Kritik im Glashaus

Die schwierige Aufgabe der Filmkritik in Luxemburg

Die luxemburgische Filmkritik steht der hiesigen Filmlandschaft seit jeher bekümmert gegenüber. Die Gründe für diese regelrechte Verkrampfung in den gegenseitigen Beziehungen sind zum Teil einleuchtend, zum Teil problematisch, wenn nicht sogar kulturpolitisch und journalistisch bedenklich. Der folgende Text versucht einigen dieser Gründe nachzugehen.

Zwei grundsätzliche Überlegungen sind den Lesern1 vorab mit auf den Weg zu geben. Die erste ist rein demographischer Natur: 550000 – auf diese Zahl steuert Luxemburgs Gesamtbevölkerung zu. Dass bei dieser Einwohnerzahl, die der einer Stadt im Ruhrpott gleichkommt, die kritische Masse, die sich für die Produktion und Rezeption eines filmischen Produktes interessiert, nicht vorhanden ist, liegt auf der Hand. Filmemacher und Publikum sind in Luxemburg eine zahlenmäßig übersichtliche Gruppe.

Darüber hinaus führt diese demographische Situation dazu, dass sich Vertreter der respektiven Interessengruppen innerhalb des Filmbetriebs systematisch über den Weg laufen. Diese beiden Hinweise nur als Begleitinformation vorneweg.

Einige Begründer der Utopia S.A., die ursprünglich den Cinéclub 80 ins Leben gerufen hatten, präsentierten im Rahmen der allwöchentlichen, von der CLT produzierten und auf der Frequenz von Telé Luxembourg ausgestrahlten Fernsehsendung Hei Elei, Kuck Elei eine Kinorubrik, in der vor allem Nico Simon und Joy Hoffmann mit ernsten Mienen die kinematografischen Neuerscheinungen unter die Lupe nahmen. Simon wird später Generaldirektor der Utopia S.A., Hoffmann wird Leiter der Filmabteilung im Centre national de l’audiovisuel, behält jedoch einen Platz in fast allen Entscheidungsstellen der lokalen Filmproduktion. Zeitgleich wird Hoffmann als freier Mitarbeiter und Kritiker bei RTL verpflichtet und bleibt dies bis zum heutigen Tage.

Zahlreiche junge Filmregisseure verdienen oder verdienten sich nebenher ein kleines Taschengeld mit filmkritischen Interventionen. Jacques Molitor und Loïc Tanson machten Beiträge für die Sendung Zinémag auf RTL Télé Letzebuerg, letzerer macht diese weiterhin. Marylène Andrin und Fränk Grotz veröffentlichen Kritiken in der Wochenzeitung d’Lëtzebuerger Land. Ist die anvisierte Zuschauer-, Leser- oder Hörerschaft bei den verschiedenen Presseorganen auch nicht die gleiche, so ist es vor allem die Ablehnung einer journalistischen Verarbeitung luxemburgischer Film- und Dokumentarproduktionen, die die genannten freien Mitarbeiter und Filmregisseure verbindet. Man kennt sich, so wie das in Luxemburg eher Regel als Ausnahme ist, und eine gewisse Vorsicht ist unbestreitbar zu erkennen, sei es loyalitätshalber den Kollegen gegenüber, oder weil man karrierestrategisch niemandem mit einer potenziell durchwachsenen oder gar negativen Kritik auf die Füße treten möchte.

Trotzdem ist zwischen dieser neuen und der älteren Generation ein Paradigmenwechsel zu erkennen. Einerseits formulierte Joy Hoffmann als Kritiker z.B. immer wieder seinen Frust gegenüber den Spielfilmen von Andy Bausch. Der ehemalige EditpressMitarbeiter und Filmkritiker des Wochenmagazins Revue Jean-Pierre Thilges rezensiert auch Filme, an denen er mit seiner Gesellschaft Hatari Publishing aktiv mitgearbeitet hat. Anderseits wurde dem Autor dieser Zeilen während einer kurzlebigen, ko-präsentierten Kinorunde bei Radio ARA immer wieder von potenziellen Interview-Gästen zu verstehen gegeben, dass diese sich auf keinen Fall öffentlich zu luxemburgischen Produktionen ausdrücken würden, und zwar ganz unabhängig von allgemeiner Qualität und persönlichem Empfinden gegenüber dem filmischen Produkt.

Weitaus schwerwiegendere Folgen als diese persönlichen wirtschaftlichen Überlappungen, mit denen sich diese Figuren aus der Luxemburger Filmszene angreifbar machen, hat ein ganz allgemeiner Trend, der sich durch alle Pressehäuser zieht. Diesen kann man wie folgt formulieren: Luxemburgische Spiel- und Dokumentarfilme sowie Ko-Produktionen werden systematisch wärmer und herzlicher besprochen als sonstige Filme, die Woche für Woche neu in den lokalen Kinos zu sehen sind.

Weshalb ist das der Fall? Die einfache Antwort wäre ein natürlicher Schutzreflex, eine Art Welpenschutz, wobei diese Begründung aber wahrscheinlich zu einfach ist. Nicht zuletzt aufgrund der Teilnahme an internationalen Festivals und der damit einhergehenden Anerkennung durch die öffentlichen Instanzen entsteht der Eindruck, der luxemburgische Film sei den Kinderschuhen endlich entwachsen. Dass er weiterhin dieser forcierten Förderung bedarf, ist jedoch ein Zeichen dafür, dass er noch in der Pubertät steckt. Und solange jede Festivalteilnahme im Ausland in der Presse mit derselben Euphorie gefeiert wird, wie ein Unentschieden der Fußballnationalmannschaft in einer Qualifikationsrunde, ändert sich an dieser Tatsache nichts.

Mit dieser kulturkapitalistischen Sicht der Dinge und der immerwährenden Hoffnung auf eine internationale Auszeichnung und kommerziellen Erfolg lässt sich langfristig keine souverän selbstsichere und spannende Filmkultur entwickeln. Filmkunst ist die Kunstform schlechthin, bei der kapitalistische Produktionsmittel, technisches Know-How und intellektuell künstlerische Absichten aufeinandertreffen. Was Filmkunst auf keinen Fall zu sein hat, ist Marketing. Oder Teil eines Nation Branding.
Hierfür zwei Beispiele: Im Rahmen der Berlinale lud der luxemburgische Botschafter auf einen Empfang mit dem Who-is-Who der in Berlin anwesenden Luxemburger Filmszene. „Der Film gehöre zum Luxemburger Wesen“, so die Worte des Botschafters. Zeitsprung: März 2014. Während der Oscarverleihung heimst der Animationskurzfilm Mr. Hublot von Laurent Witz und Alexandre Espigares den Oscar ein. Ausnahmezustand im kleinen Luxemburg, Premier Bettel gratuliert und eine allgemeine WirsindOscar-Hysterie macht sich breit. Anstatt die Arbeit zweier Künstler zu feiern, wird aus diesem Preis ein staatstragender Akt und der Filmfund um Guy Daleiden feiert kurzerhand 25 Jahre Filmförderung. Landesweit zementieren Filmkritiker und Kulturjournalisten diese Sicht der Dinge und hinterfragen zu keinem Zeitpunkt die Absichten des Direktors der Filmförderstelle, der immer wieder darauf pocht, dass der größte Teil der (finanziellen) Beteiligung an Mr. Hublot von Luxemburger Seite stamme. Somit haben Daleiden als auch die Kritik den Moment verpasst, mit dieser Auszeichnung die Großregion in ein augenscheinlich positives Licht zu rücken.

Birth of a Nation durch Kulturpolitik

Um es noch konkreter zu beleuchten: Wenn es um luxemburgische Filme geht, schrauben viele Kritiker ihren inneren Qualitätsanspruch herunter und rezensieren mit einer anderen Toleranzgrenze. Plötzlich werden Studenten und Amateurprojekte von Richtung22 und Feierblumm auf gleicher Ebene besprochen, wie nationale Prestigeprojekte wie etwa Eng Nei Zäit von Christophe Wagner. Der Spielfilm wurde von vielen Kritikern mit einer nationalen und lokalen filmhistorischen Katharsis verglichen.

Eine solche Sicht der Filmkritik und der damit einhergehende staatstragende und unterschwellig nationalistische Gestus helfen der Filmkunst nicht weiter.

Filmkritik spielt nur auf den ersten Blick eine seitenfüllende und symbolische Rolle. Tatsache bleibt, dass Filmkritik im Kontext einer europäischen Filmförderung, in der profitorientierte Absichten keine Rolle spielen, die erste Stelle eines gesellschaftlichen Diskurses um Filmkultur einnimmt. Und solange an der Universität statt des Studiengangs Filmwissenschaften ein Studium Medien und Luxemburgistik im Kombi-Paket angeboten wird, müssen die Filmkritiker genau diese Diskursquelle bilden. Ungemütliche, ehrliche Rezensionen und Abhandlungen sind die Voraussetzung, um die Kunst am Leben zu erhalten. Mit binärer Argumentation ist niemandem geholfen. Und wie so oft ist gute Filmkritik auch eine Frage der Ressourcen. Es wird nicht ausreichen, dass überforderte Kulturredakteure nach ihrem Tag in der Redaktion abends noch ins Kino laufen, um sich die über 200 Filme anzuschauen, die übers Jahr hinweg anlaufen. Filmkritik ist das Resultat einer stetig anwachsenden Filmkultur, gepaart mit einer relevanten, gesellschaftlichen und filmtheoretischen Reflexion. Filmkritik – un art pour le septième art.

 

1. Zur sprachlichen Vereinfachung und um den Lesefluss zu garantieren verwendet der vorliegende Text durchgehend das generische Maskulinum (z.B. Kritiker). Dieses impliziert gleichermaßen die weibliche Form (Kritikerin).

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