Märchen schreibt die Zeit

Guillermo del Toros The Shape of Water

Baltimore Anfang der 1960er-Jahre auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges: Die Sowjetunion hat einen Hund ins All befördert und Amerika muss nun im Wettstreit mitziehen. Da kommt der Fund einer mysteriösen, amphibienartigen Kreatur (Doug Jones) aus dem Amazonas gerade recht. An ihr werden Experimente durchgeführt, die es den Amerikanern erlauben sollen, im Wettstreit um die Vorherrschaft im Weltraum wieder die Oberhand zu gewinnen. Elisa (Sally Hawkins), die in der Militärbasis als Putzkraft arbeitet, ist aufgrund einer Verletzung seit ihrer Kindheit stumm und wird lediglich von Giles (Richard Jenkins) und ihrer Arbeitskollegin Zelda (Octavia Spencer) akzeptiert. Eines Tages trifft sie auf die Kreatur und verliebt sich in sie – eine Beziehung, die unter keinem guten Stern steht, schreckt doch der skrupellose Sicherheitschef Strickland (Michael Shannon), der kein Mitgefühl zu kennen scheint, vor nichts zurück, um seine eigenen Ziele zu erreichen.

The Shape of Water1 ist der zehnte Langfilm des mexikanischen Filmemachers Guillermo del Toro, der zweifelsohne in der zeitgenössischen mexikanischen Filmlandschaft eine Sonderstellung einnimmt, die nicht einfach zu bestimmen ist. Definiert man seine Kollegen Alejandro González Iñárritu und Alfonso Cuarón gerne als Arthouse Filmemacher, so trifft diese Zuschreibung für del Toro nicht so einfach zu. Einerseits bewegt er sich mit kommerziell ausgerichteten Blockbustern (Hellboy, Pacific Rim) ganz klar auf dem Terrain des Hollywood-Mainstreamkinos, andererseits überzeugt er Kritiker und Publikum immer wieder mit kunstvolleren Filmen wie Devil’s Backbone oder Pan’s Labyrinth, der im Jahr 2007 drei Oscars gewann. Nicht anders verhält es sich jetzt mit The Shape of Water, der bei den Filmfestspielen von Venedig vergangenen Jahres mit dem Goldenen Löwen prämiert wurde und nun mit dreizehn Nominierungen als einer der Oscarfavoriten des Jahres gilt.

In seiner Dramaturgie lässt der Film unschwer erkennen, dass die Figurenkonstellationen als diametral entgegengesetzt zu verstehen sind; die zentralen Konfliktlinien ergeben sich so aus der brutalen Staatsgewalt, verkörpert durch den Sicherheitschef Strickland, und der marginalisierten Resistenzbewegung, die hier vor allem von den Putzkräften Elisa und Zelda vertreten wird. Beide werden aufgrund ihrer Andersartigkeit (Elisa ist stumm, Zelda schwarz) diskriminiert und ausgestoßen, ebenso ergeht es dem homosexuellen Giles, der in der kalten, entfremdeten Welt der 60er keinen Anschluss mehr zu finden scheint. Strickland, der in seiner absoluten Machtbesessenheit und seinem zielgerichteten Tatendrang geradezu eine Weiterentwicklung des Capitán Vidal (Sergi López) aus Pan’s Labyrinth darstellt, gilt als Musterbild des weißen amerikanischen Mannes, ist aber, wie eingangs angeklungen, das eigentliche Monster des Films. Über ihn entlarvt del Toro den amerikanischen Traum als Illusion: Auf der Oberfläche lebt Strickland mit seiner Familie im eigenen Haus in einer idyllischen Vorstadt und kann sich obendrein noch den gewünschten Cadillac leisten, unter der Fassade ist er jedoch von ständiger Unzufriedenheit geplagt und empfindet den American Dream als Enttäuschung. In seinem Selbstverständnis von Macht und Dominanz gibt er dann auch noch seine eigentliche Beschränktheit zu erkennen. In der Konfrontation mit der Kreatur, dem fremdartigen Anderen par excellence, werden soziale Dynamiken offengelegt: Die Figuren offenbaren erst in der Interaktion mit dem „Monster“ ihr Innerstes. Elisa zeigt sich weltoffen und lernt sich neu kennen, Strickland dagegen sieht in dem Wassermann eine willkommene Projektionsfläche, über die er seinen Frust und Hass ableitet, ihm folglich nur mit Gewalt begegnen kann.

Ansätze der Neuinterpretation

Die Liebesgeschichte erzählt del Toro in poetischen Bildern, ohne dabei in Sentimentalität oder Kitsch zu verfallen. Elisa und die Kreatur verständigen sich über Gebärden, Essen und Musik. Sie brauchen keine Worte. Beide scheinen der politischen Welt der 60er mit ihren sinnlosen Machtspielen weit entrückt, sind reifer und zeigen gegenseitige Akzeptanz. Entsprechend können die äußeren Umstände ihrer Liebe nichts anhaben; damit fordert del Toro das romantische Ideal klassischer Melodramen wieder ein: dass Kommunikation entgegen allen sozialen und politischen Einwirkungen gelingen kann. In diesem Sinne ist The Shape of Water, so del Toro selbst, in seinem Grundgedanken eine Reminiszenz an den Horrorklassiker The Creature from the Black Lagoon (R: Jack Arnold 1954), wohl aber vor allem dessen Neuinterpretation.2

Zugegeben: Man muss filmhistorisch zumindest etwas bewandert sein, um del Toros kunstvolles Spiel von Autothematik und Intertextualität erkennen zu können. Zum einen thematisiert er das große Kinosterben der 50er und 60er Jahre und das Aufkommen des Fernsehens. Daneben ist die Erzählung reich an unterschiedlichen Zitaten aus der Filmgeschichte: Elisas Name verweist auf das bekannte Blumenmädchen aus My Fair Lady (1964) von Moss Hart mit Audrey Hepburn in der Hauptrolle, die Hollywoodmusicals und Tanzfilme der 40er und 50er erstrahlen erneut, sowie monumentale Bibelepen. Dem Filmkenner ist Douglas Sirks All That Heaven Allows (1955) natürlich fortwährend präsent und es verwundert vor all den spielerischen Verweisen dann auch kaum, dass del Toro in einer Geste der Reverenz einen seiner Lieblingsfilme The Red Shoes aus dem Jahr 1948 von Michael Powell und Emeric Pressburger wieder aufleben lässt.
Sieht man von del Toros sinnentleerten Filmen (Blade II 2002, Hellboy I+II 2004 u. 2008, Pacific Rim 2013) ab und bezieht sich auf seine weniger populär ausgelegten Werke (Devil’s Backbone 2001, Pan’s Labyrinth 2007), findet man sich darin bestätigt, dass es sich um Märchenfilme für Erwachsene handelt: Pan’s Labyrinth erzählt, so ließe sich mit etwas Mut zur Vereinfachung sagen, aus einem Impuls der Traumabewältigung heraus, vom Einbruch des Phantastischen ins Reale. Mit The Shape of Water nun denkt del Toro nicht nur das Horrorgenre, insbesondere die Monsterfilme neu, sondern auch tradierte Märchenerzählungen wie Beauty and the Beast, in denen üblicherweise das Monster die Transformation vollzieht hin zum Traumprinzen. Hier aber hinterfragt der Film in einer zentralen Motivumkehrung inwiefern Oberflächlichkeit, Äußerlichkeit und Transformation als Merkmale der Märchenerzählung neu gedacht werden müssen.

„A fairytale for troubled times“3

Guillermo del Toro spricht von einem „dringenden, politischen, menschlichen Bedürfnis“4 diesen Film, der ein seit langem gehegtes Wunschprojekt war, zu realisieren. In einer Zeit der politischen Unruhen und Rassismusvorwürfe ist The Shape of Water ein starkes filmisches Manifest für die Offenheit gegenüber dem Anderen, für die sozial und kulturell Marginalisierten und gegen Diskriminierung, gegen Fremdenhass. Soziale Konflikte verhandelt del Toro somit über Elemente des Fantasygenres und bleibt sich damit selbst treu. Das Phantastische ist hier nicht mehr eine Einladung zum Eskapismus, sondern die Notwendigkeit, eine adäquate Sprache zu finden, in der sich soziale Probleme, wie Rassenkonflikte artikulieren lassen. Führt man sich die Rezeption des Films vor Augen, dann scheint es, als habe Guillermo del Toro den Nerv der Zeit getroffen, gleichsam findet sich darin die altbekannte These Siegfried Kracauers nach wie vor bestätigt: „Filme sind der Spiegel der bestehenden Gesellschaft.“5

Seine expressive mise-en-scène, mit überlegter Farbsymbolik, macht aus del Toros jüngster Regiearbeit einen visuell beeindruckenden Film, der zudem von einem großartigen Schauspielerensemble getragen wird. The Shape of Water ist reinstes Kino. Inmitten des wachsenden Erfolgs von Video-on-Demand und des zunehmenden Abstumpfens des Zuschauers durch die mitunter kinofeindlichen Strategien von Netflix6 macht Guillermo del Toro mit The Shape of Water eine wunderschöne Liebeserklärung an den Film und das Kino.

1 Eine weitere Besprechung des Films, sowie regelmäßige Filmkritiken finden sich auf dem Filmblog forum_C! (Online einsehbar unter www.forum.lu)

2 Guillermo del Toro im Interview (https://www.youtube.com/ watch?v=iZeZHllQ96Y, Zugriff: 15.2.2018)

3 So lautete der Untertitel des Drehbuchs, den Guillermo del Toro für den Film gewählt hatte. Vgl. Gina McIntyre: Guillermo del Toro’s The Shape of Water: Creating a Fairy Tale for Troubled Times. London: Titan Books 2017, S. 156.

4 Guillermo del Toro im Interview mit The Hollywood Reporter „Urgent, Political, Human Need“ to Make ‚The Shape of Water’. (https://www.youtube.com/watch?v=luMdt7sbMCA Zugriff: 15.2.2018)

5 Siegfried Kracauer: „Die kleinen Ladenmädchen gehen ins Kino“ [1925]. In: ders. Das Ornament der Masse. Essays. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1977, S. 279-294, hier S. 279.

6 Siehe dazu: http://www.filmstarts.de/nachrichten/18516418. html, Zugriff: 15.2.2018.

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