Ist ein Leben ohne Diskriminierung denkbar?

Sie sind …
weiß – farbig – braun?
groß – mittel – klein?
unter- – normal- – übergewichtig?
weiblich – männlich – anders?
jung – mittel – alt?
blond – brünett – schwarz: auf dem Kopf?
dick- – normal- – dünnhäutig?
Arbeiterin – Angestellte – Akademikerin?
arbeitslos – freischaffend – Künstler?
Radfahrer – Vielflieger – Autofahrer?
einheimisch – zugezogen – eingewandert – geflüchtet?
Christin – Muslimin – Jüdin – Buddhistin – Atheistin – Agnostikerin?
links – rechts – konservativ – liberal – national – freidenkend?
Anzugträger – Jeanstyp – Rowdy – Dandy?
Stadtbewohner – Landei – Mobilhome–Driver – wohnsitzlos?
DINKS – alleinerziehend – Patchworkfamily – Normfamilie – Großfamilie?
arm – zurechtkommend – bürgerlich – wohlhabend – vermögend – reich?
0815 – Lokalgröße – Politikerin – berühmt – VIP – Superstar – Madonna?

Dann liegt Ihre Diskriminierungswahrscheinlichkeit bei 99 %, je nachdem, wo und wie Sie leben! Die Liste ließe sich mit Leichtigkeit himmelwärts fortsetzen und schnell schwant einem, dass niemand so einfach undiskriminiert davon kommt. Aber so lange man sich auf der Siegerstraße wähnt, ist angewandte Diskriminierung einfach Gaudi, Routine, Nahrungs- und Einkommensquelle, identitätsstiftend, Anpassung, Druckmittel.

Letztlich kommt es nur darauf an, wo man sich wie lange befindet und wann sich die Gelegenheit bietet, dem normalen Lebensalltag ein wenig Diskriminierungswürze zu verpassen, sei es aus Lust oder Frust, Ehrgeiz oder Neid, Langeweile oder Verzweiflung, Ressourcenknappheit oder Profitgier – irgendein Grund findet sich immer. Wer frei von diesen Gelüsten ist, der werfe den ersten Stein. Diskriminierung ist einfach da, sie ist Teil unseres Lebensalltags. Sie kann immer passieren, in jeder Lebenssituation, in der jemand einen stört – theoretisch, praktisch, gedanklich, emotional, unabhängig von Alter, Geschlecht, Nationalität. Wo fängt Diskriminierung an, wo hört sie auf? Was ist eine „normale“ Gruppenfindung, Gruppenbildung, Abgrenzung der einen zu den anderen? Was sind logische Folgen, was unangemessene vorauseilende Repressalien? Was ist „akzeptable“ Ausgrenzung vermeintlich unpassender Personen? Was sind „einfache“ Machtspiele und daraus resultierende Sieger- und Verlierertreppchen? Wann spielt Macht mit Ohnmacht, und wann fängt es an, dass übelmeinende und übelmitspielende Diskriminierung ihr Unwesen treibt, gar sozial und staatlich begünstigt wird?

Mit so einem spielst Du nicht!

„Mit so einem spielst Du nicht!“ Schon früh lernen wir die Grundsätze der Diskriminierung kennen. Die simple Tatsache, dass der Mensch ein „soziales Wesen“ ist, das gleichzeitig fast immer expansive Tendenzen aufweist, ist der ursächliche Antreiber dafür, dass aus dem Wir-Gefühl ein Ihr-Gefühl, aus dem So-Sein ein Anders-Sein und aus dem Mitmensch der funktional und wertmäßig Über- bzw. Unterlegene wird; einfach weil es nützlich und effizient ist, der kürzeste und schnellste Weg, persönliche Ziele und Interessen egoistisch zu verfolgen. Diejenigen, die sich oben wähnen und sich auf ihrer persönlichen Diskriminierungsskala auf der Aktivseite verorten, sind Teil des Problems und niemals Teil der Lösung. Deshalb liegt der Kampf so nahe und endet dann allzu oft in der Neuordnung der Diskriminierungsverhältnisse – fertig. Das Prinzip überdauert den Aufruhr, die neuen Nutznießer richten sich ein. Nahezu alle Gesellschaften sind auf einem mehr oder weniger feinsinnigen Diskriminierungsregelwerk aufgebaut; es ist halt einfach praktisch, gerade bei der Massenmenschhaltung.

Diskriminieren statt diskriminiert werden – für Aktivanwender dieses Lebensprinzips ist es eine Frage der Selbstdefinition, des Wohlbefindens, der Gesundheit, der Lebensqualität, der Unterhaltung, der Finanzen, der Machtausübung und des Machterhalts, selten der Existenz. Und allzu oft, aber beileibe nicht immer, liefert es die wirkungsvolle Kompensation eines tiefsitzenden, unergründeten, unverstandenen Minderwertigkeitsgefühls. Wenn nichts mehr bleibt, was mich vom No-Name zur Person macht, dann suche ich mir eine Person, die zur Unperson gemacht, ungefährliches Opfer meiner Attacken werden wird, und schon bin ich wer. Millionenfach angewendet, im Laufe der Jahrtausende, in denen Menschheit sich als Menschheit definiert und Geschichte schreibt.

Wertschätzung versus Diskriminierung – das moderne Gegenkonstrukt

Die Klaviatur, auf der die Anhänger der Diskriminierungstheologie spielen, ist so alt wie die Menschheit selbst. Neu ist, dass es ein modernes Gegenkonstrukt gibt, das Menschen hilft, aus der Diskriminierungskiste zu springen, das es ihnen ermöglicht, anderen Menschen selbstbewusst, mit abgrundtiefer, unerschütterlicher Wertschätzung zu begegnen, ohne dabei naiv zu sein. Dies ist weder leicht noch selbstverständlich, und schon gar nicht geht es uns jemals so in Fleisch und Blut über, dass wir nicht mehr darüber nachdenken müssten. Es ist aber nicht so, dass wir machtlos wären. Nein, ganz und gar nicht. Wir müssen nur erkennen, dass die Geschwindigkeit unseres Lebens auf Vorurteilen und Egoismen basiert, wodurch wir – unreflektiert – immer die Diskriminierung im Schlepptau haben.

Wir können uns diesem Mechanismus entziehen, vorausgesetzt, wir wollen diesem zerstörerischen Treiben tatsächlich ein Ende setzen. Einfach wird es trotzdem nicht, denn das Diskriminierungs-Gen in seiner wegweisenden, lebensvereinfachenden Funktion (ob aktiv oder passiv) liegt immer auf der Lauer, wie das Nikotin, das sich im Gehirn direkt an den Nervenbahnen andockt, oder der Alkohol, der unseren Stoffwechsel so manipuliert, dass wir auf ewig seinen Lockungen ausgeliefert sind und auch bei erlernter Abstinenz immer wieder Gefahr laufen, nachzugeben und unsere Autonomie und Verantwortlichkeit zu opfern. Diskriminierung funktioniert genau so, nimmt uns das Leben, das eigenständige Denken und Fühlen aus der Hand; sie bedient dabei fröhlich und leichtfüßig viele Bedürfnisse und Sehnsüchte, die nicht so einfach weg zu definieren sind: Geltungsdrang, Aggression, Herrschsucht, Faulheit, Komfort, Gier, Gesellschaft, Gemeinschaft, die Vermeidung individueller Verantwortung. Auch eine Gemeinschaft der Bösen ist eine Gemeinschaft, und einmal hineingeraten, fällt es schwer, ungeschoren wieder herauszukommen. Wir könnten da durchaus wieder herauskommen, aber eben nicht „ungeschoren“. Will heißen, Anstrengungen, Niederlagen, Verluste, Konsequenzen, auch schmerzhafte, sind Teil des Pakets, will man tatsächlich aufrichtig und tiefgreifend ohne Diskriminierung auskommen. Dann aber fühlt es sich recht gut an. Ethisch ist man ohnehin auf der „richtigen“ Seite, wenn man es tut. Aber reicht uns das? Überzeugt uns das? Macht es uns stark genug, gegen Diskriminierung anzukämpfen, sie zu ächten, ihre Regeln zu ignorieren, ihr andere Lebens- und Gestaltungsformen entgegenzusetzen?

Nicht zu diskriminieren ist anstrengend

Allein die Anstrengung, die es bedeutet, Diskriminierung als treibende, sinnstiftende, durchaus tödliche Kraft im Zwischenmenschlichen zu erkennen und anzuerkennen, gleichzeitig gegen ihre Macht anzukämpfen und dem Selbstbewusstsein, dem Respekt, der Wertschätzung und allen damit verbundenen Umständlichkeiten im menschlichen Miteinander den Vorzug zu geben, ist enorm. Die damit einhergehende Mühsal kann uns sehr schnell an die Grenzen unseres „guten Willens“ führen. Es als „eine Frage der Einstellung“ abzutun, ist zu einfach. Denn ohne das richtige Handwerkszeug im Denken, Fühlen und Handeln, ohne Scharfsinn, Weitblick und seelische Robustheit wird es nicht funktionieren, aber wer weiß schon, ganz praktisch und anwendbar, wie es funktioniert, nicht zu diskriminieren?

Die Bibel rät: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten. Im Volksmund heißt es: Was Du nicht willst, was man Dir tut, das füg auch keinem Andern zu. Die Philosophen haben es vergeistigt, und den Kant’schen Kategorischen Imperativ kennen doch recht viele. Auch die modernen Grundgesetze, Verfassungen, Nationalhymnen beschwören die diskriminierungsfreie Gesellschaft: Egalité, Fraternité, Liberté; Einigkeit und Recht und Freiheit; Niemand darf wegen xxx diskriminiert werden. Die universalen Menschenrechte haben es ein für alle Mal in Gesetzesform gegossen: Die Würde des Menschen ist zu schützen. Und es funktioniert trotzdem nicht.

Die Spielregeln sind also simpel, in wenigen Worten erklärt und ganz offensichtlich Bestandteil unserer kollektiven Ethik. Offen bleibt: Wie mache ich das? In guten Zeiten mag man ja noch ganz selbstzufrieden und großzügig seine Mitmenschen „lieben“, aber in schlechten Zeiten? In der Konkurrenz zueinander, im Kampf um Ressourcen, Komfort, Karriere, Privilegien? Wie geht das dann?

Die alltägliche Anwendung der Spielregeln für ein diskriminierungsfreieres Leben, das Schwimmen gegen den Strom, erfordert unsere volle Aufmerksamkeit und unsere ganze Kraft. Das selbstbewusste und opferbereite Niemals, das Churchill dem gierigen Schlund Hitlers, dessen Getreuen und Handlangern in einer schier aussichtslosen Situation entgegenwarf, dieses eisenharte, kompromisslose Niemals ist völlig aus der Mode gekommen. Und so stehen wir da, wo wir stehen, nicht grundlos, nicht schuldlos, nicht machtlos. Aber: Zivilcourage und die Kraft und die Fähigkeit zum Widerstand gegen den immergärenden Drang zur Unterdrückung und Diskriminierung, die wachsen nicht auf Bäumen und die gibt es nicht im Discounter. Die muss jeder Mensch, jede Frau, jedes Kind, jeder Mann im eigenen Herzen und im eigenen Verstand finden, pflegen und stärken, jeden Tag, jede Stunde und jede Minute seines Lebens. Es kommt darauf an, das Diskriminieren zu verlernen.

Glück definiert sich dann – neu

Jedes Miteinander, im Großen wie im Kleinen, definiert sich dann neu. Unternehmertum definiert sich dann neu. Schule definiert sich dann neu. Sogar Freundschaft definiert sich dann neu. Mensch-Sein wäre um eine Komponente „ärmer“, was positiven Veränderungen Tür und Tor öffnen würde, gleichzeitig aber das bisherige Gleichgewicht der Kräfte, Gut und Böse, zerstören würde. Wir wissen nicht, was das für die Welt bedeuten würde. Es ist das gedankliche leere Blatt, das wir dann neu beschreiben könnten. Nur den Kreativen macht das keine Angst. Das ist nicht zu unterschätzen.

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