Einige Wörter würde ich wirklich gerne verbieten, so fragwürdig das jetzt auch klingen mag. Auf Platz eins wäre Gender-Gaga, auf Platz zwei Badelatschen, bei denen ich den Gegenstand gleich mitverböte. Und auf Platz drei stünde ganz klar: das Narrativ. Es ist ein Wort wie diese Grasmilben, die gerade an jedem Halm hängen. An jedem zweiten Satz klebt es und wartet nur darauf, einen mit seiner Vagheit und seinem Schmalspur-Tiefsinn anzutatschen und ganz wund zurückzulassen. Aber mein völlig autoritätsloses Verbot brächte natürlich nichts, würde schlimmstenfalls zum Gegenteil führen und die Verwendung des Wortes in die Hyperinflation treiben.
Stattdessen also: eine Seite Groll gegenüber dem Narrativ, diesem Milbenwort. Was hat es in so vielen Texten zu suchen? Vielleicht ist es nur eine Modeerscheinung, die gestern aufgetaucht ist, um morgen schon zu verschwinden. Vielleicht steckt aber auch mehr dahinter. Und es ist für die, die es so gerne benutzen, ein Ätschibätschi-Move gegenüber den Postmodernen, die doch immerzu auf der Hut waren vor diesen gut klingenden Großworten, mit denen sich angeblich alles im Nu erklären, beschreiben und einordnen lässt. Heute aber glotzen diese Autoren einen dinosauriergleich an: Habt ihr uns wirklich so schnell vergessen?, scheinen sie einem in Anbetracht dieser Texte sagen zu wollen, die traurigen Augen der Ausgestorbenen auf uns gerichtet.
Brachiosaurus und Georges Bataille, Plateosaurus und Thomas Pynchon, Gigantspinosaurus oder Ursula Le Guin: Who cares? Who knows? Who gives a fuck? Die Postmoderne ist Geschichte – okay, damit muss und kann ich klarkommen. Ich will sie auch gar nicht wiederbeleben. Partys, auf denen Leute flirten, indem sie David Foster Wallace oder Rainald Goetz zitieren (oder schlimmer noch: imitieren), waren ein Graus, ein Parkett akademischen Horrors. Da half auch kein zweiter und dritter Boden, der nur eingezogen wurde, um zu zeigen, wie ausgetüftelt der eigene intellektuelle Fun war.
Was aber dann doch und immer mehr fehlt: die Skepsis der Postmoderne vis-à-vis des angeblich Gegebenen sowie die Möglichkeit, Ordnungen und Hierarchien zu hinterfragen. Es ging dabei immer um Pluralitäten, darum, neben-, in- und gegeneinander zu denken, nicht um Nihilismus eines Anything goes, sondern um ein Freiheitsversprechen, sich abseits der Normen einzurichten. Von dieser emanzipativen Arbeit am Uneindeutigen rückt man seit Jahren mehr und mehr ab – auch im Sprachgebrauch. Stattdessen sind sie wieder im Doppel- und Dreierpack zu haben, die starken Begriffe wie das Narrativ, die Authentizität, das Natürliche oder die Realität. Es sind Anpackworte, die mich an hochgekrempelte Hemdsärmel von Politikern erinnern. Sie entlasten einen, sie nehmen einen mit auf den glorreichen Weg des einfachen Denkens und Machens: Auf, auf, das ist der rote Faden, das ist das Problem, das ist die Lösung, das ist doch alles super übersichtlich und evident hier.
Die Dinosaurier aber starren einen noch immer an: Ist es so simpel? Es ist nicht nur ein inhaltliches Argument, sondern ein Einwand gegen eine Form, die nur selten dem analytischen Anspruch gerecht wird, den sie mit ihrer Rhetorik vor sich herträgt. In halbtote Zähne füllt man Gips, in halbtote Texte das Narrativ. Das ist besonders fies, weil dieser Begriff ein Werkzeug des Verstehens sein kann: Wie sind die und die Teile miteinander verknüpft? Wie ergibt sich aus den Einzelheiten ein Ganzes? Aber das kritische Potenzial, das dieser Denkfigur eigen ist, wird kaum genutzt: Wer erzählt hier wem was? Welche Machtverhältnisse sind daran geknüpft? Und ist eine Erzählung nicht immer auch Manipulation, Verschönerung und Auslassung?
In einem Gespräch erzählte der Schriftsteller Herbert Kapfer mal, Friederike Mayröcker habe ihm vor einigen Jahren ihre böse Ahnung mitgeteilt, dass wir längst wieder in der Reaktion, im konservativen Regress sind. Wir hätten es bloß noch nicht gemerkt. Ein wenig Spracharchäologie täte uns vor dem Hintergrund ganz gut, um zu überprüfen, wo man steht, was man so in den Mund nimmt und wohin man unterwegs ist. Und wenn die Grube erst einmal gegraben wurde, kann man sie ja praktischerweise für zweierlei verwenden: das Verschüttgegangene bergen und den Berg an gegenwärtigem Wortschrott (samt der gottverdammten Badelatschen) verschütten.
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