Konflikt und Konsens in der Landesplanung

Sektorpläne auf dem Prüfstand

Die Ende Juni 2014 vorgelegten sektoriellen Leitpläne haben in den letzten Monaten erhebliche öffentliche Kritik ausgelöst. Dies führte dazu, dass das Verfahren zu ihrer Umsetzung im November vergangenen Jahres zunächst ausgesetzt wurde. Offiziell begründet wurde dieser Schritt mit juristischen Vorbehalten. Rückblickend betrachtet steht jedoch außer Zweifel, dass auch die ungewohnt konflikthafte Debatte zu dieser Entscheidung beigetragen hat. Ihr Ausmaß hat die zuständigen Minister und Fachstellen überrascht. In zahlreichen Stellungnahmen, Zeitungsartikeln sowie Fernseh- und Rundfunkdebatten haben öffentliche und private Akteure, engagierte Bürger, Verbände und Wissenschaftler rechtliche, inhaltliche und prozedurale Beanstandungen geäußert. In einigen Kommunen kam es sogar zu Protestaktionen, vor allem ausgelöst durch die großen Bauvorhaben, den „Projets d’envergures“. Der Mangel an Partizipation und Transparenz in der Konzipierung der Pläne, das Fehlen einer öffentlichen Diskussion über Problemstellung und Lösungsansätze stießen seitens der Gemeinden und Organisationen ebenfalls auf große Kritik. Schließlich haben die im Vergleich zur Komplexität der Leitpläne und erst recht gemessen an ihrem jahrelangen Vorlauf sehr kurzen Konsultationsprozeduren während der Sommermonate für Unfrieden gesorgt.
Solche Konflikte sind in der Raumplanung allerdings eher die Regel als die Ausnahme. Da es in der räumlichen Planung grundsätzlich darum geht, konkurrierende Ansprüche an den Raum abzuwägen und auszugleichen, gilt sie als immanent politisches Handlungsfeld. Insofern kommt, neben der Suche nach Konsens, dem Umgang mit Dissens eine zentrale Bedeutung zu. Planungskonzepte werden erst strategiefähig und verhandelbar, wenn sie in gewisser Weise durch das Feuer konflikthafter Auseinandersetzungen gegangen sind. Erst auf diese Weise können sie wirksam werden und vielleicht sogar zu einem identitätsstiftenden Prozess beitragen.

Raumplanung als Feld postpolitischer Auseinandersetzungen

Die Sektorpläne der Landesplanung können hier nicht isoliert als technische Mittel der Raumplanung betrachtet werden, mit denen bestimmte Ziele erreicht werden sollen. Sie lassen sich sinnvoll nur vor dem Hintergrund hegemonialer (d.h. mehrheitlich bestimmender) gesellschaftspolitischer und wirtschaftlicher Programmatiken erklären. Sie unterliegen in Luxemburg wie andere Politikentwürfe auch einer neoliberalen, marktwirtschaftlichen Grundorientierung. Mit Hilfe von relativ rigiden Politikstilen, überwiegend staatlichem Agenda-Setting, intransparenten Entscheidungsprozessen und der mehr oder weniger technokratischen Suche nach absoluten Lösungen wurde versucht, der Landesplanung zu einer dominanten Stellung zu verhelfen (siehe zum Politikstil den Beitrag von Markus Hesse).

Kritik wurde zugleich gewissermaßen absorbiert und durch einen vermeintlich allgemeingültigen, technokratisch begründeten Konsens ersetzt. Erst dieser Konsens würde es erlauben, Politik und Gesellschaft und in diesem Kontext auch den Raum effizienter zu ordnen. Damit geht aber der Raum (im übertragenen Sinne) verloren, der für eine Artikulation und Aushandlung von politischen Anliegen notwendig wäre. Solche Planungskonzepte werden daher zunehmend auch als postdemokratisch oder postpolitisch bezeichnet.1 Damit ist eine Form von Politik gemeint, der die intensive Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Positionen abhandengekommen ist. Der Begriff der „Postpolitik“ beschreibt den Anspruch von politischen Akteuren, die konkreten Bedürfnisse und Interessen der Subjekte mit Hilfe von Regeln, Normen, Inhalten und Prozessen bestimmen und befriedigen zu können. Alternative Positionen zur jeweils dominanten Haltung werden in postpolitischen Prozessen konsequent verdrängt — „there is no alternative“, wie Margaret Thatcher sagte. Das Phänomen der Postpolitik zeigt sich auch in der Raumplanung: Die daran Beteiligten reflektieren die jeweilige Bedeutung und die Potenziale von Konsens und Dissens nicht, die Chancen demokratischer Auseinandersetzungen nutzen sie nicht.2

Raumplanungspolitik mit „Rissen“?

Die hinter den Sektorplänen stehende, übergeordnete Raumplanungspolitik kennzeichnet sich durch das Unterlaufen der kommunalen Planungshoheit und den Ersatz verbindlicher Regeln durch individuell und bilateral verhandelte Kompromisse sowie formaler und informeller Kooperationen zwischen Staat und Gemeinden. Sie zielt darauf ab, die Kontrolle, den Handlungsspielraum und damit letztendlich auch die Legitimation der staatlichen Raumplanung im Hinblick auf die rezenten räumlichen und sozioökonomischen Entwicklungen in den Bereichen Mobilität, Wohnen, Landschafts- und Naturschutz und Wirtschaft stetig auszubauen. Durch das allein von der Regierung bestimmte und auf das Funktionieren hin ausgerichtete Management schwieriger und scheinbar alternativloser Situationen entsteht sukzessive ein ent-politisierter, konsensorientierter Raum.

Genau dieser Drang nach öffentlichem Konsens und optimalen, technokratischen Lösungen ist aber das Problem. Er führte dazu, dass das Politische bereits vor der Publikation der Leitpläne mit Hilfe von langwierigen, größtenteils im Verborgenen stattgefundenen Aushandlungsprozessen zwischen Ministerien und Experten systematisch herausdestilliert wurde. In diesem Prozess wurden die Positionen und Interessen der Allgemeinheit als z.T. unrealistisch oder unverantwortlich abgetan und somit nicht berücksichtigt. Dadurch entstand der Eindruck, dass die Verhandelbarkeit des Politischen hin zu einem mehr oder weniger allgemeinen Kompromiss nicht gewährleistet war. Informationen, wie sie etwa zu Beginn der Prozedur mit Hilfe großangelegter Informationsveranstaltungen gegeben wurden, reichen hier natürlich nicht aus, da sie nur in eine Richtung fließen, nicht auf Gegenseitigkeit beruhen und das Austragen bzw. Verhandeln von Konflikten nicht vorsehen.

Die von der Regierung mehr oder weniger beabsichtigt entfachte öffentliche Debatte war indes durchaus identitätsstiftend. Aus der Kritik am Umgang des Staates mit den objektiv vorhandenen Meinungsverschiedenheiten erwuchs bei vielen Akteuren ein neues Bewusstsein. Dies hat angesichts der Dimension des Problems über individuelle Positionen hinaus dazu beigetragen, eine gemeinsame Problemsicht und eine entsprechend gemeinsame Vorstellung von möglichen Zukünften entstehen zu lassen. Auf diese Weise entstand ein dynamischer gesellschaftlicher Prozess, den die Regierung nicht länger ignorieren konnte.

Durch das Einfordern von einer ergebnisoffeneren Mitbestimmung in der Ausarbeitung der Sektorpläne hat das herrschende, tendenziell postpolitische Verständnis von Raumplanung erhebliche „Risse“ bekommen. Bleibt abzuwarten, ob und inwiefern die derzeitige Öberarbeitung und Neujustierung der Pläne einen Raum für die kontroverse Diskussion und Austragung von Konflikten schaffen wird.3 Die jetzt vorgelegten Ideen zielen im Kern darauf ab, die Komplexität der Leitpläne sowie die Feinsteuerung der lokalen Entwicklungen durch den Staat zu reduzieren und im Gegenzug relevante Gesetze und Planungsdokumente wie bspw. das Naturschutzgesetz oder das „Programme directeur d’aménagement du territoire“ zu überarbeiten. Öberdies sollen partnerschaftlich geleitete Governance-Arrangements für eine effizientere Einbindung aller Akteure (Gemeinden, Verbände und Zivilgesellschaft) sowie eine bessere Berücksichtigung lokaler und regionaler Besonderheiten in der Formulierung der Probleme und Zielsetzungen sorgen.

Ausweg Repolitisierung

Auf dem Prüfstand stehen insofern nicht nur die Sektorpläne an sich, sondern auch generell der Umgang der Luxemburger Raumplanung mit Konsens und Dissens. Die bisherige Herangehensweise im Sinne eines vorab ausgehandelten, scheinbar absoluten Konsenses in der Planung ist der Natur nach problematisch. Wenn Planung Konsens in Aussicht stellt, dann verspricht sie etwas, was sie im Angesicht neoliberaler Wirtschaftsmodelle und einer wachsenden Ausdifferenzierung von individuellen Lebensstilen und Werten nicht bzw. nur für Wenige einlösen kann. Nicht zufällig haben Planer in diesem Kontext auch von „fantasies of consensus“ gesprochen.4

Um dieser Gefahr zu entgehen, ist ein anderer Umgang mit Dissens erforderlich. Das Aushandeln von Divergenz in einem an sich konfliktgeladenen Spannungsfeld wie der Raumplanung ist sicherlich ein mühsames und schwieriges Unterfangen. Die Berechtigung für mehr Konflikte in der Planung basiert jedoch auf der Grundlage, dass Dissens nichts prinzipiell Schlechtes, um jeden Preis zu Vermeidendes ist. Im Gegenteil: Dissens kann Entwicklungen sogar fördern, da die richtige Balance zwischen relevanten gesellschaftlichen Kräften einen schöpferischen Kern für ergebnisoffene Fortschritte bietet.

Dies setzt die Schaffung eines repolitisierten Raums voraus. Eine solche Repolitisierung der Planung kann auf zwei Wegen erfolgen: erstens mit Hilfe der gleichberechtigten und ergebnisoffenen Partizipation relevanter Ebenen und Akteure in transparenten Planungsprozessen, als Vehikel für tragbare Konsense zwischen Wirtschaftsentwicklung und Lebensqualität. Zweitens durch eine stärkere Bereitschaft zur strukturierten und offenen Kommunikation, die das Einfließen von artikulierten Positionen in öffentliche Planungsprozesse und -entscheidungen ermöglicht — nicht zuletzt dank klarer Kompetenz- und Verantwortungszuweisungen. Selbstverständlich hat die Öffentlichkeit hier auch die Bringschuld, eine solche Repolitisierung nicht nur einzufordern, sondern selbst aktiv daran mitzuwirken.

Crouch, Colin (2008): Postdemokratie. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
Rancière, Jacques (2002): Das Unvernehmen. Politik und Philosophie. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag.
DATer (2015): Lëtzebuerg zesummen entwecklen. Quelle démarche pour un développement spatial durable? Luxemburg, Februar 2015, S. 31-32.
MacDonald, Heather (2014). ‚Fantasies of Consensus’: Planning Reform in Sydney, 2005—2013. in: Planning Practice & Research. http://dx.doi.org/10.1080/
02697459.2014.964062

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