Klärschlamm
Problematischer Abfall oder unterschätzter Wertstoff?
In der letzten forum-Ausgabe stand das Thema Müll im Zentrum unseres Dossiers. Hiermit wollen wir einen wichtigen Beitrag nachreichen, der unverzichtbar ist, wenn man über Abfall nachdenkt: ein Text über Luxemburgs derzeitigen und zukünftigen Umgang mit Klärschlamm.
„Am meisten Schwierigkeiten bereitet uns der Klärschlamm. Er macht als Rohschlamm zwar nur 1 % der behandelten Abwassermenge aus, verursacht aber rund 30 % der Abwasserbehandlungskosten und 90 % der Kopfschmerzen.“ Dieses Zitat von Prof. Dr.-Ing. E. h. Klaus R. Imhoff, ehemaliger technischer Vorstand des Ruhrverbands und langjähriger Präsident der Abwassertechnischen Vereinigung (ATV) in Deutschland, ist mittlerweile rund 30 Jahre alt, aber für viele Kläranlagenbetreiber immer noch aktuell. Aber was ist kommunaler Klärschlamm heutzutage: ein problematischer (Sonder-)Abfall, der nur unter strengen Auflagen entsorgt werden kann, oder aber eine weithin unterschätzte Ressource, die nachhaltig und wirtschaftlich genutzt werden kann? Dieser Frage widmet sich der nachfolgende Artikel.
Klärschlamm – ein Restprodukt der Abwasserreinigung
Klärschlamm entsteht sowohl bei der mechanischen als auch bei der biologischen Abwasserreinigung, als sogenannter Primär- und als Überschussschlamm. Während der Primärschlamm aus der mechanischen Reinigung vorwiegend aus im Kanalnetz zerkleinertem organischem Material besteht, beinhaltet der im biologischen Teil der Kläranlage entstehende Klärschlamm weitestgehend Organismenmasse (vorwiegend Bakterien). Diese Bakterien sind für die biologischen Abbauprozesse in Kläranlagen verantwortlich; sie setzen die ankommende Verschmutzung in ihrem Stoffwechsel in Energie und Biomasse um und sind damit das Kernstück für die Reinigung unserer Abwässer.
Wir (!) sind durch die von uns erzeugten Schmutzstoffe (wie beispielsweise Fäkalien und Küchenabfälle) für die Entstehung von Klärschlamm verantwortlich. Jede/r von uns „produziert“ am Tag statistisch gesehen rund 1,5 Liter Klärschlamm (also pro Jahr knapp vier Badewannen voll); dieser enthält jedoch sehr viel Wasser (selbst nach einer weitgehenden Entwässerung auf den Kläranlagen noch rund 70 bis 80 %), sodass die Menge an Feststoffen rund 50 bis 70 g pro Einwohner und Tag – respektive rund 15 kg pro Jahr – beträgt. Daneben werden in den kommunalen Kläranlagen auch Anteile von gewerblichem und industriellem Abwasser gereinigt, die ebenfalls zur Entstehung von Klärschlamm beitragen.
Klärschlamm ist eine Senke für Schadstoffe: Sowohl organische Schadstoffe (die krebserzeugend und erbgutverändernd wirken können) als auch Schwermetalle akkumulieren an ihm und können bei landwirtschaftlicher Verwendung über den Boden und die Pflanzen in unsere Nahrungskette gelangen; daher beinhalten die gesetzlichen Bestimmungen zum Umgang mit Klärschlamm Grenzwerte für diese Substanzen, um die Gefahren für Mensch und Umwelt zu minimieren. Kommunaler Klärschlamm – also Klärschlamm aus Kläranlagen, in denen hauptsächlich das Abwasser von Haushalten gereinigt wird – ist jedoch auch eine Quelle von Nährstoffen und beinhaltet sowohl Stickstoff, Phosphor als auch Kalium – alles Stoffe, die als Dünger in der Landwirtschaft benötigt werden.
Daneben ist bereits seit langer Zeit bekannt, dass die organischen Stoffe im Klärschlamm (rund 55-75 % des Schlammes besteht hieraus) energetisch genutzt werden können: hierbei wird – aus wirtschaftlichen Gründen vorwiegend bei großen Kläranlagen – der Klärschlamm dann sogenannten Faulbehältern zugeführt, wo spezielle Bakterien die organischen Inhaltstoffe in das sogenannte Biogas (eine Mischung aus ca. 2/3 Methan CH4 und 1/3 Kohlendioxid CO2) umwandeln. Das Biogas kann dann zur Wärmegewinnung oder auch zur Umwandlung in Wärme und Strom (mit Hilfe von Blockheizkraftwerken) genutzt werden. Klärschlamm ist somit – neben den in ihm befindlichen problematischen Stoffen – eine bedeutende, potenzielle Energie- und Nährstoffquelle.
Wie geht das Land Luxemburg mit seinem (unserem!) Klärschlamm um?
Das Land Luxemburg verzeichnet 212 kommunale Kläranlagen (Stand 2018); auf insgesamt zehn dieser Kläranlagen werden Faulbehälter zur Gewinnung von Biogas betrieben. Nach Untersuchungen im Rahmen der Nationalen Klärschlammstudie, die im Auftrag des Ministère de L’Environnement, du Climat et du Développement durable (MECDD) in den Jahren 2020 und 2021 von einem Konsortium luxemburgischer und deutscher ExpertInnen bearbeitet wurde, fielen im Jahr 2018 in den nationalen Kläranlagen rund 9.300 Tonnen Klärschlamm-Trockenmasse an; in Zukunft wird – insbesondere bedingt durch steigende Anforderungen an die Abwasserqualität sowie das Bevölkerungswachstum – mit einer Menge von bis zu 15.000 Tonnen pro Jahr gerechnet. Ausgehend von einem Feststoffgehalt von 20 % bis 30 % nach der Entwässerung auf einer Kläranlage, ergibt sich damit für das Jahr 2040 ein geschätztes Klärschlammvolumen von rund 75.000 m3; genügend Klärschlamm, um 30 Olympische Schwimmbecken (vergleichbar dem im Centre national sportif et culturel d’Coque in der Stadt Luxemburg) zu füllen.
Aufgrund der bislang begrenzt vorhandenen Kapazitäten im Land hat Luxemburg bezüglich der Verwertung der anfallenden Klärschlämme bislang auf eine Mischung aus nationalen und grenzüberschreitenden Lösungen gesetzt: Knapp die Hälfte der Schlämme wurden im eigenen Land verwertet (kompostiert, in der Landwirtschaft genutzt, in der Industrie mitverbrannt). Etwas mehr als die Hälfte wurde in das benachbarte Ausland (vor allem nach Deutschland und Frankreich) gebracht und dort verbrannt bzw. landwirtschaftlich entsorgt. Die Ausbringung von Klärschlamm in der luxemburgischen Landwirtschaft hat sich in den letzten Jahren – insbesondere aufgrund der teils hohen Nitratwerte in den luxemburgischen Böden – stark reduziert.
Europäische und nationale Gesetze regeln den zukünftigen Umgang mit Klärschlamm
Bei der Verwertung von Klärschlamm müssen unterschiedliche europäische und nationale Anforderungen aus verschiedensten Bereichen wie Abfall- und Düngerecht, Bodenrecht und Immissionsschutz berücksichtigt werden. So regelt beispielsweise das luxemburgische Reglement „Gestion des boues d’epuration“ unter Berücksichtigung der europäischen Rechtsvorschriften die Aufbringung von Klärschlamm in die Landwirtschaft; hierbei werden Maximalwerte (für ausgewählte Schwermetalle sowie organische Schadstoffe) sowie Sperrzeiten für die Verbringung von Klärschlamm definiert. Für eine zukünftige mögliche Verwertung im Ausland spielt ein vergleichsweise neues französisches Gesetz eine bedeutende Rolle, welches den Import von Klärschlamm aus dem Ausland nach Frankreich ab dem Jahr 2021 untersagt. Damit fallen für Luxemburg in Zukunft gleich zwei Entsorgungswege (Kompostierung und Verbrennung in Frankreich) weg. Umso wichtiger ist es, eine nationale – nicht vom Ausland abhängige – Lösung für Luxemburg zu suchen.
Eine weitere wesentliche Rahmenbedingung zum zukünftigen Umgang mit Klärschlamm ist der Wunsch (bzw. in manchen Ländern wie Deutschland die Pflicht), Phosphor als wesentlichen Nährstoff aus dem Klärschlamm bzw. der Klärschlammasche (nach einer Verbrennung) zurückzugewinnen. Phosphor ist ein in der Natur in Gesteinen vorkommender, nicht erneuerbarer Rohstoff, dessen Reserven weltweit stark limitiert sind; die Prognosen, wann die weltweiten Vorräte erschöpft sein werden, schwanken dabei zwischen 100 und 300 Jahren. Die Rückgewinnung von Phosphor hat sich als technisch möglich gezeigt, allerdings wurden viele der Verfahren bisher nur im Labor bzw. im sehr kleinen Maßstab getestet, sodass die Kosten hierfür nur schwer seriös angegeben werden können. Grundsätzlich ist es jedoch möglich, rund 50 % des in Luxemburg für die Landwirtschaft benötigten Phosphates über den Klärschlamm abzudecken!
Auch die zunehmende Kontamination des Klärschlamms mit Mikroplastik (sehr kleinen Kunststoffpartikeln, die über Fleecebekleidung, Kosmetikartikel, Reifenabrieb etc. in das Abwasser gelangen), das sich an den Klärschlamm anlagert und bei einer landwirtschaftlichen Verwertung auf die Felder gelangt, ist eine wesentliche Rahmenbedingung, die bei einem zukünftigen nachhaltigen Umgang mit Klärschlamm zu berücksichtigen ist.
Was sind Perspektiven für einen zukünftigen Umgang mit Klärschlamm?
Klärschlamm wird heute immer mehr als wertvolle Ressource, und immer weniger als problematischer Abfall betrachtet. Insbesondere die Möglichkeit der zukünftigen Nutzung bzw. gezielten Rückgewinnung der limitierten Ressource Phosphor aus dem Klärschlamm bzw. der Klärschlammasche sowie die Nutzung der im Klärschlamm enthaltenen Energie sollte daher bei allen zukünftigen Szenarien in die Bewertung einfließen.
Grundsätzlich ergeben sich vier potenzielle zukünftige Entsorgungs- und Verwertungswege:
Die direkte Nutzung in der Landwirtschaft bzw. dem Landschaftsbau über Ausbringung durch Landwirte, die eine Verwertung der im Klärschlamm enthaltenen Nährstoffe (insbesondere des Phosphors) ermöglicht, durch die möglichen Schadstoffgehalte jedoch ein potenzielles Risiko für den Boden und das Grundwasser birgt.
Die Mitverbrennung in industriellen Anlagen wie beispielsweise Kohlekraftwerken, Müllverbrennungsanlagen wie die in Leudelange oder Zementwerken, die eine weitgehende energetische Nutzung der organischen Inhaltstoffe ermöglichen, jedoch eine Nutzung der Nährstoffe sowie insbesondere des Phosphors ausschließen.
Die Monoverbrennung des Klärschlamms in eigenen Klärschlammverbrennungs- oder Pyrolyseanlagen, die neben einer energetischen Nutzung der organischen Inhaltstoffe und der Möglichkeit der Rückgewinnung des Phosphors auch eine hohe Planungssicherheit für die Kläranlagenbetreiber ermöglicht. Dieser Entsorgungsweg ist jedoch für Luxemburg kostenintensiv, da die Verbrennungskapazitäten neu zu errichten sind.
Daneben gibt es derzeit zahlreiche Ansätze, den Klärschlamm als potenziellen Wertstoff nutzbar zu machen. So gibt es Ansätze, Pellets als Brennstoff (beispielsweise für eine Nutzung in Müllkraftwerken) aus Klärschlamm zu produzieren, des Weiteren wird im Rahmen von Modellprojekten durch sogenannte Pyrolyse (Zersetzung bei hohen Temperaturen unter Abwesenheit von Sauerstoff) eine aschereiche Kohle mit pflanzenverfügbarem Phosphor aus Klärschlamm erzeugt. Hier fehlt jedoch noch die Zulassung als Düngeprodukt, sodass eine gezielte Nutzung in der Landwirtschaft bisher nicht möglich ist. Auch wird in Modellprojekten die Mischung von Klärschlamm mit Grünschnitt untersucht; auch hier ergibt sich jedoch die vorgenannte Problematik der Nutzung sowie der Nachfrage nach dem erzeugten Produkt.
Wie sollte Luxemburg zukünftig mit Klärschlamm umgehen?
In Luxemburg ist in Zukunft (2040) mit einer Klärschlammmenge von rund 15.000 Tonnen Trockensubstanz pro Jahr zu rechnen. Die derzeit verfügbaren Kapazitäten zur Entsorgung im Land sind sehr begrenzt, der Wegfall der Möglichkeit der Entsorgung in Frankreich verschärft diese Problematik. Um sich nicht von geänderten Gesetzeslagen im Ausland abhängig zu machen, ist demnach eine nationale Lösung anzustreben.
Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Anforderungen, der Mikroplastikproblematik sowie der anzustrebenden Rückgewinnung von Phosphor erscheinen hierbei insbesondere die Lösungen sinnvoll, die eine thermische Verwertung in eigenen Monoverbrennungs- bzw. Pyrolyseanlagen unter Nutzung der im Klärschlamm enthaltenen Energie und einer Phosphat-Rückgewinnung aus der Klärschlammasche ermöglichen.
Durch die Schaffung eigener Kapazitäten im Land, auf die alle Kläranlagenbetreiber zugreifen können, ist damit eine zukunftsfähige und nachhaltige Verwertung der Klärschlämme möglich, die auch dem Gedanken der Kreislaufwirtschaft (also der Schließung von Energie- und Materialkreisläufen) Rechnung trägt.
Eine in einem nächsten Schritt zu treffende Entscheidung ist dann die Frage, ob die thermische Verwertung in ein bzw. zwei großen, zentralen Anlagen oder – verteilt über das Land – in mehreren kleinen Einheiten stattfinden soll, und wo diese Anlagen sinnvollerweise installiert werden sollen. Hierzu sind vertiefende Machbarkeitsstudien erforderlich, die derzeit vom zuständigen Ministerium veranlasst werden.
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