„Le grand Bond en arrière“?

Eine Spectre-Besprechung und Rückblick auf die Bond-Filme mit Daniel Craig

Dieser Beitrag wirft zunächst einen Blick auf die drei vorherigen James-Bond-Filme mit Daniel Craig – Casino Royale (2006, Regie: Martin Campbell), Quantum of Solace (2008, Marc Forster) und Skyfall (2012, Sam Mendes) – und setzt sich dann kritisch mit Spectre (2015, Sam Mendes) auseinander; zudem enthält dieser Artikel wesentliche Angaben zum jeweiligen Inhalt und Ende der vier Filme.

Bond before Bond

Nach dem vierten und letzten Auftritt von Pierce Brosnan als Doppelnullagent in dem (aus heutiger Sicht vielleicht zu Unrecht) viel geschmähten, fast schon Comic-ähnlichen zwanzigsten Teil der Reihe, Die Another Day (2002, Lee Tamahori), legte die Bond-Franchise die zweitlängste Pause ihrer Geschichte ein. Die Attentate vom 11. September 2001 haben auch das Actionkino durch das Auftreten neuer, komplexerer Heldentypen wie Jason Bourne (seit 2002) verändert. Die altgediente Figur James Bond wurde der Post-9/11-Realität, in der Terrorismus, Paranoia und Überwachung die realen Herausforderungen sind, angepasst und rebooted. Auch die Erzähltechniken wurden adaptiert, da infolge der stetig wachsenden Popularität der US-amerikanischen Serienproduktionen die Zuschauer zunehmend komplexe Figuren und ineinandergreifende Geschichten, die über mehrere Filme bzw. Episoden (und innerhalb eines zusammenhängenden Universums, wie etwa bei den Comicverfilmungen von Marvel) erzählt werden, bevorzugen.

Mit Daniel Craig als neuem Bond-Darsteller bekommt die Figur in Casino Royale tatsächlich eine Tiefe, die ihr bis dato weitestgehend fehlte: Bond wird ein realistischer, erwachsener und problembeladener (Anti-)Held, der zudem körperlich deutlich präsenter als früher ist. Gleichzeitig ist 007 jedoch bei Weitem noch nicht jener kultivierte, aber auch misogyne, latent alkoholabhängige und zynische Leinwandgentleman, den die Fans seit den sechziger Jahren kennen. Selbstverständlich ist auch dies ein zentraler Aspekt des Reboot-Konzepts, denn in Casino Royale (und in den darauffolgenden Bond-Filmen mit Craig) sollen die Psyche und die Ursprünge dieser Ikone ergründet werden, um zu zeigen, wie Bond zu dem wurde, was das Kinopublikum Anfang des 21. Jahrhunderts mit ihm verband: Bond before Bond sozusagen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Wahl des Regisseurs – der Neuseeländer Martin Campbell hauchte der Bond-Franchise bereits 1995 mit Golden Eye neues Leben ein. Auch wenn Bond im Laufe seiner nunmehr fünfzigjährigen Tätigkeit im Dienste Ihrer Majestät eher am Rande mit den Sowjets als Feindbildern zu tun hatte, so galt (und gilt) er dennoch als Ikone des Kalten Krieges; dementsprechend geriet die Figur bereits Anfang der neunziger Jahre und nach dem Zusammenbruch der UdSSR in eine Existenzkrise und musste dem Publikum neu ausgerichtet präsentiert werden. Am sichtbarsten war dieser (wenn auch noch moderat umgesetzte) Wille zur Erneuerung in Golden Eye bei der von Judi Dench gespielten Figur M, Bonds Chefin, die eben zum ersten Mal in der Geschichte der Franchise eine Frau war. Wenn sie 007 zu Beginn einen „sexistischen, frauenfeindlichen Dinosaurier“ und „ein Relikt des Kalten Krieges“ nannte, dann wandte sie sich nicht nur an Bond, sondern auch an die Zuschauer und die Kritiker.

In Casino Royale wird James Bond auf den Pokerspieler Le Chiffre (Mads Mikkelsen) angesetzt, der als Banker für internationale Terroristen fungiert. Ihm zur Seite steht die undurchsichtige Vesper Lynd (Eva Green), die für das Schatzamt tätig ist und Bond die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellt, um an einem Pokerturnier in Montenegro teilzunehmen. Im Laufe des Films entwickelt sich die Beziehung zu Vesper Lynd als (einzige) große Liebe Bonds – bis er realisiert, dass sie Teil einer größeren Intrige ist und ihn vermutlich verraten hat. Abgesehen von einem etwas holprigen Erzählrhythmus bietet Casino Royale ausgefeilte Dialoge, sehr intensive Actionszenen, einen charismatischen Antagonisten sowie einen nervösen und noch ungeschliffenen 007, dem es egal ist, wie er seinen Wodka-Martini trinkt, und der seine markante Vorstellung („Bond … James Bond“) erst in der allerletzten Szene über die Lippen bringt. Casino Royale verlangt den Fans zwar ob der Abwesenheit der vertrauten Erzählstruktur und Markenzeichen einiges ab, begeistert jedoch mit einem nuancierten Schauspiel von Craig und frischem Wind.

Der Nachfolgefilm Quantum of Solace tut sich schwer aus diesem übergroßen Schatten herauszutreten. Die Handlung schließt unmittelbar an die von Casino Royale an und zeigt einen trauernden Bond, der sich gewissermaßen auf einen persönlichen Rachefeldzug begibt. Dabei gerät er an den dubiosen Geschäftsmann Dominic Greene (Mathieu Amalric), dessen Organisation am Aufbau einer gewaltigen Pipeline arbeitet, um die Wasservorräte Boliviens zu privatisieren. So brisant und aktuell die Thematik des Films war und ist, so enttäuschend ist leider die Umsetzung: Die Antagonisten sind fade und klischee-beladen und das Bondgirl Camille (Olga Kurylenko), eine bolivianische Agentin, erreicht zu keiner Zeit die Souveränität und Komplexität von Vesper Lynd. Die Actionszenen wagen zwar in puncto Kameraführung und Schnitt Neues, glänzen jedoch nicht durch Übersichtlichkeit.

In Skyfall nähert sich die Franchise sowohl stilistisch als auch thematisch wieder ihrer eigenen Historie und Traditionen. Es ist Regisseur Sam Mendes’ Verdienst, jene postmoderne und dekonstruierende Herangehensweise, als wichtiges Element der Neuausrichtung, behutsam und stimmig mit dem kulturellen Erbe der Bond-Franchise, dem (Retro-) Flair und dem optischen Pomp in Einklang zu bringen. Mendes und seine Autoren entsagen zwar ganz bewusst den Bond-typischen Gadgets, führen aber wichtige Nebenfiguren wie den Tüftler Q (Ben Whishaw) und Bonds Agentenkollegin Eve Moneypenny (Naomie Harris) wieder ein. Sie bekommen deutlich mehr Raum als in früheren Filmen. Bonds Reisen führen ihn wieder um die halbe Welt, an prunkvolle und exotische Drehorte – und weit zurück in seine eigene Kindheit.

Im Zentrum des Films steht ein Angriff auf das Herz des britischen Geheimdienstes MI6 – und daran ist M (Judi Dench, in ihrem letzten Auftritt als Bonds Vorgesetzte) mitschuldig: Der ehemalige MI6-Agent Raoul Silva (Javier Bardem) hat noch eine sehr persönliche Rechnung mit ihr offen und droht mit der Veröffentlichung der Namen von Doppelnullagenten auf Youtube. Mendes thematisiert in Skyfall jene Frage, die die Bond-Franchise nach dem
Ende des Kalten Krieges immer begleitete: Braucht Großbritannien (bzw. die Welt) eigentlich noch Geheimagenten und das Doppelnullprogramm, oder gibt es inzwischen modernere und effizientere Mittel zur Bekämpfung von Megalomanie und Terrorismus? Daneben dringt Mendes in Skyfall noch tiefer in Bonds Psyche ein als die beiden Vorgängerfilme und lotet seine Mutter-Sohn-Beziehung zu M ebenso aus wie seine unterschwellige Homosexualität und die Narben seiner Kindheit in Schottland – explosive Katharsis eingeschlossen.

Das Ende von Skyfall wirkt somit bereits im Jahr 2012 wie ein Abschluss von Bonds Reifeprozess – und damit auch wie ein Abschluss des Reboot-Unternehmens. In der Schlussszene scheint 007 schließlich wieder in jenem Umfeld angekommen zu sein, das den Fans von jeher wohlvertraut ist: Mallory (Ralph Fiennes) – und damit wieder ein Mann – ist Bonds neuer Vorgesetzter (also der neue M), sein Büro erinnert frappierend an das der sechziger Jahre, und im Vorzimmer sitzt Miss Moneypenny, die sich letzten Endes selbst als untauglich für den Agentendienst einstuft. Es drängt sich die Frage auf, wie Spectre diese Geschichte weitererzählen möchte.

Spectre: Ein Schritt zurück?

Zum einen knüpft Spectre an Skyfall an und übernimmt dessen Nebenfiguren Mallory, Q und Eve Moneypenny mit jeweils denselben Schauspielern, zum anderen möchte Spectre aber auch die drei vorherigen Craig-Bond-Filme im Sinne eines zusammenhängenden filmischen Universums miteinander verbinden und alte Handlungsfäden aufgreifen. Sichtbar wird diese Absicht bereits im atmosphärischen Vorspann, in dem Bonds frühere Mitstreiter bzw. Gegenspieler M, Vesper Lynd, Le Chiffre und Silva eingeblendet werden; später im Film fungiert Mr. White – in Quantum of Solace noch eine Randfigur – als zentrales Verbindungsglied zwischen den
Filmen.

Im Mittelpunkt des Films stehen zunächst die Pläne von Max Denbigh (Andrew Scott) – Codename C –, den Inlandsgeheimdienst MI5 und den Auslandsgeheimdienst MI6 zu einer gemeinsamen Institution zu fusionieren sowie das seiner Meinung nach veraltete Doppelnullprogramm einzustellen, um eine geheimdienstliche Kooperation zwischen mehreren Ländern zwecks vollständiger und globaler Überwachung zu realisieren – wer möchte, kann darin eine Anspielung auf die NSA-Affäre sehen. Spectre knüpft damit thematisch an Skyfall an, wärmt den Diskurs über die alte Welt mit traditionellen Geheimagenten versus die neue Welt, geprägt durch Informationskontrolle und Drohnenkrieg aus der Ferne, eher auf als wesentliche neue Erkenntnisse hinzuzufügen. Auch der bereits aus Skyfall bekannte Gegensatz Mallory als Mann der Tat versus Denbigh/C als Bürokrat, der die Regeln und Risiken eines Feldeinsatzes nicht kennt und versteht, wird wieder aufgegriffen.

In Spectre setzen Mendes und sein Autorenteam weiterhin auf die aus Skyfall bekannte Verbindung von Bond-Historie und Modernisierung (bzw. Anpassung an aktuelle Trends). Die Referenzen an die Vorgängerfilme sind in Spectre allerdings derart zahlreich und offensichtlich, dass das Resultat bisweilen etwas forciert und inhomogen wirkt. Da wäre zum einen die Geheimorganisation SPECTRE2, die mitsamt ihrem Chef Ernst Stavro Blofeld (Christoph Waltz) natürlich mindestens so ikonisch ist wie James Bond selbst, aber auch einen gewissen Camp-Faktor innehat, der nicht so recht zum realistischen Anspruch und Look des Films passt. Weitere Referenzen sind u. a. ein Schleudersitz à la Goldfinger (1964, Guy Hamilton), ein muskulöser und schweigsamer Handlanger namens Mr. Hinx (Dave Bautista) in der Tradition von Oddjob und Jaws, ein Unterschlupf im Krater eines Meteoriten, vergleichbar mit You Only Live Twice (1967, Lewis Gilbert) sowie eine Verfolgungsjagd mit einem
Schnellboot auf der Themse, die an The World Is Not Enough (1999, Michael Apted) erinnert.

Bis etwa zur Hälfte der Laufzeit ist Spectre ein (teilweise sehr) guter Bond-Film. Die Pre-Title-Sequenz in Mexiko bietet neben einer sehr langen und gelungenen Plansequenz auch jene atemlosen Actionszenen, die man von einem Bond-Film erwartet. Auch die folgende Episode in Rom, die die Zusammenkunft von SPECTRE, also jener Organisation, die Bond seit den Ereignissen in Casino Royale zu peinigen scheint, als gespenstisches Geheimtreffen im Stil einer Loge des 19. Jahrhunderts inszeniert, ist atmosphärisch-düster und weckt Lust auf mehr – leider ist Christoph Waltz’ Auftritt im Halbschatten sein bester im gesamten Film und Spectre fällt danach mehr oder weniger auseinander.

Dafür gibt es mehrere Gründe: Abgesehen von der Tatsache, dass Spectre ohnehin Schwierigkeiten hat, seine zahlreichen Referenzen und Handlungsfäden, auch aus früheren Filmen, unter einen Hut zu bekommen, leidet der Film ab der zweiten Hälfte und der Zusammenführung von 007 und Madeleine Swann (Léa Seydoux), Tochter von Mr. White und Bonds Spur zur Geheimorganisation SPECTRE, unter einer gewissen Episodenhaftigkeit: Ohne rechten Plan stolpern beide von Hinweis zu Hinweis, von Ort zu Ort, bis sie schließlich bei Blofeld landen.

Auch wirken die Actionszenen mit zunehmender Laufzeit immer lustloser und zahmer. Es fehlt jene Energie, Aufregung und Faszination, die man von einem 250-Millionen-Dollar-Film erwarten würde. Den Tiefpunkt markiert in dieser Hinsicht die Flucht aus Blofelds Unterschlupf, die so kurz und spannungslos inszeniert ist, dass die Sequenz schon fast experimentell wirkt. Zudem wird der Handlanger Mr. Hinx, zunächst mit großem Aufwand als körperlich überlegener Gegner eingeführt, unverständlicherweise nach einer faden Zugprügelei aus dem Film genommen. Am schwersten wiegt jedoch die Tatsache, dass der Film mit der Ankunft von 007 und Madeleine Swann in Blofelds Hauptquartier seine eigentlichen Kernthemen – 1) die Funktion und die Existenzberechtigung altmodischer Geheimdienste und -agenten wie Mallory und Bond in Zeiten grenzen- und gewissenloser staatlicher Überwachung; 2) die Zusammenarbeit zwischen Denbigh/C und Blofeld; 3) Blofelds Implikation in die Ereignisse der Vorgängerfilme – quasi völlig aus den Augen verliert und den Antagonismus zwischen Bond und Blofeld auf die gekränkten Gefühle und Rachegelüste von letzterem herunterbricht; dass Spectre im Showdown dann ausgerechnet auch noch die halbgare und unglaubwürdige Romanze zwischen 007 und Swann in den Mittelpunkt stellt, verstärkt den unausgegorenen Eindruck dieser zweiten Hälfte des Films nur noch weiter.

Spectre ist damit zwar noch kein misslungener Film, bleibt aber deutlich hinter seinen Möglichkeiten zurück und hinterlässt somit im direkten Vergleich mit Skyfall eine gewisse Enttäuschung. Gerade in den Zeiten starker Agentenkonkurrenz (Mission Impossible: Rogue Nation, Kingsman: The Secret Service und Man from U.N.C.L.E.) könnten die Macher dadurch bei den Zuschauern das Gefühl wecken, nicht der Agent an sich, aber möglicherweise die Franchise wäre doch bald obsolet.

1 Luciani, Noémie: „‚007 Spectre ‘: le grand Bond en arrière“ In : LeMonde.fr, 10. November 2015) (Stand: 15.11.2015).
2 Abkürzung für: Special Executive for Counter-intelligence, Terrorism, Revenge and Extortion.

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