Mädchenfarbe Rosa

Ein ungewöhnlich offenes Gespräch mit Social-Media-Sternchen Yaya van Chique

Yaya van Chique hat über 6.000 Follower*innen auf Instagram. Wer aber ist die Person, die sich hinter dem Profil verbirgt? Yannick Schumacher, hauptberuflich Grafiker, hat sich in den vergangenen 15 Jahren mit unterschiedlichen Social-MediaFormaten ausprobiert, bewährt und etabliert. In eine feste Sparte wollen aber weder sein Profil noch seine Persönlichkeit passen. Schumacher selber betrachtet sich als eine Art Entertainer. Doch längst nicht alles, was er online anspricht, ist auch lustig. In einem Gespräch mit forum redet er nicht nur über Influencer-Dasein und Trends, sondern auch über Schönheitsempfinden, Selbstwertgefühl, Mode, Macht und Menschen. 

forum: Wie der Begriff es schon verrät, haben Influencer*innen heute einen ziemlich großen Einfluss auf ihre Follower*innen und tragen damit eine große Verantwortung. Wie gehen Sie mit dieser Verantwortung um?

Yannick Schumacher: Ich bin mir dessen durchaus bewusst. Früher habe ich mich beispielsweise oft beim Singen im Auto gefilmt. Das tue ich heute nicht mehr, weil ich ein gutes Vorbild für Jugendliche sein möchte. Das ist mir schon sehr wichtig. Ich lasse mich auch gerne von meinen Follower*innen belehren. Sie sagen mir, in welchem Kontext ich besser auf meine Wortwahl achten sollte, weil ich mit Begriffen aufgewachsen bin, die heute vielleicht nicht mehr angebracht oder gar nicht mehr vertretbar sind. Von meinen Follower*innen habe ich zudem gelernt, offener über Probleme zu reden oder sie überhaupt anzusprechen, was mir früher nicht leicht fiel.

Nahmen und nehmen Influencer*innen, Ikonen und Vorbilder in Ihrem Leben eine relevante Rolle ein? Wenn ja, wie groß war ihr Einfluss auf Sie?

Ich ließ und lasse mich immer noch sehr von solchen Personen beeinflussen und von Trends mitreißen. Das war schon in meiner Kindheit der Fall und dieses Phänomen konnte ich irgendwie nie loslassen. Im Zusammenhang mit Mode würden wahrscheinlich viele auch heute noch Coco Chanel als Vorbild nennen, doch wegen ihres nationalsozialistischen Gedankenguts kommt das für mich nicht in Frage. Dennoch habe ich kontroverse Idole, wie etwa Karl Lagerfeld, der durchaus Dinge sagte oder tat, die mich triggerten; triggerten, aber auch inspirierten. Ich liebe es beispielsweise, viele Ringe zu tragen, so wie Karl Lagerfeld. Die Looks aus Sex and the City haben mich ebenfalls inspiriert. Darüber hinaus waren es eher Musiker*innen, die eine bedeutende Rolle für mich spiel(t)en – neben Avril Lavigne, Christina Aguilera, Kanye West und, weil wir jetzt bei Kanye sind, natürlich die Kardashians!

Welche Modethemen sind derzeit Trend? Sind Secondhand, Fairtrade und slow fashion hierzulande überhaupt ein Thema?

Absolut! Secondhandläden wie Pilea, Modemärkte wie Vinokilo oder Pop-up-Stores wie Blossom, die nur Kleidung verkaufen, die in Europa hergestellt wurde, finde ich toll. Ich persönlich kaufe – aufgrund meiner Größe – allerdings nur wenig Secondhand-Artikel, da ich hier nur selten fündig werde. Ich habe aber schon selbst an Secondhand-Märkten teilgenommen und meine gesamte Ware verkauft. Ich war sehr überrascht, wie gut die Initiative ankam, insbesondere bei Männern. Es scheint also durchaus einen Markt hierfür zu geben. In Luxemburg existieren heute bedeutend mehr Secondhand-Läden als noch vor zehn Jahren. Daran erkennt man schon, dass eine Art Umdenken stattgefunden hat. Damals wurde wie wild konsumiert, Stichwort fast fashion. Mittlerweile greifen immer mehr Menschen auf Secondhand zurück – u. a. viele Eltern, die nur noch gebrauchte Kleidung für ihre Kinder kaufen, da die Kleinen unglaublich schnell wieder rauswachsen. Das ist schon ein nachhaltiger Gedanke.

Welche Rolle spielen Mode und Ästhetik in Ihrem Leben? Waren Sie immer schon modeaffin?

Nein (lacht). Als Kind trug ich fast nur Jogginganzüge. Ich ging damals zur Waldschule, verbrachte also viel Zeit draußen, spielte im Matsch, baute Hütten. Die Sportkleidung war praktisch, weil pflegeleicht. Ich hatte damals gar keinen Bezug zu Mode. Wegen der Jogginganzüge wurde ich sogar von Mitschüler*innen gehänselt. Mir wurde auch gesagt, ich sei ein Mädchen, weil ich die Farbe Rosa schon als Kind mochte und beispielsweise ein rosafarbenes Federmäppchen in der Schule hatte. Dafür habe ich mich aber nie geschämt. Früher galt Rosa eben als Mädchen- und Blau als Jungsfarbe. Das ist leider immer noch der Fall – wie furchtbar! Wenn ich heute shoppen gehe und mitbekomme, dass ein kleiner Junge ein Hemd haben möchte und der oder die Verkäufer*in sagt, „das ist nichts für dich, es ist doch rosa“, interveniere ich. Gerade, weil ich ähnliche Erfahrungen gemacht habe und häufig gehänselt wurde, bin ich letztendlich zum Schluss gekommen, dass es völlig egal ist, was ich trage. Die Leute reden ohnehin. Ich orientierte mich früher oft an Stars wie Avril Lavigne und wollte mich ein bisschen provokativ kleiden. Es folgte eine rückblickend etwas peinliche Punk-Phase: Ich färbte mir die Haare rot, trug T-Shirts mit Fotos von Kurt Cobain oder die Hemden meines Stiefvaters, Krawatten, Pentagramme, löchrige Jeans und schwarzen Nagellack. Als ich dann in Luxemburg-Stadt zur Schule ging, beruhigte sich das etwas. Aber als Teenager habe ich schon ganz genau darauf geachtet, wie ich mich anzog. Wegen meiner Beine hatte ich allerdings immer Schwierigkeiten, passende Hosen zu finden. Damals habe ich mir so viele Sorgen gemacht, weil jeder sagte, ich sei dick. Ich fühlte mich unglaublich unter Druck gesetzt und hatte fürchterliche Angst, ein bestimmtes Gewicht zu überschreiten und irgendwann gar keine passende Kleidung mehr zu finden. Mit diesen Gedankengängen im Hinterkopf bin ich groß geworden… 

Wie ging es weiter? 

Plötzlich wurden plus size-Abteilungen in verschiedenen Läden eingeführt und ich habe zum ersten Mal erfahren, dass Hosen sogar bequem sein können. Aber nicht jedes Modell, ob nun Hose oder Oberteil, das es in Übergröße gab, gefiel mir. Deshalb habe ich stets versucht, meine Outfits aufzuwerten – mit flippigen Accessoires wie Schuhen, Ketten oder Hüten. Das habe ich mir ein bisschen von Carrie Bradshaw aus Sex and the City abgeschaut (lacht). Obwohl es mittlerweile ein breiteres Angebot an plus size-Kleidung gibt, blieb die Angst bestehen, zuzunehmen und die besagte „Grenze“ zu überschreiten. Das passierte dann natürlich auch, und das Problem mit meinen Beinen verschärfte sich. Eine Zeit lang war ich richtig ratlos, weil keine Hose passen wollte. Irgendwann aber schaute ich in den Spiegel und stellte fest, dass meine Beine eigentlich geformt sind wie die einer Frau. Also probierte ich Damenhosen in großen Größen an – und sie saßen fantastisch! Frauenmodelle, mit ihren bunten und gemusterten Hosen, finde ich ohnehin viel schöner als Herrenmode. Wenn man sich jetzt nicht unbedingt für das ausgefallenste Modell entscheidet, lassen sich Frauen- und Männerhosen rein optisch sowieso nicht unterscheiden.

Würden Sie behaupten, die Modeindustrie arbeitet an den realen Bedürfnissen der Menschen vorbei?

Auf jeden Fall! Sonst müsste ich mich nicht in der Damenabteilung umschauen, sondern es würde Modelle für breitere Beine geben. Ich kann sehr gut verstehen, dass viele Männer Schwierigkeiten haben, passende Kleidung zu finden und man ihr „Bauarbeiterdekolleté“ sieht, wenn sie sich bücken, weil die Hosen einfach zu tief tailliert sind. Viele Männer haben etwas mehr Bauchumfang und Modelle, die das berücksichtigen, sind sehr selten. Doch die Modeindustrie arbeitet nicht nur an Männern oder Frauen vorbei, die ein bisschen mehr auf die Waage bringen. Frauen, die beispielsweise petite sind, haben ebenfalls Schwierigkeiten, Kleidung zu finden, weil sie klein und zierlich sind. Dünne Menschen sind genauso betroffen.

Body positivity wird häufig mit plus size verbunden. Aber auch dünne Menschen dürfen body positive sein, oder?

Natürlich darf jede*r body positive sein! Es ist ja so gut wie jede*r von der Krux mit der Modeindustrie betroffen: dicke, dünne, große und kleine Menschen. Alle, die nicht der „Norm“ entsprechen. Gerade diese Menschen, die keine typischen Maße haben, sind häufig gezwungen, kreativ zu werden: Sie designen T-Shirts, basteln Kostüme, färben Stoffe um, was natürlich nicht billig und zudem zeitaufwendig ist. Das habe ich auch schon mehrfach getan. 

Wie stehen Sie persönlich zum Begriff der „Übergrößen“?

Ich fühle mich nicht davon angegriffen. Manchmal stelle ich aber schon den Umgang von Verkäufer*innen mit Kund*innen in Frage. Meine Mutter wurde beispielsweise aus einem Kleidergeschäft komplimentiert, indem die Verkäuferin ihr sagte, sie würden keine Übergrößen führen. Mir selbst ist sowas noch nie passiert. Wenn ich shoppen gehe, weiß ich immer genau, wo ich hinwill. In der plus size-Abteilung sehe ich mich seelenruhig um, beobachte aber, dass viele Menschen um mich herum abgehetzt wirken, weil sie versuchen zu kaschieren, wo und was sie hier kaufen. Ich schäme mich nicht dafür. Das klingt jetzt kitschig, aber man muss lernen, seinen Körper so zu lieben, wie er ist, sonst macht man sich nur unnötig verrückt. Selbst wenn man sich körperlich verändern möchte, muss man zuerst lernen, sich im Hier und Jetzt zu akzeptieren, weil Veränderung ein Prozess ist. Sie braucht Zeit. Daher habe ich mir abtrainiert, mich darum zu sorgen, wie andere Menschen mich wahrnehmen. Sie nehmen mich ohnehin anders wahr, als ich selbst es tue. Vielleicht fühle ich mich wegen meiner Arme unwohl. Andere bemerken das aber gar nicht, sondern sehen einen anderen „Makel“ an mir, etwas, an das ich vielleicht gar nicht denke. 

Damit sprechen Sie ein wichtiges Stichwort an: Bodyshaming. Finden Sie, dass viele Menschen aufgrund ihres Körpers diskriminiert werden? 

Es ist ein Riesenproblem in unserer Gesellschaft. Niemand schreckt davor zurück, dir zu sagen, dass du zu dick bist, dass du dich unvorteilhaft kleidest usw. Wenn du ein Leben lang mit solchen Aussagen konfrontiert wirst, verfestigt sich früher oder später der Gedanke in dir, dass etwas mit dir nicht stimmt. Es zu schaffen, das wieder loszulassen, ist sehr schwer. Unsere Gesellschaft ist verantwortlich dafür, dass sich dicke Menschen oder Menschen mit irgendeiner anderen Art von „Makel“ nicht wohlfühlen können, weil ständig auf ihre „Probleme“ hingewiesen wird. 

Würden Sie behaupten, dass diverse Körperbilder in Luxemburg existieren, oder gibt es nur ein allgemeingültiges Schönheitsideal?

Schwer zu sagen. Ich sehe das Diverse um mich herum und empfinde viele verschiedene Dinge an einer Person als schön – egal, ob dick oder dünn. Natürlich kann ich eine mollige Frau mit Tanktop und Minirock durchaus als schön empfinden. Menschen, die Selbstbewusstsein ausstrahlen und zu sich stehen, Power­frauen beispielsweise: Für mich ist das wahre Schönheit.

Wie empfinden Sie dieses Wechselspiel von Selbstwertgefühl und Mode?

Mode hat eine unglaubliche Macht. Unsere Selbstwahrnehmung und unser Selbstwertgefühl werden ganz klar von ihr bestimmt. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich besitze einen Kimono, den ich liebe und in dem ich mich sehr wohlfühle. Dieses Outfit (den Kimono in Kombination mit einem T-Shirt in Blassrosa und einer kakifarbenen Hose) macht mich glücklich: Es verleiht mir unglaublich viel Selbstvertrauen. Natürlich kann ich deswegen nicht jeden Tag dieselben Klamotten anziehen, auch wenn ich dieses Gefühl am liebsten jeden Tag empfinden würde. In diesem Sinne verändert Mode die Menschen, die sie tragen. 

Halten Sie Lookismus (Diskriminierung aufgrund des Aussehens und damit verbunden der Art und Weise, sich zu kleiden) hierzulande für ein ausgeprägtes Phänomen?

Ja. Dabei kommen mir sofort Personen aus dem öffentlichen Leben wie eine Sam Tanson, eine Nora Back oder ein Xavier Bettel in den Kopf. Erst kürzlich war es ein Riesenthema, dass Bettel bei einer Pressekonferenz eine Brille trug. Ich frage mich, was das soll. Ein älterer, mir unbekannter Herr hat mir einmal wegen meiner gefärbten Fingernägel ruppig ans Handgelenk gefasst. Das empfand ich als sehr übergriffig. Immer wieder bemerke ich im Alltag, wenn jemand über mich oder mein Outfit tuschelt, was leider dazu führt, dass ich mich dann nicht mehr wohlfühle und darüber nachdenke, nach Hause zu gehen. Ich habe den Eindruck, dass dieses Phänomen – der Lookismus – in Luxemburg sogar stärker ausgeprägt ist als im Ausland. Dieser Satz, „Hast du gesehen…?“ ist wirklich sehr präsent. Wie man sich kleidet, schlägt hierzulande immer noch viel höhere Wellen als in Metropolen wie Berlin, L.A. oder New York. Dort würde ich beispielsweise gar nicht auffallen. 

Wie passen Mode und Politik für Sie zusammen? Würden Sie Ihre Arbeit auf Instagram als politisch beschreiben?

Mit Mode kann man durchaus politische Statements setzen, allein farblich. Je nachdem, wie man sich im beruflichen Kontext kleidet, strahlt man Macht oder – besser – Autorität aus. Meine Arbeit auf Instagram empfinde ich schon als politisch, da ich mich unter anderem für die LGBTQI+-Community einsetze. Hier positioniere ich mich ganz klar und nehme bewusst in Kauf, Follower*innen zu verlieren. Erst kürzlich habe ich ein Foto von mir und meinem Freund gepostet und dadurch welche verloren. Dass das passieren würde, war mir schon im Vorfeld bewusst. Darüber hinaus schrecke ich nicht davor zurück, zuzugeben, dass ich Damenmode trage. Im Gegenteil, ich betone es sogar, weil es nicht relevant ist, ob etwas als Damen- oder Herrenhose gelabelt ist. Ich setze mich gerne dafür ein, zu vermitteln, dass jede*r tragen kann, was er oder sie möchte. Deswegen trage ich beispielsweise Nagellack. 

Glauben Sie, dass Instagram überhaupt eine Plattform für Politik sein sollte?

Von politischen Instagram-Profilen oder -Beiträgen fühle ich mich nicht bedroht, außer vielleicht von Posts der ADR oder anderer rechter Parteien. Hier würde sich Telegram vielleicht als passendere Plattform anbieten. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass Instagram mehr in die Verantwortung gezogen werden müsste und mehr durchgreifen sollte, was Rechtsextremismus, Sexismus und Diskriminierung betrifft. Andererseits liegt die Wahl ja bei dem oder der User*in selbst: Wenn ich Xavier Bettel oder Paulette Lenert nicht mag, dann folge ich ihm oder ihr in der Regel auch nicht auf den sozialen Netzwerken. Wenn man möchte, kann es sehr einfach sein. 

Wie kritisch wird Ihrer Meinung nach mit dem Thema Mode umgegangen?

Für manche nimmt Mode fast denselben Stellenwert ein wie eine Religion. Wenn Klima-Aktivist*innen die Pariser Fashion Week stürmen und gegen den Überkonsum protestieren, wie es Anfang Oktober der Fall war, werden sie von der Polizei abgeführt und wie Kriminelle behandelt. Modemacher*innen und -designer*innen müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass sie eine globale Verantwortung tragen. Schon bei Influencerin Marie S’Infiltre wurde vor zwei Jahren so extrem reagiert, als sie die runway show von Chanel störte. Gigi Hadid, ein US-amerikanisches Modell, rastete damals komplett aus und wurde sogar aggressiv. Also, ja, Mode nimmt sich manchmal viel zu ernst.  

(Das Gespräch fand am 7. Oktober 2021 statt, die Fragen stellten FS und AS.)

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