Prof. Dr. Manuel Puppis hat den Lehrstuhl für „Mediensysteme und Medienstrukturen“ im Departement für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Université de Fribourg (CH) inne. Er und sein Team forschen u.a. zu Fragen der Medienpolitik, -regulierung und -organisation im Schweizer Mediensystem sowie Mediensystemen im internationalen Vergleich. forum hat sich mit Prof. Dr. Puppis über Mediensysteme in Kleinstaaten und die Situation in Luxemburg unterhalten.
Herr Puppis, Sie forschen an der Université de Fribourg zu Medien in Kleinstaaten. Was sind die Besonderheiten der Schweizer Medienlandschaft und inwiefern lassen sie sich mit der Situation in Luxemburg vergleichen?
Manuel Puppis: Mediensysteme von Kleinstaaten weisen einige Besonderheiten auf. Einschränkend wirkt sich vor allem aus, dass kleine Mediensysteme auch kleine Publikums- und Werbemärkte haben. Da aber die Medienproduktion dennoch teuer ist, sind der Finanzierung von Medien und damit der Ausdifferenzierung der Medienlandschaft enge Grenzen gesetzt. Hinzu kommt, dass in Kleinstaaten mit gleichsprachigen großen Nachbarstaaten ausländische Medienangebote insbesondere im Fernsehsektor eine starke Konkurrenz für inländische Medien darstellen. Davon ist die kleine mehrsprachige Schweiz mit ihren drei großen Nachbarn Deutschland, Frankreich und Italien direkt betroffen. Das gilt für Luxemburg genauso.
Überschaubarer Zielmarkt, stark beschränkte Werbeeinnahmen, geringe Budgets…, wie können/müssen sich Medien in Kleinstaaten wie Luxemburg angesichts dieser Gegebenheiten positionieren?
M.P.: Eine Identifizierung mit inländischen Medien findet einerseits vor allem im Informationsbereich statt: Ausländische Zeitungen, Radio- und Fernsehsender oder Onlineangebote berichten nur in sehr eingeschränktem Maße über Politik, Gesellschaft und aktuelle Ereignisse in kleinen Ländern. Wer sich also über sein Land, seine Region, seine Gemeinde informieren will, greift natürlich auf inländische Medien zurück.
Im Unterhaltungsbereich, vor allem im Fernsehen, ist das schon schwieriger. Ausländische Sender mit hohen Produktionsbudgets strahlen zahlreiche attraktive Filme und Shows aus, die auch für das Publikum in benachbarten Kleinstaaten von Interesse sind. Hinzu kommt heute die Konkurrenz durch globale Streamingdienste. Inländische Fernsehsender können mit Unterhaltung dann punkten, wenn diese einen Bezug zum Land hat. Also Quizsendungen, Castingshows oder Formate wie „Der Bachelor“ mit schweizerischen oder luxemburgischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern oder inländische Filme und Serien. Gerade fiktionale Sendungen sind aber für werbefinanzierte Privatsender in Kleinstaaten kaum zu finanzieren.
Welche Zukunft haben die Printmedien auf kleinen Märkten? Sind kleine Märkte Vorreiter in der Entwicklung von Online-Angeboten oder doch eher Nachzügler, da ein besonderer Schutz von Printmedien besteht?
M.P.: Weder noch. Das Internet hat Zeitungsverlage in der ganzen westlichen Welt unvorbereitet getroffen. Zu Beginn wurde eine Website nur als Werbung für das eigene Printprodukt gesehen und die Inhalte wurden gratis online gestellt. Nachträglich würden Verlage wohl vieles anders machen. Heute ist es ganz normal, dass Zeitungsredaktionen ihre Inhalte für Print und Internet produzieren, in konvergenten Newsrooms gearbeitet wird und dass die Inhalte online ständig aktualisiert werden müssen. Das hat den Druck auf die einzelnen Journalistinnen und Journalisten massiv erhöht; für Recherche bleibt immer weniger Zeit. Zudem sind neue journalistische Onlineanbieter entstanden, in der Schweiz beispielsweise Watson und Republik. Aber ob nun online oder offline: Journalismus ist teuer. Und das ungelöste Problem von Zeitungsverlagen und journalistischen Start-ups ist die künftige Finanzierung. Werbung und Nutzer sind zu neuen Plattformen wie Suchmaschinen und sozialen Netzwerken abgewandert, die selbst keine Inhalte produzieren. Mit Werbung lässt sich im Journalismus online praktisch kein Geld verdienen, schon gar nicht in einem Kleinstaat – außer es handelt sich um Boulevardmedien, die auf Reichweite zielen. Und ob sogenannte Paywalls, also Bezahlschranken, sich online durchsetzen lassen, ist ungewiss. Dafür braucht es zuallererst ein Produkt, für das es sich zu zahlen lohnt und Inhalte, die die Nutzerinnen und Nutzer sonst nirgends bekommen. Die Zukunft der Zeitungen liegt sicher im Internet – ob sich Journalismus aber marktlich finanzieren lässt, muss bezweifelt werden.
Was müssen die allgemeinen Ziele von Medienpolitik und Medienhilfe in einem demokratischen, liberalen Land sein?
M.P.: In demokratischen Staaten muss Medienpolitik einerseits die Medienfreiheit sicherstellen. Medien sollen möglichst unabhängig ihrer Arbeit nachgehen können. Andererseits ist es aber auch Aufgabe der Medienpolitik Strukturen zu schaffen, damit unabhängige Medienleistungen überhaupt produziert werden können – sei das nun die Gründung eines öffentlichen Rundfunks, durch Maßnahmen zur Bekämpfung von Medienkonzentration oder eine Medienförderung für private Medien. Denn Demokratien sind auf die Leistung des Journalismus angewiesen, beispielsweise die Information der Bürgerinnen und Bürger, die Kritik und Kontrolle der Mächtigen, und die Bereitstellung eines Forums für Debatten unterschiedlichster gesellschaftlicher Kräfte. Angesichts der aktuellen Finanzierungskrise der Medien und der geschilderten Besonderheiten von Kleinstaaten braucht es meines Erachtens eine aktive Medienpolitik.
Luxemburg ist auf der Suche nach einem Modell für die Unterstützung seiner Pressevielfalt und des Qualitätsjournalismus. Welche Lehren lassen sich aus den isländischen, dänischen und Schweizer Modellen ableiten?
M.P.: Für Medienförderung bietet die Schweiz wenig Orientierung. Bisher wird die Presse nur indirekt durch einen reduzierten Mehrwertsteuersatz und verbilligten Posttransport gefördert. Das ist angesichts der Digitalisierung und der Medienkrise nicht mehr ausreichend – Entlassungen auf Redaktionsebene und eine fortschreitende Medienkonzentration wecken Befürchtungen bezüglich der Auswirkungen dieser Krise auf die journalistische Leistung. Entsprechend finden vermehrt Debatten über die Notwendigkeit einer direkten Medienförderung statt, wobei die skandinavischen Länder als Vorbild dienen. Dänemark unterstützt die Produktion von Journalismus unabhängig davon, ob es sich um Printzeitungen oder Onlinemedien handelt; in Schweden existiert seit Anfang des Jahres sogar eine komplett konvergente Medienförderung, die die Produktion von Audio, Video und Text online und offline unterstützt. Das sind interessante Vorbilder für andere Kleinstaaten.
Laut der Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) führten 2017 die skandinavischen Länder Norwegen, Schweden, Finnland und Dänemark die Lister jener Länder an, in denen Medienfreiheit als gewährleistet gilt. Wie ist es um die Medienfreiheit eines Kleinstaates wie Luxemburg bestellt, in dem ein erheblicher Teil der Medienproduktion staatlich subventioniert wird?
M.P.: Nicht nur die nordischen Länder, auch Luxemburg schneidet in der gleichen Erhebung sehr gut ab. All diese Länder kennen direkte Medienförderung. Die Schweiz, die keine direkte Presseförderung kennt, liegt ebenfalls auf den vordersten Plätzen – das zeigt, dass die Existenz von Medienförderung nichts über die Freiheit der Medien aussagt.
Wie sinnvoll ist eine „nationale“ Presseagentur in einem Kleinstaat, die gemeinsame Inhalte für alle Medien aufbereitet?
M.P.: Ohne Nachrichtenagentur würde vielen kleineren Zeitungen – in großen wie in kleinen Ländern – die überregionale Berichterstattung fehlen. Ihre Stärke ist die Lokal- und Regionalberichterstattung, Korrespondenten im ganzen Land und im Ausland können sie sich nicht leisten.
Welche Rolle spielt das Fernsehen in kleinen Nationen/Staaten?
M.P.: Kleinstaaten vertrauen häufig auf einen starken öffentlichen Rundfunk, und in vielen Ländern wurde Privatrundfunk zum Schutz des „Public Service“ erst spät zugelassen. Nur dank der Finanzierung über Gebühren oder Abgaben kann der öffentliche Rundfunk ein umfangreiches Programmangebot bereitstellen. Privat-kommerzielle Sender, die von Werbung abhängig sind, haben aufgrund des kleinen Marktes ein deutlich eingeschränkteres Angebot. Hinzu kommt, dass sie mit ausländischen Sendern um das inländische Publikum – und in vielen Ländern auch die Werbung – konkurrieren. Luxemburg ist hier klar eine Ausnahme.
Die Schweiz verfügt mit der SRG im Bereich der audiovisuellen Medien über ein starkes Standbein. Luxemburg ist in diesem Bereich mit RTL noch immer rein privat aufgestellt. Was sind die Vorteile, was sind die Nachteile der beiden Wege?
M.P.: In der Tat gibt es in der Schweiz bis heute einen starken öffentlichen Rundfunk. Eine klare Mehrheit der Bevölkerung hat sich vor rund einem Jahr in einer Volksabstimmung auch zur SRG und ihrer öffentlichen Finanzierung bekannt. Unterdessen gibt es in der Schweiz aber neben regionalen privaten Radio- und Fernsehsendern, die ebenfalls Gebührengelder bekommen, auch einige sprachregionale Privatsender, die sich etablieren konnten. Die Schweiz ist damit anderen westeuropäischen Kleinstaaten sehr ähnlich. Luxemburg hingegen hat einen ganz anderen Weg gewählt. Die CLT resp. RTL-Gruppe hatte über lange Jahre ein eigentliches Monopol in Luxemburg. Noch heute dominiert RTL mit seinen beiden Sendern den Markt. Für ein so kleines Land wie Luxemburg wäre ein öffentlicher Fernsehsender wohl unverhältnismäßig teuer, während sich ein öffentlicher Radiosender ja durchaus finanzieren lässt, wie Radio 100,7 zeigt. RTL profitiert davon, dass Luxemburg als Standort für seine internationalen Fernsehaktivitäten genutzt werden kann – im Gegenzug werden Sendungen für Luxemburg produziert. Angesichts der Marktsituation kein schlechter Deal.
Ist angesichts von Netflix und anderen Streamingdiensten sowie Videoplattformen wie YouTube das klassische, werbefinanzierte Fernsehen ein Auslaufmodell?
M.P.: Gerade junge Menschen schauen Fernsehen vermehrt zeitversetzt. Streamingdienste wie Netflix oder Amazon Prime und Video-Sharing-Plattformen wie YouTube werden von ihnen besonders stark genutzt. Das verschärft die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Nutzerinnen und Nutzer natürlich. Aber auch die Inhalte klassischer Fernsehsender werden vermehrt „On Demand“ genutzt und die Werbung übersprungen. Fernsehsender müssen sich also Gedanken machen, wie sie künftig ihr Geld verdienen wollen. Aber noch spielt die klassische lineare Fernsehnutzung die Hauptrolle.
Das Interview wurde am 26. März 2019 per E-Mail geführt. (JST/SC)
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