Nazifizierung Israels und Antisemitismus in Luxemburg
Droit de réponse
In Reaktion auf den unter dem Titel „Dialogverweigerung?“ erschienenen Beitrag von Henri Grün, publiziert in forum 428 (November 2022), S. 15-17, hat Bernard Gottlieb ein droit de réponse gemäß Artikel 36 de la loi modifiée du 8 juin 2004 sur la liberté d’expression dans les médias geltend gemacht.
Herr Grün wirft RIAL, in persona Bernard Gottlieb, in seinem Beitrag allerlei vor – wir weisen alle erhobenen Vorwürfe zum wiederholten Male entschieden zurück. Man mag sie noch so oft wiederholen, sie werden dadurch nicht wahrer!
Der RIAL-Bericht 2021 bearbeitet zwei Artikel über Karikaturen mit Spiegeln. Die Zeichner verbreiten über das Stilmittel des Spiegelvorhaltens die monströse Legende, dass israelische Soldaten mit den NS-Menschenjägern gleichzusetzen wären. Eine absurde Skandalisierung, die keiner objektiven Betrachtung standhält und gemäß den Kriterien der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) als antisemitisch einzustufen ist. Um auf Herrn Grün reagieren zu können, müssen wir diese Vorfälle erneut aufgreifen, bevor wir auf seinen Vorwurf der „Dialogverweigerung“ eingehen.
Die erste Karikatur1 wurde im Mai 2021 von einem bekannten Verantwortlichen des Kulturzentrums Altrimenti gepostet. Deren Leitmotto lautet: „Altrimenti is a cultural centre open to all. A place of dialogue and intercultural discovery.“
Die abstruse Karikatur transportiert folgende Wahnvorstellung: Israelis wären die neuen Nazis, die Palästinenser die neuen Juden. Der israelische Soldat sei wie der im Spiegel aufscheinende SS-Mann; die Palästinenserin entspräche dem KZ-Häftling in der gestreiften Kleidung. Der Hintergrund suggeriert eine Zelle. Bösartiger Irrsinn!
Das Oberlandesgericht Bayern hat aktuell entschieden, dass die Verwendung von Hakenkreuzen und anderen SS-Symbolen bei der Kritik an Israel nicht unter die Meinungsfreiheit fällt und daher strafbar ist. Grundlage des Urteils war dasselbe Bildmotiv. So was wäre vielleicht auch in Luxemburg vonnöten!2
Das zweite Beispiel betrifft das Comité pour une paix-juste au Proche-Orient (CPJPO), dessen Verwaltungsratsmitglied Herr Grün ist, direkt: ein Artikel, der im RIAL-Bericht 2021 auf den Seiten 79-81 unter dem Titel „Merry Christmas from Ali, Taoufiq and Nathalie“ veröffentlicht wurde. Ali Abunimah ist virulenter Propagandist und Direktor der Electronic Intifada; Taoufiq Tahani ist Ehrenpräsident der Association France Palestine Solidarité, die mit dem CPJPO zusammenarbeitet.
Karikatur3 und Begleittext sind total verquer, weil sie ein Ereignis, das vor 2.000 Jahren laut den christlichen Evangelien stattgefunden haben soll und jüdische Personen betraf, mit der Darstellung eines israelischen Kontrollpunkts, der den Zugang zu Bethlehem kontrolliert, assoziiert. Um Logik geht es dabei nicht, dafür um wirre Trigger, die auch den Untertext bestimmen: Man schwadroniert, dass die Israelis die schwangere Maria wohl unter einem erfundenen Vorwand erschossen hätten. Das sind mörderische Fantasien von Extremisten.
CPJPO-Aktivistin und Abgeordnete Nathalie Oberweis (déi Lénk) wendet sich nicht etwa ab, sondern zu. Sie appelliert an gläubige Christen, „ceux qui aiment l’enfant Jésus“, um ihnen im nächsten Atemzug die abstruse Fiktion zu verkünden: Dieser Jesus würde heute unter einem kolonialistischen Regime in einer militärisch besetzten Zone leben. Und das in Nazareth, im Kernland Israels, dessen Existenz CPJPO ja anscheinend nicht in Frage stellt. Wirklich? Jesus als Jude undercover, Kufya statt Dornenkrone, oder was? Was für ein Chaos.
CPJPO-Mitglied Grün echauffiert sich nicht etwa über die hasserfüllten Lügen, die die Bilder erzählen. Ihn empört nur, dass Bernard Gottlieb es gewagt hat, den Spiegel zu entlarven. Der wirkt wie ein versteckter Code und schlägt manche Menschen mit sofortiger Blindheit. Die zackigen Kratzer auf dem Spiegel, SS-Runen? Niemals! Aber was es sonst sein könnte, das verrät er nicht. Wenn es also doch SS-Runen sind, dann symbolisieren sie, dass israelische Soldaten die SS-Leute von heute sind. Eine rational unhaltbare Position, aber eine sich ausbreitende bösartige Fiktion, mit der Israel verteufelt werden soll.
Dreiste Aktivisten bringen ihre wirre Agenda in unseren freien Gesellschaften mit viel Starrsinn und Energie hemmungslos in Umlauf. Wenn sogenannte Intellektuelle einen solchen Unsinn, um es milde auszudrücken, verteidigen und verbreiten, dann hat das mit Schutz von Schwächeren nichts zu tun.
Es ist keine legitime Kritik an Israel, sondern verleumdet und dämonisiert Israelis, die als Nazis verunglimpft werden. Das ist antisemitisch.
Herr Grün sagt dazu in forum 428: „Eine Karikatur auf FB wird zum ‚antisemitischen Vorfall‘, weil B.G. im Lichtreflex eines kleinen, von einem israelischen Soldaten geführten Spiegels eine visuelle Anspielung auf eine SS-Rune entdeckt hat. Niemand sonst wird sie je sehen!“ Die „kleine[] empirische[] Untersuchung in meinem Umfeld“, so Grün in einer Fußnote, ist nun wirklich nicht besonders wissenschaftlich! Dass CPJPO-Anhänger und Freunde Grüns SS-Symbole nicht sehen „können“, ist eine Wahl und kein Sehfehler.
Übrigens steht B.G. eindeutig für Bernard Gottlieb, und Grüns ätzende Worte trachten danach, Herrn Gottlieb zu beleidigen und zu diskreditieren. Herr Grün hofft, Herrn Gottlieb einfach weghöhnen zu können. Seine Beteuerung auf RTL-Tele am 7. März 2020 zielt ins Leere: „Mir sinn weder antisemittesch, mir sinn och net géint Israel, an och net géint d’Judden“.
Herr Grün wirft uns Rufschädigung des CPJPO vor, was ein üblicher Abwehrreflex in solchen Lagen ist. Nur sorgt sich Herr Grün nicht etwa, weil er schreibt, was er schreibt, sondern weil RIAL ihn zitiert und den Kontext herstellt. Dass wir unsere Beobachtungen und Analysen kundtun, ist in Anbetracht der bedrohlichen Attacken gegen Juden in aller Welt notwendig. Dies entspricht nicht einer Rufschädigung der Akteure. Die verbalen Angriffe gegen Bernard Gottlieb persönlich stellen dagegen Rufschädigungen dar. Sie gehen nicht als „unterschiedliche Perspektive oder Einstufung“ durch.
Antisemitismus ist keine „Meinung“, laut Adorno „das Gerücht über Juden“; er ist eine Haltung, die sich immer neue Ausdrucksformen und Mittel sucht, um sich über den erfundenen, jüdischen Feind zu erheben und jüdische Menschen zu demütigen, zu ängstigen und vom Platz zu treiben. Das ist inakzeptabel.
Herr Grün quengelt weiter, dass, wenn man überall Antisemiten am Werk sehen und systematisch eine Äquivalenz zwischen Antizionismus und Antisemitismus herstellen würde, letzterer Begriff seine Bedeutung verlieren würde. Unsere Rede! Aber leider meint er etwas ganz anderes.
Niemand bei RIAL sieht überall Antisemiten, wir nehmen jedoch antisemitisches Verhalten als solches wahr. Wir wissen um die Komplexitäten menschlichen Seins, und wir nennen niemanden leichtfertig einen Antisemiten. Aber wir benennen antisemitische Verhaltensweisen und zeigen sie auf. Dann sind Polizei und Justiz verantwortlich, sofern diese Handlungen gegen das Gesetz verstoßen. Mit der Moral kommen wir ja bekanntlich nicht weiter.
Der Kampf gegen Diskriminierung, wie und gegen wen sie auch immer auftritt, ist ein nobler Kampf. Wir führen ihn mit dem Fokus auf Antisemitismus und bemühen uns dabei um Respekt und Wertschätzung gegenüber jedweder Person. Jeder einzelne Vorfall wird genauestens analysiert; in Zweifelsfällen wird auf eine Erwähnung verzichtet.
Herr Grün wirft uns einmal mehr vor, Vorfälle aus ideologischen Gründen zu erfinden. Zitat: „Wir haben das Zustandekommen dieser Zahlen ausführlich kritisch analysiert, wobei offensichtlich wurde, dass diese Zahlen wissenschaftlichen Kriterien nicht genügen und zum Teil zum Zwecke der Propaganda des RIAL ideologisch konstruiert sind.“ Dieser Satz strotzt nur so von Suggestiv-Begriffen: Kritische Analyse, wissenschaftliche Kriterien – überhöhen das eigene Tun; Propaganda, ideologisch konstruierte Zahlen – werten uns ab. Der fällige Nachweis für diese Anschuldigungen bleibt aus; aber der Zweifel ist gesät. Es ist der uralte Trick des Verleumders, der genau weiß, dass immer etwas hängen bleibt. Das macht es so hässlich.
Spätestens jetzt sollte klar sein, warum bei den Vertretern des israelitischen Konsistoriums von Luxemburg oder beim Präsidenten des RIAL nicht das geringste Bedürfnis besteht, sich mit dieser Führungsriege des CPJPO zu treffen. Zeitverschwendung mit Verhöhnungszulage kann niemand verlangen.
Herr Grün hört sich gern reden, aktuell beim Abschluss des Kolloquiums zum Thema Antisemitismus am 22. Oktober 2022 in Neumünster: „[…] die Tagung von heute über Antisemitismus hatte vor allem den Zweck, diese Verdinglichung des Begriffs aufzulösen und sie zu verflüssigen und sie über die Diskussion offen zu machen, um eben genau diese Prozesse zu verhindern, dass man Eigenes auf andere projiziert. Wenn man kämpft gegen Antisemitismus, und das ist mein Problem mit der Rhetorik und der Semantik dieses Kampfs gegen, braucht man einen Gegner, und dann ist man in der Verdinglichung, dann sucht man den Gegner, und dann findet man einen“.4 Was für ein Geschwafel.
Antisemitismus bedroht ganz konkret das Leben jedes einzelnen Juden, jeder einzelnen Jüdin, unabhängig von Alter, Nationalität, gelebter Religiosität und politischer Einstellung. Antisemiten kränken und verletzen rücksichtslos. Die ständige Hetze zerstört das Vertrauen, das Menschen ineinander setzen sollten. Wer sagt, die, die gegen Antisemitismus kämpfen, würden sich ihre „Gegner suchen“, arbeitet mit der Logik der Täter-Opfer-Umkehr. Es ist eine Nebelbombe.
Der Kampf gegen Antisemitismus ist eine mühselige, enttäuschende, oft traumatisierende Erfahrung. Denn wer dem harten Antisemitismus anhängt und das eigene Selbstwertgefühl aus dem Vernichtungsfeldzug zieht, ist nicht erreichbar. Man kann es nur erschweren, antisemitische Inhalte zu verbreiten. Es ist illusorisch, das von einer krisenüberlasteten Zivilgesellschaft zu erwarten. Allerdings muss von Legislatur und Judikative konsequent dagegen vorgegangen werden, sonst ist auch das alljährliche „Nie wieder!“ nur ein leeres Versprechen. Schlussendlich ist der Kampf gegen Antisemitismus vor allem ein Kampf gegen tausendjährige Vorurteile, Minderwertigkeitskomplexe und Falschinformationen, die immer wieder mühseligst dekonstruiert werden müssen.
Die Aktivisten vom CPJPO liefern RIAL leider jede Menge überflüssiges Material, auf das hier alle gern verzichten würden. Das ist wohl in absehbarer Zeit nicht zu ändern. Die Auseinandersetzung mit diesen Auswüchsen kann RIAL der Gesellschaft jedoch nicht ersparen.
1 https://tinyurl.com/59csmfxk (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 14. Dezember 2022 aufgerufen).
2 https://tinyurl.com/j5cr8att
3 https://tinyurl.com/2p2x7jt2
4 https://tinyurl.com/3y2afek7
Bernard Gottlieb ist Präsident von RIAL. Jedes Jahr veröffentlicht RIAL (Recherche et information sur l’antisémitisme au Luxembourg) einen Bericht zum Zustand des Antisemitismus in Luxemburg.
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