- Politik
Mehr Überwachung bringt nicht zwingend mehr Sicherheit!
Zum sicherheitspolitischen Aktionismus nach den Paris-Attentaten
„Die neue Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus wird einfach benutzt von den Konservativen, um immer neue Forderungen zu stellen. (…) Zum Teil sind sie durchaus berechtigt, aber zum Teil sind sie hochgefährliche Einbrüche in persönliche Freiheitsrechte – und sind eben Symbolhandlungen: Der Bevölkerung soll etwas vorgemacht werden“ Gerhart Baum (FDP), deutscher Innenminister von 1978 bis 1982.
Im Zuge des Terrorangriffs in Paris scheint, wie bereits in der Vergangenheit, sicherheitspolitischer Aktionismus angesagt. Auch in Luxemburg fordert nun der Justizminister eine rasche Umsetzung verschiedener verdachts- und anlassunabhängiger Überwachungsmaßnahmen wie der Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten aller Nutzer oder der im Rahmen einer Flugbuchung erfassten Daten jedes Fluggastes. Zudem möchte die Regierung potentielle Dschihadisten durch den Entzug des Reisepasses an der Ausreise hindern und einen EU-Geheimdienst schaffen. Aber was taugen diese Maßnahmen wirklich und lässt sich dieser massive Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte der Bevölkerung wirklich durch eine verbesserte Sicherheitslage rechtfertigen?Überwachungsprogramme abrüsten – Vorratsdatenspeicherung einstampfen
Eine Analyse des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags1 kommt zu dem Ergebnis, dass in der EU keine Hinweise existieren, dass eine verdachtsunabhängige Protokollierung von Nutzerspuren den
Ermittlungsbehörden nachweislich in ihrer Arbeit hilft. Sie stellt fest, dass es in den Jahren 2005 bis 2010 in nur einem Land zu einer signifikanten Änderung der Aufklärungsquote gekommen war, wobei
auch dies nicht auf die Vorratsdatenspeicherung zurückzuführen sei.
Ein Gutachten des Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, das
vom deutschen Justizministerium in Auftrag gegeben wurde, kam zu dem Ergebnis, dass Vorratsdatenspeicherung keine Veränderungen in Aufklärungsraten verursacht. Laut dem 270 Seiten starken Bericht2 liefert die Statistik keinerlei Belege dafür, dass die Verhinderung oder Aufklärung von Straftaten durch den Wegfall der Speicherpflicht gelitten hat. Weder bei Tötungsdelikten und Raubüberfällen noch bei Kinderpornografie und Internetkriminalität konnten messbare Effekte durch die Vorratsdatenspeicherung nachgewiesen werden. Auch gibt es den Wissenschaftlern zufolge keinerlei Hinweise darauf, dass auf Vorrat gespeicherte Daten in den vergangenen Jahren zur Verhinderung eines islamistischen Terroranschlags geführt hätten.
Die auf Vorrat zu speichernden Daten (z. B. bei Telefonaten die Telefonnummern und Standortdaten der
Gesprächspartner, bei Internetbenutzung die Zeit und benutzte IP-Adresse) erlauben demjenigen, der
auf sie Zugriff hat, weitgehende Analysen persönlicher sozialer Netzwerke. Mit Hilfe der auf Vorrat zu
speichernden Daten lässt sich – ohne dass auf Kommunikationsinhalte zugegriffen wird – das Kommunikationsverhalten jedes Teilnehmers analysieren. In dem Maße, in dem die Telekommunikation zunimmt, wird die Bedeutung solcher Analysen für die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen wachsen.
Fluggastdaten (PNR): ein weiterer Eingriff in die Bürgerrechte
Im konkreten Fall der Pariser Anschläge hätte das Mittel PNR keinen Unterschied gemacht: die Angreifer waren ja amtsbekannt und schon zuvor in Polizeigewahrsam – die Informationen konnten nur
nicht nutzbringend verwendet werden. Laut Justizminister Braz seien PNR-Daten (Passagiernamensregister mit bis zu 34 Datenfeldern) erforderlich, um anhand zuvor festgelegter Prüfkriterien einen Abgleich vorzunehmen, damit bisher „unbekannte“ Verdächtige identifiziert und ein Datenabgleich mit verschiedenen Datenbanken für gesuchte Personen und Gegenstände durchgeführt werden kann. Allerdings machen die sehr geringe Häufigkeit von terroristischen Anschlägen und das durch sich ständig verändernde Taktiken schwer zu definierende Profil von Terroristen es sehr schwierig bis unmöglich, sie durch Datenanalyse aufzuspüren. Der Psychologieprofessor Floyd Rudmin3 hat schon 2006 die statistische Seite dieses Problems aufgearbeitet. Für die mathematische Betrachtung von Methoden, Terroristen in der Bevölkerung aufzuspüren, benötigen wir folgende Werte, die uns nicht bekannt sind, aber für die wir Annahmen treffen können: 1) der Terroristenanteil in der Bevölkerung, 2) die Identifizierungsrate (wenn ein Terrorist getestet wird, wie sicher ist es, dass er als Terrorist identifiziert wird?), 3) die Fehlidentifizierungsrate (wenn ein Normalbürger getestet wird, wie wahrscheinlich ist es, dass er fälschlicherweise als Terrorist identifiziert wird). Die Identifizierungsrate wird – egal wie gut die Methode sein wird – nie 100 Prozent erreichen, genauso wie die Fehlidentifizierungsrate nie null Prozent sein wird. Fehler passieren also immer.
Entzug des Personalausweises: unverhältnismäßig und nutzlos
Wie wenig es bringt, Terrorverdächtigen den Personalausweis zu entziehen und Ersatzdokumente auszustellen, zeigt das deutsche Beispiel. In den letzten drei Jahren sind den deutschen Sicherheitsbehörden gerade einmal 20 Personen bekannt geworden, die trotz Entzug des Reisepasses und einer Verfügung, Deutschland nicht zu verlassen, ausgereist sind. Diese geringe Zahl kann die Absicht, nun auch noch den Personalausweis einziehen zu können, nicht rechtfertigen. Die Maßnahme nützt ohnehin nichts: Wer illegal ausreisen will, kann daran kaum effektiv gehindert werden. Nicht vernachlässigt werden darf aber das Stigmatisierungspotential. Die Bundesregierung kündigt in ihrer Antwort an, das Ersatzdokument solle optisch an den Reisepass angelehnt sein, aber „farblich anders gestaltet werden“. Wer ein solches Papier vorlegt, ist auf Anhieb als „Terrorverdächtiger“ gebrandmarkt. Die bundesdeutsche Datenschutzbeauftagte Andrea Voßhoff meinte hierzu: „Für einen Sicherheitseffekt, der gegen null geht, ist die Bundesregierung bereit, Menschen zu stigmatisieren und vorzuverurteilen. Dabei wäre es dringend notwendig, endlich mit einem raschen und gezielten Ausbau der präventiven Instrumente zur Verhütung von Radikalisierung zu beginnen. Hier ist die Bundesregierung völlig planlos. Das Fehlen einer lange überfälligen koordinierten Präventionsstrategie ist unübersehbar. Mehr Mittel für die Forschung, effektive Aussteigerprogramme, Angehörigenberatung und Integrationsmaßnahmen sind das Gebot der Stunde und würden mittel- bis langfristig einen echten Sicherheitsgewinn bedeuten.“6
Wer kennt die EU-Geheimdienste INTCEN und EUMS INT?
Im Gegensatz zu dem, was Justizminister Braz kürzlich behauptete5, gibt es längst einen Geheimdienst
auf EU-Ebene. Dabei handelt es sich um das Intelligence Centre – INTCEN (bis März 2012 das Joint
Situation Centre, SitCen oder JSC). Als Teil des Europäischen Auswärtigen Dienstes hat INTCEN neben
dem Satellitenzentrum der EU und der Intelligence Division, nachrichtendienstliche Aufgaben. Der EU-Geheimdienst betreibt ein Lage- und Analysezentrum am Sitz des EU-Rates in Brüssel und beim Militärstab der EU. Es besteht aus mehr als 110 Mitarbeitern. Von diesem Personal sind ca. 70% Mitarbeiter von nachrichtendienstlichen Organisationen der Mitgliedsstaaten, also auch Luxemburgs.
Das INTCEN ist dabei im „Dunklen“ entstanden und kann sich auf keine Gesetzesgrundlage stützen.
Im Gegensatz zu anderen Nachrichtendiensten ist das Parlament, hier das EU-Parlament, nicht eingeschaltet und hat auch kein Einsichtrecht. Auch nationale Parlamente haben keine Einsichtrechte,
da die Behörde als inoffizielles EU-Organ gewertet wird.6 Die EU unterhält mit dem EUMS INT Direktorat auch eine militärische und geheimdienstliche Struktur, die als „Nachrichtenwesen des Militärstabs“ bezeichnet wird. Mittlerweile arbeiten die beiden Strukturen INTCEN und EUMS INT vor
allem im analytischen Bereich bestens zusammen.7 Entweder unterschlägt der Justizminister der Öffentlichkeit diese Information oder er kennt diese Dienste nicht. Letzteres einem amtierenden Präsidenten der EU-Justiz-und Innenministerkonferenz zu unterstellen scheint allerdings etwas gewagt …
Geplante Anti-Terror-Maßnahmen sind aktionistisch und kontraproduktiv
Der Terrorismus muss bekämpft werden – aber dafür reichen die bestehenden gesetzlichen Maßnahmen
aus. Es zeigt sich, dass die von Justizminister Braz und der Regierung vorgelegten Maßnahmen unverhältnismäßig und nutzlos sind. Ins Blaue hinein Gesetze zu beschließen, die nur Generalverdacht
und Stigmatisierung befördern, ist eine zu große Einschränkung der demokratischen Grundrechte. Der Schutz unserer Freiheitsrechte vor Freiheitsfeinden jeglicher Farbe muss gerade in Zeiten, in denen sie akut bedroht sind, verteidigt werden. Anstatt sich lediglich der Symptombekämpfung zu widmen und quasi als Kollateralschaden massiv Grund- und Freiheitsrechte abzuschaffen, stünde es aus bürgerrechtlicher Sicht unserer Regierung und den EUInstitutionen besser zu Gesicht Ursachenforschung zu betreiben und neue Wege bei der Bekämpfung des islamistischen Terrors zu gehen. Denn, wie der Herausgeber des Handelsblatt Gabor Steingart in einem eindringlichen Appel völlig zu Recht unterstreicht, trägt der Westen „für das feindliche Klima zwischen den Kulturkreisen (…) eine Mitschuld. Von den 1,3 Millionen Menschenleben, die das Kriegsgeschehen von Afghanistan bis Syrien mittlerweile gekostet hat, bringt es allein der unter falschen Prämissen und damit völkerrechtswidrig geführte Irak-Feldzug auf 800 000 Tote. Die Mehrzahl der Opfer waren friedliebende Muslime, keine Terroristen. Saddam Hussein war ein Diktator, aber am Anschlag auf das World Trade Center war er nachweislich nicht beteiligt. ‚Diejenigen, die Saddam 2003 beseitigt haben, tragen auch Verantwortung für die Situation im Jahr 2015‘ sagt mittlerweile selbst Tony Blair, einst der willige Krieger an der Seite der USA. ‚Wir werden schonungslos sein‘ versicherte auch jetzt wieder ein versteinerter französischer Präsident (…) Doch der Automatismus von Härte und Gnadenlosigkeit, das
vorsätzliche Nicht-Verstehen des anderen, die feurigen Reden an das jeweilige heimische Publikum, die schnell in Marsch gesetzten Bombergeschwader haben uns (…) dahin gebracht, wo wir heute stehen. So beendet man den Terror nicht, sondern facht ihn weiter an. So schafft man keinen Frieden, so züchtet
man Selbstmordattentäter.“9
Die militärische Eskalation in Syrien, Afghanistan, Irak, Mali und Libyen ist auch das Resultat westlicher
Militärinterventionen und den ihnen zugrunde liegenden geopolitischen Machtinteressen. Nur eine
europäische Zivilmacht, die definitiv von militärischen Interventionen in ihrem Hinterhof ablässt und effektiv die freiheitlichen und humanistischen Grundwerte der BürgerInnen schützt, wird die enormen
Probleme mit denen wir heute auf brutale Art und Weise konfrontiert werden, lösen können.
1 Az.: WD 7 3000 036/11
2 http://vds.brauchts.net/MPI_VDS_Studie.pdf
3 http://derstandard.at/2000010279942/
Mehr-Ueberwachung-bringt-nicht-zwingend-mehr-Sicherheit
4 http://www.jankorte.de/de/article/3197626.kritik-der-bundesdatenschutzbeauftragten-
an-terroristenausweisen-ist-mehr-alsberechtigt.
html
5 Riicht eraus, Radio 100,7, 21.11.15
6 https://de.wikipedia.org/wiki/INTCEN
7 https://netzpolitik.org/2013/eums-int-und-intcen-diegeheimdienste-
der-europaeischen-union/
8 http://derstandard.at/2000006481602/Franzoesischer-Ex-
Geheimdienstler-bei-Al-Kaida-in-Syrien
9 http://morningbriefing.handelsblatt.com/newsletter/
weltkrieg-iii/
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