Keine Lust auf Weltuntergang?
Konstruktiver Journalismus für Optimisten
„Bad news are good news“, so heißt ein Leitsatz in der Branche, nach welchem sich Medienschaffende oft richten.
Schlechte Nachrichten versprechen in der Tat Aufmerksamkeit und Spannung. Sie verkaufen sich deshalb besser als gute Nachrichten. Zum Unmut von so manchem Journalisten sucht der Leser aber nicht nur Informationen, sondern auch Emotionen. Ob „Doppelmord in der Wohnung eines Wetter- experten“ in der Boulevardpresse, oder „Dramatisches Video: Flugzeug verliert Teile des Triebwerks“ auf einer relevanteren Nachrichtenseite, es sind diese Art von Artikeln, welche die meisten Klicks generieren.
Doch die übermäßige Darstellung solcher Einzelereignisse verdrängen die Sicht auf positive Aufwärtstrends. Durch diese „Verdunklung des publizistischen Ereignishorizontes“1, wie Hans Mathias Kepplinger, Professor für Empirische Kommunikationsforschung in Mainz, die persistente Alarmmacherei nennt, kann sich schleichend Unsicherheit und Misstrauen einstellen. Der Informationsbedarf mag objektiv gedeckt sein, doch das subjektive Wohl- befinden und die individuelle Handlungsbereitschaft sind in Gefahr.
Die Konsequenz: Wir sehen die Welt düsterer als sie wirklich ist. Auch wenn die meisten Triebwerke nach einer Landung immer noch in Ordnung sind, hält ab jetzt so mancher Flugpassagier mit Fenstersitz beim nächsten Flug die Turbine besonders im Auge, wohlwissend um seine Hilflosigkeit im Falle eines wirklich eintretenden technischen Problems.
Rationaler Optimismus als Gegenmittel zu Sensationationslust
Wie gut täte es daher, mehr Nachrichtenmagazine mit einem positivem Vibe zu konsumieren und sich öfter zu Gemüte zu führen, dass die Welt so bedrohlich doch gar nicht ist.
Genau das dachten sich auch die Macher von Tea-after-twelve, einem „solution-based“ Online-Magazin. Statt ständig von der Prämisse auszugehen, es sei fünf vor zwölf, sollten wir einfach davon ausgehen, dass die Uhr längst zwölf geschlagen hat und es trotzdem immer noch weitergeht. Es gehe darum, eher Lösungen als Probleme in den Vordergrund zu stellen und nach den Hintergründen zu fragen. Konstruktiver Journalismus lautet hier das Schlagwort. Gefüttert von mehr als 120 Reporter*innen aus 70 Ländern und unter anderem vom deutschen Goethe Institut unterstützt, bietet Tea-after-twelve wunderbare Geschichten – von einer afghanischen Graffiti Künstlerin über neue Organe aus dem 3D-Printer bis hin zu Satire über den IS.
Auch das niederländische Online-Magazin De Correspondent – „from the attention-grabbing headline to the constructive insight“ versteht sich von Anfang an als lösungsorientiertes Gegenmittel zum sensationslüsternen Journalismus. „Wir glauben nicht, dass man von den Nachrichten lernt, wie die Welt funktioniert. Sondern nur, wie sie eben genau nicht funktioniert“2, wird hier eine Redakteurin zitiert. Dass dieser konstruktive Ansatz funktionieren kann, zeigt der Erfolg des Correspondent, welcher derzeit seine Expansion in die USA vorbereitet.
Der Trend verbreitet sich mittlerweile weiter und springt auf traditionelle Medien über. Die Rubriken „The Optimist“ der Washington Post, „Früher war alles schlechter“ des Spiegel, „NDR Info Perspektiven“ oder die Dokumentationsreihe „Plan B“ des ZDF, stehen alle für diesen journalistisch-optimistischen Blickwinkel.
In einer konstruktiven Grundstimmung werden somit nicht nur Probleme thematisiert – und schon gar nicht dramatisiert – sondern auch die dazu passenden Lösungsvorschläge geliefert. Die Leser*innen sollen so aus der Hilflosigkeit herausgeführt und ihre Handlungsbereitschaft erhöht werden.
Silberstreifen am düsteren Nachrichtenhorizont
Konstruktiver Journalismus findet seinen Ursprung im skandinavischen Raum. Das Constructive Institute-Journalism of tomorrow der Universität Aaarhus in Dänemark ist hier führend. Es beschreibt den neuen Ansatz folgendermaßen: „Constructive journalism is an approach that aims to provide audiences with a fair, accurate and contextualised picture of the world, without overemphasising the negative and the sensational. Constructive journalism is not about the ‚nice and cute‘, nor is it positive or soft news that ignores problems. It is ‚two-eyed journalism‘, balanced reporting on both good and the bad in society.“3
Auch konstruktiver Journalismus verpflichtet sich den allgemeinen Regeln des klassischen Journalismus: einer investigativen, kritischen, ausgewogenen Berichterstattung zu gesellschaftlich relevanten Themen.
Das Neue dabei – er bleibt nicht bei dem stehen, was er vorfindet. Er zeigt somit nicht nur was ist, sondern auch, was noch geht. Und das scheint mehr zu sein als man glaubt.
https://constructiveinstitute.org
https://www.solutionsjournalism.org https://
thecorrespondent.com/
http://www.tea-after-twelve.com/ https://goodimpact.org/
1. Kepplinger H.M. (2011) „Die Verdunkelung des publizistischen Ereignishorizontes.“ In: Realitätskonstruktionen. VS Verlag für Sozialwissenschaften.
2. http://journalismus-y.ch/2017/03/31 maaike-goslinga-de-correspondent/
3. https://constructiveinstitute.org/Constructive-journalism/ About-Constructive-Journalism
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