- Finanzen, Gesellschaft, Gesundheitspolitik, Klima, Kultur, Politik, Wirtschaft, Wohnungskrise
Jugendliche wollen eine zukunftsfähige Politik
Krieg, Rezession, Klimawandel und Pandemie: Die Anzahl der Krisen explodiert. Für Jugendliche können diese Situationen besonders belastend sein, weil sie zum ersten Mal mit ihnen konfrontiert werden. Nach zwei Jahren Corona-Hausarrest, der anhaltenden Wirtschaftskrise und dem Beginn eines Krieges in Europa könnte es fast den Anschein haben, dass sich die Jugend daran gewöhnt habe; sich vielleicht sogar mit der Situation abgefunden habe. Dieser Anschein trügt.
Die Jugend von heute hat sich dazu entschieden, selbst aktiv zu werden. Sie will über ihre Zukunft mitentscheiden. Das luxemburgische Jugendparlament mit seinen über 100 Mitgliedern aus allen gesellschaftlichen Schichten ist das beste Beispiel dafür, dass junge Menschen an der Gestaltung der Zukunft teilnehmen können und wollen.
Die Jugend von heute hat sich dazu entschieden, selbst aktiv zu werden. Sie will über ihre Zukunft mitentscheiden.
Das Jugendparlament hat sich in den letzten Jahren mit einer Reihe von selbst ausgewählten Themen auseinandergesetzt, zu denen es Beschlüsse verfasst hat. Sie stehen für die großen Sorgen und Nöte, die die Zukunft junger Menschen in Luxemburg gefährden – wir schlagen Lösungen vor, mit denen sich die Lage bessern könnte.
Wohnungsnot
Nicht alle Krisen in Luxemburg sind neu. Bereits vor dem Krieg in der Ukraine und der Corona-Pandemie gab es die Wohnungsnot. Sie ist die Folge überteuerter Immobilien und Mieten. Das Resultat: Für einfache Bürger wird es immer schwerer, in Luxemburg zu wohnen.
In Luxemburg liegt der Anteil der Sozialwohnungen am gesamten Wohnungsbestand bei lediglich 4 %1. Das ist deutlich weniger als in den Nachbarländern. Die Wartelisten für die Zuteilung einer Sozialwohnung sind entsprechend lang: Allein die Liste des Fonds du Logement umfasst 3.000 Haushalte2.
Am Problem Schuld trägt allerdings nicht unbedingt ein schlechter Wille: Tatsächlich ist die Rendite bei der Spekulation so hoch, dass jedes Bauvorhaben angesichts der potenziellen Wertsteigerung des Grundstücks den Kürzeren zieht. Das führt auch dazu, dass dem Markt weniger Baugrundstücke zur Verfügung stehen. 2016 gab es in Luxemburg 2846 Hektar verfügbare Baufläche. Das entspricht 50.000 bis 80.000 Wohnungen3. Auf der anderen Seite stehen 7 % der Wohnungen in Luxemburg leer. Es handelt sich dabei häufig um Zweitwohnsitze4.
Da es vor allem junge Erwachsene schwer haben, in ihrer Heimat eigenen Wohnraum zu kaufen oder zu mieten, sollte der Leerstand mit höheren Steuern bestraft werden. Dies würde die Spekulation wirksam bekämpfen. Die Anwendung der Gemeindesteuer als Antwort auf Leerstand oder der Verzicht auf den Bau bestimmter Gebäude wären wirksame Lösungen gegen die Wohnungsnot.
Bekämpfung von Depressionen bei Jugendlichen
Luxemburg zählt zu den Ländern mit der höchsten Depressionsrate in Europa. 11,7 % der Frauen und 8,2 % der Männer sind von der Erkrankung betroffen. Der europäische Durchschnitt liegt bei 7,9 % für Frauen und 5,2 % für Männer5. Diese Zahlen spiegeln lediglich die erfassten Fälle wider. Die Dunkelziffer ist möglicherweise viel höher.
Unsere Gesellschaft nimmt Depressionen als persönliche und psychische Unzulänglichkeit wahr. Das Ausmaß und die Schwere dieser psychischen Erkrankung erkennt sie allerdings oft nicht an, da es sich hier um ein Tabuthema handelt. Hinzu kommt, dass die Symptome nicht immer sichtbar sind. Eine Depression kann jeden treffen, unabhängig von Alter, sozialer Schicht oder medizinischer Vorgeschichte.
Junge Menschen sind dabei besonders vulnerabel: Vor allem im schulischen Bereich wird die psychische Gesundheit häufig vernachlässigt. Wünschenswert wären zweijährliche, verpflichtende Vorsorge-Termine für Schüler bei einem Psychologen – am besten von der Krankenkasse bezahlt. Angesichts der Tatsache, dass 70 % der Suizide Folge einer Depression sind, ist Prävention hier besonders wichtig. Dazu gehört auch, das jetzige Tabuthema in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Es ist wichtig, dass sich Betroffene nicht mehr mit ihrer Diagnose von der Gesellschaft im Stich gelassen fühlen.
Klimaschutz
Im letzten Jahr hat sich der Ausschuss für Umwelt des Jugendparlaments mit den verheerenden Überschwemmungen im Jahre 2021 befasst. Viele Luxemburger Gemeinden waren davon betroffen. Der Umweltausschuss befürchtet, dass solche Katastrophen aufgrund des Klimawandels häufiger geschehen werden. Daher gilt es, die Ursachen der Überschwemmungen zu analysieren und Lösungen vorzuschlagen.
Durch die Begradigung von Flüssen und die zunehmenden Bebauungen von Naturflächen hat das Regenwasser immer weniger Flächen, um einzusickern und das Grundwasser aufzufüllen6. Da weite Kreise der Bevölkerung wenig Bewusstsein für das Problem haben7, wäre es sinnvoll, das Thema Überschwemmungen in den Lehrplan für Biologie oder Geografie der Sekundarschulen aufzunehmen. Der Umweltausschuss spricht sich für Initiativen aus, die die negativen Auswirkungen von Hochwasser auf den Menschen und seine Umwelt minimieren sollen.
Die globale Klima-Erwärmung führt dazu, dass wir auch in anderen Themenbereichen nicht mehr gleichgültig bleiben können: Um die Entwaldung zu bekämpfen, empfiehlt das Jugendparlament daher, die Menge der gefällten Bäume zu reduzieren und für jeden gefällten Baum einen neuen zu pflanzen. Die Gesundheit der Bäume und der Wälder muss im Hinblick auf die globale Erwärmung sichergestellt werden.

Zukunftstechnologien, Rechtsstaatlichkeit und Wirtschaft
Die Aufrechterhaltung eines stabilen Wirtschaftswachstums ist von entscheidender Bedeutung für das Wohlergehen und die Lebensqualität in Europa – und damit auch in Luxemburg. Aus diesem Grund hat das Jugendparlament beschlossen, sich unter anderem in seiner Sitzungsperiode 2022-2023 auf die europäische Wirtschaft8 zu konzentrieren.
Das Jugendparlament ist besorgt über die wachsende Abhängigkeit Europas von autoritären Staaten, die für Verletzungen der Menschenrechte bekannt sind9. Die russische Invasion in der Ukraine und Chinas drohende Aggressionen gegen Taiwan sind Beispiele für diese Problematik. Beide könnten zu Sanktionen und Versorgungsengpässen führen oder haben dies bereits getan. Diese Folgen könnten das Wirtschaftswachstum der Europäischen Union (EU) beeinträchtigen und zu höheren Preisen für importierte Produkte oder Waren führen.
Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass die EU diesen Aspekt bei der Wahl ihrer Handelspartner berücksichtigt. Auch aus moralischer Sicht, immerhin definiert sich die EU in ihrer Identität in erster Linie über Grundwerte wie Demokratie, Menschenrechte und Frieden. Der Handel mit autoritären Staaten mag unvermeidlich sein, sollte aber auf ein Minimum reduziert werden.
Ein Beispiel ist die Energieversorgung: In den letzten Jahrzehnten ist die Europäische Union in ihrer Energieversorgung zunehmend von ausländischen Ländern abhängig geworden. Das zeigt vor allem die Energieimportquote, die von 44 % im Jahr 1990 auf 55,5 % im Jahr 2021 gestiegen ist. Russland ist dabei mit 40 % der wichtigste Importeur10. Auch aufgrund dieser Energieabhängigkeit konnte Russland seinen Angriffskrieg in der Ukraine ungestört planen und durchführen – ein eklatantes Versagen europäischer Politik.
Der Import von 21 % des europäischen Erdgases aus Katar birgt für die Zukunft ein weiteres Risiko, da Katar im Jahr 2022 der größte Waffenimporteur weltweit war11. Es handelt sich dabei um Waffen, die das kleine und superreiche Land nicht braucht. Die Abhängigkeit von Rohstoffimporten ist dabei auch eine große Herausforderung für den grünen Wandel in Europa, denn auch bei den Metallen der „seltenen Erden“ – die besonders im Elektronikzeitalter wichtig sind – ist Europa zu 86 % von China abhängig12.
Die Jugend blickt mit Sorge auf diese Entwicklungen und fürchtet um ihr wirtschaftliches Wohlergehen und ihre Lebensqualität. Die Ungewissheit des Arbeitsmarktes, die politischen Spannungen und die Klimakrise beschäftigen sie. Viele junge Menschen fordern deshalb eine nachhaltigere und gerechtere Wirtschaft.
Europa
Auch im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) sind europäische Unternehmen noch zu stark auf ausländische Unternehmen angewiesen. Es mangelt an Investitionen in diesem Bereich. Diese Abhängigkeit könnte sich in Zukunft noch verschärfen: US-amerikanische und chinesische Unternehmen investieren verstärkt in die Forschung und in Entwicklungen im Bereich der KI. Das verschafft ihnen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber europäischen Unternehmen.
Wenn es Europa nicht gelingt, sein eigenes KI-Know-how zu entwickeln, wird die Abhängigkeit gegenüber externen Anbietern weiter zunehmen. Die EU muss ihren Rückstand im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien daher dringend aufholen. Europäische Unternehmen weisen in diesem Bereich eine um 20 % niedrigere Rentabilität auf als Unternehmen außerhalb der EU13, wenn es um die Rendite auf das investierte Kapital geht.
So, wie die Jugend von heute die Gesellschaft von morgen ist, kann das Jugendparlament von heute das Parlament von morgen sein.
Zudem existiert ein gravierender Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in der EU. Dieser ist vor allem in Berufen spürbar, in denen es auf mathematische und technische Fähigkeiten ankommt. Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum in der EU sind deswegen gefährdet. Gleichzeitig müssen die Unternehmen mehr Verantwortung für die Achtung von Menschenrechten in ihren Lieferketten übernehmen. Gesetze auf globaler Ebene sollen diese sicherstellen, die Zahl der unqualifizierten Erwachsenen soll dagegen reduziert werden. Das EU-Ziel, dass 80 % aller Erwachsenen über grundlegende digitale Kompetenzen verfügen,14 muss in dem Sinne sichergestellt werden. Ausländische Fachkräfte sollen einfacheren und schnelleren Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten.
Doch das ist nicht alles: Die EU muss ihre Versorgungssicherheit und ihr Wirtschaftswachstum sichern, Preissteigerungen begrenzen und Treibhauseffekte verringern, um den Grünen Deal für Europa zu realisieren. Für die Trennung von fossilen Brennstoffen ist es wichtig, in erneuerbare Energien zu investieren. Dazu gehören Windenergie, Biomasse und Wasserkraft. Unternehmen, die innovative Technologien in Europa entwickeln und vermarkten, sollten daher bevorzugt Steuervorteile erhalten. Auch der Schutz des geistigen Eigentums sollte verstärkt und durch Investitionen in fortschrittliche Technologien ergänzt werden.
Europa ist für die meisten jungen Menschen in Luxemburg Teil ihres Alltags und wird immer bedeutsamer für ihre persönliche Zukunft. Nationale Grenzen verschwimmen und die kulturelle Akzeptanz steigt. Noch nie schien Europa so vielfältig und die Jugend so aufgeschlossen. Dennoch bleibt Europa als politischer Raum für viele von ihnen noch weit entfernt: Auf dem ganzen Kontinent wollen junge Menschen gehört werden und bei politischen Entscheidungen mitdiskutieren, doch zu oft sind sie in den Prozessen nicht mit einbezogen und die Politik wird über ihre Köpfe hinweg gemacht.
So, wie die Jugend von heute die Gesellschaft von morgen ist, kann das Jugendparlament von heute das Parlament von morgen sein. Wir Jugendlichen sind die Generation, die von den heutigen politischen Entscheidungen am meisten betroffen sein wird. Wer die Sorgen junger Menschen ernst nehmen will, muss sie frühzeitig in die Politik mit einbinden.
Philipp Bost, 17, ist seit zwei Jahren Mitglied des Jugendparlamentes und Teil des Exekutiv-Ausschusses. Er tritt für mehr Kinder- und Jugendrechte ein, auch durch sein Engagement als Unicef-Jugendbotschafter und in seiner Freiwilligenarbeit beim Roten Kreuz.
1 https://www.oecd.org/fr/social/base-de-donnees-logement-abordable/ (Alle Internetquellen, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 20. Juni aufgerufen).
2 https://5minutes.rtl.lu/actu/luxembourg/a/1457180.html
3 https://tinyurl.com/8000-logements
4 https://tinyurl.com/logement-paperjam
5 https://tinyurl.com/y36ey9ex
6 https://tinyurl.com/xbxnfxe5
https://www.ecologie.gouv.fr/artificialisation-des-sols
https://paperjam.lu/article/comment-lutter-contre-artifici
https://www.wwf.de/themen-projekte/fluesse-seen/hochwasser/hochwasser
7 https://tinyurl.com/28dvfrvp
8 Zum Zeitpunkt der Abgabe dieses Artikels war dieser Beschluss noch nicht in der Plenarversammlung des Jugendparlamentes abgestimmt worden und bildet somit auch noch keine offizielle Position des Jugendparlaments.
9 https://edition.cnn.com/2022/11/30/economy/europe-china-trade-tension/index.html
10 https://www.touteleurope.eu/environnement/la-dependance-energetique-europeenne/
https://tinyurl.com/yeyw8efs
11 https://www.sipri.org/sites/default/files/2022-06/yb22_summary_en_v2_0.pdf
12 https://tinyurl.com/22rdhxb7
13 https://tinyurl.com/2hkcaznf
14 https://ec.europa.eu/social/main.jsp?langId=de&catId=1223&furtherNews=yes&newsId=10521
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