- Geschichte, Gesellschaft, Kultur
Kino der Einsamkeit
Themen und Motive in Michael Manns Filmen
Michael Mann, obwohl er seine Karriere in den 1970ern begann, gehört doch nicht zu den Movie Brats (wie Spielberg, Lucas, Coppola, Scorsese), also der Generation an Filmemachern, die das New Hollywood nachhaltig prägten. Mann versteht sich als Genreregisseur: Eine Vielzahl seiner Filme (beispielsweise die Thriller Thief, Manhunter, Heat, Public Enemies sowie die Biopics über Muhamed Ali und das für 2017 geplante über Enzo Ferrari) entsprechen der jeweiligen Charakteristika der unterschiedlichen Genres. Manns Schaffen ist aber auch als Autorenkino zu verstehen: Atmosphärische Musik, schultergetragene Kamera, Aufsicht auf Großstädte bei Nacht zählen dabei unverkennbar zu seiner Handschrift. In seiner Branche gilt Mann unumstritten als Stilist und die Serie Miami Vice, für die er von 1984 bis 1990 als ausführender Produzent arbeitete und 2006 ein gleichnamiges Remake in Spielfilmlänge inszenierte, nahm hierbei starken Einfluss auf sein späteres Schaffen, insbesondere auf seinen Stil. Im Folgenden sollen soeben erwähnte und weitere wiederkehrende Motive und zentrale Themen in Manns Werk besprochen werden.
Unerfüllte Wünsche, leere Wohnungen, Transiträume
Das Bild des in die Weiten des Meeres blickenden Mannes kehrt in Manns Filmen immer wieder. In Collateral, einem Thriller über die Konfrontation zwischen dem Auftragskiller Vincent (Tom Cruise) und dem Taxifahrer Max (Jaime Foxx), zieht dieser sich in seine Traumwelt zurück, indem er eine Postkarte einer Insel inmitten des Meeres anschaut, um so seinem monotonen Alltag als Taxifahrer zu entkommen. In Manns magnum opus Heat, einem der bedeutendsten Heist-Thriller1 der 1990er Jahre, ist der Blick hinaus aufs Meer und die damit verbundene Sehnsucht nach Freiheit an die Idee des Gefangenseins in der eigenen Veranlagung geknüpft.
Leerer Wohnraum ist ein weiterer Aspekt, der Heat charakterisiert. Sowohl Cop Vincent Hanna (Al Pacino) als auch Neil McCauley (Robert De Niro) sind derart auf ihre jeweiligen Tätigkeiten fokussiert, dass ihre strikte Disziplin keinen Platz für Privatleben lässt. Neil McCauley wohnt in einem leeren Appartement, unmöbliert, es gibt lediglich eine Kaffeemaschine. Hanna wohnt zwar mit seiner Frau unter einem Dach, aber außer dem Fernseher, der ihm gehört, deutet nichts darauf hin, dass er an diesem Ort haust. Beide Männer wohnen zwar innerhalb von vier Wänden, leben aber nicht dort. Sie leben für ihre Sache, ihre Hingabe zum Beruf verlagert ihr Leben in die Straßen von Los Angeles. Räume, die normalerweise Leben, Privatsphäre und Intimität suggerieren, wie Wohnzimmer, sind kalt und leer. Die Orte, die Anonymität und Flüchtigkeit ausdrücken, werden hier zu zentralen Handlungsräumen, in denen sich die Geschichte entfaltet. Die ers-te Szene des Films spielt an einer Bahnstation. Die Gangsterbande wird zudem nachts überwacht in einer verlassenen Straße in einer leerstehenden Containerlandschaft und die größte Schießerei findet ebenfalls auf der Straße statt. Letztendlich erleben wir den finalen Showdown auf dem abgelegenen Rollfeld des Flughafens in L.A. (Die Anlehnungen an Bullitt, den Klassiker aus dem Jahre 1975, sind unverkennbar).
In Manns späterem Werk Collateral wird der öffentliche Raum ebenfalls als Handlungsort genutzt, jedoch mit invertiertem Anfang und Ende: Der Film beginnt dort, wo Heat endet, nämlich an einem Flughafen und endet dort, wo Heat beginnt: in einer Bahn. Ebenso zeigt die erste Kameraeinstellung aus Manhunter (Manns Adaptation des Romans Roter Drache von Thomas Harris) den Wagen des Serienmörders Dollarhyde (Tom Noonan), in The Insider wird der Reporter Bergman (Al Pacino) am Anfang des Films mit einer Augenbinde durch die Straßen eines libanesischen Dorfes gefahren und in dem Cyber-Thriller Blackhat werden Hubschrauber, Parkhaus und am Ende erneut der Flughafen zu Schauplätzen. Es sind Orte des Übergangs, Transiträume, die man mit dem französischen Soziologen Marc Augé als „non-lieux“ bezeichnen kann. Fahrzeuge, Metros, Flugzeuge und Helikopter weisen nachdrücklich auf die innere Rastlosigkeit der Personen hin. Die Charaktere entwickeln sich in dieser ständigen Bewegung, so etwa auch Max in Collateral, in dem das Taxi zum „huis clos“ wird.
Treibende und Getriebene
Die genannten Filme veranschaulichen eine der zentralen Ideen in Manns Werk: der treibende und ewig getriebene Protagonist. Besonders die Anfangsszene von The Last of The Mohicans, eine filmische Umsetzung des gleichnamigen Romans von James Fenimore Cooper, bringt diese Form der Rastlosigkeit zum Ausdruck: Die Kamera begleitet die drei Protagonisten auf der Jagd. Sie sind Treibende und Getriebene inmitten des Indianerkrieges im Jahr 1757.
Die Restaurantszene in The Insider, ein Film, der das Aufdecken illegaler Aktivitäten eines Tabakkonzerns schildert, fokussiert auf die innerliche Rastlosigkeit, wenn der Journalist Bergman den entlassenen Chemiker Whigant (Russell Crowe) dazu drängt, sein Wissen über die Tabakfabrik preiszugeben. Die Idee des Getriebenen in The Insider zeigt auch, dass in den Filmen von Michael Mann nichts dem Zufall überlassen ist, jede Einstellung ist bis ins kleinste Detail geplant. Whigant vereinsamt in einer Hotelsuite vor einem Wandgemälde sitzend. Er weiß als ehemaliger Angestellter der Tabakfabrik über deren illegale Machenschaften. Wegen Morddrohungen traut er sich jedoch nicht, trotz der Bemühungen Bergmans, der neben dem Tabakkonzern ebenfalls eine treibende Kraft darstellt, an die Öffentlichkeit zu treten. Nicht zufällig handelt es sich bei dem Wandgemälde um einen Reiter zu Pferd, ein getriebener Bote. Sinnbildlicher kann man die Szenerie nicht gestalten: Whigant ist der Bote auf der Flucht vor dem mächtigen Tabakkonzern, der noch nicht gehört wurde und schweigsam bleibt.
Seelenverwandtschaft, Gefangene und Fatalität
Ein Gefühl der tiefen Verbundenheit, des Respekts oder viel eher der gegenseitigen Anerkennung zieht sich durch Manns Filme: Zwischen Taxichauffeur Max und dem Auftragskiller Vincent (Tom Cruise), wenn sie ihr jeweiliges Weltbild schildern, in Public Enemies (der Geschichte vom Bandenführer John Dillinger und Aufstieg des FBI) zwischen Dillinger (Johnny Depp) und Melvin Purvis (Christian Bale) und nicht zuletzt in der berühmten Restaurantszene in Heat, in der beide Kontrahenten zunächst versuchen, sich gegenseitig zu imponieren, eine Anmaßung, die schlussendlich beidseitigem Verständnis weicht und in gegenseitigem Respekt mündet (Sie vertrauen sich Träume und Ängste an). Auch der Hacker Nick Hathaway (Chris Hemsworth) in Blackhat und der Profiler Graham (William Petersen) in Manhunter müssen lernen, wie ihre Gegner zu denken, um sie zu fassen.
Das Gefängnis ist ein weiterer Ort, der in Michael Manns Filmen öfters wiederkehrt: The Jericho Mile, Blackhat und Public Enemies führen ihre Charaktere über diesen Ort ein. Letzterer beginnt mit der ers-ten Actionszene im Staatsgefängnis Michigan City. Eine der ersten Einstellungen von Manhunter zeigt eingezäunte Schildkröten, es folgen die Balken in Grahams Strandwohnung und tatsächliche Gefängnisbalken sieht man in der Szene des Verhörs zwischen Graham und Lector (Brian Cox). Der Blick durch die Gitterstäbe spielt in diesem Fall eine besondere Rolle: Wenn die Kamera plötzlich Lectors Pers-pektive einnimmt und nun Graham hinter Gitterstäben zu sehen ist, dann wirft sie unweigerlich die Frage auf, ob nicht doch der Profiler der seelische Gefangene von Lector ist.
Fatalität ist ebenfalls ein Element, das sich wie ein roter Faden durch Manns Werke zieht und besonders das Filmende prägt: In The Insider legt der Reporter Bergman seinen Regenmantel um und verlässt das Gebäude des Nachrichtensenders CBS. Er hat die illegalen Aktivitäten des Tabakkonzerns aufgedeckt und die Wahrheit ans Tageslicht gebracht, aber ein wahrhaftiger Sieg bleibt aus. Er will seine Karriere als Journalist beenden, zu sehr hat er auf seiner Suche nach der Wahrheit Whigant leiden sehen.
Er verlässt das Nachrichtengebäude ohne Absicht, jemals wieder zu kommen. Am Ende von Blackhat wurde die Terrororganisation zwar bezwungen, aber angesichts des Preises, der dafür gezahlt wurde, scheint der Sieg fragwürdig. In The Last of The Mohicans
steht letztendlich das Liebespaar vereint an der Seite von Chingachgook (Russell Means), doch sie trauern um die Verluste. Niedergeschlagen muss Chingachgook einräumen, er sei der Letzte seines Stammes.
Cop Vincent Hanna erschießt am Ende von Heat den Gangster Neil McCauley und somit den einzigen Menschen, der ihn wirklich versteht. Ersterer wird sich womöglich erneut scheiden lassen. McCauley lässt seine Partnerin und sein Leben in Freiheit im Wagen beim Hotel stehen, bleibt seinem Lebensmotto und dem titelgebenden Zitat („Don’t let yourself get attached to anything you are not wil-l-ing to walk out on in 30 seconds flat if you feel the heat around the corner.“) treu und besiegelt damit sein Schicksal.
Hoher Grad an Professionalität
In Heat ist der Protagonist durch seinen Beruf untrennbar mit der Stadt verbunden. Stellt der bereits erwähnte Blick aus der Wohnung auf die Weiten des Ozeans den Wunsch nach Freiheit dar, so ist das Blau in Heat unmissverständlich als Leitfarbe damit verknüpft: Als McCauley sich von seinen Gefühlen für Eady (Amy Brenneman) leiten lässt, mit ihr weglaufen und ein neues Leben in Neuseeland beginnen möchte, beginnen sie ihre Reise in die Freiheit mit einer Autofahrt. Die blaue Farbe, die das Bild bei der Tunneldurchfahrt füllt, mag diesen Eindruck verstärken und einen Moment lang für Eady stehen, die sich nun den Beginn eines neuen Lebens erhofft (Blau als Farbe der Intimität wurde von Mann bereits in Manhunter genutzt und jüngst in Blackhat). Doch McCauley erfährt den Aufenthaltsort Waingrows (Kevin Gage), der ihn und seine Crew verraten hat. Er entscheidet sich also umzukehren, um ihn zu töten und somit seine Angelegenheiten abzuschließen. Als er das Steuer herumreißt und den bläulichen Tunnel verlässt, ändert sich die Szenerie: Es erscheint wieder die allzu vertraute Silhouette der Stadt L.A. bei Nacht, die wie in Collateral auch, zum wiederholten Male zum Ort des Verbrechens werden soll (In dieser Hinsicht stehen beide Filme in der Tradition des „Film noir“).
Der Film wirft an diesem Punkt die zentrale Frage nach der Willensfreiheit und der Determination auf: McCauley ist in diesem Sinne das Opfer seiner eigenen Natur. Für ihn gibt es keine andere Option als Rache für den Verrat an seiner Bande. Es wird ihm zum Verhängnis, da Hanna diese Reaktion voraussieht. Auch Hanna will sein Ziel zu keinem Moment aus den Augen verlieren und sogar seine Frau Justine (Diane Venora), die in großer Not ist, im Krankenhaus alleine lässt. Er entscheidet sich gegen seine Frau und für den Beruf.
In Collateral wird das Bild des Professionalismus jedoch am Ende dekonstruiert und stellt in dieser Hinsicht neben Filmen wie Thief, Manhunter oder Heat die Ausnahme in Manns Werk dar. In der Figur des Auftragskillers Vincent wird die Idee des Professionalismus zwar auf die Spitze getrieben und dennoch gegen Ende verneint. Nutzen etwa der Profiler Graham und Hanna ihren Professionalismus, um die Täter zu fangen und somit Verbrechen zu unterbinden, so nutzt Vincent sein Können, um zu töten – dies zudem mit äußerster Genauigkeit und eiskalter Präzision. Man erfährt sehr wenig über Vincent als Person, nur sein grau meliertes Haar deutet auf einen verfrühten Alterungsprozess hin, den sein Job gewissermaßen als Konsequenz mit sich bringt. Er handelt so professionell, dass ihm Menschlichkeit abgesprochen werden kann und er eher einer Maschine gleicht, die ihre Aufträge präzise und effizient ausführt. Ähnlich automatisiert begutachten Hanna und McCauley ihre Tatorte (Der POV-Shot legt dem Zuschauer nahe, dass der professionelle Räuber den Wächter und seine Umgebung regelrecht scannt – ein weiteres Indiz für das Maschinenhafte). In Collateral schaut sich Vincent seinerseits am zukünftigen Tatort nach möglichen Zeugen um, bevor er tötet. Beim Eintritt in den Club und der Suche nach seiner nächsten Zielperson wirkt er wie von einem inneren Motor getrieben. Nichts lenkt ihn ab, er marschiert geradewegs auf sein Ziel zu und verliert dabei keine Zeit. Nach und nach verliert der Auftragskiller jedoch an Autorität und Kontrolle. Max erkennt die Ausweglosigkeit seiner Situation, sieht, dass es in Vincent nichts Menschliches gibt und entscheidet sich, aus seiner Routine auszubrechen, indem er sein Taxi, in dem er jahrelang gefangen war, in einem bereitwilligen Suizidversuch zerstört. Somit gewinnt Max zunehmend Vertrauen in sich selbst und wird mehr und mehr Herr der Lage, wohingegen Vincent seine Kontrolle einbüßt und am Ende in der Bahn alleine stirbt. Somit wird der Professionalismus hier ganz klar negiert, denn Max wird zum Helden des Films, indem er sich entscheidet die Anwältin Annie (Jada Pinkett Smith) vor dem Killer zu retten.
Die Einsamkeit ist bei Mann folglich eine Voraussetzung, um einen – so scheint es – tiefgründigen Charakter zu formen. Es lässt sich aber auch feststellen, dass sich die hier erwähnten Themen über die Jahre hinweg in Manns Filmen weiterentwickelt haben. Er bezieht sich stärker auf eigene Filme und zitiert sich teils selbst. Seine einzigartige Fähigkeit, Genrekino mit persönlichem Stil zu verbinden, hebt ihn deutlich von anderen Filmemachern ab und schafft ein Œuvre, das im zeitgenössischen amerikanischen Kino seinesgleichen sucht.
Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.
Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!
