Multikulti-Liebe

Interkulturelle Partnerschaft im Zeitalter von Globalisierung und Mobilität

Im modernen Zeitalter der Migration, Globalisierung und der digitalen Medien entstehen neue Beziehungsformen, die das Leben vieler Menschen beeinflussen. Dies ist in verschiedenen Regionen der Welt zunehmend zu beobachten, vor allem aber in westeuropäischen Ländern. Das kleine, kulturell vielfältige, offene und tolerante Land Luxemburg spiegelt die Folgen der Migration und Globalisierung in all ihrer Komplexität und all ihren Facetten wider: Hier leben Menschen mit unterschiedlichen Nationalitäten, Kulturen, Religionen, Hautfarben. Sie arbeiten gemeinsam, schließen Freundschaften, verlieben sich und heiraten und/oder gründen eine Familie.

Folglich entsteht auch eine Vielzahl an Paarkonstellationen, welche als binationale, bikulturelle, interkulturelle, transkulturelle, transnationale oder gemischte Partnerschaften bezeichnet werden können. In den offiziellen Statistiken wird diese Vielfalt nicht dargestellt, da bei der Eheschließung nur die Dimension der Staatsangehörigkeit erfasst und meist die Bezeichnung binationale Partnerschaft verwendet wird. Weitere kulturelle, religiöse oder ethnische Dimensionen werden dabei kaum berücksichtigt. In diesem Artikel wird der Begriff der „interkulturellen Partnerschaft“ begünstigt, da sich alle Paarkonstellationen in ihren Herkunftskulturen unterscheiden. Für eine gelungene Beziehung zwischen Partnern unterschiedlicher Herkunft ist interkulturelle Kompetenz eine Grundvoraussetzung. Basierend auf einer wertschätzenden, offenen und toleranten Haltung anderen Kulturen gegenüber ergibt sie sich in einer Partnerschaft nicht von selbst, sondern entwickelt sich in einem langwierigen Lernprozess.

Kultur und Psyche sind untrennbar verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Kultur ist sinnstiftend und stellt für den Menschen ein maßgebliches Orientierungssystem dar: Die vermittelten Lebenskonzepte und Überzeugungen beeinflussen das Denken, Fühlen und Handeln. Dabei spielt Sozialisation eine wichtige Rolle, denn sie prägt die Wertesysteme und formt die Persönlichkeitsstruktur des Individuums. Während der Sozialisation internalisiert das Kind die Form der Interaktion der Eltern mit dem sozialen Umfeld. Diese schafft die Grundlage für das Wertesystem der Kinder und dient als Orientierung im Umgang mit verschiedenen sozialen Gruppen. Im Erwachsenenalter bildet sie die Basis für Offenheit, Toleranz und wertschätzende Haltung gegenüber Minderheiten und Subkulturen.

Sind nicht alle Beziehungen interkulturell?

„Von weitem her sehen alle Bäume des Waldes gleich aus und harmonieren miteinander, je näher man sich allerdings dem Wald nähert, umso klarer werden die Unterschiede zwischen den Bäumen.“ (afrikanisches Sprichwort)

In den meisten Gesellschaften gibt es grundlegende sozialisierte Wertesysteme und Überzeugungen, die von der Mehrheit der Mitglieder allgemein geteilt und vertreten werden. Beispiele sind das Chris-tentum im Westen oder der Islam in arabischen Ländern. Schaut man sich allerdings ein geteilt-akzeptiertes Wertesys-tem innerhalb einer Gesellschaft genauer an, wird schnell klar, wie unterschiedlich die Prägung, das Verständnis und die Interpretation ein und desselben Wertesys-tems sein können. Unter Christen wird z.B. zwischen Katholiken, Protestanten, Orthodoxen, Baptisten, Freikirchen bis hin zu sog. Sekten unterschieden. Unter Muslimen kennen wir beispielsweise Sunniten, Schiiten, Salafisten. Aufgrund der vorhandenen Variabilität können sich auch innerhalb einer Kultur interkulturelle Paare bilden, etwa wenn Menschen aus unterschiedlichen Schichten innerhalb einer Gesellschaft zusammen finden. Sind folgende Partnerschaften also nun mono- oder interkulturell? Die Ehe zwischen einem Katholiken und einem Protestanten? Die Ehe zwischen einem Chefarzt und einer Verkäuferin mit niedrigem sozioökonomischem Hintergrund? Die Partnerschaft zwischen einer Akademikerin und einem Bauarbeiter? Die Beziehung zwischen einem Veganer und einem „Alles-Esser“?

Im Gegensatz zu einer interkulturellen wird eine monokulturelle Partnerschaft idealtypisch als eine Partnerschaftsform verstanden, in der das Paar in all seinen Konzeptionen übereinstimmt. Dementsprechend ist das Paar in einem kulturellen Kontext aufgewachsen und sozialisiert worden, hat eine gemeinsame Sprache, die beide gut beherrschen, teilt ein gemeinsames historisches und soziales Gedächtnis, hat identische Bedürfnisse und Wünsche, weist u.a. die gleichen Persönlichkeitsprägungen, Bindungsmuster, Konzeptionen von Partnerschaft und Erziehung auf. Da dies realistisch betrachtet niemals der Fall sein kann, können wir subsumieren, dass fast jede Partnerschaft interkulturell ist.

Latentes Konfliktpotenzial

Interkulturelle Paare unterscheiden sich von monokulturellen in vielen Hinsichten. Der Kontext des Aufwachsens und der Sozialisierung ist anders, die Partner haben keine gemeinsame Sprache, die sie gleich gut beherrschen, kein gemeinsames historisches und soziales Gedächtnis und unterschiedliche Konzeptionen von Partnerschaft, Erziehung, Religion sowie Weltanschauung. Somit müssen sich interkulturelle Paare nicht nur mit den klassischen Beziehungsthemen auseinandersetzen, sondern auch mit den soeben genannten Aspekten.

Meist wird die Dynamik interkultureller Partnerschaften bereits in der Anfangsphase durch asymmetrische Machtverhältnisse belastet. Ein Großteil dieser Paare muss wegen einer etwaigen fehlenden Aufenthaltserlaubnis schnell heiraten, um zusammenleben zu können. Dadurch wird die Kennenlernphase verkürzt. Zwingend muss der eingewanderte Partner alles in seinem Heimatland aufgeben und sich zusätzlich  von heute auf morgen auf eine neue Kultur einstellen, die Sprache lernen, einen Job finden und seine Gewohnheiten komplett umstellen. Oftmals ist die eingewanderte Person zu Beginn finanziell abhängig und damit auf den einheimischen Partner angewiesen. Da seine Berufsabschlüsse und Qualifikationen oft nicht anerkannt werden, ist es in der Regel schwierig einen Job zu finden, der seinen Qualifikationen entspricht. Somit entsteht eine objektive „Machtasymmetrie“ zu Gunsten des Partners ohne Migrationshintergrund. Diese Asymmetrie löst meist Gefühle der Frustration, Minderwertigkeit und Abhängigkeit bei dem eingewanderten Partner aus und stellt eine erhebliche Herausforderung für die Beziehung dar.

Interkulturelle Paare werden durch die Mehrheitsbevölkerung auch oft mit Zuschreibungen sowohl positiver als auch negativer Art versehen, reichend von Vorurteilen, subtiler Ablehnung bis hin zur Diskriminierung. Vorurteile häufen sich, wenn der eingewanderte Partner aus einem ärmeren „Entwicklungsland“ kommt. Gerade Letzterem wird automatisch unterstellt, er habe nur aus wirtschaftlichen Gründen geheiratet. Dabei werden kulturelle Unterschiede hinsichtlich des Alters in der Partnerwahl komplett ausgeblendet und ignoriert. Generell gilt: Je ärmer das Land aus dem der Partner kommt, umso stärker die Unterstellung, was wiederum zu subtiler Ablehnung in der Familie und im Freundeskreis führen kann, bis hin zur offenen Diskriminierung, die ihrerseits die Partnerschaft belastet.

Ähnliche Vorurteile können aber auch innerhalb der Mehrheitsgesellschaft beobachtet werden, wenn die Partner beispielsweise aus unterschiedlichen sozialen Schichten kommen.

Höhere finanzielle Belastungen können eine zusätzliche Herausforderung darstellen. Die eingewanderte Person muss regelmäßig ihre Herkunftsfamilie finanziell unterstützen, das Paar regelmäßig teure Reisen finanzieren, um die Herkunftsfamilie zu besuchen, und, damit das Paar im Heimatland gut dasteht, teilweise Projekte wie Hausbau planen und finanzieren. Solche finanziellen Ausgaben sind für den eingewanderten Partner aus einer kollektivistischen Kultur selbstverständlich, stoßen allerdings bei demjenigen ohne Migrationshintergrund oft auf Unverständnis. Auch hier können ähnliche Herausforderungen in monokulturellen Partnerschaften entstehen, wenn z.B. Unterhaltszahlungen an Kinder aus erster Ehe, Eltern oder Ex-Partner geleistet werden müssen.

Die Beziehung zu den Herkunftsfamilien gestaltet sich umso schwieriger, je größer die soziokulturellen Unterschiede sind. Das ist vor allem der Fall, wenn ein Partner aus einer eher kollektivistischen, z.B. afrikanischen oder asiatischen, Kultur kommt. Hier wird die Bedeutung von „Familie“ breiter gefasst, nämlich als Großfamilie, in der auch Großeltern, Tanten, Onkel usw. eine aktive Rolle spielen und in wichtigen Entscheidungsprozessen einbezogen werden. Der europäische Partner hingegen ist eher durch eine individualistische Kultur geprägt und dadurch an der Kleinfamilie orientiert. Durch die unterschiedlichen Konzeptionen in Bezug auf den Umgang mit der jeweiligen Herkunftsfamilie besteht Konkliftpotenzial. Dieses Risiko ensteht insbesondere dadurch, dass in reichen Industrienationen familiäre Zugehörigkeiten eher mit Emotionalität, Liebe und Anerkennung assoziiert werden, während – auch wegen der Hoffnung der Herkunftsfamilie auf Verbesserung ihrer sozialen Lage – Emotionalität, Liebe und Anerkennung mehr durch materielle und finanzielle Unterstützung ausgedrückt wird. Ernsthafte Kontroversen entstehen bei vielen interkulturellen Paaren aufgrund unterschiedlicher Erziehungskonzepte. Oft setzt sich der Partner ohne Migrationshintergrund durch, da die Kinder durch die Kultur, in der sie leben, geprägt und beeinflusst werden. Das kann wiederum dazu führen, dass der eingewanderte Partner sich übergangen fühlt und mit subtiler Kränkung und Resignation reagiert. Langfristig kann dies allerdings zu einer permanenten Anspannung in der Familie führen.

Im Alltag nehmen sich interkulturelle Paare selbst nicht permanent als solche wahr. Vielmehr werden kulturelle Unterschiede in konkreten Situationen bewusst eingesetzt, um die eigene Position zu rechtfertigen und zu legitimieren. Z.B. wenn ein nigerianischer Ehemann seine „Kultur“ einsetzt, um seine Unpünktlichkeit gegenüber seiner Frau zu rechtfertigen („Schatz ich habe dir immer wieder gesagt, dass bei uns in Nigeria Zeit relativ ist…“). Folglich wird die Paardynamik durch mangelnde Kompromiss- und Veränderungsbereitschaft belastet. In monokulturellen Partnerschaften lassen sich ähnliche Phänomene beobachten, wenn Geschlechterrollen oder Regionalkultur instrumentalisiert werden. Sobald Kultur und Geschlechterrollen in einer Partnerschaft permanent als Erklärungs- und Rechtsfertigungsversuch eingesetzt werden, behindern diese die Auseinandersetzungen mit den eigentlichen Konfliktthemen des Paares.

Instabilität wird in interkulturellen Partnerschaften auch durch Rückkehrphantasien des eingewanderten Partners verursacht. Die Rückkehrphantasien hängen zum einen von der Qualität der Beziehung und zum anderen von der Anpassungsfähigkeit des eingewanderten Partners ab. Verstärkt werden die Phantasien, wenn die Beziehung als konfliktbehaftet und unbefriedigend erlebt wird. Belastungs-situationen, etwa wenn der eingewanderte Partner Schwierigkeiten hat, sich beruflich zu integrieren, die Sprache zu erlernen, Freunde zu finden und vor allem, wenn er das Gefühl hat, abgelehnt und diskriminiert zu werden, verstärken die Sehnsucht nach der Heimat. Das Verlangen nach Liebe, Zuwendung, Anerkennung und sozialer Zugehörigkeit kann allmählich und langfristig zu einer Idealisierung des Heimatlandes führen, was wiederum die Rückkehrphantasien verstärkt. Das Phänomen äußert sich darin, dass der Betroffene oft extrem betont, wie schön und angenehm alles in seinem Heimatland ist: Das Essen ist besser, die Frauen sind schöner, die Menschen sind netter usw. bis dahin, dass das Wasser besser schmeckt. Als Konsequenz lebt der eingewanderte Partner zunehmend in seiner Phantasiewelt und investiert kaum noch in seine Partnerschaft. Somit verpasst er im Hier und Jetzt die Möglichkeiten im Gastland, seine Bedürfnisse und Lebensziele zu verwirklichen. Er steht sich sozusagen selbst im Weg. Natürlich kann dies auch in einer monokulturellen Partnerschaft passieren, beispielsweise wenn sich in einer „rein“ luxemburgischen Beziehung ein Partner an seinen Geburtsort und die Gegend in der er sozialisiert worden ist, zurücksehnt.

Kommunikation in mono- und interkulturellen Partnerschaften

Kommunikation wird als „Motor“ der zwischenmenschlichen Beziehungen angesehen. Sie spiegelt zum Großteil die Qualität der Beziehung zwischen zwei Menschen wider, aber vor allem im inter-kulturellen Kontext spielt die Sprache als wichtigstes Kommunikationsmittel eine entscheidende Rolle. Schwierig ist es besonders dann, wenn der eingewanderte Partner seine Muttersprache aufgibt und die Sprache des Partners erlernen muss, um miteinander kommunizieren zu können. Es kann aber auch sein, dass beide Partner in einer Fremdsprache kommunizieren müssen, die einer der Partner besser beherrscht. In beiden Fällen ist die Verständigung asymmetrisch und führt langfristig zu Missverständnissen und Frustration auf beiden Seiten. Allgemein ähneln sich die Kommunikationsthemen in den meisten Partnerschaften.
Die Komplexität und Schwierigkeit in der Kommunikation wird in interkulturellen Partnerschaften jedoch durch zusätzliche Faktoren wie Kultur, Religion, Nationalität, Ethnie, Hautfarbe, Normen und Traditionen verstärkt. Daraus können auch Missverständnisse, in Form von Ethnozentrismus, als Folge der unterschiedlichen Sozialisation entstehen. Durch diesen Blickwinkel werden Überzeugungen, Verhaltensweisen und Wertesysteme der eigenen Kultur als normal, natürlich und gut betrachtet, während die der anderen sozialen Gruppen nach dem Maßstab der eigenen Kultur bewertet werden. Je stärker die Abweichung erlebt wird, desto negativer ist die Wahrnehmung und Bewertung der anderen sozialen Gruppe, in Form von Stereotypendenken und Vorurteilen. Wir nehmen also Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund durch unsere „kulturelle Brille“ wahr und bewerten sie danach. Da Ethnozentrismus „unbewusst“ unsere Wahrnehmungen und Verhaltensreaktionen beeinflusst, und somit latent in die Kommunikation einfließt, können daraus schnell Missverständnisse und Entfremdung resultieren.

Interpersonal viel mehr als interkulturell

In meiner Tätigkeit als Psychotherapeut und Paarberater lassen sich kaum Unterschiede zwischen monokulturellen und interkulturellen Paaren hinsichtlich der Konfliktthemen feststellen. Der wesentliche Unterschied ist meiner Meinung nach der interpersonale, welcher auf Bindungsmuster, Primärsozialisation und Persönlichkeitsstruktur zurückzuführen ist.Unabhängig von der Interkulturalität sind neben der Liebe, die zwei Menschen verbindet, die Bereitschaft beider Partner, aktiv und kreativ in die Partnerschaft zu investieren sowie ihre Anpassungsfähigkeit und Kompromissbereitschaft wichtig.

Zufriedene Paare unterscheiden sich von unzufriedenen Paaren in der Art und Weise, wie sie miteinander kommunizieren und auf Konflikte eingehen und nicht durch ihre etwaige Interkulturalität. Liebe wird zwar als Fundament einer Partnerschaft angesehen, sie allein reicht allerdings nicht aus, um eine glückliche Partnerschaft zu führen. Eine erfüllte Beziehung setzt u.a. Kompetenzen wie positive Kommunikation und konstruktive Konfliktkultur sowie Zuwendung, Respekt und Toleranz voraus. Es reicht nicht aus, diese Kompetenzen in der Theorie zu kennen, sie müssen darüber hinaus verinnerlicht werden, um im Alltag achtsam mit dem Partner umgehen zu können. Nicht die Inter- oder Monokulturalität sind entscheidend, sondern Achtsamkeit, Toleranz, Respekt und Kompromissbereitschaft.

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