Meum esse aio [ich behaupte, dass es mein ist]

„Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich einfallen ließ zu sagen: dies ist mein und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Not und Elend und wie viele Schrecken hätte derjenige dem Menschengeschlecht erspart, der die Pfähle herausgerissen oder den Graben zugeschüttet und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: ‚Hütet euch, auf diesen Betrüger zu hören; ihr seid verloren, wenn ihr vergeßt, daß die Früchte allen gehören und die Erde niemandem.‘“ (Jean-Jacques Rousseau, 1755)2

Von der gescheiterten Revolution

Ist es ein Zufall, dass die bekannteste Textstelle von Rousseaus Kritik des Eigentums  besonders auf die Illegitimität eines jeglichen Besitzanspruches auf Grund und Boden abzielt? Auch wenn unter dem Schlagwort „Eigentum ist Diebstahl“ (geprägt von Pierre-Joseph Proudhon, 18403) und selbstverständlich in postmarxistischen Diskursen auch heute noch eine Gesellschaftsordnung angeprangert wird, die das Privateigentum als eines ihrer höchsten Güter schützt, so scheint die Historizität und die Kontingenz (also das auch anders möglich sein) unseres Umgangs mit Eigentumsansprüchen in der breiten Öffentlichkeit kaum reflektiert zu werden. Dass im Laufe des 20. Jahrhunderts sämtliche Versuche einer radikalen Aufhebung des Privateigentums an eben jeder Habgier und Machtsucht gescheitert sind, die sie eigentlich zu überwinden trachteten, verleiht den geltenden Eigentumsverhältnissen wohl eine Aura des Naturgegebenen und Unantastbaren. Vorläufig, oder sollen wir sagen, noch, scheinen die geltenden Herrschafts- und Ungleichheitsverhältnisse weitgehend unangefochten und auch all jene, die sich für eine gerechtere Gesellschaft einsetzen, müssen im ersten Schritt von diesen Verhältnissen ausgehen.

Vom Brauchen und Gebrauchen

Tatsächlich gilt es hier aber eine – meiner Meinung nach – viel wichtigere Frage zu klären. Nämlich die des legitimen Gebrauchs von Eigentum. Wem ein Gut gehört, kann als letztendlich zweitrangig erachtet werden, wenn seine Bestimmung respektiert wird und zwar in dem Sinne, dass jeder der es braucht, auch davon Gebrauch machen kann. Deshalb plädiere ich für eine Entkoppelung der Nutzungsrechte von den Eigentumsrechten. Die Tatsache, dass ein Gut einer bestimmten Person formell gehört (und in einem Grundbuch als das alleinige Seinige eingetragen ist), steht dem Glück und den Lebenschancen anderer nicht entgegen, wenn diese nicht alleine deshalb von seiner Nutzung bzw. seinem Gebrauch ausgeschlossen sind.

Derzeit ist jedoch, selbst im reichen Luxemburg, der Gebrauch und die Nutzung lebenswichtiger Güter für viele Menschen unerreichbar. Ob nun die Nutzungsgebühren zu hoch und die Nutzungsbedingungen übersteigert sind, oder ob es dem potentiellen Nutznießer einfach an ausreichenden Mitteln zu ihrer Erfüllung mangelt, ist lediglich eine Frage der Perspektive. An beiden Schrauben lässt sich drehen. Soziale Ungleichheit scheint (auch wenn Rousseau das anders sah) dem Zusammenleben von Menschen innezuwohnen. Dennoch sollte als Minimalbedingung für eine wünschenswerte und lebenswerte Gesellschaft gelten, dass jeder Mensch zumindest seine Grundbedürfnisse befriedigen kann (dazu gehört unter anderem auch menschenwürdiges Wohnen). Dies ist derzeit hierzulande nicht der Fall.

Vom Missbrauchen

Auf dem anderen Ende der Bedürftigkeitsskala besteht eine Extremform der freien Verfügungsgewalt über Eigentum darin, dieses einer möglichen Nutzung vorzuenthalten und in einem Akt der profitorientierten Zweckentfremdung das Angebot des betroffenen Gutes zu verknappen. Hier findet eindeutig Missbrauch von Eigentum statt. So sehr ein Staat als „Nachtwächter“ auch auf den Schutz von Privateigentum angesetzt wird, so müsste er doch mit derselben Rigorosität gegen seinen Missbrauch einschreiten.

Im Bereich des Eigentums an Grundstücken und Immobilien kann man in Luxemburg aber genau diesen Missbrauch in immer stärkerem Ausmaß beobachten.

Viele Eigentümer von Bauland führen dieses nicht seiner Bestimmung, der Bebauung und Schaffung von dringend benötigtem Wohnraum, zu. Statt es selbst zu bebauen oder an einen öffentlichen oder privaten Bauträger zu verkaufen, missbrauchen sie ihren Grund als Kapitalanlage und enthalten dem Markt damit das gebrauchte Gut, was zusätzlich zu einer Verknappung führt. Gleiches gilt für die schätzungsweise 10 000 – 20 000 leerstehenden Wohnungen hierzulande.

Seit einiger Zeit ist zudem noch eine neue Praxis von Profitmaximierung auf Kosten der Wohnungssuchenden zu beobachten, die man mit dem Schlagwort: „Kapitalflucht in den Leerstand“ bezeichnen könnte. Unter vorgehaltener Hand berichten Bauträger von einem neuen Geschäftsmodel, das an Perversion kaum zu überbieten ist. Investoren beteiligen sich an Bauprojekten und erwerben Wohnungen, die sie ganz bewusst zehn Jahre leerstehen lassen, um sie dann mit Gewinn als „Erstbezug“ verkaufen zu können. Ein sicheres und profitables Geschäft. Der Investor nutzt die zehnjährige Garantie des Bauträgers aus und kommt durch den Leerstand (und dem damit verbundenen Mietausfall) zudem noch in den Genuss von Steuervorteilen:
Sind die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung negativ (d.h. übersteigen die absetzbaren Ausgaben im Zusammenhang mit dem vermieteten Objekt die Einnahmen), können sie mit Einkünften des Steuerpflichtigen aus anderen Einkunftsarten (z.B. beruflichen Einkünften) verrechnet werden.4 Nach zehn Jahren wird die Wohnung dann mit Gewinn zum Marktpreis verkauft.

Solche Praktiken werfen die Frage auf, wie weit die Freiheit eines Privateigentümers gehen darf. Bis zu welchem Punkt ist Eigentum schützenswert? Ab wann wird ein staatliches Eingreifen zum Schutz der Lebenschancen der Menschen in unserer Gesellschaft, und damit zur Verteidigung einer lebenswerten Gesellschaft unabdingbar?

Es lohnt sich hier, einen Blick auf ein Konzept der Katholischen Soziallehre zu werfen.

Von der universellen Bestimmung der Güter

Die Katholische Soziallehre sieht sehr wohl ein Recht auf Privateigentum vor (vgl. Rerum Novarum 45). Jedoch darf „dieses Recht nie als absolut und unantastbar betrachtet“ werden, sondern nur „im umfassenden Rahmen des gemeinsamen Rechtes aller auf die Nutzung der Güter der Schöpfung insgesamt“. Das „Recht auf Privateigentum“ ist „dem gemeinsamen Recht auf Nutznießung untergeordnet, als untergeordnet der Bestimmung der Güter für alle“ (Laborem Exercens 146).

Das „Naturrecht“ auf persönliches Eigentum bleibt hier also immer der universellen Bestimmung der Güter untergeordnet.
Dieses Prinzip leuchtet auch unabhängig von einem katholischen Glaubensbekenntnis ein. Unabhängig davon, wer als Schöpfer verehrt wird: solange der Humanismus ein gesellschaftlicher Grundwert bleibt (und dazu bekennt sich jeder Staat, der die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterschrieben hat!), müssen die lebensnotwendigen Früchte der Schöpfung allen Menschen zugänglich sein.

Die Idee der universellen Bestimmung der Güter, verbunden mit der Einhaltung der Menschenrechte, könnte eine Ausgangsbasis für eine Reihe von Maßnahmen darstellen, die der Gier von Berufs-Eigentümern allgemein verträgliche Grenzen setzt. Ein derart fundierter Kampf gegen den Missbrauch von Eigentum müsste eigentlich für alle politischen Lager ein Grundanliegen sein.

Vom Ende der zügellosen Kapitalvermehrung

So oder anders wird kein Weg daran vorbeiführen, die Eigentümer in die Pflicht zu nehmen. Leerstand darf nicht rentabel sein. Was die Versorgung der Menschen mit Wohnraum betrifft, hat der Markt nachweislich versagt. Es gibt also keinen Grund mehr, weiter auf die Luftschlösser des Neoliberalismus zu bauen. So sollten Eigentümer, die ihre Grundstücke und Wohnungen dem Markt vorenthalten, mit derart hohen Steuern und Bußgeldern belastet werden, dass sie ihrem Vermögen beim Dahinschmelzen förmlich zuschauen können.

Werden die betreffenden Grundstücke dennoch nicht bebaut, so müssen sie nach einem vernünftigen Zeitraum an einen öffentlichen Bauträger zwangsverpachtet werden. Dieser hätte die Aufgabe, sie zu entwickeln, die Wohnungen günstig zu vermieten und dem Eigentümer aus den Einnahmen eine Pacht zu entrichten.

Zudem sollten Obergrenzen für Mieten eingeführt werden. Die Mietpreise sollten sich an den Einkommen der Menschen orientieren und nicht dem freien Markt überlassen werden: Jeder sollte mit seiner Familie in einer angemessenen Wohnung leben können.

Es gilt eine Grundsatzentscheidung zu treffen. Was ist uns heiliger? Das Recht und die Freiheit einiger weniger zu zügelloser Kapitalvermehrung oder das Recht aller auf ein Leben in Würde?

1 Marcus Tullius Cicero (51 v. Chr): De legibus.

2 Jean-Jacques Rousseau (1755): Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes.
3 Pierre-Joseph Proudhon (1840): Qu’est ce que la propriété? Ou recherches sur le principe du droit et du gouvernement.
4 http://www.guichet.public.lu/citoyens/de/loge- ment/location/proprietaire-bien-location/declarer- revenu-location-bien/index.html [12.03.17]
5 Papst Leo XIII (1891): Rerum Novarum.

6 Papst Johannes Paul II (1981): Laborem exercens.

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