- Verteidigung
Kriegstaktik und Friedensstrategie
Luxemburg beteiligt sich - vorsichtig - an der weltweiten Rüstungsspirale. Welcher Zweck heiligt die militärischen Mittel? Derzeit kann man nicht erkennen, dass sie zu mehr Sicherheit und Frieden führen würden.
Seit drei Jahren wird in Europa der Schrecken des Ersten Weltkriegs gedacht. Unter dem Eindruck des großen Schlachtens bestand nach 1918 ein breiter Konsens in der Bevölkerung, dass es nie wieder Krieg geben dürfe. Diese grundsätzliche Bejahung des Pazifismus aber ist nicht Teil des allgemeinen Gedenkens, in den Festreden distanziert man sich bestenfalls von dem Ersten Weltkrieg als Selbstzerfleischung Europas oder als sinnloses Abschlachten.
„Sinnvolle“ Kriege dagegen – und bitte möglichst verlustarm für die europäischen Armeen – erscheinen vielen Bürgerinnen und Bürgern in Europa akzeptabler als je zuvor. In den vergangenen 20 Jahren wurde Afghanistan „stabilisiert“, Libyen „befreit“, den IS-Terroristen „ihre Operationsbasis entzogen“ – solche Einsätze werden nicht mit den rückblickend als ungeheuerlich empfundenen Schrecken, der Absurdität und dem Zynismus der Mächtigen von 1914-1918 in Verbindung gebracht.
Symptomatisch für die Oberflächlichkeit, mit der das Thema Krieg behandelt wird, war die Chamber-Debatte am 14. März zur Zukunft der Luxemburger Militärpolitik – offiziell und euphemistisch als Verteidigungspolitik bezeichnet. Nicht etwa, dass – wie im August 1914 – Kriegskredite einstimmig im Rahmen der Burgfriedenspolitik (Union sacrée) beschlossen worden wären. Im Gegenteil: Marc Angel (LSAP) und mehr noch Claude Adam (Déi Gréng) wandten sich gegen ein Verständnis von Sicherheitspolitik, das vorrangig auf militärische Mittel setzen würde. Auch waren alle Redner sich einig, dass das von der Nato geforderte Militärbudget von zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) für Luxemburg nicht in Frage komme. Doch es gab einen breiten Konsens darüber, ebendieses Budget schrittweise auf 0,8 Prozent zu erhöhen, ohne nachzufragen, inwiefern damit Frieden und Sicherheit gewährleistet werden können. Nur David Wagner (Déi Lénk) distanzierte sich von der NATO als einer Gefahr für den Weltfrieden.
Gut und teuer
Um der Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen, wird auf einen alten Trick zurückgegriffen: Der militärische Charakter der Armee wird heruntergespielt. Als Aufgabe für die vorgesehenen Transporthubschrauber wird der Verwundetentransport in den Vordergrund gestellt, neben einer zivilen Nutzung beim Rettungsdienst oder beim VIP-Transport. In den am 12. Juli vorgestellten „Lignes directrices de la défense 2025“ ist man ehrlicher: Hier werden die Maschinen klar auch als „hélicoptères de transport tactique“ gekennzeichnet. Damit dürfte das Modell NH90 gemeint sein, ein moderner, sehr leistungsfähiger Militärhubschrauber.
Zur Erinnerung: Als es vor 15 Jahren darum ging, den Kauf des teuren Militärtransporters A400M zu rechtfertigen, wurde auch hervorgehoben, er könne bei humanitären Krisen eingesetzt werden. Das ist nicht falsch. Allerdings sind Militärflugzeuge dafür konzipiert, unter den besonderen Bedingungen von Kriegseinsätzen operieren zu können und werden in relativ geringer Stückzahl hergestellt. Ginge es wirklich um die zivile Nutzung, so könnte man mit viel weniger Geld Zivilmaschinen kaufen, die fast alle Aufgaben ebensogut erfüllen – mal ganz abgesehen von den technischen Pannen, die sowohl beim A400M als auch beim NH90 für Schlagzeilen gesorgt haben.
Neu ist allerdings die Herangehensweise des zuständigen Ministers Étienne Schneider, Militär- und Wirtschaftspolitik zu verknüpfen – das Wort beschrieb es sogar als „neue militärische Ausgabenstrategie“. Erfreulich ist, dass der LSAP-Politiker damit sicher nicht für Kriegstreiberei steht. Doch seine „Strategie“ ist eher eine taktische Lösung, um die wirtschaftlichen Interessen Luxemburgs mit seinen NATO-Verpflichtungen in Einklang zu bringen – ohne aber die Orientierung des Bündnisses in Frage zu stellen.
Rüstung rettet Friedensprojekt?
Dass die luxemburgische Militärpolitik an erster Stelle von der NATO-Mitgliedschaft bestimmt wird, daran lassen die „Lignes directrices“ keinen Zweifel. Doch auch auf die sogenannte „Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (Common Security and Defence Policy, CSDP) der EU wird Bezug genommen. Anders als vor ein paar Jahren ist das mehr als nur eine diplomatische Floskel – seit Mitte 2016 will die Union ernst machen mit einer eigenständigen Militärpolitik. Als Grund hierfür gilt zum einen, dass der größte Bremser bei der militärischen Zusammenarbeit, das Vereinigte Königreich, sich selber ausgeschlossen hat. Zum anderen hat Donald Trump erklärt, die USA würden ihr militärisches Engagement in Europa zurückfahren.
Mindestens ebenso wichtig dürfte eine andere Überlegung sein: Die EU befindet sich in ihrer größten Sinnkrise, und es besteht kaum Einigkeit darüber, in welche Richtung sich das Projekt weiterentwickeln soll. Fortschritte bei der CSDP, wie gemeinsame Rüstungsprojekte, könnten ein Erfolgserlebnis bescheren. Obwohl es paradox klingt: Das „Friedensprojekt EU“ soll durch die gemeinsame Aufrüstung gerettet werden.
Was derzeit nicht zur Debatte steht, ist eine europäische Armee, von der Jean-Claude Juncker 2015 geträumt hatte. Technisch betrachtet kann eine militärische Zusammenarbeit durchaus bedeutsam sein. So könnte durch eine EU-weite gemeinsame Entwicklung von Waffensystemen Geld eingespart werden. Und die Beseitigung von Lücken bei den militärischen Kapazitäten kann im Prinzip den außenpolitischen Spielraum vergrößern, in Bereichen wie dem strategischen Lufttransport, der Satellitenaufklärung und dem Auftanken in der Luft sind die EU-Staaten bisher oft auf US-Hilfe angewiesen.
Ziel ohne Mittel
Doch auch hier wird eher „taktisch“ vorgegangen. Man schafft Drohnen an, weil diese in der jetzigen Konfliktsituation im Irak und in Syrien zum Einsatz kommen. Dabei werden aber die juristischen und ethischen Fragen ausgeblendet, die sich aus den „Kollateralschäden“ und den zahlreichen gezielten Tötungseinsätzen ergeben. Auch der Hinweis auf die Migrationsbewegungen – wie in den „Lignes directrices“ – mag manchen Offizieren als gutes Argument erscheinen, die Wichtigkeit der Armeen zu unterstreichen. Militärexperten dagegen warnen vor Einsätzen wie jenen im Mittelmeer, die ziviles und militärisches Vorgehen vermischen. Gegen wehrlose Flüchtlinge „anzukämpfen“, geht nicht nur auf Kosten der Vorbereitung für Hightech-Kriegseinsätze, es zersetzt auch die Moral der Soldaten. Eigentlich sollten, 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, zu jeder Diskussion über militärische Mittel auch eine über deren Sinn und Zweck gehören. Zwar führen Dokumente wie die „Lignes directrices“ Verteidigung und Sicherheit als Ziele an – doch eigentlich geht es um Krieg und Frieden. Nach 1918 wurde ein erster Versuch gestartet, eine planetarische Friedensordnung zu erreichen, der mit vielen Mängeln behaftete Völkerbund.
Deren Erbin, die UNO, verfügt seit dem Ende der unüberbrückbaren Gegensätze des Kalten Krieges über das Potenzial, uns diesem Ziel näherzubringen. Das Problem: Sie verfügt nicht über die Mittel dazu, nicht einmal über einen funktionierenden Generalstabsausschuss, wie in der Charta vorgesehen. Was dazu führt, dass Militäreinsätze im Namen des Weltfriedens an Ad-hoc-Koalitionen oder an die NATO delegiert werden… oder gar ganz ohne UN-Mandat stattfinden wie 1999 im Kosovo und 2003 im Irak.
Die UNO ist nicht die einzige Struktur die Ziele verfolgt, ohne die Mittel dafür zu haben. Ein Ziel, über das es EU-weit einen Konsens geben dürfte, ist die Verteidigung stricto sensu, also den Schutz des eigenen Territoriums. Hier liegt ein zweites Paradox der CSDP. In Szenarien wie der Abwehr eines Einmarschs russischer Truppen im Baltikum wird selbst eine hochgerüstete EU-Armee nicht ausreichen. Folgt man der militärischen Logik, so benötigt man über die konventionellen Waffen hinaus eine atomare Abschreckung – was erklärt, warum die betroffenen Staaten ihre Nato- über ihre EU-Mitgliedschaft stellen.
Paradoxe CSDP
Das dritte Paradox der CSDP schließlich besteht darin, dass sie nicht über Ziele verfügt, die zu den angestrebten Mitteln passen. Denn was soll eine gemeinsame Militärpolitik ohne eine gemeinsame Außenpolitik. Bei der aber hapert es gewaltig – weniger ein institutionelles Problem als ein historisch gewachsenes. Und in Zeiten, in denen auf EU-Ebene die nationalen Interessen von den Mitgliedstaaten wieder offensiver vertreten werden, dürfte die Konvergenz bei außenpolitischen Fragen eher abnehmen. Gewiss, eine talentierte Politikerin wie Federica Mogherini schafft es, Kompromisse zu erarbeiten. Doch für eine wirklich gemeinsame Außenpolitik, noch dazu mit einer militärischen Dimension, reichen Kompromisse nicht aus, es braucht einen Konsens. Der aber wird nur selten gegeben sein.
Haben sie also Unrecht, die Pazifisten, die vor einer Aufrüstung Europas warnen? Kann man angesichts der militärpolitischen Komplikationen Entwarnung geben? Nicht wirklich, denn trotz aller Schwierigkeiten bei der Umsetzung der CSDP nimmt die Tendenz, auf Krieg statt auf Frieden zu setzen, zu, in Europa und weltweit. In den Fällen, wo zwischen westlichen Staaten ein Konsens für einen Militäreinsatz gefunden wird, beruht er nicht auf pazifistischen Beweggründen, sondern auf der Konvergenz von Interessen. Mit anderen Worten: Der Trend geht in Richtung eines imperialistischen Auftretens der großen Mächte und Machtblöcke, auf Kosten der Schwachen dieser Welt. Und letztendlich auch auf Kosten der internationalen Sicherheit.
Wer sich die westlichen Interventionen der vergangenen Jahrzehnte ansieht, kann Aussagen wie denen des grünen und des LSAP-Abgeordneten nur zustimmen: Sicherheitspolitik muss mehr sein als nur der Einsatz von militärischen Mitteln, sie muss vorrangig auf Entwicklung und Konfliktentschärfung setzen. Es mag sein, dass die Welt unsicherer geworden ist, dass es ohne Gewalt als äußerstes Mittel nicht geht und dass wir deshalb die Militärausgaben erhöhen müssen. Doch wenn man die Bezeichnung „äußerstes Mittel“ ernst nimmt, dann muss man zuvor die Ausgaben für die Entwicklungspolitik um ein Vielfaches erhöhen. Warum nicht die geforderten zwei Prozent Militärausgaben, wenn alle NATO-Mitglieder ihre Entwicklungshilfe auf zehn Prozent des BIP anheben? Und auch für das sparsame Luxemburg sollte dann gelten: 0,8 Prozent für die Défense, vier Prozent für die Coopération.
Die Realität sieht anders aus. Die Aussage, militärische Mittel seien unabdingbar, dient der Aufrüstung und dem anschließenden Einsatz dieser Mittel. Ob US-, EU- oder großherzogliche Streitkräfte, sie beteiligen sich an Einsätzen, die an erster Stelle realpolitischen Interessen dienen und zu politischen und humanitären Desastern führen. Darüber hinaus wird schleichend das internationale Recht untergraben und die Perspektive von Frieden durch kollektive Sicherheit aus den Augen verloren. Tragisch für die vielen zivilen Opfer, tragisch auch für die Soldaten, die – wie schon 1914-1918 – umsonst sterben!
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