Mediensplitter

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint

Kriegsverbrechen, Homophobie und Bulimie als Themen im Guardian, auf Instagram sowie Netflix: Das Bindeglied zwischen diesen grundverschiedenen Inhalten sind sogenannte Triggerwarnungen, die ihnen vorangestellt werden. Dort heißt es, der dargebotene Text, Vortrag oder Film könne (re-)traumatisierend wirken. Der Fachbegriff stammt aus der Traumatherapie und deutet darauf hin, dass die Konfrontation mit bestimmten Schlüsselreizen Reaktionen bei Menschen auslösen kann, die einer Art Flashback gleichkommen. Etwaige Trigger zu erkennen, spielt mitunter in der Behandlung von Kriegsveteran:innen, die im Nachgang von bewaffneten Konflikten an posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, eine Rolle. Triggerwarnungen im außermedizinischen Kontext sind nicht neu. Wann genau diese Kommunikationspraktik erstmals zum Einsatz kam, ist schwer festzulegen. Sie machte sich unter anderem bereits vor zwei Jahrzehnten in feministischen Zeitschriften und Foren bemerkbar, in denen man Leser:innen vorzeitig signalisierte, dass in der Folge sexuelle Übergriffe thematisiert werden würden. Danach kam es on- wie offline immer wieder zur Positionierung von gut sichtbaren Warnungen – sei es auf der Plattform tumblr, in Printmagazinen oder sogar als Randbemerkung in Vorlesungsverzeichnissen. Mittlerweile gehören sie bei öffentlich-rechtlichen Jugendangeboten wie jenem von funk zum Standard. 

Auf den ersten Blick wirkt dieser Akt des Vorabinformierens über den Umstand, dass etwas einem wehtun oder gar schaden könnte, äußerst empathisch. Es vermittelt eine gewisse Fürsorge und, vor allem wenn es um Medienangebote geht, eine Grundhaltung, die sich jenseits der „dunklen Seite“ des Journalismus, der des Clickbaitings, zu bewegen scheint. Irgendwie schwingt da etwas mit, dessen moralischen Wert man nicht auf Anhieb infrage stellen möchte. Oder sollte man es doch tun? Wer es mit Samuel Beckett hält, mag sagen: Moralisten sind die, die sich da kratzen, wo es andere juckt. Oder jucken könnte. Das ist zugebenermaßen etwas überspitzt, aber man kann den bevormundenden Charakter von Triggerwarnungen nicht gänzlich verneinen. Die vorauseilende Unterstellung einer Schutzbedürftigkeit entwaffnet absurderweise diejenigen, auf die anscheinend geschossen wird. Das von fremder Hand vorgeschobene Schutzschild versperrt Medienkonsument:innen die Sicht auf – weit selbstermächtigendere – Alternativen. Zum Beispiel unterstützende Gesprächs- und Hilfsangebote, auf die seitens der Journalist:innen hingewiesen werden könnte.

Außerdem kann der Eindruck entstehen, Medienkonsum müsse stets angenehm verlaufen und präventiv positionierter Flausch solle verhindern, dass man sich nur nicht an den Ecken und Kanten unserer Realität den Kopf stößt. Dabei wird übersehen, dass man je nach Inhalt aus ebenjenem intensiven Gefühl schöpfen kann, das es bei einem auslöst. Auch mit Entrüstung, innerer Revolte, Angst, Ekel und Wut lässt sich arbeiten. Wenn man unangenehmen Themen ständig aus dem Weg geht, weil vor ihnen gewarnt wird, vermeidet man nicht nur Rezeptionen, sondern verpasst eventuell bereichernde Lernprozesse. 

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