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Och nom Krich wor alles net sou einfach…
Bemerkungen zu einer verstörenden Ausstellung zur Geschichte Luxemburgs während des Kalten Krieges
„Europa ist gespalten: Die ‚kapitalistischen‘ Länder im Westen zeichnen sich durch ein politisch und wirtschaftlich radikal anderes System aus als die ‚kommunistischen‘ Länder im Osten. […] Das Großherzogtum ist fest im Westblock verankert. […]“ Mit diesen Worten begrüßt Régis Moes, Kurator der Ausstellung „Der Kalte Krieg in Luxemburg (1947-1991)“, die noch bis zum 27. November 2016 im Musée national d’histoire et d’art zu sehen ist, die Besucher. Es ist seine erste Sonderausstellung und er gibt sich gleich als Historiker zu erkennen, der zur „eigenen Subjektivität beim historischen Erzählen“1 steht. Moes distanziert sich vom Anspruch auf die „feste, wahre und unumstößliche Geschichtserzählung“2 und verspricht dem Besucher lediglich „einige Aspekte des Kalten Krieges in Luxemburg“ vorzustellen.
Die „Guten“ und die „Bösen“
„Vor dem Hintergrund der internationalen Politik hat die hiesige Bevölkerung den Eindruck, klar definieren zu können, wer die ‚Guten‘ und wer die ‚Bösen‘ sind“, behauptet Erzähler Moes selbstbewusst in der Einleitung und kündigt damit an, dass seine Ausstellung sich mit einem Kapitel der Luxemburger Geschichte befasst, das die Sozialanthropologin und Museologin Sharon Macdonald als „schwieriges Kulturerbe“ bezeichnen würde: „Difficult heritage is concerned with histories and pasts that do not eas-ily fit with positive self-identities of the groups of whose pasts or histories they are part. Instead of affirming positive self-images, they potentially disrupt them or may threaten to open up social differences and conflicts.“3
Moes’ Erzählung geht den „Gut-Böse“-Dualismus mit individuellen und kollektiven Erzählungen multiperspektivisch an. So dokumentiert die Ausstellung die positive Aufnahme von etwa 200 Flüchtlingen, die Ungarn nach der Niederschlagung des Aufstands 1956 verließen. Das Bild der Luxemburger Gutmenschen wird in diesem Kontext aber gleich zweifach relativiert. Die frühere Außenministerin und langjährige Bürgermeisterin der Stadt Luxemburg Colette Flesch sagt aus, dass sie sich sehr unwohl fühlte, als die Protestaktion gegen die Niederschlagung des Aufstands, an der sie als Gymnasialschülerin teilnahm, zu gewaltsamen Ausschreitungen in der sowjetischen Botschaft führte. Und die bewegende Erinnerung Janine Frischs, Tochter eines kommunistischen Lehrers, die damals auf dem Heimweg aus der Belairer Grundschule von Halbstarken zunächst als „Kommunistenschwein“ beschimpft und dann vor den Augen erwachsener Passanten von diesen zusammengeschlagen wurde, erschüttert definitiv das positive Luxemburger Selbstbild.
Moes stellt dem Besucher wichtige politische Akteure der Zeit vor: Joseph Bech, Charles Marx, René Blum, Gaston Thorn, um nur einige zu nennen, und schafft es weitgehend, nicht in die hagiografische Falle zu tappen. So wird der „Gründervater einer neuen Außenpolitik“4, Joseph Bech, dargestellt als jemand, der sich „von 1926 bis 1937 und von 1953 bis 1958 durch eine scharfe antikommunis-tische Haltung“ auszeichnete, aber nach dem Krieg diplomatische Beziehungen zur UDSSR aufbaute und mit dem Luxemburger Gesandten in Moskau und ehemaligen sozialistischen Justizminister, René Blum, in täglichem Kontakt stand. Die Kehrseite von Moes’ sachlichem Duktus ist allerdings eine gewisse Konturenlosigkeit und Blässe der Charaktere. Der unkundige Besucher würde gerne verstehen, wieso der Arzt und Widerstandskämpfer Charles Marx, der 1936 die Klinik in Ettelbrück gründete, 1945 Gesundheitsminister wurde und 1946 bei einem Autounfall ums Leben kam, sich der kommunistischen Idee verschrieben hatte. Ohne derartige Information bleiben die ausgestellte, mit Initialen versehene Aktentasche und das barocke Tintenfass anekdotisch und lassen allenfalls einen Salonkommunisten hinter dem Politiker vermuten.
Spannend ist, wie die Ausstellung auf den „Gut-Böse“-Dualismus innerhalb der Gruppe der Kommunisten eingeht. Moes lässt das ehemalige Mitglied der kommunistischen Partei, André Hoffmann, über die Spaltung innerhalb der Partei zu Wort kommen: „Es gab selbstverständlich Tabus. Es war möglich, in der kommunistischen Partei über die nationale Politik zu diskutieren, es gab auch unterschiedliche Auffassungen darüber, was zu tun sei, welche Haltung eingenommen werden solle. Aber in Bezug auf den sogenannten Realsozialismus war eine offene Auseinandersetzung nicht möglich. Im Prinzip musste man sich entscheiden, ob man diese Staatsform akzeptierte oder nicht. Wenn nicht, bedeutete dies, aus der Partei auszutreten.“ Damit widerlegt die Ausstellung sicher ein Klischee des Kalten Krieges für viele Zeitzeugen, die die Partei über das Parteiorgan Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek als monolithischen Block in Erinnerung haben.
Konstruktion von Geschichte
Eine der großen intellektuellen Leistungen der Ausstellung besteht in der Nebeneinanderstellung von kollektiven und individuellen Erinnerungen von Akteuren und Gruppen, die bis dato meist getrennt dargestellt wurden. Man denke etwa an die dreibändige Geschichte der kommunistischen Partei Luxemburgs von Aly Ruckert5 oder die von Gilbert Trausch herausgegebene Publikation CSV: Spiegelbild eines Landes und seiner Politik? Geschichte der Christlich-Sozialen Volkspartei Luxemburgs im 20. Jahrhundert6, welche das Zeitgeschehen monoperspektivisch beleuchten. Das Musée national d’histoire et d’art führt verschiedene „Theater der Erinnerung“7, an deren Prägung internationale und nationale Ereignisse aus der Zeit des Kalten Krieges beteiligt waren, zusammen und konstruiert so die Nachkriegsgeschichte Luxemburgs neu. Moes zeichnet Ereignisse auf, die in den Augen von Akteuren unterschiedlicher Couleur relevant waren und macht die Erinnerungen an Artefakten wie Möbelstücken, zivilen und militärischen Objekten, Dokumenten, Plakaten, Fotografien, Film- und Tondokumenten fest. Diese werden so für das Publikum zu „Aufhängern der Reflexion und Erinnerung umfunktioniert“8.
Im Kapitel „Das Stay behind-Netzwerk“ lösen die Abhörgeräte, die der Service de renseignement de l’État dem Museum zur Verfügung stellte, nicht nur „John le Carré“ Fantasien zur etwa zwölfköpfigen Spezialeinheit des Luxemburger Geheimdienstes aus, welche zwischen 1960 und 1990 im Fall einer Invasion durch die Armeen des Warschauer Paktes im Großherzogtum zu verbleiben und den Alliierten Informationen aus dem Bereich hinter den feindlichen Linien zu überbringen hatte. Sie regen ebenfalls zu einer Reflexion über die Glaubwürdigkeit von Regierungen an. Zur Erinnerung: Der damalige Luxemburger Premierminister Jacques Santer hatte erst als Reaktion auf den Enthüllungsartikel Romain Hilgerts „Fünf Jahre Staatsgeheimnis Bombenleger – NATO-Terrorkommando Gladio auch in Luxemburg“ vom 10. November 1990 in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek die Existenz einer Stay behind-Organisation in Luxemburg zugegeben und diese daraufhin auch aufgelöst. Über diesen Hintergrund sieht Erzähler Moes „diplomatisch“ hinweg mit den Worten „Über die Existenz des Stay behind-Netzwerks wird die Öffentlichkeit erst am Ende des Kalten Krieges unterrichtet. Am 14. November 1990 ordnet Premierminister Jacques Santer die Auflösung der luxemburgischen Zellen des Netzwerks an.“ Eine Stellungnahme Jacques Santers, der als Zeitzeuge in der Ausstellung zu Wort kommt, hätte der Multipers-
pektivität der Ausstellung gut getan.
Inszenierung als Katalysator für die öffentliche Auseinandersetzung mit Geschichte
„Sich erinnern heißt Möglichkeiten zu eröffnen, wie es hätte sein können, wie Geschehnisse, Beziehungen oder Laufbahnen völlig anders hätten ausfallen können.“9 An die Erinnerungsarbeit schließen sich für den Ausstellungsbesucher die Interpretationsarbeit und die Rekonstruktionsarbeit an.10 Erzähler Régis Moes nutzt die Abfolge von kleinen Ausstellungsräumen geschickt für die epische Struktur seiner nicht linearen Erzählung. Mit der Nummerierung der Texte erleichtert er es dem Besucher, ihm in seinem Gedankengang zu folgen. Doch der Ausstellungskritiker stellt sich die Frage, ob dem nicht mit dem Thema vertrauten Besucher durch die nüchterne, rein auf den Gegenstand konzentrierte Darstellung (z.B. in Form einfacher Vitrinierungen) nicht Erinnerungshilfen und Interpretationsmöglichkeiten verschlossen bleiben. Hätte eine Inszenierung der Narrative die Möglichkeit der Interpretation des Gezeigten nicht erweitert?11 Die akkurat „passpartout-isierten“ und gerahmten kleinen Schwarzweißfotografien von amerikanischen Firmenniederlassungen in Luxemburg wie der Reifenhersteller Goodyear vermitteln ein unzulängliches Bild vom wirtschaftlichen und politischen Einfluss, den die USA durch das als Marshallplan bekannte Wirtschaftswiederaufbauprogramm auf Länder wie Luxemburg ausübten.
Und was vermittelt eine auf einer Schaufensterpuppe präsentierte Militäruniform über die Bedeutung der 89 Freiwilligen aus der luxemburgischen Armee, die zwischen 1951 und 1953 im Koreakrieg als UN-Soldaten im Einsatz waren?
Ausstellungen sollten für die breite Öffentlichkeit Bilder schaffen und neue Ordnungen inszenieren.12 Mit einer selbstbewussten Inszenierung hätte die Ausstellung „Der Kalte Krieg in Luxemburg (1947-1991)“ die jüngere Geschichte Luxemburgs auch für ein Publikum öffnen können, das keine Erinnerungen an die dreieinhalb Jahrzehnte Luxemburger Geschichte während des Kalten Krieges knüpft und damit eine bessere Ausgangslage für die kritische Auseinandersetzung mit dem schwierigen Kultur-erbe, die sie anstrebt, geschaffen. So bleibt „Der Kalte Krieg in Luxemburg (1947-1991)“ formal eine historische Ausstellung, die es nicht geschafft hat, sich aus der „Fessel des Wortes zu lösen“13.
Fazit
Mit der Sonderausstellung „Der Kalte Krieg in Luxemburg (1947-1991)“ beschreitet das Musée national d’histoire et d’art neue Wege und positioniert sich mit seinem jungen Kurator Régis Moes erstmals auch als Forum der öffentlichen Auseinandersetzung über kontroverse Kapitel der jüngeren Luxemburger Geschichte in der Luxemburger Museumslandschaft. Man muss dem Museum und seinem Ausstellungskurator für den Mut gratulieren, mit einer Sonderausstellung Klischees aufzubrechen und ein noch nicht von Historikern aufgearbeitetes Kapitel für die breite Öffentlichkeit multiperspektivisch zu konstruieren. Die Ausstellung zeigt aber gleichzeitig auch die Schwächen des Traditionshauses, das sich im Moment in seinen historischen Sonderausstellungen noch schwer tut, ausstellungsästhetisch den Weg ins 21. Jahrhundert zu finden. Es wird spannend sein zu beobachten, wie Régis Moes und seine Museumskollegen ihre musealen Kommunikationsformen für die 2019 geplante Sonderausstellung zum politischen Krisenjahr 1919 weiterentwickeln.
1 Tobias Jakobi, „Narrativität und narrative Kompetenz im Geschichtsunterricht“ in: Skriptum 3 (2013), Nr. 2 [08-05-2016].
2 Ibidem.
3 Sharon Macdonald, „Difficult Heritage. Unsettling History“ in: Marie-Paule Jungblut, Rosmarie Beier-de Haan (ed.), Museums and Universal Heritage – History in the Area of Conflict between Interpretation and Manipulation, Luxembourg, 2008, S. 9.
4 Titel des Ausstellungstextes.
5 Aly Ruckert, Geschichte der Kommunistischen Partei Luxemburgs, Luxemburg 2006-2010.
6 Gilbert Trausch (Hrsg.), CSV: Spiegelbild eines Landes und seiner Politik? Geschichte der Christlich-Sozialen Volkspartei Luxemburgs im 20. Jahrhundert, Luxemburg, 2008.
7 Raphael Samuel, Theatres of Memory, London, 1994.
8 Alan Radley, „Artefacts, Memory and a Sense of the Past“ in: Middleton and Edwards (eds.), Collective Remembering, London, 1990, S. 57f., zitiert nach John Urry, „Wie erinnern sich Gesellschaften ihrer Vergangenheit“ in: Rosmarie Beier-de Haan (Hg.), Geschichtskultur in der Zweiten Moderne, Frankfurt/Main, 2007, S. 34.
9 John Urry, 2007, S. 39.
10 Ibidem, S. 40.
11 Rosmarie Beier-de Haan, 2005, S. 186/87.
12 Ibidem, S. 187.
13 Gottfried Korff, „Zur Einführung“ in: Ulrich Eckhardt (Hg.), Preußen – Versuch einer Bilanz. Bilder und Texte einer Ausstellung, Berlin 1982, S. 15.
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