Kleines Land, große Projekte
Die luxemburgische Faszination für Großprojekte
Regelmäßig wird in den luxemburgischen Medien über die neuesten Entwicklungen von städtebaulichen Großprojekten berichtet. Architekturrenderings, die schillernd leuchtende Gebäude `by night‘ darstellen und so metaphorisch deren Ausstrahlungskraft hervorheben, Vogelperspektiven auf funkelnagelneue Stadtviertel und Fotos von Politikern in Stiefel und Schutzhelm mit einem Spaten in der Hand bei einer Grundsteinlegung schmücken regelmäßig die Seiten der Zeitungen. Großprojekte sind nicht nur ein dankbares Thema für die Medien, sondern auch und vor allem für Politiker. In Anbetracht der Anzahl von Großprojekten, die auf der kleinen Fläche des Großherzogtums Luxemburg initiiert wurden, ist die Faszination der Luxemburger Entscheidungsträger für Großprojekte sogar größer als andernorts. Bevor diese Faszination anhand einer Öbersicht der in Luxemburg initiierten Großprojekte dargelegt wird, soll zunächst erläutert werden, was der Begriff Großprojekt genau bedeutet und welche Art von Planung dahinter steckt. Schließlich wird diese Faszination in Frage gestellt, um abschließend eine kritische Betrachtung des Bildes von Großprojekten als Wunderplanungsinstrument der Raumplanung vorzunehmen.
Was sind „Großprojekte“
In der Planungstheorie wird der rahmensetzenden die projektorientierte Planung entgegengestellt. Huning und Peters1 erklären: „Planung verändert sich, wenn sie projektförmig verläuft, insbesondere dann, wenn es sich um ein Großprojekt handelt. Die rahmensetzende Funktion der Planung tritt hier zugunsten einer stärkeren Handlungsorientierung in den Hintergrund. Planerinnen und Planer können sich als „Macher“ präsentieren und ihren Ruf als bürokratische Verhinderer abstreifen.“ Projektorientierte Planung wird mit unterschiedlichen Begriffen umschrieben: Großprojekte, großflächige Städtebauprojekte, Megaprojekte, Prestige-Projekte usw. Dabei wird eine Diversität von unterschiedlichen Unterfangen angesprochen, von Megaevents wie z.B. den Olympischen Spielen über die Planung von neuen Stadtvierteln bis hin zu Infrastrukturprojekten wie z.B. der Tram, Bahnhöfen oder Flughäfen sowie prunkvollen Bauten wie etwa Museen oder Bankgebäuden.
In diesem Beitrag stehen großflächige Städtebauprojekte im Vordergrund. Diese definieren sich entweder dadurch, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein sogenannter „Masterplan“ für die gesamte Fläche erstellt wird, oder durch das Kriterium, dass die Gesamtheit der Grundstücke in den Besitz eines Akteurs bzw. einer Kooperationsgemeinschaft mit einer Vision gebracht wird. Dabei kann ein zumeist pluridisziplinäres Team das gesamte Projekt planen und umsetzen, oder unterschiedliche Entwickler und Bauherren setzen Teilprojekte im Rahmen eines Master-plans um. Großflächige Städtebauprojekte sind oft eng mit Infrastrukturprojekten und der Planung neuer Prunkbauten verknüpft, die in dem Fall als Teilprojekte
betrachtet werden können.
Großflächige Städtebauprojekte
Bezieht man diese theoretischen Konzepte auf die luxemburgische Planungslandschaft, dann ist das „Plateau du Kirchberg“ wahrscheinlich das städtebauliche Großprojekt, das einem als erstes in den Sinn kommt. Von den aktuellen — also noch nicht abgeschlossenen — Großprojekten ist es das älteste und mit 300 ha das größte. Hier wurde zunächst die Gesamtheit der Grundstücke in den Besitz eines öffentlichen Bauträgers, dem „Fonds d’urbanisation et d’aménagement du Plateau du Kirchberg“ (FUAK) gebracht, bevor im Laufe der Zeit unterschiedliche Masterpläne erstellt wurden.
Im Rahmen der Wiederbelebung der Industriebrachen und dem Pilotprojekt „Belval“ (120 ha) im Minett wurde im Jahr 2000 die Entwicklungsgesellschaft Agora gegründet. Diese ist im Unterschied zum FUAK nicht rein öffentlich, sondern eine Public-private-Partnership zwischen dem Staat und dem Stahlkonzern ArcelorMittal. Die Grundlage der Planung ist der Masterplan vom Planungsbüro Jo Coenen der 2001 den städtebaulichen Wettbewerb gewonnen hat. 2002 wurde der „Fonds Belval“, eine öffentliche Einrichtung mit der Mission das öffentliche Investitionsprogramm umzusetzen, gegründet. Die „Rockhal“, das erste Teilprojekt, wurde 2005 eröffnet. Das Projekt befindet sich zurzeit in der Umsetzungsphase.
Weitere etwas kleinere Umnutzungsgroßprojekte sind:
das Projekt „Quartier de la Gare Mersch“ (53 ha), bei dem u.a. die Flächen des Agrocenters und einer ehemaligen Gießerei umgenutzt werden sollen,
das Projekt „Wunnen mat der Wolz“ (26 ha), das u.a. die Umnutzung der Industriebrachen von Eurofloor, Baumaself und Geetz umfasst, und
das Großprojekt „Schmelz Diddeleng“ (39 ha) auf einer weiteren ehemaligen Brache von Arcelor-Mittal.
Diese Projekte haben weniger Resonanz in den Medien gefunden, dementsprechend schwieriger ist es, nachzuvollziehen, in welcher Phase sie sich befinden.
Das Großprojekt „Zentrale Achse“ wurde im Rahmen der Konvention „Nordstad“ initiiert. Der Projektraum (300 ha) befindet sich vor allem auf den Gebieten der Gemeinden Ettelbruck, Erpeldange und Diekirch entlang der Sauer. Unterschiedliche Einschätzungen bestehen aktuell darüber, ob bzw. wann das Projekt in die Umsetzungsphase gehen wird.
Auch die hauptstädtischen Akteure scheinen eine Vorliebe für die Planung von Großprojekten zu haben. Bei dem flächenmäßig eher kleinen, jedoch viel beachteten Großprojekt „Royal Hamilius“ (0,7 ha) werden der Busbahnhof und die angrenzenden Grundstücke umgebaut. Die Abrissarbeiten haben begonnen. In den Jahren 2004 und 2005 hat die Stadt städtebauliche Ideenwettbewerbe für die Gebiete „Porte de Hollerich“ (120 ha) und „Luxembourg Central“ (57 ha) im Südwesten der Stadt organisiert. Im Rahmen dieser Wettbewerbe wurden auch Ideen für die Entwicklung der dazwischen liegenden industriellen Flächen von Paul Wurth und der Tabakmanufaktur Heinz van Landewyck gesammelt. Das sogenannte „Acierie-Industrie“-Projekt, auch „Hollerich District“ genannt, wird inzwischen von den Grundstückbesitzern selbst vorangetrieben. Während hier die ersten alten Industriegebäude abgerissen wurden, wurde es um das Großprojekt rund um den Bahnhof eher still, weil der Eigentümer der Grundstücke, die CFL, das Projekt nicht unterstützt. Auch das Projekt „Porte de Hollerich“ geht nur schleppend voran. Einer der Grundstückbesitzer versucht deshalb seinen Teil der Grundstücke (4 ha) unter dem Namen „Hollerich Village“ zu vermarkten.
Ein weiteres Projekt, der „Ban de Gasperich“ (80 ha), wird seit kurzem auch unter dem Namen „Cloche d’Or“ gebrandet. Dieses Projekt befindet sich auf dem Gebiet der Stadt Luxemburg, wird jedoch von privatwirtschaftlichen Akteuren vorangetrieben. Die ersten Gebäude stehen. An den Ban de Gasperich angrenzend befindet sich das Projekt „Midfield“ (20 ha), das im Rahmen der „Dici Süd-West-Konvention“2 ausgearbeitet wurde und vor allem auf staatlicher Initiative beruht.
Darüber hinaus sind die skandalbehafteten Projekte „Place de l’Étoile“ sowie die Projekte „Livange“ und „Wickrange“ zu nennen. Diese gelten zwar als gescheitert. Dennoch sind sie aufgrund ihrer Resonanz in der Presse nicht aus dieser Auflistung wegzudenken und bekräftigen die These, dass Großprojekten im hiesigen Planungskontext große Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der Ausdruck „Kirchberg-syndrom“ wurde von Prof. Markus Hesse eingeführt, um die Neigung der luxemburgischen Stadtentwicklungspolitik zur Planung von Großprojekten zu veranschaulichen. „[Das Kirchbergsyndrom] zeichnet sich zum einen dadurch aus, dass Stadtentwicklung in Luxemburg häufig eine Melange aus vielen Solitären bildet, denn eine konsistente Idee fürs Ganze widerspiegelt — im Grunde wie das Plateau Kirchberg. Zum anderen wird auf die durchaus ungewöhnlichen Randbedingungen und Planungsaufgaben in Stadt und Land bevorzugt mit großmaßstäb-lichen Bauvorhaben reagiert.“3
Raumplanung anhand von Großprojekten: eine Illusion
In Luxemburg stellen demnach die städte-baulichen Großprojekte eher die Regel als eine ungewöhnliche oder besondere Ausnahme dar. Diese Vielzahl an Großprojekten ist jedoch problematisch. Der Ausdruck mega-project paradox beschreibt diese Diskrepanz zwischen der Neigung, anhand von Großprojekten zu planen, und den Schwierigkeiten, diese Unterfangen zu managen.4 Im wissenschaftlichen Diskurs werden eine Reihe von Problemen hervorgehoben: Kostenüberschreitungen, die Unterschätzungen der Bauzeit5, die Eigendynamik und der frühe point of no return6, also die größenbedingt mangelnde Flexibilität der Projekte gegenüber möglichen Anpassungen. Großprojekte sind auf räumlicher und auf sozio-politischer Ebene nicht in das bestehende Stadtgefüge integriert. Räumlich sowohl durch die Lage als auch in Bezug auf die architektonische Formensprache. Sozio-politisch, weil das Angebot sich meist bewusst an eine bestimmte Bevölkerungsgruppe — vornehmlich einkommensstarke Haushalte — richtet und die Akteurskons-tellationen und Planungsprozesse anders sind als bei der regulierenden Planung. Großprojekte werden als Spielwiese der Elite angesehen, die einen Mangel an Transparenz, ein Demokratiedefizit sowie eine Sozialisierung der Kosten und Risiken sowie die Privatisierung möglicher Gewinne mit sich bringen.7 Großprojekte sind also Fremdkörper in ihrer Umgebung und können deswegen dem Anspruch, „Katalysatore(n) der Stadtentwicklung zu sein“8, nicht gerecht werden. Zumindest nicht in dem Maße, dass sie räumliche Tendenzen (Konzentration der Arbeitsplätze in der Stadt, hohes Verkehrsaufkommen, Wohnungsmangel, hohe Mietpreise etc.) auf der Ebene des Landes stark oder nachhaltig beeinflussen könnten.
Belval und die Nordstad werden von offizieller Seite als Pilotprojekte der staatlichen Dezentralisierungspolitik dargestellt und auch damit begründet. Wenn es nur die beiden Großprojekte im Großherzogtum gäbe, könnte man dieses Argument nachvollziehen. Hält man sich jedoch alle Großprojekte vor Augen, vor allem diejenigen in und rund um die Stadt Luxemburg, dann überzeugt dieses Argument kaum noch. In Anbetracht der Dezentralisierungsstrategie wäre es logisch, wenn im Rahmen der Großprojekte in der Hauptstadt proportional mehr Wohn- als Büroflächen geplant würden und umgekehrt in den dezentralen Großprojekten mehr Büro- als Wohnflächen entstünden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Sowohl in Kirchberg als auch am Ban de Gasperich werden bedeutend mehr Personen arbeiten als wohnen. Diese Großprojekte werden demnach die bestehenden Tendenzen des Wohnungsmangels und somit hoher Preise sowie des hohen Verkehrsaufkommens in der Hauptstadt aufgrund der Polarisierung der Arbeitsplätze eher verstärken, als dass sie ihnen entgegenwirken könnten. Belval hingegen ist bislang nicht so attraktiv für privatwirtschaftliche Unternehmen wie erhofft; trotz der Tatsache, dass ein Großteil der Universität und andere öffentliche Einrichtungen dort ansässig sind bzw. sein werden. Der Grund ist einfach: Es besteht eine Standortkonkurrenz zwischen den verschiedenen Großprojekten innerhalb von Luxemburg entstanden. Belval hat in diesem Kontext schlechte Karten. Denn aufgrund der Tatsache, dass es sich bei Belval um eine Industriebrache handelt und die Bodensanierungskosten sich auf die Grundstückpreise auswirken, kann Agora die dezentrale Lage nicht mit billigeren Grundstückpreisen wettmachen. Das zeigt, dass es schwieriger ist, wirtschaftliche Aktivitäten nach Belval zu locken als erhofft, und dass die Dezentralisierungspolitik nicht beeinflussen konnte, wo sich privat-wirtschaftliche Unternehmen niederlassen. Ist dies darauf zurückzuführen, dass der Immobilienmarkt seinen eigenen Regeln folgt? Oder haben die öffentlichen Akteure einfach nicht radikal genug eingegriffen? Ist die Vorstellung, räumliche Entwicklungen anhand von Großprojekten steuern zu können, eine Illusion?
Räumliche Entwicklungen und Tendenzen anhand von großflächigen Städtebauprojekten zu beeinflussen und zu steuern ist demnach schwieriger, als es auf den ersten Blick erscheint. Großprojekte sind komplexe Unterfangen, deren Management regelrecht unterschätzt wird. Sie können demnach nur bedingt als Planungsinstrumente im Rahmen der Landesplanung dienen.
Ich möchte mich bei Prof. Dr. Hesse und Dr. Marmulla für die wertvollen Kommentare bedanken.
Huning, S. & Peters, D. (2003), Megaprojekte und Stadtentwicklung, in: Planungsrundschau, H. 8, S. 5-14.
In der Dici Süd-West Konvention wurde die Zusammenarbeit der Stadt Luxembourg mit den vier angrenzenden Gemeinden Bertrange, Hesperange, Leudelange und Strassen sowie dem Ministerium für nachhaltige Entwicklung und Infrastrukturen für die koordinierte und integrative interkommunale Entwicklung im Südwestens der Agglomeration der Stadt Luxemburg festgehalten.
Hesse, M.: (2013), Das „Kirchberg-Syndrom“: große Projekte im kleinen Land: Bauen und Planen in Luxemburg, in: disP- The Planning review, 49:1, S. 14-28.
Vgl. Flyvbjerg, B (2014), What you should know about megaprojects and why: an overview, in: Project Management Journal, April/May, S. 11-12.
Idem.
Simons, K. (2003), Politische Steuerung großer Projekte. Berlin Adlershof, Neue Mitte Oberhausen und Euralille im Vergleich, Leske + Budrich, Opladen, S. 181.
Vgl. Swyngedouw, E; Moulaert, F & Rodriguez, A. (2002), Neoliberal Urbanization in Europe: Large-Scale Urban Development Projects and the New Urban Policy, in: Antipode, Bd. 34, Nr. 3, S. 573.
Idem, S. 35-50.
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