- Gesellschaft, Wissenschaft
Mit Mythen aufräumen
Unterrichtssprachen im enseignement secondaire technique
Pünktlich zum Schulanfang öffnet die neue staatliche Europaschule in Differdingen ihre Türen. Die Schüler dieser internationalen Schule können ihre Grundschulausbildung entweder auf Englisch oder Französisch absolvieren und daneben noch eine zweite Sprache, u.a. Portugiesisch, erlernen. Die Sekundarschule bestreiten sie in der von ihnen gewählten Hauptsprache und lernen als dritte Fremdsprache wahlweise Französisch, Deutsch, Englisch oder Portugiesisch. Darüber hinaus haben sie die Möglichkeit, Grundkenntnisse in einer weiteren, vierten europäischen Fremdsprache aufzubauen. Der Erwerb des Luxemburgischen ist in der Grundschule und in den unteren Klassen dieser Sekundarschule Pflicht.1 Diese internationale öffentliche Schule ist ein Versuch, sich gegenüber Mehrsprachigkeitskonstellationen, die in der luxemburgischen Gesellschaft bestehen, zu öffnen.
Die Sprachenpolitik in Luxemburg verläuft seit jeher zu einem bedeutenden Teil über das Bildungssystem. Hier wird die Mehrsprachigkeit à la luxembourgeoise, die auf die Ausbildung annähernd muttersprachlicher Kenntnisse in den Sprachen Deutsch und Französisch ausgerichtet ist, stabil gehalten und reproduziert. Werden neue Mehrsprachigkeitskonstellationen in Bildungsprogramme integriert, so verändert dies auch die Sicht auf diese luxemburgische Dreisprachigkeit, die dann zu einer möglichen Mehrsprachigkeit neben anderen wird. Die politische Entscheidung, welches Fach in welcher Sprache unterrichtet wird und welche Sprache in der Schule mehr Gewicht erhält, wirkt sich auf den Status der Sprachen im Land insgesamt aus. Dies erklärt, weshalb Bildungsreformen zäh sind. Die Etablierung des Portugiesischen als Schulsprache in Differdingen ist also ein deutliches Statement bezüglich der Bedeutung dieser Sprache im Land – die Betonung, dass Luxemburgisch als Integrationssprache für alle Schüler obligatorisch ist, ebenso.
Dem luxemburgischen Schulsystem wurde immer wieder vorgehalten, konträr zu den gesellschaftlichen Entwicklungen zu funktionieren und Schüler mit Migrationshintergrund wegen der hohen Sprachanforderungen und des traditionell hohen Stellenwerts der Unterrichtssprache ‚Deutsch‘ zu benachteiligen. Im Medien- und Fachdiskurs hält sich der Eindruck, dass die beiden regulären Sekundarschulsysteme in Luxemburg, classique und technique, über zwei entgegengesetzte sprachliche Ausbildungswege verfügen, wovon der eine tendenziell eher ‚französisch‘ und der andere eher ‚deutsch‘ ausgerichtet ist. Während am Gymnasium der französischen Sprache nach und nach mehr Bedeutung zukommt, dominiert – so die verbreitete Annahme – am Lycée technique bis hin zum Abitur weiter die Unterrichtssprache Deutsch. Die Dominanz dieser Sprache im technique hatte in der Tat lange Bestand und war wie geschaffen für eine rein luxemburgischsprachige Schulpopulation: Während die Gymnasiasten sich in der ‚Prestigesprache‘ Französisch Wissen aneignen sollten, wurde den Schülern des technique das Fachwissen größtenteils auf Deutsch vermittelt, das traditionell aufgrund seiner Nähe zum Luxemburgischen als die ‚einfachere‘ Bildungssprache angesehen wurde.
Fachwissen auf Deutsch, Berufskommunikation auf Französisch
In Luxemburg wurde Sprachwissen schon immer nicht nur im Sprachunterricht, sondern in allen Fächern vermittelt. Dem Schulsystem steht der Zugang zum deutschen und französischen Lehrbuchmarkt offen. Schlussendlich entscheidet sich nicht selten am gewählten Lehrbuch, ob das Fachwissen auf Deutsch oder Französisch vermittelt wird. Daneben wird darauf geachtet, dass in den regulären Klassen beide Sprachen gleichwertig unterrichtet werden, da sie zu den Landessprachen gehören.
An der technischen Sekundarschule werden Deutsch und Französisch als Arbeitssprachen verwendet und übernehmen dabei spezifische Funktionen. Wie am klassischen Gymnasium wird ab der 7. Klasse das Fach Mathematik auf Französisch unterrichtet. In den übrigen Fächern (außer Englisch und Französisch) bleibt Deutsch, wie im classique bis Ende der neunten Klasse die Unterrichtssprache. Danach ändert sich auch im technique die Sprachenaufteilung. Anders als im classique wird das Deutsche in jenen Fächern Unterrichtssprache bleiben, in denen es um die Vermittlung von Fachwissen, Arbeitsprozesswissen und um die Aneignung manueller Handlungskompetenzen geht – also jene, in denen weniger die Alltags- und Berufskommunikation im Vordergrund steht. So werden beispielsweise die Hauptfächer der Technikerausbildung (Elektrotechnik, Technologie u.a.) und die Hauptfächer der Ausbildung zum technischen Zeichner auf Deutsch unterrichtet. Die Ausbildung zum Ingenieur, Erzieher (éducateur) und Krankenpfleger ist traditionell auch eher deutschsprachig ausgerichtet.
Die Bedeutung der deutschen Sprache für soziale Berufe ist generell hoch und hängt mit der Erwartungshaltung der Gesellschaft zusammen, dass Pflegepersonal und Mediziner über Mindestkenntnisse in der luxemburgischen Sprache verfügen sollen.2 Das Französische tritt im technischen Sekundarunterricht dort an die Stelle des Deutschen, wo der Erwerb kommunikativer Handlungskompetenzen im Vordergrund steht. Alle Fächer, die im technique auf Verwaltungsaufgaben vorbereiten, sind auf Französisch. Sie bereiten auf die Praxis in Berufsfeldern vor, in denen in Luxemburg die französische Sprache dominiert.
Alternativen auf Französisch
So unflexibel wie das herkömmliche Sys-tem oft dargestellt wird, ist es nicht mehr. Die Sprachanforderungen im technique haben sich in den letzten 30 Jahren mit der anhaltenden Migration und Bedeutung des Französischen für die Funktionsweise von Wirtschaft und Gesellschaft zunehmend verändert. Probleme im Umgang mit der deutschen Sprache sind ab der siebten Klasse des technique nur noch selten der Hauptgrund für ein schulisches Scheitern. In den meisten Realschulen funktioniert ab der 7. Klasse ein Förderunterricht in deutscher und französischer Sprache. So bietet zum Beispiel das Lycée du Nord (LN) in Wiltz von der siebten bis zur neunten Klasse Sprachunterricht für Fortgeschrittene und Basis- bzw. Förderunterricht auf Anfängerniveau in beiden Sprachen an. Hier bilden Schüler, die aus der Grundschule kommen und Schwierigkeiten im Umgang mit der deutschen Sprache haben, eine Klasse. „In solchen Klassen arbeitet nicht nur der Deutschlehrer intensiv am Sprachstand, sondern auch die Lehrer der anderen Fächer berücksichtigen bei ihrer Bewertung die entsprechenden sprachlichen Schwächen in der Unterrichtssprache“, erklärt die Direktionsleitung des LN.
„Hinzu kommt, dass sich die Anforderungen in den Sachfächern verändert haben. In einem Fach wie Geschichte wird heute etwas anderes verlangt als noch vor zehn Jahren.“ Früher sei es vor allem ein Lernfach gewesen, in dem Wissen abgefragt wurde und man sich mit guten Sprachkenntnissen hervorragend verkaufen konnte. Heute würden die Akzente auf unterschiedliche Kompetenzen gelegt werden, wovon Eloquenz nur eine darstelle. „Schüler müssen Dokumente analysieren können und Karten auswerten. Um eine historische Quelle zu verstehen und zu analysieren, reichen Grundkenntnisse im Deutschen aus und über diese verfügt wirklich die überwiegende Mehrheit der Schüler. Wenn Schüler in Nebenfächern scheitern, ist es selten allein aufgrund der deutschen Sprache. Sie kann eine zusätzliche Barriere sein, aber oft sind diese Schüler auf die falsche Sekundarstufe orientiert worden“, so die Direktionsleitung.
Zudem seien die portugiesischen Schüler besser im Deutschen als ihr Ruf. Das luxemburgische Sprachsystem diene ihnen notfalls als Hilfe, um Wortschatzlücken zu schließen und Syntaxunsicherheiten zu umgehen. Augenblicklich fände hier auch ein Generationswechsel statt. Die Eltern sprächen oft Luxemburgisch, die Sprache würde in der Familie verwendet und die Kinder hätten aufgrund einer luxemburgisch-deutschen Mediensozialisation schon früh Kontakt zur deutschen Sprache. Sicher gelten diese Voraussetzungen nicht für alle Schüler mit Migrationshintergrund und nicht für alle Regionen des Landes: Für junge Migranten, die aktuell nach Luxemburg kommen, ist das Deutsche oft eine fremde und schwer zugängliche Sprache.
Das Lycée Technique du Centre (LTC) war 1989 die erste Realschule, die Klassen einführte, in denen Französisch und nicht Deutsch als Unterrichtssprache im technique verwendet wurde und die erste Schule, die einen Deutsch-als-Fremd-
sprache-Unterricht in Luxemburg einrichtete. Anfangs bestand das Angebot nur für die ersten drei Ausbildungsjahre des enseignement secondaire technique (7., 8. und 9. Klasse), 1999 wurde es bis zum Abitur hin erweitert.3 Mittlerweile ist das Angebot dieser Klassen, die von der traditionellen Sprachenausbildung in Luxemburg abweichen, ausgebaut worden. So besteht am LTC, am Athenée du Luxembourg und an der internationalen Schule in Differdingen die Möglichkeit, das internationale Abitur (bac international) auf Gymnasialstufe in Englisch oder Französisch abzulegen.4
In zwei Lycée technique (LTC, LTE) funktionieren so genannte Integrations- bzw. Insertionsklassen. Hier können Schüler im Alter von 12 bis 15 Jahren, die erst seit einiger Zeit in Luxemburg leben (maximal fünf Jahre), relativ gute Französisch- und solide Mathematikkenntnisse, jedoch kaum oder keine Deutschkenntnisse haben, während drei Jahren einen intensiven Unterricht in der deutschen Sprache erhalten.5 In 15 Lyzeen bestehen so genannte Aufnahmeklassen (classes d’accueil) für Schüler, die im laufenden Schuljahr nach Luxemburg einwandern und keine oder kaum Französischkenntnisse mitbringen.6 In diesen Klassen lernen sie intensiv Französisch und Luxemburgisch und besuchen im Anschluss die für sie passende weiterführende Schule. Weiterhin gibt es in fünf Lycée technique die Möglichkeit, eine 7e modulaire francophone zu besuchen.7 Schüler, die allgemein leistungsschwach sind, jedoch gute Französischkenntnisse aufweisen, erhalten hier die Möglichkeit, die Hauptschule auf Französisch zu absolvieren. Schlussendlich findet man FR-Klassen, in denen die gesamte Ausbildung auf Französisch absolviert werden kann, bislang nur im Süden des Landes (LTC, Lycée Technique Matthias Adam, Uelzecht-Lycée).8
Das luxemburgische Sekundarschulsys-tem hat sich insgesamt, wenn auch schleichend, an die gesellschaftlichen Herausforderungen angepasst. Es besteht ein vielseitiges Angebot für Schüler, die eine spezifische Sprachförderung benötigen und für die das reguläre technique aufgrund der geforderten Deutschkenntnisse schwer zu bewältigen ist. Mit der seit langem stockenden Sekundarschulreform wird dieses Angebot aller Voraussicht nach weiter ausgebaut. Leider fehlt es oft an einer effektiven Kommunikation: Die Möglichkeiten sind nicht immer bekannt und könnten regional noch gleichmäßiger verteilt sein.
NB: Die Autorin bedankt sich bei der Direktionsleitung des LN in Wiltz für wertvolle Hinweise zur Spracharbeit im technique.
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