Wie das Monster von Loch Ness spukten die sektoriellen Leitpläne während Jahren durch die luxemburgische Landesplanung. Sie sollten die im Gesetz von 1999 festgelegten Ziele für die Bereiche Wohnen, Landschaftsschutz, Gewerbegebiete und Mobilität konkretisieren. Wilde Gerüchte kreisten um die Dokumente: sie seien mit einzelnen Promotoren im Voraus abgesprochen, würden Luxemburg dem Markt ausliefern und gleichzeitig eine Planungsdiktatur errichten, in der den Gemeinden ihre Autonomie genommen würde. Der oberste Beamte der Landesplanung, die bis 2009 zum Innenministerium und danach zum Nachhaltigkeitsministerium gehörte, durfte unter seinen Ministern Jean-Marie Halsdorf und Claude Wiseler ziemlich schalten und walten, wie er wollte. Widerspruch war in der kleinen, extrem abhängigen Gemeinschaft von Planungsbüros, Gemeindearchitekten, Urbanisten usw. nicht vorgesehen, denn am Ende waren alle vom Innenministerium und vom MDDI abhängig. Doch selbst dieser selbstbewusste Beamte traute sich am Ende nicht die explosiven Pläne zu publizieren, die die Karten des luxemburgischen Monopolys für die kommenden 20 Jahre verteilen sollten. Umso größer war das Erstaunen, als der neue Minister François Bausch wenige Wochen nach Amtsantritt Ende 2013 verkündete, die Pläne praktisch so zu publizieren, wie er sie in der Schublade vorgefunden hatte. Als die vier sektoriellen Leitpläne im Juni 2014 auf dem Tisch lagen, leisteten sich die Minister Bausch und Gira sogar den Luxus, sie in regionalen Konferenzen ausgiebig der Öffentlichkeit vorzustellen.

Der Rest der Geschichte ist bekannt: mit stoischem Gleichmut kassierte das Nachhaltigkeitsministerium ab Sommer 2014 das Sperrfeuer der Kritik, das sowohl auf inhaltlicher als auch auf prozeduraler und schließlich juristischer Ebene niederging. Dann — als der Sturm der Entrüstung von Gemeinden, Umweltverbänden, Wirtschaft und Politik seinen Höhepunkt erreichte — kündigte das Ministerium ohne mit der Wimper zu zucken an, die Pläne jetzt zurückzuziehen und sie komplett zu überarbeiten. Gleichzeitig wurde ein ziemlich spektakulärer Paradigmenwechsel in Aussicht gestellt: Die Pläne sollten in den nächsten Monaten aufs engste mit den Gemeinden diskutiert und die strikten Wachstumsauflagen abgeschwächt und mit flexibleren Angeboten attraktiver gestaltet werden. Damit sind die großen Entwürfe, wie sie ja auch gerade von den Grünen gerne vertreten werden, zur gesellschaftlichen Umgestaltung, zur Ordnung des Raumes und zur Umleitung der Verkehrsströme erst einmal auf Eis gelegt.

Doch ganz auf Null wurden die Zähler nicht gestellt. Die Ziele der Sektorpläne und der Landesplanung bleiben unangetastet: es gilt das noch immer ungebrochene Wachstum zu erhalten und in einigermaßen geordnete Bahnen zu lenken. Dieses quantitative Wachstum bleibt der Referenzrahmen, in dem sich auch die neuen (grünen) Minister bewegen. François Bausch erlaubte sich in diesem Zusammenhang eine ehrliche Antwort auf die heikle Frage, wie man das Wachstum eingrenzen könne und erklärte, dass er das auch nicht wisse (siehe auch das Strandgut in dieser Ausgabe). Nicht mehr hilflos sondern schon ziemlich apologetisch war dann aber sein Hinweis im selben Interview (großartig von Peter Feist im Lëtzebuerger Land vom 27.2.2015), dass man das derzeitige Wachstum brauche, um auch weiterhin die Pensionen zu bezahlen.

Blinde Flecken

Luxemburg und seine Regierung erlauben sich immer noch den Luxus, sich einer Wachstumsdebatte zu verschließen, und das obwohl absehbar ist, dass das Großherzogtum einer der ersten Staaten weltweit sein wird, der an seinem Wachstum scheitert (siehe Grafiken S. 20-21). Die Neuauflage der Sektorpläne wäre eine Gelegenheit gewesen, diese Diskussion zu führen, und — wer weiß — vielleicht hätte sich ja doch eine Antwort auf die Frage gefunden, wie man Wachstum auf eine ressourcen-, boden und menschenschonende Weise eindämmen kann.

Nachdem die wechselnden Regierungen in den letzten Jahrzehnten daran scheiterten, die — z.T. auf Papier vorhandene —Landesplanung umzusetzen, fragt man sich, warum es nun auf einmal gelingen soll. Die existierenden Instrumente und Strukturen werden nicht in Frage gestellt. Der sprichwörtliche Luxemburger Pragmatismus will, dass man aus dem Bestehenden etwas ganz Neues machen soll. Dabei ist der Problemdruck extrem hoch: Zur Aufarbeitung der vergangenen Versäumnisse kommt die akute Wohnungsnot. Die schlecht geplanten und nun größtenteils aufgegebenen großen Bauvorhaben (projets d’envergure) erklären sich aus ebendiesem Handlungsdruck.

Ein Beispiel ist das Verhältnis zwischen Schutz des Eigentums und Allgemeinwohl — eine „Schlüsselfrage“ für François Bausch (siehe Interview ab S. 19). Er will in Zukunft öfters bei staatlichen Bauprojekten die „utilité publique“ in das entsprechende Gesetz einschreiben, um Enteignungen möglich zu machen. Die Frage grundsätzlicher mit einem Verfassungsartikel nach dem Modell des deutschen Grundgesetzes zu regeln („Eigentum verpflichtet“) steht nicht auf der Tagesordnung, auch wenn Bausch das persönlich für eine gute Idee hält.

Ein weiteres offensichtliches Problem ist das Verhältnis zwischen nationaler und kommunaler Ebene. Die Gemeindeautonomie bleibt ein schwammiger Kampfbegriff. Gemeindeverantwortliche beklagen, dass die staatlichen Pläne selten zu den Realitäten vor Ort passen würden. Gleichzeitig sind viele Gemeinden auf detaillierte staatliche Vorgaben angewiesen, weil es ihnen an urbanistischer Expertise fehlt, wie Edgar Arendt im Interview eingesteht (S. 26). François Bausch wünscht eine verstärkte regionale Zusammenarbeit, um eine Handlungsebene zwischen regional und national zu schaffen. Doch die dazu auserkorenen Syndikate funktionieren mehr schlecht als recht und auch dort stellt sich die Frage, warum das in Zukunft besser laufen soll.

Fehlende Strukturen offenbaren sich auch in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Rahmen der Großregion, wie Christian Schulz aufzeigt (ab S. 35). Dabei ist die Luxemburger Landesplanung darauf angewiesen. Diese Defizite könnten problematisch werden, wenn bald der französische Ansprechpartner in Straßburg sitzt — der Hauptstadt der künftigen Region Alsace-Champagne-Ardenne-Lorraine.

In den Beiträgen des Dossiers werden weitere grundsätzlichere Probleme der Luxemburger Landesplanung aufgeworfen. Markus Hesse geht auf die „Gouvernementalität“ der Landesplanung ein, die er durch „technokratisches Management, Verschwiegenheit der Akteure und der Wunsch nach größtmöglicher Kontrolle“ gekennzeichnet sieht. Statt alle Akteure an Entscheidungen zu beteiligen, wolle man den „großen, aber detaillierten Plan von oben“ durchsetzen. Die Eigenart Luxem-
burger Entscheider, gerne „groß“ zu denken, spiegelt sich auch im „Kirchberg-syndrom“, auf das Annick Leick (ab S. 32) eingeht. Kirchberg, Belval und Ban de Gasperich sind Beispiele für städtebauliche Großprojekte, die oft mehr versprechen als sie einhalten können, weil sie intransparent ablaufen und sich schlecht in das bestehende Stadtgefüge einfügen. In die gleiche Bresche schlägt Tom Becker: „Der Drang nach öffentlichem Konsens und optimalen, technokratischen Lösungen ist das Problem.“ (S. 29) Er plädiert für eine Repolitisierung der Landesplanung, indem Dissens als notwendiger Bestandteil des Prozesses akzeptiert wird.

Wollen François Bausch und Camille Gira am Ende der Legislaturperiode wirklich etwas vorzuweisen haben, dann müssen sie — und die gesamte politische Klasse —sich diesen grundsätzlicheren Fragen stellen. Der straffe Zeitplan spricht jedoch gegen eine solche Debatte: bis Ende des Jahres will die Regierung die Revision der Pläne abgeschlossen haben.

Jürgen Stoldt/Laurent Schmit

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