- Gesellschaft, Kultur
Mehr Rechte für den Drahtesel: Fahrrad-Aktivismus in Luxemburg
Eine Bestandsaufnahme
Wer sich mit seinem Fahrrad auf Luxemburgs Straßen begibt, um etwa zur Arbeit zu gelangen, dem wird bereits nach wenigen Metern auffallen: Es herrscht ein enormes Verbesserungspotenzial. Egal ob in Sachen Infrastruktur oder Fahrverhalten der Verkehrsteilnehmer, vieles muss unternommen werden, um aus der Erfahrung Radfahren auf den Straßen des Großherzogtums ein Vergnügen zu machen. Nun gibt es Menschen, die diese Mängel nicht akzeptieren wollen und die die eigenen Erfahrungen und die eigene Energie in die Verbesserung der Lage stecken: Die Rede ist von den Fahrradaktivisten.
Lëtzebuerger Vëlos-Initiativ
Die erste Adresse, historisch gesehen, an die man sich in Sachen Fahrrad-Aktivismus in Luxemburg wenden kann, ist die Lëtzebuerger Vëlos-Initiativ (LVI). Gegründet im Jahre 1985, aus dem Kontext der Umweltbewegungen heraus1, hat sie sich seit jetzt mehr als 40 Jahren als Größe in der luxemburgischen Fahrradlobby etabliert. Anlass zur Gründung der Vereinigung soll die Aufbruchsstimmung einiger Teilnehmer an einer „Vëlos-Manif“ am 4. Oktober 1984 gewesen sein, um in Sachen Fahrradinfrastruktur Verbesserungen zu fordern.2 Ein Motto des LVI lautet: „Pour que tout le monde puisse faire du vélo dans les meilleures conditions et en toute sécurité!“3 So steht für die Vëlos-Initiativ die Verteidigung der Rechte der Fahrradfahrer „auprès du grand public et des autorités administratives et politiques“4 im Vordergrund. Daneben geht es aber auch um Werbung für den Radsport als Hobby und Tourismusaktivität. Um diese Ziele zu erreichen, fordert der LVI die Verbesserung der Sicherheitsbedingungen für Radfahrer, unter anderem durch eine Optimierung der Infrastrukturen.
Mit 1400 Mitgliedern ist der LVI ein gewichtiger Akteur im Fahrradlobbyismus in Luxemburg. In ihren Arbeitsmethoden verfolgt die Lëtzebuerger Vëlos-Initiativ eine traditionelle Herangehensweise.
Neben der regelmäßigen Veröffentlichung von Newslettern, die als Plattform für fundierte, tiefgründige Berichte dient, wirkt der Verein auch im öffentlichen Raum selbst, etwa in Form von Sensibilisierungskampagnen oder Radtouren, an denen sich jeder beteiligen kann. Diese physische Präsenz wird zudem durch das Vorhandensein eines Koordinationsbüros bestärkt, das sich im Pfaffenthal in Luxemburg befindet.
Neben dieser traditionellen Form des Aktivismus ist der LVI natürlich auch in den Sphären der digitalen Welt, des Cyberaktivismus, vertreten. Zusätzlich zu einer eigenen Homepage (lvi.lu)ist der Verein auf Facebook präsent. Die Homepage, die seit 2000 online ist, ist vollgepackt mit Informationen zum LVI. Obwohl die Seite vom Design und der Interaktivität mit dem Besucher nicht hervorsticht, bietet sie eine Menge nützliche Informationen, die für jedermann zugänglich sind.
Seit der Gründung des LVI Mitte der 80er Jahre hat sich nicht nur viel auf den Straßen verändert, sondern die Natur und die Plattformen des Aktivismus selbst haben – durch die Verbreitung des Internets – neue Möglichkeiten erhalten. Das Internet hat den Aktivismus im Allgemeinen weiter demokratisiert, da es jedem Einzelnen eine schnelle, billige, einfache und weitreichende Stimme gibt. Obwohl der LVI den Sprung in Sachen Cyberaktivismus nicht verpasst hat, ist ihm dieser noch nicht ganz gelungen. In diesem Bereich ist er gegenüber anderen Initiativen und Personen noch im Rückstand, die zum größten Teil im virtuellen Kontext geboren sind.
Vom Rad ins Netz
In Luxemburg spielt sich der Großteil des Netzaktivismus auf Twitter ab. Den meisten Benutzern reichen 140 Zeichen, um ihre Anliegen zum Ausdruck zu bringen. Eine der wichtigsten, umfangreichsten und größten Initiativen auf der Twitter-Bühne äußert sich unter der Bezeichnung Luxembourgize!. Schon der Name verrät das Anliegen des Kontos, handelt es sich doch hierbei um eine Anlehnung an die „Copenhagenize Design Company“, ein Architektur- und Städtebauunternehmen, welches sich weltweit für die Verbesserung der Radfahrbedingungen in urbanen Milieus einen Namen gemacht hat.
Dem Benutzer Luxembourgize! geht es also darum, die Stadt Luxemburg auf eine ähnliche Ebene wie Kopenhagen, dem Mekka des Radfahrens, zu bringen.
Ähnlich wie bei vielen anderen Plattformen von Cyberaktivisten besteht ein Teil der Tweets von Luxembourgize! aus Hinweisen über punktuelle Missstände sowie dementsprechend mögliche Verbesserungsvorschläge. In den Beiträgen erkennt man auch eines der Merkmale des Cyberaktivismus wieder, nämlich die „buttom up“-Perspektive5, da man als aktiver Benutzer der Fahrradinfrastrukturen die Probleme und die Wünsche der Radfahrer vermutlich besser kennt als jemand, der Entscheidungen hinter seinem Schreibtisch trifft.
Jedoch beschränkt sich der Benutzer Luxembourgize! nicht ausschließlich auf das Prinzip der „Action/Reaction“6. Auf seinem Blog veröffentlicht er längere Beiträge, die sich jeweils mit einer bestimmten Thematik auseinandersetzen und diese tiefgründig analysieren. Somit wird dem Aktionismus die Dimension der „Awareness/Advocacy“7 hinzugefügt.
Daneben steht vor allem der Dialog mit anderen Benutzern im Vordergrund. Durch das Weiterleiten der Tweets anderer Benutzer wird Luxembourgize! zu einer Art Plattform für alle Cyberfahrradaktivisten, die in Luxemburg unterwegs sind.
Neben Luxembourgize! gibt es natürlich noch viele andere Aktivisten, die im Reich der Twitter-Sphäre mit ihren Tweets zum luxemburgischen Fahrradlobbyismus beitragen. Das Profil von Luxembourgize! sticht jedoch klar heraus: Es ist nicht nur das umfangreichste, sondern mit ungefähr 644 Followers (Stand: 1. Juni 2017) ist es auch das populärste.
Eine weitere Organisation, die sich im Bereich des Fahrradaktivismus betätigt, ist die Critical Mass Luxembourg-Bewegung. Hierbei handelt es sich um den luxemburgischen Ableger der weltweit verbreiteten Critical Mass-Bewegungen. Im Vordergrund steht die Idee, die Straßen für den Menschen anstatt für das Auto zu gewinnen. Während ihrer Aktionen treffen sich nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer, allen voran Fahrradfahrer, und mischen sich in einer großen Menge in den normalen Straßenverkehr, um so Aufmerksamkeit für ihr Anliegen, das Fahrrad als Verkehrs- und Transportmittel, zu gewinnen.8 Obwohl die Spontanität und die Abwesenheit von organisatorischen Strukturen oft bei solchen Veranstaltungen betont wird, kann auch die Critical Mass-Bewegung nicht ohne eine digitale Plattform, von der die Mobilisation ausgeht, funktionieren. So gibt es eine Facebook-Gruppe, in der jeder zu Wort kommen kann, der zu dieser Bewegung etwas beitragen möchte. Das Hauptaugenmerk der Gruppe gilt natürlich der Veranstaltung von Fahrradaktionen, zum Beispiel um gegen den Abriss des Tunnels, der den Glacis mit dem Städtischen Park verbindet, zu protestieren. Durch ihre Internetpräsenz sowie ihre direkten Aktionen kann man die Critical Mass Luxembourg als eine Form des Fahrradaktionismus einordnen, die sich zwischen dem des Cyberaktivismus sowie dem direkten Aktionismus bewegt.
Nachdem einige der verschiedenen Formen und Äußerungen des Fahrradaktionismus in Luxemburg vorgestellt wurden, stellt sich die Frage, inwiefern diese ihre Ziele erreichen, also die Frage nach der Resonanz und Tragweite ihres jeweiligen Wirkens. Wie allein das Alter und die Anzahl der Mitglieder beweisen, ist es dem LVI gelungen, sich als feste Größe in der luxemburgischen Fahrradlobby zu etablieren. Durch fundierte und tiefgründige Arbeit, sowie durch nachhaltige und innovative Forderungen und Aktionen hat der LVI viel erreicht in Sachen Fahrradkultur in Luxemburg. Auch das Zwitschern von Luxembourgize! sowie von anderen Benutzern, auf Twitter trägt seine Früchte. Twitter wird als Plattform gebraucht, die den direkten Dialog mit politischen Entscheidungsträgern, wie etwa den Politikern François Bausch oder Sam Tanson, ermöglicht. Einzig der Critical Mass Bewegung in Luxemburg scheint etwas die Luft ausgegangen zu sein. Worauf dieses Scheitern zurückzuführen ist, lässt sich auf den ersten Blick nicht genau nachvollziehen. Es zeigt jedoch, dass es auch im digitalen Zeitalter eine nachhaltige und tiefgreifende Motivation und Arbeit seitens der Aktivisten braucht, um eine Organisationen fruchtbar zu gestalten und am Leben zu halten.
1 forum Nr 309, S. 51.
2 Spielmann, Jo, „Notizen zur Geschichte des LVI“, in: Mam Vëlo do. Eine Radtour durch die Luxemburger Zeitgeschichte, S. 221.
3 lvi.lu
4 lvi.lu
5 Cyberaktivismus, in: digitalkanal. Politische Kultur und Partizipation im Internet, URL: https://digitalkanal.wordpress.com/2011/06/13/cyberaktivismus-teil1-theoretische-reflexion/ (Stand: 09.05.2017).
6 idem.
7 idem.
8 Leibetseder, Christina, „Critical Mass. Eine neue soziale Bewegung“, in: Kontraste 2 (2009), S. 15-21.
Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.
Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!
