Die Geschichte Luxemburgs und das Leben der Luxemburger war gezwungenermaßen schon immer von militärischen Aspekten geprägt. Noch im 18. Jahrhundert mussten die Bürger der Hauptstadt Soldaten und Offiziere bei sich zu Hause unentgeltlich als Logisnehmer erdulden, lebten aber oftmals von den Bau-, Handwerks- und Verpflegungsaufträgen der Garnison. Weder die belgische Revolution 1831 noch der 1867 in London vereinbarte Abzug der (bundes-)deutschen Truppen wurde dann auch von den Stadtluxemburgern mit Freude aufgenommen. Man konnte sich ein Leben ohne diese Einkünfte genauso wenig vorstellen, wie sich heutige Zeitgenossen ein Leben ohne den Finanzplatz vorstellen können.
Mit der Lösung der „Luxemburger Frage“ und der Einführung der immerwährenden Neutralität (1867) fiel Luxemburg in die politische und militärische Bedeutungslosigkeit. Doch die fehlenden Einnahmen konnten mit der rasanten Entwicklung der Stahlindustrie schnell aufgefangen werden, auch der Kontakt mit dem ausländischen Militär blieb bestehen – nur war es jetzt nicht mehr Leder und Holz sondern Eisen und Stahl, das geliefert wurde. Während des Ersten Weltkrieges war die wirtschaftliche Verflechtung mit der deutschen Kriegswirtschaft dann so eng, dass die Niederlage des deutschen Kaiserreichs fast zur Abschaffung des Großherzogtums geführt hätte. Zwar überlebte der Staat, aber die Stahlindustrie wurde von den Siegern in die Hände des belgischen und französischen Kapitals gelegt.
Die Erfahrung des Zweiten Weltkrieges brachte den Abschied von der Neutralität und den Aufbau einer eigenen Armee, zuerst mit allgemeiner Wehrpflicht, dann ab Ende der 60er Jahre, im Rahmen einer Berufsarmee. Damit war die gewissermaßen höchste Stufe der Nationen- und Staatsbildung erreicht. Die Luxemburger zeigten jedoch nach der Rückkehr der Zwangsrekrutierten aus der Sowjetunion und dem Abzug ihrer Soldaten aus Neuerburg und Bitburg (wo Luxemburg nach dem Krieg innerhalb des französischen Gebietes eine eigene kleine Besatzungszone hatte), keine wirkliche Begeisterung am Kriegsspielen. Der geringe Verteidigungswille des Landes brachte in den 80er Jahren sogar eine Gruppe innerhalb der Gendarmerie derart in Rage, dass sie im ganzen Lande Sprengsätze zündete in der Hoffnung, den Verteidigungswillen des Landes zu mobilisieren.
Nach langen Jahren einer eher symbolischen Verteidigungspolitik, deren Höhe-punkte die jährlichen Paraden zum Nationalfeiertag waren, findet zurzeit ein erneuter Paradigmenwechsel statt. Mit Hinweis auf die asymmetrischen Kriege der Zukunft, auf Brexit sowie gewachsene Zweifel an der transatlantischen Solidarität soll die militärische Stärke Europas ausgebaut und die Lasten neu verteilt werden. Luxemburg, das absolute Schlusslicht in den NATO-Statistiken, kann sich nicht mehr wegducken und muss seine Investitionen erhöhen. Gleichzeitig findet eine Diskussion um eine militärische Integration der EU statt, die selbst in Luxemburg auf großes Interesse bei einer eigentlich außerordentlich pazifistischen Öffentlichkeit stößt.
Diesen Paradigmenwechsel haben wir als Anlass für das vorliegende Dossier genommen. Francine Closener, als Staatssekretärin mitverantwortlich für Verteidigungspolitik, erklärt im Interview die neue Verteidigungsstrategie des Landes, die sich insbesondere als Ausgabenstrategie liest, da ihr erklärtes Ziel die duale Nutzung militärischer Investitionen für gleichzeitig zivile Zwecke ist. (Ein Interview mit Sheila Becker, der Verantwortlichen für Cyber-Verteidigung, ist zusätzlich auf www.forum.lu zu finden) Raymond Klein gibt dazu eine allgemeine Analyse der nationalen Verteidigungspolitik, während Luc Scholtes in seinem Beitrag die europäische Ebene beleuchtet. Alle im Parlament vertretenen Parteien haben uns die Freude gemacht, ihre Position zur Verteidigungspolitik in einem kurzen Text darzulegen. Diese Statements haben insbesondere dokumentarischen Charakter und werden sicherlich von den ausländischen Botschaften hier im Lande mit großem Interesse gelesen werden. Marc Keup und Justin Turpel zeigen dann erste Widersprüche auf. In ihrem Artikel geht es um die Investitionen privater aber auch öffentlicher Fondsgesellschaften in international geächtete Waffengeschäfte. Mohamed Hamdi liefert in seinem Text einen Einblick in die wechselvolle Geschichte der luxemburgischen Waffenproduktion und den vom Großherzogtum ausgehenden Handel mit diesen Gütern.
Céline Flamang stellt uns in einem weiteren Beitrag eine Profession vor, die unser Bild von Krieg seit einem Jahrhundert entscheidend geprägt hat: die Kriegsreporter, deren Arbeit heute ebenfalls an einem Wendepunkt angelangt ist. Claude Simon wirft schließlich einen kritischen Blick auf das Schicksal der luxemburgischen Friedensbewegung, die in den letzten 20, 30 Jahren die öffentliche Diskussion über internationale Politik und Konflikte mitprägte und heute, angesichts der Unübersichtlichkeit der Lage, kaum mehr in Erscheinung tritt. Im letzten Beitrag von Thomas Kolnberger kommen wir auf die Geschichte der „Militärnation Luxemburg“ zurück. Das Land besitzt offenkundig eine reiche und abwechslungsreiche Militärgeschichte, systematisch aufgearbeitet wurde sie jedoch noch nicht.
Morgan Kuntzmann
Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.
Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!
