Kinderwunsch auf Eis
Durch die neue Reproduktionstechnologie Social Freezing kann der Kinderwunsch um Jahre verschoben werden. Als Facebook und Apple bekanntgaben, ihren Mitarbeiterinnen die Kosten für die Eizelleneinfrierung zurückzuerstatten, wurde über das emanzipatoris
Zwischen einer und zwei Millionen Eizellen besitzt ein Mädchen bei der Geburt. Ab da verliert eine Frau monatlich ca. 1000 Eizellen. Im Alter von 35 Jahren be sind nur noch 5% ihrer Eizellen vorhanden. Mit zunehmendem Alter sinkt auch die Qualität der Eizellen, und hat eine Frau die Altersgrenze von 35 Jahren überschritten, steigt die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt oder einer beeinträchtigten Entwicklung des Kindes erheblich. Die biologische Uhr tickt also. Doch aus den erfinderischen Biotech-Instituten kam 2012 die Botschaft, dass das Eizelleneinfrieren (Kryokonservierung) nun ausreichend optimiert worden sei, um massentauglich und kommerziell für nicht medizinische Zwecke angeboten zu werden. Durch die künstliche Befruchtung eigener Eizellen können Frauen so in fortgeschrittenem Alter schwanger werden. Der Prozess wird als Social Freezing bezeichnet.
Emanzipatorisches Highlight?
Im Herbst 2014 entfachte ein Meinungsstreit über die Ankündigung von Facebook und Apple, künftig die Kosten für das social egg freezing ihrer Mitarbeiterinnen zu übernehmen. Als einer der enthusiastischen Stimmen in der deutschen Presse äußerte sich Carl Djerassi, der Erfinder der Pille und bekennender Feminist. Für ihn ermöglicht diese Technik ehrgeizigen Frauen, den beruflichen Aufstieg und ihren Kinderwunsch — eben zu einem biografisch günstigen Zeitpunkt — zu kombinieren. Er schreibt, Social Freezing „wird das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern verringern — und allen mehr Optionen eröffnen.“1 Die Frauen vom hiesigen CID-femmes können sich mit Djerassis Analyse allerdings nicht anfreunden. Auf meine Nachfrage hin antwortet Christa Brömmel stellvertretend: „Die Debatte über Social Freezing ist eine Scheindebatte über Emanzipation.“ Mit Social Freezing werde erneut die Verantwortung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie auf die Frau abgewälzt. Die Politik sei durch diese neuen technologischen Versprechen nicht mehr aufgefordert, Arbeitszeitmodelle zu entwickeln, die insgesamt jungen Eltern gerecht würden. Die Wirtschaft schließlich wäre der Gewinner, sowohl die Arbeitgeber allgemein wie auch die Unternehmen die Social Freezing anbieten, mahnt Christa Brömmel.2
Nuanciertere Gefühle zeigt die junge Generation der Netzfeministinnen. So findet Teresa Bücker den empörten Tonfall der deutschen Presse angesichts des Apple- und Facebookangebots unangebracht. Durch die Kostenübernahme würden die Unternehmen „mehr Wahlfreiheit (schaffen) für diejenigen Frauen, die in jüngerem Alter noch nicht sicher sind, ob sie überhaupt einmal Kinder wollen, die noch auf den passenden Partner warten, und sogar für diejenigen, die krank sind oder es einmal werden.“3 Tatsächlich gaben 27 der 35 Patientinnen des Kinderwunschzentrum Hamburg im vergangenen Jahr an, dass ihnen der richtige Mann zum Kinder kriegen fehle. Keine Frau habe jedoch ihre Karriere als Grund genannt.4 Es sei denn, sie wollten diesen nicht nennen. Immerhin 44% der Frauen in einer Führungsposition in Deutschland waren im Jahr 2010 kinderlos, demgegenüber nur 33% der Männer.5
Für die Politikwissenschaftlerin Katrin Braun offenbart die Debatte um Social Freezing zudem, dass Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern gerne auf biologische Aspekte reduziert werden. Einmal mehr würde der Männerkörper zur Referenz, an die es sich anzupassen gelte: „Um zu verdienen wie Männer, Karriere zu machen wie Männer, Führungspositionen einzunehmen wie Männer, sollen Frauen auch ihre ‚biologische Uhr‘ einstellen.“ Wir sollten uns stattdessen fragen — fordert Katrin Braun —, ob es in unserer Gesellschaft zuallererst darum gehen soll, konkurrenzfähig zu sein und ob die Sorge für andere sich der Konkurrenzfähigkeit unterzuordnen hat?6
Problematisch ist schließlich ebenfalls der Trend, dass Anerkennung von Personen verstärkt davon abhängt ob und was man arbeitet. Der Soziologin Christine Wimbauer zufolge setzt sich neben der Anerkennungsform der Liebe (die Anerkennung einer Person in ihrer Einzigartigkeit) und der des Rechts (die Anerkennung einer Person als autonome Rechtsperson) die Anerkennung über Erwerbstätigkeit und Leistung zunehmend als alleinige Anerkennungsreferenz durch — und dies für alle Menschen in post-industriellen Gesellschaften.7 Insofern wäre es nicht verwunderlich, wenn sich Social Freezing als neue Reproduktionstechnologie in den nächsten Jahren gesellschaftlich verankern würde — denn Arbeit geht vor.
Nicht gefahrenlos
Bisher ist die Methode in Luxemburg noch nicht erlaubt und die Gynäkologin Caroline Schilling vom Centre Hospitalier du Luxembourg wurde nur von einer Handvoll Patientinnen gefragt, ob sie in Luxemburg den Gebrauch von Social Freezing in Anspruch nehmen können. „Aber die Nachfrage wird steigen, und diese Entwicklung wird ihren Lauf nehmen,“ ist sich Schilling sicher.
Momentan betrachten ihr zufolge die hiesigen Gynäkologen Social Freezing allerdings skeptisch, denn „die Methode ist teuer, zeitaufwändig und mit Risiken verbunden.“ In Deutschland kostet allein die Eizellenentnahme circa 3000 Euro, hinzu kommen mehrere Hundert Euro pro Jahr für die Lagerung und mindestens 2000 Euro für die In-vitro-Befruchtung. Schließlich liegt die Chance auf ein Kind über den Umweg des Einfrierens bei 10 entnommenen Eizellen zwischen 25 und 60%. Fast 20% der durch In-vitro-Fertilisation verursachten Schwangerschaften enden mit einer Fehlgeburt.8 Neben der Gefahr für mögliche psychische Belastungen aufgrund einer Fehlgeburt kommen zu Beginn des Prozesses, bedingt durch die Hormonbehandlung zur Eizellreifung, oft körperliche Belastungen hinzu.In Anbetracht dieser Nebenwirkungen und der Kosten ist Social Freezing schwerlich als Möglichkeit zu erachten „wie für andere kostenlose Kitas in der Nähe des Arbeitsplatzes eine Möglichkeit sind, Kind und Karriere zu vereinbaren“, wie es Carl Djerassi tut. Auch die Gynäkologin Caroline Schilling hegt Bedenken gegenüber solchen Banalisierungen. Im Zusammenhang mit Social Freezing würde oft die Autonomie von Frauen betont, doch es bestünde die Gefahr, dass künftig noch mehr Druck auf Frauen ausgeübt wird und verlangt wird, sie sollen dem Arbeitsmarkt stets Vollzeit zur Verfügung stehen, schlussfolgert sie.
Dass Frauen in einem sehr hohen Alter Kinder bekommen können, ist jedoch nicht ganz neu. Seit den Achtzigerjahren können Frauen durch die In-vitro-Fertilization gekoppelt an Eizellenspenden nach ihrer Monopause ein Kind austragen. Auf diesem Weg brachte 2008 die Inderin Rajo Devi im Alter von 70 Jahren ein Kind zur Welt.9 Eizellenspenden sind in Europa allerdings nur in Belgien und Spanien für nicht medizinische Zwecke gesetzlich erlaubt. Bekannt aber ist unter luxemburgischen Gynäkologen, dass für die Praxis der Eizellenspenden ein reger Medizintourimus stattfindet, wie er auch jetzt für Social Freezing entsteht. Konkrete Zahlen sind jedoch nicht bekannt, da beide Eingriffe in Luxemburg von keiner Instanz erfasst werden. Diese Form des Tourismus wird sich womöglich noch Jahre fortsetzen, denn ein Gesetz, das Social Freezing hierzulande regeln würde, ist laut Josée Lorschée, Mitglied der Gesundheitskommission, nicht geplant.
Die Biobanken ihrerseits haben längst das Marktpotential der neuen Reproduktionstechnologie erkannt. In London und New York organisieren diese bereits die ersten „egg freezing parties“, auf denen die Verkaufsstrategie zwischen Informationskampagne und Selbsthilfegruppe schwankt. Eine 39-jährigen Teilnehmerin erzählte, dass sie nicht das Gefühl hätte, ihr würde etwas verkauft, sondern sie könnte sich auf dieser Party der Situation von anderen kinderlosen Frauen über 35 bewusst werden. Diese Auffassung steht in keiner Weise dem Sendungsbewusstsein der Firmenleiter entgegen. Eine Frau des Vorstandes von EggBanxx behauptet, viele Mitarbeiter ihrer Firma hätten Fertilitätsprobleme in ihren Dreißigern erlebt und würden sich deshalb dazu berufen fühlen, anderen Frauen zu helfen.10
Zukunftsvisionen und Zweiklassengesellschaft aus dem Labor?
Letztlich stellt sich im Hinblick auf Social Freezing nicht nur die Frage nach den neuen Lebensplanungsoptionen für Frauen. Diese Entwicklung zeigt vor allem, dass Zukunftsvisionen und gesellschaftliche Umbrüche oft nicht mehr aus der Mitte der Zivilgesellschaft stammen oder von der Politik gesteuert werden, sondern zunehmend auch von biotechnologischen Entwicklungen bestimmt werden. Seitdem stetig mehr Geld in die Forschung von Genanalysen, Reproduktionstechnologien und der Entwicklung von künstlichem Gewebe und Körperteile investiert wird, verdeutlicht sich, dass medizinische Entwicklungen in einer neuen Qualität auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen einwirken. Wir erleben einen Trend weg von Therapieverfahren hin zu einer Optimierungsmedizin, die stets neue Dienstleistungen auf den Markt bringt. Wenn diese Entwicklung auf dem jetzt eingeschlagenen Weg fortschreitet, werden wir einen raschen Zerfall der gesellschaftlichen Solidarität erleben. Denn die Krankenkassen werden schwerlich daran interessiert sein, die hohen Kosten für die fortlaufend neuen Technologien zur menschlichen Performanzsteigerung zu übernehmen. Und auch wenn mit wachsender Routine die Preise sinken, es werden immer neue Methoden entwickelt, die zunächst nur den Wohlsituierten vorbehalten sind. Auch kann man fragen, inwiefern Wohlsituierte ihresgleichen reproduzieren wollen und werden — und dies bedingt durch Selektionsverfahren, die dank der Kommerzialisierung der künstlichen Befruchtung verfeinert werden können. Denn: Die abertausenden gelagerten und ungenutzten Eizellen werden früher oder später innerhalb von Forschungsprojekten verwertet oder kommerzialisiert werden. Betrachtet man Ungleichheiten auf einer globalen Skala, zeigt sich deutlich, wie die Biotechindustrie Ungleichheiten verfestigt und erste und dritte Welt neu miteinander verschränkt: Leihmütter in Thailand bieten ihre Dienste für zahlungskräftige Kunden weltweit an.
Ein weiterer Schritt Richtung Demokratieverlust ist das Aufkommen der „digitalen Medizin“. Die Internetriesen im Silicon Valley haben beschlossen, mit unterschiedlichen Apps den Gesundheitsmarkt zu erobern und einen neuen Wirtschaftszweig zum Aufblühen zu bringen. 14 von 23 US-Krankenhäusern, die Reuters kontaktiert hat, haben sich auf ein Pilotprojekt mit dem HealthKit von Apple eingelassen. Daten über Blutdruck, Bewegungsgewohnheiten und andere Aspekte werden über das iPhone in das HealthKit eingespeist und hier ausgewertet. Der Patient kann dann einer Öbertragung der Daten an den zuständigen Arzt zustimmen. Google und Samsung springen mit auf den Zug. Die drei Smartphone Anbieter werden in den nächsten Jahren um die Werbe- und Auftragsgunst von Ärzten und Krankenhäusern buhlen.
Insofern kann es überraschen, dass die Netzfeministin Teresa Bücker die Silicon-Valley-Unternehmen — die stets nach einer libertären Marktlogik verfahren wollen — nicht nur im Hinblick auf Social Freezing, sondern generell, als frauen- und familienfreundlich einschätzt. In einer Reportage für Newsweek schreibt Nina Burleigh „The misogyny in silicon valley is sordid, shocking and system.“ Sie zählt zahlreiche Beispiele zur Illustrierung auf: Die Silicon-Valley-Legende Peter Tiel schrieb während seiner Unizeit antifeministische Pamphlete; viele Unternehmerinnen wurden während ihrer Finanzmittelbeschaffung Opfer von sexueller Belästigung, die fünf größten Unternehmen haben keinen weiblichen Partner in ihrem Ratsvorsitz usw.11 Sollen diese Privatunternehmen tatsächlich bestimmen, was das „gute Leben“ ist und wann wer schwanger werden soll?
http://www.sueddeutsche.de/leben/einfrieren-von-eizellen-unbefleckte-empfaengnis-1.2218812-2
Eine längere Stellungnahme ist unter www.cid-femmes.lu abrufbar.
http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-10/social-freezing-umfrage-zeit
Vgl. Carsten Wippermann: Frauen in Führungspositionen: Barrieren und Brücken. Heidelberg, 2010
Katrin Braun: Social freezing bedeutet soziale Kälte. In: Zeitpolitisches Magazin, Dezember 2014, Ausgabe 25.
Christine Wimbauer: Wenn Arbeit Liebe ersetzt. Doppelkarriere-Paare zwischen Anerkennung und Ungleichheit. Campus, Frankfurt/New York 2012.
http://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/einfrieren-der-eizellen-so-funktioniert-social-freezing-a-997312.html
http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/asia/india/3684395/Indian-woman-has-first-child-at-age-of-70.html
Ragan Morris, Chilling out at an egg freezing party. 16.3.2015, www.bbc.com
Nina Burleigh, Sexism Valley, Newsweek, 6.2.2015.
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