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Masse und Meinung
Ein Beitrag zur Debatte über das Recht auf freie Meinungsäußerung
Seit bekannt gegeben wurde, dass das Echternacher Kulturhaus Trifolion den deutschen Autor und früheren Politiker Thilo Sarrazin im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Horizonte“ zu Gast haben wird, hagelt es von allen Seiten Kritik für den Veranstalter. Der Widerstand ist auf eine Reihe fragwürdiger und in vielen Fällen äußerst anstößiger Thesen zurückzuführen, durch die Sarrazin vor einigen Jahren in Deutschland auffiel. Sein 2010 erschienenes Buch Deutschland schafft sich ab wurde wegen Ansichten wie jene der Erblichkeit von Intelligenz oder einer angeblichen Arbeitsunlust muslimischer Einwanderer als rassistisches Hetzwerk in der Presse zerrissen. Die hohen Wellen, die Sarrazins Äußerungen in Deutschland schlugen, haben nun mit der Ankündigung seines Auftritts in Echternach auch Luxemburg erreicht.
Meinungsfreiheit im Zeitalter des Shitstorms
Nach der Bekanntgabe entlud sich auf Facebook eine Flut entrüsteter Kommentare, welche bis hin zu einem Aufruf reichten, Sarrazin an besagtem Abend vor dem Trifolion mit Protesten entgegenzutreten.2 Im Chor fordern aufgebrachte Stimmen, das Trifolion solle den Redner schleunigst ausladen und je mehr Stimmen sich dem Appell anschließen, desto rascher wächst die Angelegenheit zu einem kleinen nationalen Politikum an. Selbst Premierminister Bettel sah sich gezwungen, seinen persönlichen Standpunkt in einem Facebook-Kommentar bekanntzugeben.3 Weitere öffentliche Persönlichkeiten taten ihren Ärger ebenfalls in den Medien kund.
Robert Schneider, Publizist beim Tageblatt, beschrieb die Einladung des „rechten Einpeitschers“ am 20. April – dem Geburtstag Adolf Hitlers – als eine „Unbedarftheit und Verkennung der Luxemburger Geschichte“.4 Der Musiker und Schriftsteller Serge Tonnar hingegen sprach von einer Pflicht, sich gegen gewisse Weltauffassungen zur Wehr zu setzen. Er fände es unlogisch und paradox, dass ihm aufgrund seiner Aufforderung, Sarrazin solle doch lieber zu Hause bleiben, der Vorwurf gemacht werde, er würde das Recht auf Meinungsfreiheit nicht respektieren. Schließlich mache Meinungsfreiheit nur Sinn, wenn man Meinungsverschiedenheiten äußern darf.5 Ähnlich drückte sich Radio Ara mit der Behauptung aus, es sähe es als seine Aufgabe an, „den in der derzeitigen Debatte vielfach bemühten Begriff der Meinungsfreiheit zu schützen und diesen klar von rechter Hetze abzugrenzen“.6 Anfang Februar gab der Rundfunksender die Kündigung seiner kurzlebigen Zusammenarbeit mit dem Kulturhaus als Reaktion auf die Einladung bekannt. Letztlich schaltete sich sogar die Echternacher Lokalfraktion der Partei déi gréng ein, um das Trifolion für seine Entscheidung zu rügen. Obwohl sie auch und gerade bei Äußerungen, die „verletzen, schockieren und
beunruhigen“, für Meinungsfreiheit und Diskussionskultur stünden, sei jeder Meinungsaustausch mit Sarrazin wegen seiner „eindeutig rassistischen Thesen“ zum Scheitern verurteilt und müsse aufgrund der Gefahr Ängste zu schüren, untersagt werden.7
Der Aufruf, Sarrazins Gastvortrag zu verhindern, ist nur schwer mit dem Prinzip der Meinungsfreiheit vereinbar. Dies scheint auch manchen Beschwerdeführern bewusst zu sein, die zu begründen versuchen, wieso dieses Prinzip nicht auf Sarrazin anwendbar ist. Damit schneiden sie das Kernproblem der Debatte an – nämlich die Frage nach den Grenzen der Meinungsfreiheit. Obwohl Meinungsfreiheit als ein Grundwert unserer Gesellschaft angesehen wird, scheint er immer wieder mit anderen Grundwerten in Konflikt zu geraten, mit denen wir uns ebenfalls identifizieren möchten. Wie sehr dieser Wertewiderspruch zu einer kollektiven kognitiven Dissonanz führt, zeigt sich z.B. anhand der Charlie Hebdo-Euphorie, die Anfang 2015 auch Luxemburg einnahm. Während vor einem Jahr Menschenmassen mit „Je Suis Charlie“-Plakaten durch die Straßen marschierten, um undifferenziert die Meinungs- freiheit eines jeden zu verteidigen, so scheint heute kurz vor dem Auftritt Sarrazins auch unter zahlreichen damaligen Charlie Hebdo-Anhängern die gegensätzliche Grundstimmung vorzuherrschen, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht alle Aussagen rechtfertigen dürfe. Das Beispiel zeigt, wie unklar die Grenzen der Meinungsfreiheit definiert sind und wie sie von Situation zu Situation innerhalb einer Gesellschaft neu gezogen werden. Die Herausforderung besteht somit darin, vernünftige, präzise und klare Kriterien zu identifizieren, um eine beständige Grenze festzulegen. Welche verletzenden, schockierenden und beunruhigenden Aussagen muss man tolerieren können und welche nicht und wie lässt sich diese Scheidelinie bestimmen?
Unklare Leitlinien und zweierlei Maß
Das Prinzip der Meinungsfreiheit verfolgt insbesondere das Ziel, zwei zusammenhängende Zustände in einer jeweiligen Gesellschaft zu garantieren. Einerseits werden abwegige Meinungen vom vorherrschenden Diskurs geschützt. Es soll verhindert werden, dass ein Einheitsdenken entsteht, welches zu einer direkten oder indirekten Zensur unpopulärer Weltsichten führt. Andererseits soll diese Meinungsvielfalt geistige Auseinandersetzung und intellektuelle Entfaltung ermöglichen, ohne die eine Gesellschaft sich kaum weiterentwickeln kann. Meinungsfreiheit macht daher nur Sinn, wenn das Äußern von Gegenmeinungen möglich ist. Folglich kann also nicht bloß eine Partei auf dieses Recht Anspruch erheben, sondern es gilt für jeden – auch für Menschen, die unorthodoxe Meinungen vertreten. Meinungsfreiheit wäre nutzlos und widersinnig, würde sie bloß dann zur Geltung kommen, um die in einer jeweiligen Gesellschaft dominierenden Standpunkte zu schützen.
Die hierzulande vorgebrachten Argumente gegen Sarrazin entsprechen den üblicherweise ins Feld geführten Kriterien, mit denen Einschränkungen der Meinungsfreiheit begründet und die Grenze zwischen legitimem und illegitimem Gebrauch des Prinzips festgelegt werden sollen. Zu diesen gehören z.B. die Ansicht, dass Meinungsfreiheit nicht von Populisten missbraucht werden dürfe und den damit in Beziehung stehenden Vorwürfen des Rassismus und der Anstiftung zum Hass. Immer geläufiger werden auch das Argument der unrechtmäßig ausgegebenen Steuergelder und der Widerstand gegen die sogenannte „Position des (alten) weißen Mannes“. Diese und ähnliche Kriterien bringen aber Auswirkungen mit sich, welche in radikalem Widerspruch zum Sinn und Zweck der Meinungsfreiheit stehen. Ihnen liegen in der Tat mehrere Fehldeutungen und Trugschlüsse zugrunde, deren Offenlegung angesichts ihrer scheinbar weit verbreiteten Zustimmung angebracht scheint.8
Sarrazin fügt sich in eine lange Liste von Individuen ein, die in den letzten Jahren wegen ihrer unkonventionellen Ansichten oder wegen normwidriger Aussagen mit einem Redeverbot belegt wurden. Das Verbot wird aber weniger von oben aufgezwungen, sondern scheint immer häufiger von unten, d.h. von der Masse, auszugehen. Vor allem dank der Mobilisierungskraft sozialer Medien ist Zensur zu einem vertrauten Phänomen geworden. Im Zeitalter des Shitstorms kann mittels persönlicher Beschimpfungen, öffentlicher Demütigung, anonymer Gewaltandrohung und sozialer Isolierung innerhalb weniger Minuten massiver öffentlicher Druck gegen Menschen ausgeübt werden, die unpopuläre Meinungen vertreten. Meinungsfreiheit bedeutet aber nicht nur, dass man das Recht hat seine Meinung frei äußern zu dürfen, sondern auch, dass man nicht nachträglich wegen seiner Meinungsäußerung bestraft wird. Dadurch wird Zensur nämlich nicht nur direkt, sondern ebenfalls indirekt ausgeübt, da Menschen mit unliebsamen Überzeugungen es vorziehen, sich selbst zu zensieren, statt sich wegen ihrer Meinungen massiven Repressalien auszusetzen. Diese Umstände müssten die Mitglieder einer Gesellschaft, welche sich als offen und pluralistisch versteht, eigentlich alarmieren. Umso Besorgnis erregender ist dieses durch kollektive Empörung aufgezwungene Redeverbot, da es, anders als Zensur von oben, kaum zu bändigen ist. Es besteht die Gefahr, dass die Masse zugleich Richter und Henker wird und die Willkür der am lautesten Schreienden den Urteilsspruch entscheidet.
Die Kampagnen beziehen sich üblicherweise auf höhere Ideale, um ihre Forderung nach Zensur zu untermauern. Unter Berufung auf Gerechtigkeit, Menschenwürde oder den Kampf gegen Diskriminierung soll so der Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung legitimiert werden. Jedoch handelt es sich bei diesen Leitprinzipien um sehr vage Konzepte, mit denen jede schockierende, verletzende oder beunruhigende Äußerung denunziert werden könnte. Was für den Einen legitime Kritik darstellt, hält ein Anderer für Haßrede. Was der eine als gelungene Satire verteidigt, empfindet der Andere als menschenunwürdig. Es reicht also keineswegs, sich bloß auf einen Grundwert zu berufen, um das Verbot einer Äußerung zu legitimieren, sondern es bedarf substantiellerer Kritik. Ansonsten riskiert man, durch diese unklaren Leitlinien die Tür für ein breiteres Denk- und Sprechverbot zu öffnen. Es besteht infolgedessen die Gefahr, dass das Äußern jener Meinungen, welche die Befürworter eines Verbots aufgrund emotiver Kriterien als zu schockierend und verletzend empfinden, untersagt wird. Welche Meinungen die undeutliche Grenze überschreiten, hängt dann von subjektiven Präferenzen oder von der in der Gesellschaft vorwiegenden Einstellung ab. Wie unstet diese Einstellung aber ist und wie instrumentalisierbar die Ideale, auf die sie sich stützt, führt der jähe Sinneswandel ein Jahr nach den Charlie Hebdo Anschlägen deutlich vor Augen.
Ein weiteres Beispiel, das klar darstellt, wie flatterhaft die Definitionen und Konzepte sind, mit denen Zensur gerechtfertigt wird, ist die schon erwähnte Ansicht, einige Aussagen entsprächen einer „Position des (alten) weißen Mannes“, der man im Namen der Toleranz entgegenwirken müsse.9 Davon abgesehen, dass diese Phrase zu suggerieren scheint, alle alten weißen Männer verträten die gleiche, „untolerierbare“ Weltsicht, geht das Argument überhaupt nicht auf den Inhalt einer Meinung ein. Sie begnügt sich vielmehr damit, auf die äußeren Wesensmerkmale des Vertreters einer Meinung hinzuweisen, was den Begriffen von Rassismus und Diskriminierung kaum gerechter werden könnte. Wenn im Namen der Toleranz das Äußere des Redners und nicht das Geäußerte in den Vordergrund gestellt wird, scheint der Verdacht nahe, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Unter Berufung auf Konzepte wie „Gerechtigkeit, Schutz vor Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt“10 reproduzieren die Anhänger dieser Idee ebenjene rassistischen Vorurteile, die sie zu bekämpfen angeben. Ähnlich wie Meinungsfreiheit werden somit auch Gerechtigkeit, Schutz vor Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt der gesellschaftlichen Gesinnung entsprechend unterschiedlich und nur selektiv appliziert, da scheinbar nur gewissen Sexismen, Rassismen und Diskriminierungen als solche bezeichnet und anerkannt werden.
Der Diskriminierungsvorwurf reicht also nicht zur Begründung eines Meinungsverbots, da er mit aller Wahrscheinlichkeit bloß den in einer Gesellschaft dominierenden Diskurs zum Ausdruck bringt. Mit diesem Lösungsansatz läuft man Gefahr, Meinungen, die nicht dem Zeitgeist oder den kollektiven Überzeugungen einer Gesellschaft entsprechen, als diskriminierend und unannehmbar zu brandmarken, beziehungsweise Aussagen, die im Kern diskriminierend sind, durch Zensur vor jeglicher Kritik zu bewahren, da sie zu unanfechtbaren Dogmen emporgehoben wurden. Davon abgesehen ist die Effizienz eines Verbots diskriminierender Aussagen äußerst zweifelhaft. Ein Mensch, der rassistisches Gedankengut pflegt, wird kaum wegen eines Meinungs- und Redeverbots seine Weltsicht ändern. Viel effektiver wäre es, auf die Argumente einzugehen, die Veranlassungen und Hintergründe zu begreifen und im Falle einer Meinungsverschiedenheit mit vernünftigen Einwänden zu reagieren. Hingegen ist es völlig kontraproduktiv, Menschen mit Ansichten, die man als abwegig erachtet, zu stigmatisieren, zu verhöhnen und zu zensieren.11
Wo steuern wir hin?
Gesellschaften, in denen divergierende Meinungen verboten werden, machen einen ersten Schritt in Richtung dessen, was in Frankreich unter dem Begriff der „pensée unique“ beschrieben wird. Dieser Begriff kennzeichnet den wachsenden intellektuellen Konformismus, welcher in einer Gesellschaft entsteht, in der eine gewisse Weltsicht zur unbestreitbaren Norm erhoben wird. Das unreflektierte Gruppendenken stellt das genaue Gegenteil der kritischen Selbstreflexion und folglich auch der Meinungsfreiheit dar, verhindert sie doch den offenen Austausch von Ideen und Perspektiven. Nicht nur werden Menschen mit abweichenden Ansichten von der Gesellschaft marginalisiert, sondern führt dieses Einheitsdenken zu einer intellektuellen Verstumpfung auf gesamtgesellschaftlichem Niveau, da Austausch und Debatte ab einem bestimmten Punkt unterbunden werden. Intellektuelle Auseinandersetzungen mit Menschen entgegengesetzter Auffassungen sollten aber willkommen geheißen werden, da nur sie den geistigen Fortschritt und das kritische Denken fördern.
Außerdem misst sich unsere wahre Einstellung gegenüber der Meinungsfreiheit ausschließlich daran, wie wir mit Menschen umgehen, die Meinungen vertreten, welche wir nicht teilen. Und genau hier ist der springende Punkt: Je weniger eine Meinung unserer Weltsicht entspricht, desto schwerer fällt es uns, anderen das Recht auf freie Meinungsäußerung zuzusprechen. Doch genau dann gilt es, das Recht des Anderen, sich frei äußern zu können, zu verteidigen. Sinn und Zweck der Meinungsfreiheit ist es, dass jede Meinung frei geäußert werden darf und nicht bloß jene, die in unser Weltbild passen. Das selektive Applizieren des Rechts auf freie Meinungsäußerung, je nach Inhalt des Geäußerten, widerspricht dem Sinn des Prinzips. Wer im Namen der Meinungsfreiheit nur jene zu verteidigen bereit ist, deren Ansichten er teilt, schätzt in Wahrheit nicht die Meinungsfreiheit, sondern bloß die verteidigte Meinung wert. Eine solche Auslegung der Meinungsfreiheit ist nicht nur absurd, sondern vor allem äußerst gefährlich.
Es ist daher irreführend zu schlussfolgern, Populisten müssten zum Schweigen gebracht werden, da sie andernfalls das Recht auf freie Meinungsäußerung missbrauchten, um ihre Ideologien in Umlauf zu bringen. Davon abgesehen, dass der Vorwurf von Populismus – würde man sich die Mühe geben, den vagen Terminus etwas genauer zu definieren – in vielerlei Hinsicht ebenfalls auf die Gegendemonstranten zutrifft, kann dieses Argument kein Sprechverbot begründen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird nämlich nicht missbraucht, wenn Leute mit unpopulären Ansichten davon legitimen Gebrauch machen. Von einem politisch-ideologischen Missbrauch des Rechts kann man hingegen dann – und eigentlich nur dann – sprechen, wenn dieses Recht bloß einigen gewährt, anderen aber verwehrt wird.
Für Entscheidungsfreiheit
Durch ihre Aufforderung, Veranstaltungen mit unliebsamen Rednern abzusagen, drosseln die Opponenten nicht bloß das Recht des Redners auf freie Meinungsäußerung, sondern greifen ebenfalls in die Entscheidungsfreiheit sowohl der potentiellen Zuhörerschaft als auch der Veranstalter ein. Gruppen, die den Auftritt verbieten wollen, schreiben zum einen ihren Mitmenschen vor, wem sie zuhören dürfen und wem nicht. Der Zuhörerschaft wird es nämlich verwehrt, sich mit einer Weltsicht zu konfrontieren, welche die Opponenten nicht billigen. Um der Gefahr zu entgehen, der Zuhörer könne sich eine Meinung bilden, welcher die Gegenposition nicht zustimmt, soll schlichtweg die ganze Veranstaltung abgebrochen werden. Handlungen solcher Art entsprechen exakt der Definition von Zensur.
Zum anderen schreiben die Demonstranten unter Androhung von Boykott und Protesten auch den Veranstaltern vor, wen sie einladen dürfen und wen nicht. Der Aufschrei richtet sich nicht bloß gegen den Vertreter jener unpopulären Meinungen, sondern ebenfalls gegen die kulturelle Institution. In gewisser Hinsicht dient der Aufschrei also auch als Mahnung an andere kulturelle Institutionen, diesen „faux-pas“ nicht zu wiederholen. Er wird mit dem Argument begründet, das Kulturhaus lebe vom Geld der Steuerzahler und müsse sich deren Wille also fügen. Jedoch gibt es sicherlich Steuerzahler, die mit der Weltsicht des Redners einverstanden sind oder einfach neugierig sind, diese zu hören. Zweitens darf man davon ausgehen, dass in Zukunft die Bühnen leer stehen werden, sollte jeder Steuerzahler zu jeder Veranstaltung ein Veto einlegen können. Bliebe noch die Option, nicht jedem Einzelnen, sondern nur der Mehrheit das Vetorecht zu gewähren. Dann dürften nur jene Gäste eingeladen werden, welche der Weltsicht der Masse entsprechen. Eine solche Gesellschaft hätte recht wenig mit Pluralismus und Toleranz gemein, sondern käme eher einer Ochlokratie gleich. Die einzige vernünftige Alternative ist es, den Veranstaltern die Entscheidungsfreiheit zu gewähren, einzuladen wen sie für richtig halten und jedem Zuhörer die Entscheidungsfreiheit zu gewähren, diesen Gästen zuzuhören oder nicht.
Serge Tonnar hat zweifelsohne Recht, wenn er sagt, man habe die Pflicht, Stellung gegen Thesen zu beziehen, mit denen man nicht einverstanden ist. Jedoch sollte dies im Respekt des Rechts auf freie Meinungsäußerung anhand von Gegenargumenten und Fakten geschehen, nicht aber durch ein Verbot. Man kann nämlich sehr wohl eine Meinung als entsetzlich erachten und gleichzeitig das Recht einer Person verteidigen diese frei äußern zu können. Aus dem Postulat, man müsse auch und vor allem jene Meinungen tolerieren, mit denen man nicht einverstanden ist, folgt schließlich, dass die Verteidigung der Meinungsfreiheit eines Menschen nicht gleichbedeutend ist mit der Verteidigung seiner Meinung. Wird das Recht auf freie Meinungsäußerung aber nicht respektiert, so ist die Pflicht, die Meinungsfreiheit zu verteidigen, dringender als die Kritik an der jeweiligen Meinung, was auch immer deren Inhalt sein mag.
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