- Gesellschaft, Kultur, Politik
Inszenierte Demokratie
Was House of Cards uns über Politik erzählt
Im Hype der letzten Jahre um „Quality TV“ spielt die US-amerikanische TV-Serie House of Cards (Netflix) eine besondere Rolle. Im Unterschied zur oftmals idealisierenden Darstellung von Politik in älteren Serien – etwa in The West Wing – eröffnet House of Cards eine neue und ernüchternde Perspektive auf Politik: Die dargestellten Politiker sind hier rücksichtslose Intriganten, die keine anderen Ziele kennen als die Steigerung ihrer Macht. Die dargestellte Fiktion bestätigt damit verbreitete Vorurteile über den politischen Betrieb.1 Häufig wird die Serie als adäquate Abbildung der politischen Realität beschrieben, sowohl von Feuilleton-Autoren und Journalisten als auch von Politikern. So berichtet Kevin Spacey in einem Interview, Bill Clinton habe ihm den hohen Realitätsgehalt der Serie bestätigt: „Kevin, 99 percent of what you do on that show is real. The 1 percent you get wrong is you could never get an education bill passed that fast“,2 soll Clinton zu Spacey gesagt haben. Auch der deutsche Politiker Jürgen Trittin hebt den Realismus der Serie hervor und empfiehlt sie „für den Gemeinschaftskundeunterricht“3.
Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive erscheint es ein wenig naiv, raffiniert konstruierte mediale Produkte als vollkommene Abbildungen einer Realität zu betrachten. Es muss bezweifelt werden, dass die Serie zu einem solch großen Erfolg hätte werden können, wenn sie nur die Realität des politischen Geschehens abbilden würde: Sie erzeugt Spannung, suspense. Nur durch die raffinierte Technik der Narration gelingt es, diesen Effekt beim Publikum zu erzeugen und gleichzeitig den Eindruck zu vermitteln, die Realität selbst werde dargestellt.
Narrative Techniken der politischen Inszenierung
House of Cards erzählt in der Tradition des backstage drama vom Alltag des – zu Beginn der Serie – majority whips Francis „Frank“ Underwood. Als backstage drama werden in der Literaturwissenschaft theatralische Werke bezeichnet, welche das Theater darstellen und die Perspektive auf das Geschehen hinter der Bühne richten. In Stücken wie Shakespeares A Midsummer Night’s Dream wird das Schauspiel zum Objekt des Theaters, wodurch die theatralische Illusion durchbrochen bzw. vervielfältigt werden kann.4 Diese Tradition der Selbstreflexion wird in House of Cards aufgegriffen und auf das Feld der Politik übertragen, das dadurch eminent theatralisch organisiert erscheint. Die Zuschauer erleben immer wieder Bühnen der politischen Inszenierung – etwa gleich in der ersten Folge die glamouröse Feier zur Wahl des Präsidenten Garrett Walker – und den Blick hinter diese Inszenierung. Frank Underwood gestattet den Zuschauern als seinen Komplizen einen Blick hinter die Bühne und zeigt ihnen, ‚wie es wirklich ist‘. Die Zuschauer erfahren dabei, welche Intrigen und Machenschaften die für die Öffentlichkeit sichtbaren Ereignisse möglich gemacht haben.
Auch durch die Darstellung der politischen Alltagsszenen erhalten die Zuschauer der Serie einen Blick hinter die Kulissen, da Underwood sich immer wieder direkt an diese wendet, um ihnen seine Gedanken und Pläne zu verraten. Die konsequent eingesetzten Monologe Underwoods, in denen er die ‚vierte Wand‘ durchbricht und direkt in die Kamera spricht, prägen die Narrationstechnik der Serie. Diese Technik wurde in der britischen ‚Original‘-Version der Serie House of Cards (BBC 1990-1995) noch umfassender genutzt. Hier steht Francis Urquhart, der chief whip der Konservativen im britischen Parlament, im stetigen Austausch mit den Zuschauern. Das Stilmittel der Ansprache der Zuschauer in Form eines Monologs ist aus der Theatertradition entlehnt, insbesondere aus Shakespeares Dramen.5 Richard III. beginnt, wie die erste Folge der britischen Version von House of Cards, mit einem Monolog des Titelhelden, der sich als Erzbösewicht ankündigt: „I am determined to prove a villain“.6 Ian Richardson, der Darsteller Francis Urquharts, war zuvor als Richard III. erfolgreich, und manche Kommentatoren sagen, dass er Urquhart in gewisser Weise als Richard III. spielt: als Shakespeare’schen Erzschurken, der mit spielerischer Lust seine Intrigen spinnt. Auch der von Kevin Spacey gespielte Held der Netflix-Serie House of Cards ist in diesem Sinn als intriganter Schurke angelegt, der durch den direkten Austausch mit dem Publikum gleichsam außerhalb des fiktionalen Raums zu stehen scheint. Er ist ein Marionettenspieler, dazu befähigt, alle anderen Figuren – welche die Kamera nicht bemerken – zu dirigieren, zu benutzen und kalkuliert zu vernichten.
Die Aufhebung der vierten Wand ist ursprünglich eher dem Genre der Komödie eigen als jenem der Tragödie. Diese Technik war bereits in der antiken Komödie populär und wurde dort als parekbasis bezeichnet. Die „Parekbasis“, so erläutert es Friedrich Schlegel, „war eine gänzliche Unterbrechung und Aufhebung des Stückes, in welcher, wie in diesem, die größte Zügellosigkeit herrschte und dem Volk von dem bis an die äußerste Grenze des Proszeniums heraustretenden Chor die größten Grobheiten gesagt wurden. Von diesem Heraustreten (ekbasis) kommt auch der Name.“7 Durch die Aufhebung der Fiktionalität bewirken Underwoods Monologe auch in House of Cards einen komischen Effekt. In den Monologen zeigt sich ein gänzlich anderer Underwood als der, den die anderen Figuren zu sehen bekommen: Während er seinem Präsidenten gegenüber Loyalität und Unterwürfigkeit vorheuchelt, zeigt sich in den Monologen seine Machtgier, Kälte und Arroganz. Nur eine dünne Schicht aus Lügen und Heuchelei überdeckt den Umstand, dass die demokratische Politik der Gegenwart nach den gleichen Prinzipien des Machtkalküls funktioniert wie in den Königstragödien Shakespeares. Demokratie wird als inszeniertes Schauspiel demaskiert.
Während das monologische Ansprechen des Zuschauers in der britischen Serie House of Cards aus den 1990er Jahren ein prägendes Stilmittel bleibt, erscheint sie in der amerikanischen Serie der 2010er Jahre spätestens ab der zweiten Staffel spürbar reduziert. Es gibt ganze Episoden der Serie, in denen Underwood sich nicht mehr an das Publikum wendet. „Did you think I’d forgotten you?“, fragt Underwood am Ende der ersten Episode der zweiten Staffel in die Kamera, nachdem er die Beobachter zuvor ignoriert hatte. Aus der Reduzierung des Monologs muss jedoch nicht gefolgert werden, dass die Inszenierung des politischen Geschehens an theatralischer Qualität einbüßt: Ganz im Gegenteil können die Macher der Serie eher davon ausgehen, dass die Zuschauer/innen das dramaturgische Prinzip begriffen haben und Underwood als Akteur eines politischen Schauspiels betrachten, auch wenn er dies nicht ausdrücklich durch Kommentare und Reflexionen verdeutlicht.
Dass Underwood ab der zweiten Staffel der US-Serie als Erzählerfigur etwas in den Hintergrund tritt, ermöglicht zudem eine gesteigerte narrative Komplexität – indem nun Handlungsstränge möglich werden, in denen andere Figuren, etwa seine Frau Claire Underwood oder die Journalistin Zoe Barnes, im Zentrum stehen. Den Mittelpunkt der Serie stellt somit nicht mehr nur allein der Marionettenspieler Underwood dar: Dieser wird zunehmend zu einer jener Figuren, die das Geschehen ‚hinter‘ den Kulissen zu lenken versuchen. Andere Charaktere, wie Claire Underwood oder Underwoods Nachfolgerin als majority whip Jackie Sharpe verfolgen ihre eigenen Machtambitionen und agieren teilweise ähnlich skrupellos wie Underwood selbst.
Eine umgekehrt erzählte Verschwörungstheorie
Nicht nur politische Konkurrenten, sondern vor allem auch Firmen und Konzerne nehmen in der Serie hinter den Bühnen der Macht Einfluss auf das politische Geschehen. Themen wie Lobbyismus und politische Korruption, die in der BBC-Serie kaum eine Rolle gespielt haben, werden in der amerikanischen Version zu zentralen Elementen. Personifiziert werden diese Themen durch Remy Danton, der als Teilhaber der Firma Glendon Hill eingeführt wird. Auch hier inszeniert House of Cards einen Blick auf Politik im Genre des backstage drama. Während er –in Episode 2 der ersten Staffel – aus einem Restaurant zu dem Treffen mit Danton in einer Hotellobby geht, plaudert Underwood im Dialog mit dem Zuschauer seine Verpflichtung gegenüber Glendon Hill aus und kommentiert mit gespielter, ironischer Selbstkritik: „It’s disgusting, I know“.8 House of Cards beansprucht, alles zu zeigen: Die schmutzigsten Geheimnisse und dunkelsten Intrigen hinter den Bühnen des Politischen (in einer späteren Folge können die Zuschauer sogar beobachten, wie Frank Underwood sich einen Pornofilm anschaut).
Der drogenumnebelte Verschwörungstheoretiker Roy Kapeniak spricht in einer späteren Szene der zweiten Folge die Perspektive der Serie auf Politik im Klartext aus: „Left, right, red, blue, Democrat, Republican. They’re all dangling from the same strings.“9 Das ist in gewisser Weise die Essenz des Blicks auf die backstage in House of Cards. Mit der Fokussierung auf die dunklen Machenschaften in den Hinterzimmern des Politischen stellt House of Cards eine umgekehrt erzählte Verschwörungstheorie dar. Traditionell werden Verschwörungstheorien analytisch erzählt, d.h. es wird ex post ein verborgener Zusammenhang – ein ‚Komplott‘ – zwischen scheinbar unzusammenhängenden Vorgängen konstruiert. Als Theorie beruft sie sich auf das Verborgene und Geheime und ist daher immer wieder in eine systematische Nähe zur Paranoia gerückt worden.10
In House of Cards beobachten wir dagegen nicht primär die Akteure, die Verschwörungen ex post rekonstruieren, sondern wir nehmen – quasi als schweigende Komplizen – an deren Planungen und Ausführung teil, indem wir Underwoods Machenschaften betrachten. Die Verschwörung wird hier demnach nicht analytisch, sondern synthetisch, d.h. linear und chronologisch erzählt. Protagonisten wie Frank Underwood erscheinen stets bemüht, die Intrigen und Zusammenhänge zu verschleiern, damit sie nicht von äußeren Beobachtern und ‚Agenten der Wahrheit‘ (wie Zoe Barnes) durchschaut werden können.
Ein Ausblick auf eine kommende Wahl
Viele ZuschauerInnen fragen sich, was aus House of Cards über die amerikanische Politik des Wahljahres 2016 gelernt werden kann. Ein schriller Quereinsteiger ins politische Geschehen wie Donald Trump ist in der Serie jedenfalls nicht vorzufinden: Der Milliardär Raymond Tusk bemüht sich zwar um politischen Einfluss, er tut dies jedoch stets mithilfe der Vermittlung durch seinen langjährigen Freund Garrett Walker. Leichter wäre es dagegen, in Claire Underwood ein Porträt Hillary Clintons zu erkennen: Eine Akteurin, die lange Zeit nur hinter der Bühne des politischen Geschehens tätig war, um diese ab der dritten Staffel mit enormem Ehrgeiz zu betreten. Hillary Clinton sei ein „Claire character“, urteilt daher Michael Dobbs, der Autor der Romanvorlage zu House of Cards.11 Und nicht wenige Amerikaner betrachten Hillary Clinton als eine eher nicht vertrauenswürdige und unehrliche Person: Sie repräsentiert den „old way of politics“, kritisiert der Regisseur Michael Moore und prognostiziert einen Wahlerfolg Trumps.12 Falls dies im November 2016 geschehen sollte, können wir die Gründe für den Vertrauensverlust in die etablierte Politikerkaste – unter anderem – nachvollziehen, indem wir noch einmal ein paar Folgen von House of Cards anschauen.
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