„Natürlich wollen wir auch gehört werden“
Véronique Faber im Gespräch mit forum über den Zustand und die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Senders radio 100,7
forum: In so gut wie jedem Land wurde mit einem öffentlich-rechtlichen Medienangebot begonnen. Erst später kamen Privatsender hinzu. Nun ist in Luxemburg – übrigens auch in den USA – gerade das Gegenteil der Fall. Dieser Vorsprung der Privatsender ist für öffentlich-rechtliche schwer aufzuholen. Ist das etwas, was Ihnen als Präsidentin eines öffentlich-rechtlichen Radiosenders zu denken gibt?
Véronique Faber: Das öffentlich-rechtliche Medienangebot entstand in der Tat erst in den 1990er Jahren, also lange nach dem privaten, kommerziellen Angebot. Ja, Luxemburg hat hier einen anderen Weg eingeschlagen, dennoch verfügen wir heute mit RTL und radio 100,7 über zwei große Nachrichtenredaktionen, die im „Audio“ aktiv sind. In Hinblick auf die Medienvielfalt ist das etwas, das ich sehr begrüße. Die hierzulande gegebenen Umstände müssen wir akzeptieren. Unser Fokus als radio 100,7 ist es, unser Angebot weiter auszubauen. Dank des neuen Gesetzes wird es uns gelingen, über die sozio-kulturelle Nische hinauszuwachsen und allgemeinere Inhalte anzubieten, ohne den sozio-kulturellen Bereich zu vernachlässigen.
Christophe Goossens, der CEO von RTL Luxembourg, versteht unter dem öffentlichen Dienst, „le public le plus large possible“ zu erreichen. Entspricht dies ebenfalls Ihrem Verständnis?
Unser Verständnis des öffentlichen Dienstes fußt darauf, dass wir in der Gesamtheit stets für das Publikum verfügbar sind. Das ist an das europäische Informationsrecht gekoppelt: Wir sind dazu verpflichtet, unsere Informationsmission zu erfüllen und den Zugang zu recherchierten, fundierten, diversen Informationen – nicht nur in Form von Nachrichten, sondern auch von Magazinen – zu erleichtern. Darüber hinaus soll das Musikangebot genauso vielfältig sein und sich nicht bloß auf Hits aus den Charts beschränken. Im Umkehrschluss bedeutet das jedoch nicht, dass wir jeden mit jedem Inhalt, Programm oder Format erreichen können oder erreichen wollen.
Würden Sie behaupten, es gäbe ein Defizit, bestimmte Gruppen zu erreichen?
In der hiesigen Informationsbranche gibt es ein konkretes Defizit, und das hängt mit der spezifischen Sprachensituation in Luxemburg zusammen. In unserem momentanen Set-Up, mit unseren Konventionen und Ressourcen, schaffen wir es nicht, gewisse Zielgruppen zu erreichen. Häufig diskutiert wurde bereits, ob es möglich sei, mehr Menschen über eine und dieselbe Frequenz, aber mehrere Sprachen zu erreichen. Allerdings hat sich erwiesen, dass dies nicht funktioniert, weil man so oder so bestimmte Gruppen ausschließt. Jeder möchte vormittags die Nachrichten hören, das ist aber leider nicht zeitgleich in allen Sprachen möglich. Deshalb sind wir gerade dabei, uns digital breiter aufzustellen und zu prüfen, ob dies nicht eine geeignetere Stelle sein könnte, um mehrsprachige Inhalte gezielt anzubieten. Heute ist es aber nicht mehr so, dass man als Privatperson keinen Zugang zu internationalen Medien hätte. Multilinguale Lokal- und Nationalnachrichten aus Luxemburg sind dennoch Mangelware. radio 100,7 befindet sich nicht allein in dieser spezifischen Landschaft. Das Gemeinschaftsradio ARA ist ebenfalls hier angesiedelt. Dadurch, dass ARA community based ist, ist es auch etwas reaktiver in diesem Bereich.
Warum gibt es keine engere Zusammenarbeit zwischen radio 100,7 und Radio ARA, um beispielsweise das Sprachendefizit gemeinsam anzugehen?
Zumindest im digitalen Bereich könnten wir die Problematik des Sprachdefizits angehen. Indes, eine echte Kollaboration mit Radio ARA wäre ja nicht nur technisch, sondern ebenfalls inhaltlich basiert. Wir wollen aber die Inhalte, die wir in unserer Redaktion erarbeiten, weiterhin nutzen. Bei Radio ARA stammen die Beiträge hingegen aus der Community, was einer völlig anderen DNA als der der öffentlich-rechtlichen entspricht. Inhalte auszutauschen, würde sich also eher schwierig gestalten und unser jeweiliges Publikum verwirren. Lieber überlassen wir den Zuhörern und Zuhörerinnen die Freiheit, mal bei diesem, mal bei jenem Radiosender reinzuhören. Ich begrüße es aber sehr, dass wir die Medienlandschaft komplementär ausmachen. In der letzten Plurimedia-Studie wurde deutlich, dass sich die Medienlandschaft hierzulande doch eher monolithisch gestaltet. Deshalb ist es wichtig, die einzelnen Akteure unabhängig zu betrachten: Bei Radio ARA kommen die (mehrsprachigen) Nachrichten aus der Community, bei uns aus der Redaktion.
Worin sehen Sie Ihre Relevanz als öffentlich-rechtlicher Sender?
Für mich sind wir allein dadurch relevant, dass wir unsere Informationsmission erfüllen und qualitative Informationen über das Geschehen in Luxemburg und diverse Meinungen bieten. Natürlich wollen wir auch gehört werden. Heute reicht es nicht mehr, rein als Radiosender zu bestehen. Die Präsenz im Netz sowie auf sozialen Medien darf ebenfalls nicht vernachlässigt werden. Diese erweitern wir derzeit, um – hoffentlich – mehr Sichtbarkeit in dem großen Wust an Informationen zu bekommen. Was uns fehlt als radio 100,7 ist – wie Sie es bereits angesprochen haben – eine lange Geschichte. RTL war immer der luxemburgische Radio- und Fernsehsender. Ob privat oder nicht, interessierte die Zuhörer oder Zuschauerinnen dabei eher weniger. Der Sender war die Hauptinformationsquelle der Luxemburger. radio 100,7 hingegen feiert kommendes Jahr erst seinen 30. Geburtstag, das ist keine sehr lange Zeit. Wir müssen unseren eigenen Weg einschlagen, um sichtbarer zu werden. Wir wollen gehört werden, wollen aber keine Abstriche bei unseren Inhalten machen, damit sie die breite Masse ansprechen. Deshalb testen wir beispielsweise Panoramas und andere Formate auf Spotify, um unseren Zuhörern und Zuhörerinnen näher zu sein.
Es gibt kein level playing field in Bezug auf Frequenzen und Reichweite: Ein Sender verfügt über die besten Frequenzen, die anderen versuchen mitzuhalten. Wie sieht es aktuell mit dem Projekt DAB+ (digital audio broadcasting) aus?
Wir stehen in den Startlöchern. Im Gesetz gibt es einen Artikel, der uns eine privilegierte Position garantiert. Wir feilen derzeit an der Strategie und führen bereits einige Tests durch. Die Frage ist natürlich, ob oder wie wir es schaffen, im Bereich von DAB+ und im Netz, also einer viel größeren Dimension, unseren Platz zu finden. Unsere Herausforderungen gehen nämlich über die der luxemburgischen Sprache hinaus: Liebhaber klassischer Musik kommen auf der Frequenz zu kurz, anderen ist es hingegen zu viel des Guten. Deshalb möchten wir beispielsweise ein Webradio für klassische Musik anbieten. Außer zu bestimmten Zeiten, am Frühstückstisch oder auf der Fahrt zu Arbeit, wird weniger linear Radio gehört. Die Menschen sind heute content-orientierter und rufen punktuell das ab, was sie wollen. Dabei handelt es sich um eine irreversible Tendenz.
Welche Musik läuft auf Ihrer Antenne? Welche Strategie verfolgen Sie mit Ihrer Auswahl?
Die Musikauswahl in den Informationssendungen ist nicht aufregend, im Sinne von störend. Vielleicht trauern einige dem SWR2-Modell nach, bei dem die Inhalte noch gemischter waren und in ein und derselben Stunde ein klassisches Stück, ein Jazz- und ein Pop-Song ausgestrahlt wurden. Als Sender haben wir uns jedoch ganz bewusst dagegen entschieden. Wir möchten eine angenehme, ruhige Stimmung kreieren, die vormittags vielleicht etwas dynamischer ist und im Laufe des Tages etwas herunterschaltet. Mit der Musik möchten wir unsere Zuhörerinnen und Zuhörer in ihren verschiedenen Gefühlsstadien abholen. Dann gibt es noch zahlreiche spezialisierte Musiksendungen.
Wäre es nicht eigentlich sinnvoll gewesen, eine Trennung in Konvention mit RTL einerseits und Gesetz für 100,7 andererseits zu vermeiden, um stattdessen ein eigenes, medienpolitisches Konzept oder Gesetz für öffentlich-rechtliche Aufträge zu lancieren?
Den Zuhörern und Zuhörerinnen ist es hierzulande nicht so wichtig, ob die Informationen, die sie beziehen, aus dem öffentlich-rechtlichen oder privaten Bereich kommen: Wichtiger sind die Qualität des Angebots und das Vertrauen in den Sender. Sie haben die Wahl, und das ist auch gut so. Dass es ein öffentlich-rechtliches Medienangebot gibt, liegt selbstverständlich in der Verantwortung des Staates. Das neue Gesetz hat uns gezeigt, dass sich hier engagiert wird. Natürlich könnte es ausgeweitet werden. Durch unsere historische Konstellation – eben, dass es die Privatsender vor den öffentlich-rechtlichen gab – ist das vielleicht aber noch nicht möglich. Die größte Konkurrenz befindet sich derzeit nicht auf nationaler Ebene: Vielmehr kämpfen wir alle gegen amerikanische, nicht regulierte, multinationale Unternehmen an, bei denen sich nicht nur Luxemburg, sondern die EU ebenfalls schwertut.
Sind Sie sich sicher, dass die Zuhörer und Zuhörerinnen nicht bewusst zwischen privat und öffentlich-rechtlich unterscheiden? Während der Coronakrise hat das öffentlich-rechtliche Medienangebot bspw. in Deutschland einen großen Quotensprung erlebt, weil sie während dieser Krise verlässliche Informationen beziehen wollten und diese am ehesten dort erwarteten. Was bedeutet das für Sie in der Profilierung gegenüber RTL?
In Luxemburg ist die Situation eine andere, da auch RTL einer öffentlich-rechtlichen Mission folgt. Während der Krise haben wir festgestellt, dass die Quoten sowohl bei RTL als auch bei uns gestiegen sind. Beide „Plattformen“ wurden genutzt, um sich zu informieren. Die Dualität ist jedoch nicht so eindeutig wie im Ausland. In Österreich etwa haben öffentlich-rechtliche Radiosender ein massives Zuhörerwachstum während der Kurz-Regierung erlebt. Die Menschen suchten gezielt nach regierungskritischen Meinungen. Diese Kultur über Grundsatzdiskussionen ist in Luxemburg nicht so ausgeprägt. Es geht nicht darum, ob man nun RTL oder radio 100,7 hört. Vielmehr wird nicht nur „national“ konsumiert, sondern eine ganze Spannbreite an Medien genutzt, egal ob ARD, ZDF, RTVE oder Pro7. Wir sind ein kleines Land, es wird schnell international. Um aber auf die Unterschiede zwischen privat und öffentlich-rechtlich zurückzukommen: Es stimmt schon, dass Privatsender andere Herausforderungen haben. Sie arbeiten mit Werbekunden und benötigen daher ein bestimmtes, budget-technisch gut aufgestelltes Zielpublikum. In anderen Ländern gibt es beispielsweise auch Staatssender. Als öffentlich-rechtlicher befinden wir uns ein bisschen zwischen beiden Pools. Und eben hier gilt es sich zu stabilisieren: Wir folgen weder einer kommerziellen Logik, noch sind wir ein Sprachrohr der Regierung. Das soll aber keinesfalls heißen, dass kommerzielle Sender keine qualitative Nachrichtensendungen produzieren können. Als öffentlich-rechtlicher hat man jedoch die wunderbare Möglichkeit, sich von gewissen Bedingungen freizumachen. Dafür setzt man sich manchmal mit seiner journalistischen Arbeit aus. Es ist nicht immer einfach, den Finger in die Wunde zu legen und damit eine öffentliche Diskussion anzustoßen.
Artikel 11 des Gesetzestextes könnte man so interpretieren, dass der Generaldirektor die Entscheidungen des Verwaltungsrats ausführt, das Programmschema vom Verwaltungsrat absegnen lassen muss und das Programm explizit unter der Kontrolle des Verwaltungsrats steht. Die „large autonomie dans l’exécution de ses fonctions“ des Generaldirektors wurde aus dem Text gestrichen. Warum fürchten wir uns in Luxemburg davor, jemandem die Verantwortung für ein Programm zu übergeben?
Ich habe tatsächlich eine völlig andere Lesart des Gesetzestextes: Für uns ist der Direktor durchaus für das Programm verantwortlich. Der Verwaltungsrat hingegen agiert in beratender Funktion, mit legaler Repräsentation. Seine Aufgabe ist es zu prüfen, ob wir die Mission eines öffentlich-rechtlichen Radiosenders tatsächlich erfüllen. Hierfür haben wir unterschiedliche „Werkzeuge“, wie beispielsweise eine grille des programmes. Dieses Dokument hilft uns dabei zu evaluieren, inwiefern unser Programm divers und in seiner Gesamtheit dazu in der Lage ist, ein großes Publikum anzusprechen. Es geht nicht darum, über Inhalte oder Management zu diskutieren, wer nun eingeladen wird, welche Themen besprochen werden oder wer welche Sendung leitet.
Auffällig am Gesetzestext ist ebenfalls, dass im Falle eines Konflikts zwischen Generaldirektion und Chefredaktion der Verwaltungsrat entscheidet. Warum wurde gerade dieses Szenario festgehalten?
Bezüglich des neues Gesetzestextes wurden viele Gutachten ausgearbeitet. Inhaltlich sprachen sich viele dieser Gutachten für eine höhere Stabilität und Macht eines Chefredakteurs beim Radio aus. Bei uns ist es jedoch klar, dass der Chefredakteur ein Angestellter ist, der dem Generaldirektor untergeordnet ist. Es geht nicht, dass der Chefredakteur zum Verwaltungsrat geht und bekundet, dass ihm etwas nicht schmeckt. Hier reden wir von Fällen, die wir in einem Redaktionsstatut darstellen müssen, bei denen es um unsere Mission geht und geklärt werden muss, ob letztere gefährdet ist oder nicht.
Was die Ernennung der Verwaltungsratsmitglieder betrifft, muss man feststellen, dass der Verwaltungsrat, der bisher von der Regierung zusammengestellt wurde, nun im Falle von ausscheidenden Mitgliedern vom Verwaltungsrat selbst nachbesetzt wird. Hätte man dort nicht bei null anfangen müssen, um eine diverse, unabhängige, gesellschaftlich-repräsentative Zusammenstellung zu garantieren und zu vermeiden, dass der Verwaltungsrat sich stets für eine ähnliche Zusammenstellung entscheidet?
Zum Thema Verwaltungsrat habe ich eine sehr starke Meinung: Als Mitglied des Verwaltungsrats ist man Botschafter der Organisation, die man repräsentiert. Hier fungiert man nicht als (Interessen-)Vertretung einer bestimmten Gruppe. Und ich freue mich, dass wir uns für diesen Weg entschieden haben. Denn für mich steckt die Vorstandsführung in Luxemburg noch in den Kinderschuhen. Im Vorfeld des neuen Gesetzestextes wurden bereits drei neue Mitglieder ernannt, die zwar von der Regierung berufen, aber vom Verwaltungsrat vorgeschlagen wurden. Hierbei hat man sich nach bestimmten Bereichen und Kompetenzen – nach ergänzenden Profilen – und nicht nach Personen orientiert. Diese Vorgehensweise garantiert automatisch eine gewisse Diversität. Darüber hinaus hat sich der Verwaltungsrat einen deontologischen Kodex gegeben. Besonders wichtig ist, dass es Mitgliedern nicht um den Status geht, sondern dass sie verfügbar und engagiert sind. Obwohl es sich um eine ehrenamtliche Tätigkeit handelt, ist es eindeutig Arbeit. Das neue Gesetz ermöglicht uns zudem gezielte Ausschreibungen.
Was steckt hinter der Idee eines Beratungsausschusses?
Der Beratungsausschuss ist da, um uns zu unterstützen und zu prüfen, ob wir unsere Mission erfüllen. Über den Ausschuss lassen sich verschiedene Interessen aufnehmen. Er erfüllt eine kontinuierliche, beratende Funktion. Raphael Kies aus dem Verwaltungsrat ist derzeit dabei, eine Bestandsaufnahme zu machen und zu analysieren, welche Modelle im Ausland existieren und sich besonders gut für uns eignen könnten: ein BürgerInnenrat, ein formelles Gremium oder ein Hörerclub. Das muss aber alles vorbereitet und strukturiert werden, damit das Feedback sinnvoll aufgenommen und vertieft werden kann, damit es nahtlos in das Programm einfließen kann.
LSAP-Ko-Vorsitzende Francine Closener hat sich in einem Gastkommentar im Luxemburger Wort vom 7. Mai dieses Jahres über die Zukunft des Medienstandorts Luxemburg für einen 100,7-Fernsehsender ausgesprochen. Was halten Sie von der Idee eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders?
Es würde mich freuen, diese Diskussion weiterzuführen. Allerdings muss dabei einiges beachtet werden, wie zum Beispiel die Pluralität. Wenn es zu einer Fusion eines Fernseh- und Radiosenders kommen würde: Was würde das für die RTL- und die 100,7-Redaktion bedeuten? Man sollte in so einem Fall unbedingt verhindern, dass es nur eine öffentlich-rechtliche Redaktion gibt. Wenn man diese Diskussion ernsthaft fortführen möchte, wäre es von großer Wichtigkeit, die Autonomie der Redaktionen zu bewahren. Aus kommerzieller Sicht mag plattformunabhängiges Arbeiten, so wie RTL es tut, mit einer Redaktion durchaus Sinn machen. Aus unserer Sicht und in Bezug auf den Aspekt der Meinungsvielfalt jedoch nicht. Darüber hinaus wissen wir heute nicht, welchen Stellenwert das Fernsehen 2030 (noch) einnimmt. Herr Goossens sagte ja selbst im Interview auf unserer Antenne, dass das Medium Fernsehen defizitär sei. Es sieht bislang nicht so aus, als würde sich das in den kommenden acht Jahren ändern. Inwiefern ist es für Luxemburg noch relevant, über eine terrestrische Antenne zu verfügen? Vielleicht ergibt das nur noch in Krisenzeiten Sinn. Vielleicht gibt es bis dahin ganz andere Wege, die viel sinnvoller wären. Wir sind auch heute schon davon überzeugt, dass sich die Diskussion verschoben hat: Es geht nicht mehr um die Konkurrenz zwischen Hörfunk und Fernsehen, sondern um die Inhalte. Wie werden Inhalte in welchen Formaten (Audio, Video, Text) produziert und wie werden sie verbreitet? Das ist die Diskussion, die wir führen möchten.
Ist es nicht gerade in Zeiten absoluter Mediendiversifizierung – ebenfalls in Bezug auf den Medienkonsum durch Social Media und das Internet – umso wichtiger, eine linear ausgestrahlte, öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt zu haben, die als sozialer Integrator im Land wirken könnte? Etwas, das sich die Menschen in Luxemburg auch anschauen?
Ja, aber dann müssen sie es sich tatsächlich anschauen. In meinem Umfeld beobachte ich bereits jetzt, dass jüngere Generationen nicht mehr fernschauen. Sie konsumieren ihre Inhalte über andere Medien. Vielleicht handelt es sich beim Medium Fernsehen um ein Auslaufmodell, vielleicht erleben wir aber auch eine Renaissance. Es ist schwer, vorauszusagen, wie die Lage 2030 aussehen wird. Heute sieht man allerdings anhand von Plattformen wie Spotify, dass die Nachfrage nach Playlists steigt, was dafür spricht, dass die Konsumentinnen und Konsumenten in Zukunft beides wollen: einen direkten Zugang und etwas Vorkuratiertes, mit persönlichen Empfehlungen.
Gibt es Pläne, das audiovisuelle Angebot auf der radio 100,7-Webseite auszubauen?
Absolut. Die Interviews werden aufgenommen, aber die Kameras im Studio sollen nicht rund um die Uhr laufen. Wir möchten, dass sich audio-visuelle Aufnahmen auf einen Inhalt, ein Interview oder eine Aussage und nicht auf unsere Moderation im Studio konzentrieren, weil wir überzeugt sind, dass das nicht relevant für unser Publikum ist. Vor ein paar Wochen haben wir das Format Invité vun der Redaktioun noch als „Live“ auf Facebook geteilt. Das haben wir jetzt jedoch eingestellt, weil die Nachfrage nicht besteht. Das liegt daran, dass den Menschen vormittags die nötige Zeit fehlt, um sich hinzusetzen und ein Interview zu schauen, nicht aber, um es zu hören. Jetzt veröffentlichen wir die Videos als news item, das online nachgehört oder -geschaut werden kann. Wir sind dabei zu experimentieren, und wir wissen, dass audio-visuelle Inhalte wichtig sind. Durch die Smartphone-Nutzung sind Texte jedoch ebenfalls relevant – viele lesen die Nachrichten unterwegs auf dem Handy. Audiovisuelle Inhalte können hingegen nicht an jedem Ort oder in jeder Situation abgespielt werden. Unsere Aufgabe ist es demnach herauszufinden, wie wir diese drei Pisten am besten mit denselben Ressourcen verfolgen können.
Da RTL bis 2030 ebenfalls öffentlich-rechtliche Aufgaben übernehmen wird, müssen Sie sich dazu irgendwie verhalten. Befürchten Sie jetzt einen öffentlich-rechtlichen Angriff von RTL? Wie wollen Sie darauf reagieren?
Herr Goossens sagte im Interview ganz klar, dass sich die Finanzierung hauptsächlich auf eine Ausbalancierung von Einschnitten im kommerziellen Bereich beziehe. Auf konkrete Pläne ist er aber nicht eingegangen, wenn ich mich recht erinnere. Wir orientieren uns aber nicht an den Plänen von RTL, sondern richten den Blick auf unsere Inhalte und die Art und Weise, wie wir sie vermitteln können, wie gesagt, beispielsweise digital. Das ist unser Fokus. Ich hatte, ausgehend von diesem Interview, allerdings nicht das Gefühl, dass eine große inhaltliche Umstrukturierung auf RTL zukommen wird.
(Das Gespräch fand am 8. Juni 2022 statt, die Fragen stellten hm und Romain Kohn).
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