sich das Selbstverständnis von Kleinbauern durch deren
Einbindung in den Weltmarkt verändert.
„Das Zitat zeigt den grundlegenden Wandel von bäuerlichen Lebenswelten in vielen Ländern des globalen Südens. Landwirtschaft wird marktorientierter und daher oft spekulativer und riskanter. Unter dem Druck von Schulden und steigenden Lebenshaltungskosten sind gerade Landwirte mit kleinen Anbauflächen oft gezwungen, sprichwörtlich ‚alles auf eine Karte zu setzen’“, erklärt Daniel Münster, Nachwuchsgruppenleiter am Exzellenzcluster „Asien und Europa im globalen Kontext“ an der Universität Heidelberg.1 Manchen gelänge das tatsächlich, viele würden aber durch den Anbau von den sogenannten ‚boom crops‘2 ruiniert. Das Aufgeben von Höfen und sogar Suizid seien häufige Folgen, erläutert der Ethnologe.
Durch die zunehmende Liberalisierung der Landwirtschaft in den Ländern des Südens verändern sich auch die Diskurse über gerechte und nachhaltige Landwirtschaft. Im Rahmen der Forschung über Bauernsuizide in Kerala – dabei waren diese Suizide seltener als angenommen klar als solche einzuordnen – hat Daniel Münster dies untersucht. „Als die Region, in der ich geforscht habe (Wayanad Distrikt im Bundestaat Kerala), wegen ihrer hohen Zahl an Bauernsuiziden indienweite Aufmerksamkeit bekam, begannen viele Bauern, ihre eigenen Praktiken zu hinterfragen“, berichtet Daniel Münster.3 Insbesondere der extrem hohe Einsatz von Pestiziden gilt laut vielen Bauern heute, neben den liberalisierten Preisen, als Hauptursache für unproduktive Böden. Diese wiederum verursachen oft eine Spirale von erhöhtem Pestizideinsatz und steigenden Schulden.
„Als Gegenbewegung etablierten sich jedoch ernstzunehmende Naturlandbaubewegungen, die versuchen, ihre Höfe zu retten, indem sie Vielfalt auf ihre Felder bringen, mehr Nahrungsmittel anbauen und sich auf gegenseitige Abhängigkeit von Mensch, Tier, Pflanze und Boden besinnen“, meint Daniel Münster. Für Andere jedoch liegt die Antwort auf die ökologische und wirtschaftliche Krise dieser kleinbäuerlichen Landwirtschaft woanders. „Sie steigen in den immer riskanteren und spekulativen Anbau von ‚cash crops‘4, unter hohem Einsatz von Kapital und Agrarchemie, ein“ erklärt er.
Selbstzerstörerische Ausbeutung
Kulturwissenschaftler beschäftigen sich auch mit der Frage, wie politische Auseinandersetzungen und der Zugang zu Ressourcen mit ontologischer Politik, d.h. konzeptuellen Fragen zusammenhängen.5 So hat die Ausdehnung der Marktwirtschaft und der nationalstaatlichen Macht die Wahrnehmung der Landschaft Südindiens nachhaltig transformiert. „Land wurde entweder zu Wald (staatlich) oder Ackerland (privat). Das Ackerland wurde zur Sphäre der Entwicklung und deren Nutzer zu Bauern,
unabhängig von deren Kastenposition und Landnutzungspraktiken“, erklärt der Südasienkenner. Wald hingegen sei zur Domäne des autoritären Naturschutzes geworden, dessen Vertreter den Bewohnern des Waldrandes das Betreten des Waldes und jede Form von Jagd dort untersagten.
„Diese binäre Landschaft führt heute zu zahlreichen Problemen, zu denen neben der bereits erwähnten selbstzerstörerischen Ausbeutung des Ackerlandes auch sehr gewaltsame Konflikte mit den Tieren des Waldes gehören: Elefanten, Tiger und Wildschweine bedrohen heute die Felder und die Menschen der Region“, sagt Münster.6 In seiner Forschungsarbeit über alternative Landwirtschaftsbewegungen sei er daher ebenfalls daran interessiert, wie in deren Praktiken eine Ontologie der Verflochtenheit, Abhängigkeit und Interdependenz von Mensch und Natur wiederbelebt wird. „Meine Forschungsfrage lautet daher auch, wie aus einer Beschäftigung mit der Agrarkrise, ihren Ursachen und den Antworten auf solche Krisen, eine Anthropologie der Hoffnung entwickelt werden kann“, so der Ethnologe.
Unser Land, dein Land, mein Land
Auch in Luxemburg verändern sich die Vorstellungen vom Land und seiner Verknüpfung mit landwirtschaftlicher Tätigkeit. Elisabeth Boesen, Ethnologin und Historikerin an der Universität Luxemburg, hat die Tradierung von Erinnerungen an die bäuerliche Arbeit und das dörfliche Leben in luxemburgischen Bauernfamilien untersucht. „Zunächst gingen wir davon aus, dass die massiven Veränderungen, die nach dem Krieg im landwirtschaftlichen Sektor vonstattengingen, als krisenhaft und auch als Verlust erlebt und dass entsprechende Erinnerungen an die folgenden Generationen weitergegeben wurden. Doch es stellte sich heraus, dass die Bauern – d.h. die heutige Großelterngeneration – gerade diese intensive Mechanisierungs- und Rationalisierungsphase beinahe durchgehend als positiv in Erinnerung haben“, so Elisabeth Boesen.7 Die Bauern erlebten sich damals noch als wichtige Akteure in einem sinnvollen Entwicklungsprozess – wenn auch nicht alle in dieser Umbruchszeit erfolgreich waren. Die Zuversicht der Nachkriegszeit hielt aber nur wenige Jahrzehnte an. Bereits die zweite Generation, die in den 1970ern und 1980ern die Betriebe ihrer Eltern übernahm, stand dem Wandel mit gemischten Gefühlen gegenüber. „Die Eingriffe durch die europäische Landwirtschaftspolitik, die stets neuen und umfassender werdenden Auflagen und Vorgaben werden als Drangsalierung erlebt. Eine typische Aussage, die in diesem Zusammenhang fiel, war: ‚Mir si Sklaven vu Bréissel‘“, berichtet die Forscherin der Universität Luxemburg. Auch sei diese zweite Generation zu enormen finanziellen Investitionen gezwungen und dementsprechend mit ganz anderen Risiken konfrontiert. „Der finanzielle Druck ist eine Ursache dafür, dass die Landwirte nicht mehr selbstverständlich davon ausgehen können, dass ihre Kinder den Betrieb weiterführen werden“, erläutert Elisabeth Boesen.
Die dritte Generation erlebt nun auch noch deutlicher die Entkoppelung von Produktion und Einkommen. Da die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse weitgehend stagnieren, übersteigen die Fördergelder mittlerweile den Jahresgewinn um 10%. Das Land verliert unter diesen Bedingungen zunehmend an Bedeutung für die Produktion von Lebensmitteln, während es gleichzeitig an Wert gewinnt. Die enorme Wertsteigerung von Bauland in Luxemburg hat dazu beigetragen, dass Land in bäuerlichen Familien nicht länger als ein Erbe betrachtet wird, das zu bewahren ist, sondern als eine Ware, die veräußert werden kann. „Die Wertsteigerung von Land kann zudem zu Konflikten zwischen den Geschwistern führen. Viele Geschwister von Landwirten wollen nicht mehr auf ihren realen Anteil am Erbe, der sich nach dem Marktwertbemisst, verzichten, sondern bevorzugen gegebenenfalls die Umwandlung von Ackerland in Bauland und dessen anschließenden Verkauf“, so Elisabeth Boesen. Die Vorstellung früherer Generationen, dass das Land zum Haus gehört und dass der Einzelne unter Umständen Verzicht üben muss, um diese Einheit zu bewahren, ist heute kaum mehr nachvollziehbar.
Die dritte Generation ist schließlich auch eine Generation, die sich als Produzent für einen Weltmarkt sieht – und teilt dieses Selbstverständnis mit den indischen cash-crop-Bauern, die für Supermärkte weltweit produzieren.
(Alle Gespräche fanden im Februar 2016 statt.)
1 Vgl. Muenster, D. (2015): Ginger is a gamble: Crop booms, rural uncertainty, and the neoliberalization of agriculture in South India, Focaal 71, S. 100-113.
2 landwirtschaftliche Erzeugnisse, die zum Export bestimmt sind.
3 Vgl. Muenster, D.(2015): „Farmers’ Suicide and the Moral Economy of Agriculture: Victimhood, Voice, and Agro-Environmental Responsibility in South India“, in: (Broz & Muenster eds.), Suicide and Agency, Farnham: Ashgate, S. 105-125.
4 Wie Anm. 2.
5 Vgl. Mol, Annemarie (1999): „Ontological politics. A word and some questions“, in: The Sociological Review, Volume 47.
6 Vgl. Münster, Ursula, Daniel Münster, and Stefan Dorondel, eds.(2012): Fields and Forests: Ethnographic Perspectives on Environmental Globalization, Munich: Rachel Carson Center for Environment and Society.
7 Vgl. Boesen, Elisabeth (2011): „Lebensplanung und Familiengeschick. Soziale Transformationsprozesse und familiäre Tradierung bei luxemburgischen Bauern“, in: Kroh, Jens & Sophie Neuenkirch (eds.), Erzählte Zukunft, Göttingen: Wallstein.
Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.
Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!
