Keine falschen Vergleiche

Ein Interview über die Zukunft der Unternehmensbesteuerung mit Jean-Pierre Winandy, Avocat à la Cour bei Loyens&Loeff

Kann es in Ihren Augen so etwas wie eine „gerechte“ Unternehmensbesteuerung geben? Was wären die Grundsteine?

Jean-Pierre Winandy: Beim Thema Steuergerechtigkeit muss ein klarer Unterschied zwischen natürlichen Personen und Gesellschaften (hiernach im Sinne von „Kapitalgesellschaften“) gemacht werden. Die jeweiligen Steuersätze sind nämlich nicht vergleichbar, da die Steuern für Privatpersonen anhand einer progressiven Steuertabelle errechnet werden und der Steuersatz für Gesellschaften fix, d.h. unabhängig von der Höhe des Ertrags, ist.

Die Kriterien für eine gerechte Besteuerung sind demnach nicht die gleichen für Einzelpersonen und Unternehmen. Es stimmt zwar, dass der Steuersatz, der für Personen mit mittlerem oder hohem Einkommen gilt, oft höher als jener für Unternehmen ist. Diese Betrachtung verkennt jedoch, dass bei der Ausschüttung besagte Gewinne einer zusätzlichen Besteuerung unterliegen. Ein korrekter Vergleich zieht beide Besteuerungsebenen in Betracht und ermittelt den globalen Steuersatz. Dieser ist höher als jener, der für Privatpersonen, die beispielsweise ein Gehalt beziehen, angewendet wird. Die weit verbreitete Meinung, dass Unternehmen niedrigere Steuern als Privatpersonen zahlen, ist somit schlicht und ergreifend falsch.

Muss die luxemburgische Regierung als Reaktion auf BEPS1, die Ergebnisse des Taxe Sonderausschusses des Europäischen Parlaments und das neue Maßnahmenpaket der EU-Kommission2 in puncto Unternehmensbesteuerung weiter nachgeben?

J.W.: Wir haben keine Wahl und sind gezwungen, zumindest einen geordneten Rückzug anzutreten. Die liebgewonnenen Praktiken werden nicht nur in Luxemburg, sondern auch in anderen Ländern, über die Grenzen Europas hinaus, nicht weiter bestehen können. Im europäischen und OECD-Konkurrenzumfeld wird ein neues level playing field, d.h. neue und gleiche Regeln, geschaffen und alle Staaten werden nach diesen neuen Regeln spielen müssen.

Wird Luxemburg unter dieser Neuausrichtung mehr leiden als Staaten wie z.B. Irland, Belgien oder die Niederlande?

J.W.: Das ist schwer zu sagen, denn wir kennen die Details der Steuerpolitik anderer Staaten nicht. Es ist gut möglich, dass Luxemburg mehr unter den neuen Regelungen leiden wird. Proportional gesehen stellen für das Großherzogtum die von internationalen Konzernen gezahlten Steuern nämlich wohl einen wichti-geren Bestandteil der Staatseinnahmen dar als beispielsweise für Belgien oder die Niederlanden.

Handelt es sich Ihrer Meinung nach um Steuerdumping, wenn die Körperschaftssteuer von 21% auf 15% herabgesetzt werden würde und der Gesamtsteuersatz dann nur noch bei ungefähr 21% liege?

J.W.: Der Steuersatz wird im Vergleich zu anderen Staaten festgelegt. Sämtliche internationale und die letzten Jahrzehnte betreffende Statistiken zeigen, dass es eine Tendenz zur Senkung des Steuersatzes für Unternehmen gibt. In London spricht man z.B. von 18% und in Dublin ist er schon seit längerem bei 12,5% festgelegt worden. In einem Konkurrenzumfeld ist es schwierig, eine Grenze, die nicht unterschritten werden soll, festzusetzen. Den Steuersatz herunterzuschrauben ist für Luxemburg sicherlich eine gute Initiative, auch wenn noch nicht sicher ist, auf welche Zahl man sich einigen wird. Das Problem ist, dass diese Diskussion die Problematik sehr vereinfacht und wichtige Aspekte (bezüglich der Steuerberechnungsbasis) außer Betracht lässt.

Welche Aspekte werden Ihrer Meinung nach nicht berücksichtigt?

J.W.: Die fast 30%, die Kapitalgesellschaften als Ertragssteuern zahlen, stellen nicht die gesamte und endgültige Besteuerung dar. Eine weitere Ebene der Besteuerung kommt hinzu, wenn die Gesellschaft Gewinnanteile (Dividenden) an ihre Gesellschafter auszahlt. Im Vergleich der Besteuerung von Privatpersonen und Unternehmen wird außerdem oft vergessen, dass die Unternehmensbesteuerung nicht nur die Körperschaftssteuer beinhaltet, sondern u.a. auch eine Gewerbesteuer (die nur Gewerbeunternehmen zahlen) und eine Vermögenssteuer, welche 2005 für Privatpersonen abgeschafft wurde, jedoch für Kapitalgesellschaften weiterhin gilt.

Angenommen, die Regierung hätte sich auf den gleichen Steuersatz wie London geeinigt. Was wäre dann der Mehrwert Luxemburgs gewesen?

J.W.: Wie gesagt, die aktuelle Diskussion dreht sich vor allem um den Steuersatz. Der Teufel steckt aber im Detail, denn die großen Unterschiede verstecken sich in der Besteuerungsgrundlage. Diese besteht zum einen aus den Einnahmen des Unternehmens und zum anderen aus den Ausgaben, die von den Steuern abgesetzt werden können. Solange es keine absolute Harmonisierung auf der Ebene der Besteuerungsgrundlage gibt, die meiner Meinung nach auch nicht notwendig ist, wird die Steuerkonkurrenz anhalten. Es ist unvermeidlich, dass es, selbst bei gleichem Steuersatz, Unterschiede in der Besteuerungsbasis gibt, und es wird Punkte geben, in denen London vorteilhafter als Luxemburg ist und umgekehrt. Somit würde Luxemburg selbst bei einem harmonisierten Steuersatz auch in Zukunft durchaus attraktiv bleiben können.

Glauben Sie, dass es im race to the bottom des internationalen Steuerwettkampfes eine Schmerzgrenze gibt?

J.W.: Theoretisch gesehen gibt es keine Mindestgrenze, falls eine solche Grenze aber festgelegt werden sollte, müsste das auf europäischer Ebene geschehen, wobei ein Konsens sich als äußerst schwierig erweisen wird. Das in der europäischen Gesetzgebung festgelegte internationale Schachtelprivileg vermeidet eine Doppel-besteuerung indem es Dividendeneinkünfte von der Körperschaftssteuer befreit. Wie bei der Mehrwertsteuer könnte das race to the bottom eingedämmt werden, indem das Schachtelprivileg nur angewendet wird, wenn ein bestimmter Prozentsatz an Körperschaftssteuer im Lande der Tochtergesellschaft gezahlt wird. Solange es keine ähnliche Grenze gibt, wird dieses Wettrennen den Steuersatz weiterhin nach unten drücken.

Braucht Luxemburg eine einheitliche Steuer, also einen vereinfachten taux d’affichage, der die aktuelle Zusammensetzung der Unternehmenssteuern zusammenführt?

J.W.: In der Vergangenheit wurde schon mal in Erwägung gezogen, die Gewerbesteuer abzuschaffen. Dieser Schritt wurde damals verhindert, weil die Abschaffung der Gewerbesteuer eine tiefgreifende Reform der Gemeindefinanzierung erfordert hätte. Eine solche Reform hätte Gewinner und Verlierer hervorgebracht, wobei die Verlierer natürlich Widerstand geleistet haben.

Die Luxemburger Regierung unterstreicht immer wieder die legale Basis der tax rulings (Steuervorabkommen). Das Beispiel von Fiat und Starbucks hat aber gezeigt, dass das Steuerruling von der EU-Kommission als Staatsbeihilfe angesehen werden kann. Sind Sie mit der Analyse der EU-Kommission einverstanden?

J.W.: Die beiden betroffenen Unternehmen sind natürlich nicht mit dieser Analyse einverstanden und der Streit riskiert zu einem Gerichtsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu führen, der die Analyse der EU-Kommission wahrscheinlich bestätigen wird. Man muss sich außerdem bewusst sein, dass die EU-Kommission diese Unternehmen wohl gezielt ausgewählt hat, weil es sich um Fälle handelt, die aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem juristischen wie auch politischen Erfolg (für die Kommission) führen werden.

Ist Luxemburg zur Nischenpolitik verdammt oder kann sich das Land umorientieren? Was wären Ihnen zufolge mögliche Pisten?

J.W.: Ich weiß nicht, ob wir zur Nischenpolitik „verdammt“ sind. Das Schaffen von Nischen kann aber gewissermaßen zu wirtschaftlichen Erfolgen führen. Ein angepasster juristischer Rahmen und geringe Investitionen bieten nämlich großen Raum zum Experimentieren. Bis jetzt war Luxemburg sehr fantasievoll auf der Suche nach neuen Nischen und die Strategie hat gut funktioniert. Weshalb sollte man diese also über Bord werfen?

Vorausgesetzt Sie könnten Herrn Gramegna bei der Steuerreform beraten, welche Ratschläge würden Sie ihm in Punkto Unternehmensbesteuerung mit auf den Weg geben?

J.W.: Ich kann nur schwer nachvollziehen, weshalb man sich auf eine Mindestbesteuerung für Unternehmen fokussiert hat. Wenn Privatpersonen über ein minimales Einkommen verfügen, werden sie nicht besteuert, so dass wohl mindestens ein Drittel der Privatpersonen keine Einkommensteuer zahlt. Im Gegensatz dazu, müssen Unternehmen eine Mindeststeuer zahlen, unabhängig davon, ob sie Gewinne erwirtschaften oder nicht.

Im Fall der Schachtelgesellschaften werden Gewinne in Form von Dividenden oder Kapitalgewinnen auf Beteiligungen in Tochtergesellschaften verbucht. Diese bezahlen eine Körperschaftssteuer und die Muttergesellschaft wird somit aus gutem Grund von einer zusätzlichen Besteuerung befreit. Die luxemburgische Mindestbesteuerung ist nicht nur ungerechtfertigt, sie widerspricht auch in vielen Fällen dem Gemeinschaftsrecht, das erfordert, dass die ins Ausland gezahlten Dividenden kein zweites Mal bei der Muttergesellschaft besteuert werden dürfen. Ab 2016 hat Luxemburg das EU-Gemeinschaftsrechtsproblem gelöst, indem es keine Ertragssteuer erhebt, sondern eine Vermögenssteuer (0,5% auf das Nettovermögen).

Abschließend möchte ich bemerken, dass ich es begrüße, dass die Regierung die Reform in aller Diskretion vorbereitet hat und erst am Schluss die Ergebnisse öffentlich gemacht hat. Eine vorzeitige Veröffentlichung einzelner Elemente würde riskieren, dass die verschiedenen Interessengruppen, die Reformvorschläge auf dem öffentlichen Diskussionsplatz auseinanderreißen und es zu einem inkohärenten Ergebnis kommt.

Besten Dank für das Gespräch.

Das Interview wurde am 19.2.2016 geführt.(KN)

 

1 Base Erosion and Profit Sharing (Erosion der Steuergrundlage und der Gewinnverschiebung) ist ein Aktionsplan der OECD, der sich dem Kampf gegen Steuervermeidung von Unternehmen annimmt.
2 Das von der EU-Kommission vorgeschlagene Maßnahmenpaket ist als Umsetzung des BEPS gedacht und soll zu größerer Steuertransparenz beitragen. Das Paket fordert zum Austausch steuerrelevanter Information in Bezug auf multinationale Unternehmen auf und soll dazu verhelfen, dass Gewinne dort besteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden.

 

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