Medien-Gau

Das Buch von Catherine Gaeng über den RTL-Skandal von Ende 2016 ist eine Reise in die Abgründe der luxemburgischen Gesellschaft

Wer schon einmal Catherine Gaeng begegnet ist, etwa bei einer Führung, weiß dass die ausgebildete Archäologin, die beim Centre national de recherche archéologique arbeitet, in jedem Fall eine leidenschaftliche Erzählerin ist. Wenn sie über die Grabungen berichtet, die sie mitbetreut, hört man ihr auch als Laie gebannt zu und jeder Schulklasse kann man nur wünschen, einmal in ihrer Begleitung einen Ausflug an einen der vielen antiken Ausgrabungsorte des Landes zu unternehmen. 2016 erschien ihre gewaltige, zweibändige Geschichte des Titelbergs1, die sie gemeinsam mit Jeannot Metzeler und Patrice Méniel herausgegeben hat.

Catherine Gaeng hat jetzt eine weitere Geschichte erzählt. Unter dem Titel Lynchage médiatique et abus de pouvoir2 hat sie ein Buch herausgebracht, das den größten und ersten richtigen Medienskandal in der jüngeren Geschichte Luxemburgs zum Gegenstand hat. Den Hintergrund lieferte ein Ereignis, das im Herbst 2016 das Vertrauen in die Medien und die Regierung und nebenbei noch das „gratin“ der einheimischen Kulturszene beschädigte. Der damalige Direktor des MUDAM, Enrico Lunghi, hatte sich während eines Interviews mit einer RTL-Redakteurin dazu hinreißen lassen, ein Mikrofon wegzudrücken, nachdem er deutlich gemacht hatte, das Interview abbrechen zu wollen.

Zehn Tage später zeigte der Arm der RTL-Mitarbeiterin schmerzhafte Reaktionen, sie eilte in die Notaufnahme und wurde rückwirkend (!) für zwei Tage krankgeschrieben. Gemeinsam mit Marc Thoma, dem Chef der unsäglichen, aber in Luxemburg enorm populären Sendereihe „Den Nol op de Kapp“, wurde aus den Aufnahmen und der Tonspur mit dem Segen des Generaldirektors Alain Berwick (aber gegen den Willen der Redaktion) eine Reportage gebastelt, die Herrn Lunghi als gewalttätigen Macho erscheinen ließ und zum öffentlichen Abschuss freigab. RTL brachte den böswilligen Zusammenschnitt am 4. Oktober 2016 in seinem Abendprogramm, und die Empörung (über den Direktor des MUDAM) überschlug sich, nicht nur auf den sozialen Netzwerken.

Von diesem Moment an lief alles außer Kontrolle. Der Premierminister fühlte sich bemüßigt, die Freiheit der Presse auf der Stelle zu verteidigen und kündigte ein Disziplinarverfahren gegen den (freigestellten) Beamten Enrico Lunghi an (denn auch freigestellte Beamte hätten Pflichten). Wie so oft reagierte er erst einmal „menschlich“, d.h. empörte sich, und als sich herausstellte, dass er einer böswilligen Fälschung aufgesessen war, blieb er konsequent uneinsichtig. Der DP-durchsetzte Verwaltungsrat des MUDAM konnte im ersten Moment sein Glück kaum fassen, den sperrigen und an Mondanitäten nicht sehr interessierten Herrn Lunghi vorzuführen. Der Presserat wusste seinerseits nicht so recht, in welche Richtung sich drehen, und verteidigte das falsche Opfer. Enrico Lunghi schließlich wurde von seinem Arbeitgeber und dem Regierungschef gezwungen, sich für seinen vermeintlichen Ausrutscher zu entschuldigen und trat nach einigen Wochen Schlammschlacht als Direktor des MUDAM zurück.

Erst danach stellte sich heraus, dass RTL die Aufnahmen massiv manipuliert hatte, um einen Skandal zu provozieren und Enrico Lunghi zu schädigen –Enthüllungen, die die Direktion von RTL derart unter Druck setzten, dass sie den Rücktritt ihres Generaldirektors vortäuschte und die inkriminierte Sendung einstellte.

Catherine Gaeng hatte das zweifelhafte Privileg, die Ereignisse hautnah miterleben zu dürfen, denn sie ist mit Enrico Lunghi liiert. Dieser Zusammenhang führt dazu, dass das Buch notwendigerweise als Abrechnung daherkommt und der Leser es mit gehörigem Misstrauen und spitzen Fingern in die Hände nimmt. Doch die Autorin versucht erst gar nicht ihre Nähe zu den Ereignissen durch eine neutrale oder distanzierte Darstellung zu entschärfen – im Gegenteil, sie legt sich keinerlei Zurückhaltung auf. Als Mitbetroffene, die stellenweise Angst haben musste, ihren Lebenspartner zu verlieren, schreibt sie mit einer ungebremsten Wut, die für luxemburgische Verhältnisse ziemlich einmalig ist (wenn man vielleicht Tullio Forgiarini und Richtung 22 ausnimmt).

Doch wenn der Leser sich erst einmal mit dem bitterbösen Sarkasmus abgefunden hat, mit dem die Autorin alle Teilnehmer dieser Tragödie eindeckt, bekommt er dafür einen absolut einmaligen Einblick in die Kleinheit der hiesigen Verhältnisse. Das Buch ist damit nicht nur eine Anklageschrift, sondern auch eine brillant geschriebene ethnographische Darstellung einer bestimmten Gesellschaftsgruppe, die für einige Jahre (im Falle von Xavier Bettel) oder für einige Jahrzehnte (im Falle von Alain Berwick) tatsächliche Macht über Menschen und Karrieren ausübt. Man erfährt auf 350 Seiten und aus erster Quelle, was diese schöne Welt zusammenhält und wie wenig Dummheit es braucht, um sie auch wieder auseinanderzureißen.

Catherine Gaeng will aber nicht nur als Betroffene erzählen, sondern auch als Historikerin. Sie baut ihr Buch anhand von Pressezitaten auf, die einen Einblick geben sollen in die Ereignisse und die Berichterstattung dieser unruhigen Zeit. Die Auswahl der Quellen unterstützt dabei ihre Erzählung in einer Weise, die nicht viele zusätzliche Nuancen zulässt, da sie größtenteils aus der Perspektive des Augenblicks geschrieben wurden. Hier könnte eine Studie oder zumindest eine Masterarbeit anknüpfen, denn sowohl die Verfehlungen von RTL als auch die fortschreitende Verunsicherung und anschließende Selbstvergewisserung der übrigen Presse sind eine nähere Betrachtung wert. Überhaupt kann man nur hoffen, dass die Ereignisse von Herbst 2016 noch Anlass für weitere Publikationen sein werden, sei es in Form von Unterrichtsmaterial im Rahmen der Medienerziehung oder der politischen Bildung, sei es in Form einer (medien-)wissenschaftlichen Analyse. Bis dahin kann man jedem nur anraten, sich das Buch von Catherine Gaeng schnellstens zu besorgen, bevor es vergriffen ist.

 

1. Jeannot Metzler, Catherine Gaeng, Patrice Méniel, L’espace public du Titelberg, Dossiers d’archéologie XVII, Centre national de recherche archéologique, Luxembourg, 2016, 2 volumes, 971 pages, 774 illustrations.
2. Catherine Gaeng, Lynchage médiatique et abus de pouvoir, Liège, février 2018, 354 pages (20 € chez Alinéa, rue Beaumont, Luxembourg).

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